KG Berlin – Az.: 9 U 173/10 – Beschluss vom 03.06.2011
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe
I.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, mit der der Kläger wegen des Unfallereignisses vom 6. August 2007, bei dem er gegen 6:20 Uhr als Radfahrer auf dem Radweg der Straße Am Tiergarten in Richtung Alt-Friedrichsfelde stürzte, weil er nach seinem Vortrag mit der linken Lenkerseite gegen einen Abspannmast geriet, und sich Verletzungen zuzog, die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 15.000,00 Euro begehrt hat. Zur Begründung hat die Vorinstanz ausgeführt, einem Amtshaftungsanspruch stehe ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 BGB entgegen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
II.
1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat einen Anspruch des Klägers aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG im Ergebnis zu Recht verneint.
a) Es fehlt bereits an einer Amtspflichtverletzung des Beklagten.
Dem beklagten Land obliegt gemäß § 7 des Berliner Straßengesetzes die Straßenbaulast, die – soweit hier einschlägig – alle mit dem Bau der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben umfasst und damit auch die Aufgabe, im Rahmen der Leistungsfähigkeit, Radwege so zu bauen, dass sie dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügen.
Die Berufung weist darauf hin, dass es vorliegend nicht um die Anforderungen an Pflege und Unterhaltung von Verkehrsflächen geht. Der Kläger rügt vielmehr, dass die von vornherein fehlerhafte Ausführung des streitgegenständlichen Radweges an der behaupteten Unfallstelle die Verkehrssicherheit gefährde. Zutreffend führt die Berufung aus, der Beklagte habe sich durch die Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege) durch die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr in der zum Unfallzeitpunkt maßgeblichen Fassung vom 11. Dezember 1998 (Amtsblatt für Berlin vom 22. April 1999, S. 1477) im Hinblick auf die Anforderungen an die Verkehrssicherheit bei der Gestaltung von Radwegen durch das von ihm geschaffene Innenrecht selbst gebunden.
Die bauliche Anlage genügt jedoch den maßgeblichen Vorschriften.
Nach Teil A III. Ziff. 2 Abs. 1 der AV Geh- und Radwege sollen straßenbegleitende Radwege, die – wie hier – nur in einer Richtung befahren werden dürfen, einschließlich der Randeinfassung 1,6 m breit sein. Sofern an Engstellen der Radweg ausnahmsweise verschmälert werden muss, ist eine Mindestbreite von 1 m einzuhalten. Die Regelbreiten der Radwege dürfen nur an kurzen Abschnitten unter Wahrung der Verkehrssicherheit unterschritten werden, sofern dies aufgrund der örtlichen Verhältnisse erforderlich ist (Absatz 3).
Der Kläger behauptet selbst nicht, dass der Radweg in Höhe des Abspannmastes für die Oberleitungen der in der Fahrbahnmitte verlaufenden Straßenbahnlinien um mehr als 20 cm verschmälert ist. Dass eine Radwegbreite von mithin 1,4 m auf einem kurzen Abschnitt in Höhe des Abspannmastes, wie aus den von dem Kläger eingereichten Fotos ersichtlich, die Verkehrssicherheit des Radweges an dieser Stelle gefährdet, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
aa) Der Kläger verkennt den Regelungsgehalt der AV Geh- und Radwege, die als bloße Verwaltungsvorschrift – anders als Regelungen des Außenrechts – einer Auslegung durch die Gerichte nicht zugänglich ist, wenn er ihr entnehmen will, dass zusätzlich zur Regelbreite des Radweges von 1,6 m auf beiden Seiten generell ein Abstand von 25 cm von Einbauten und sonstigen Hindernissen freizuhalten ist. Zwar bestimmt der vom Kläger angeführte Teil A III Ziff. 3 Abs. 2 der AV Geh- und Radwege, dass im Bereich des Sicherheitsstreifens, der zwischen Radweg und Fahrbahn anzulegen ist (Absatz 1), Leuchten, Verkehrsschilder, Poller usw. einen Abstand von mindestens 25 cm zum Radweg aufweisen müssen, damit die nutzbare Breite des Radweges nicht eingeschränkt wird. Da es sich bei der AV Geh- und Radwege jedoch um verwaltungsinterne Vorschriften zur Ausführung von § 7 des Berliner Straßengesetzes handelt, kann die zitierte Regelung nur Vorgaben für die einheitliche Erfüllung der Aufgaben des behördlichen Straßenbaulastträgers nach dieser straßenrechtlichen Norm enthalten. So sieht § 7 Abs. 2 Satz 4 BerlStrG etwa vor, dass der Träger der Straßenbaulast im Falle eines nicht verkehrssicheren Zustands der Straße zu veranlassen hat, dass bis zur Wiederherstellung des verkehrssicheren Zustands durch Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen eine Gefährdung der Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 BerlStrG gehört zu den Aufgaben der Straßenbaulast auch die Beleuchtung der öffentlichen Straßen. Der Einsatz von Pollern im öffentlichen Straßenland gehört ebenfalls zu den mit ihrem Bau zusammenhängenden Aufgaben (vgl. § 7 Abs. 6 BerlStrG). Nur bei der Erfüllung der genannten Aufgaben hat sich der Beklagte durch die behördlichen Verwaltungsvorschriften gebunden. Eine Verpflichtung des Beklagten, die Radwege zusätzlich zu einer Regelbreite von 1,6 m beidseits in einem Abstand von 25 cm von Einbauten eines anderen Trägers, wie hier im Fall des Abspannmastes für die Oberleitungen der Straßenbahn der BVG, freizuhalten, folgt daraus nicht. Aus einer etwaigen Missverständlichkeit der AV Geh- und Radwege kann der Kläger wegen der fehlenden Auslegungsfähigkeit dieses Verwaltungsinnenrechts nichts für die Begründung einer Amtspflichtverletzung herleiten. Dass der Beklagte die Ausführungsvorschriften nicht so praktiziert, wie der Kläger sie versteht, ist im Stadtbild unschwer zu erkennen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Radweg nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers inzwischen umgestaltet wurde.
Die Anlage des Fahrradweges unter Verschmälerung in Höhe des in Gestalt des Abspannmastes auf dem Sicherheitsstreifen vorgefundenen Hindernisses ist demnach rechtlich im Hinblick auf die maßgeblichen Ausführungsvorschriften nicht zu beanstanden.
bb) Nach dem Vortrag des Beklagten wurde zwischen dem Mast und dem verschmälerten Radweg ein Sicherheitsabstand von 25 cm eingehalten. Eine konkrete rechtliche Vorgabe, in welchem Abstand ein die Regelbreite unterschreitender Radweg bei seiner Herstellung an einem vorhandenen Hindernis vorbeizuführen ist, existiert nicht. Maßgebend ist insoweit nur – unabhängig von den Ausführungsvorschriften – die Wahrung der Verkehrssicherheit. Aufgrund der von dem Kläger eingereichten Lichtbilder ist zwischen dem Abspannmast und dem um ihn herumführenden Radweg jedenfalls ein hinreichender Sicherheitsabstand eingehalten. Die seitliche Begrenzung des Radweges ist durch die weiße Randeinfassung nach den vorgelegten Fotos trotz Pflanzenwuchses deutlich hervorgehoben. Die Gefahr, dass ein sorgfältiger Radfahrer mit der linken Lenkerseite gegen den Abspannmast gerät und es hierdurch zu einem Unfall kommt, ist angesichts dieser Anlage des Radweges nur außerordentlich gering, so dass der Beklagte von einer verkehrssicheren Radwegführung ausgehen durfte.
Dass der Beklagte hier wegen der besonderen Straßen- und Verkehrssituation ausnahmsweise zusätzliche Warnmaßnahmen hätte ergreifen müssen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag (BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 – III ZR 122/88 – juris Tz. 11 = BGHZ 108, 273). Anders als in dem vom Senat am 16. Juli 2010 entschiedenen Rechtsstreit (9 U 103/09 – juris), war hier eine mögliche Gefahr durch den Abspannmast und die Radwegführung an der Einengung, wie die eingereichten Lichtbilder belegen, aus der Fahrtrichtung des Klägers angesichts der geraden Straßenführung schon von weitem gut erkennbar. Aus dem gleichen Grund war der Beklagte auch nicht gehalten, den Radweg in unveränderter Breite um den Mast herumzuführen.
b) Auf ein Mitverschulden des Klägers an dem Fahrradunfall kommt es demnach nicht mehr an.
2. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach einer mündlichen Verhandlung, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
3. Eine Rücknahme der Berufung würde gegenüber einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zwei Gerichtsgebühren sparen (Ziff. 1220, 1222 KV zu § 3 Abs. 2 GKG).