LAG Schleswig-Holstein
Az.: 5 TaBV 3/11
Beschluss vom 15.09.2011
1. Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beteiligten zu 3.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.12.2010, Az.: 4 BV 56/10, werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragstellerin bzw. Beteiligte zu 1. (künftig: Gewerkschaft) ist eine im Betrieb der Beteiligten zu 3. (künftig: Arbeitgeberin) vertretene Gewerkschaft. Der Antragsgegner bzw. Beteiligte zu 2. ist der am 08.06.2010 gewählte 29-köpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin bietet Gebäudereinigungsdienstleistungen an und hat ihren Hauptsitz in L.. Daneben unterhält sie bundesweit 18 Filialen. Am 08.06.2010 fand im Betrieb der Arbeitgeberin eine „bundeseinheitliche“ Betriebsratswahl für die Legislaturperiode 2010 bis 2014 statt. Ausweislich des zugrundeliegenden Wahlausschreibens vom 27.04.2010 beschäftigte die Arbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt insgesamt 4.996 wahlberechtigte Arbeitnehmer, sodass ein 29-köpfiger Betriebsrat zu wählen war. Für die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführte Betriebsratswahl wurden drei Wahlvorschlagslisten zugelassen. Hierbei handele es sich um die Liste 1 mit dem Kennwort „Unabhängiger Betriebsrat“, die Liste 2 mit dem Kennwort „Zukunft“ und die Liste 3 mit dem Kennwort „IG Bauen-Agrar-Umwelt“. Der Wahlvorstand fertigte für die Betriebsratswahl drei verschiedene Stimmzettel und zwar jeweils einen Stimmzettel für jede Liste (Bl. 48-50 d. A.). Die Stimmzettel enthielten jeweils in der oberen Zeile das Kennwort nebst ein bzw. zwei Listenvertreterinnen und einem roten Kreis für das Stimmkreuz, darunter folgt die Listennummer sowie mit laufenden Nummern sämtliche Wahlbewerberinnen der jeweiligen Liste. Beim Stimmzettel der Liste 1 waren 30 Bewerber, bei demjenigen der Liste 2 18 Bewerber und demjenigen der Liste 3 16 Bewerber aufgeführt. Am Ende der drei Stimmzettel befand sich in Rot folgender Hinweis:
„Sie haben nur eine Stimme. Entscheiden Sie sich nur für eine Liste und machen Ihr Kreuz in dem dafür vorgesehenen farblich markierten Kreis. Bei mehreren Kreuzen wird der Stimmzettel ungültig.“
Die Betriebsratswahl fand am 08.06.2010 am Hauptsitz der Arbeitgeberin in L. statt. Ausweislich der Wahlniederschrift zur Betriebsratswahl vom 08.06.2010 (Bl. 7 f. d. A.) wurden von insgesamt 638 abgegebenen Wahlumschlägen 132 Stimmen vom Wahlvorstand für ungültig erklärt. Von den gültigen Stimmen entfielen 375 Stimmen auf die Liste 1, 84 Stimmen auf die Liste 2 und 47 Stimmen auf die Liste 3. Nach dem d’Hondtschen Höchstwahlverfahren erhielt die Liste 1 22, die Liste 2 fünf und die Liste 3 zwei Betriebsratssitze. Unter „Besondere Vorkommnisse“ ist in der Wahlniederschrift u. a. Folgendes vermerkt:
„Frau W. (Gewerkschaft) bemängelt nach ca. 40 Minuten, dass die persönlichen Erklärungen nicht mit der Wählerliste verglichen und abgehakt wurden. Unverzüglich danach hat der Wahlvorstand dieses korrigiert. Es konnten alle Mitarbeiter/innen zugeordnet werden, außer einer Mitarbeiterin, die zum 31.05.2010 ausgeschieden war. Dadurch wurde das Wahlergebnis aber nicht beeinflusst.“
Von den insgesamt 132 ungültigen Stimmabgaben beruhten 60 auf der fehlerhaften Ausfüllung des Stimmzettels (Bl. 51–110 d. A.), die übrigen ungültigen Stimmabgaben beruhten u. a. auf der fehlerhaften Zusammenstellung der Briefwahlunterlagen im Rücksendeumschlag.
Mit Antragsschrift vom 21.06.2010, beim Arbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, hat die Gewerkschaft die Betriebsratswahl bei „der Firma B.“ angefochten.
Die Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, der Formverstoß in der Ausfertigung der Stimmzettel entgegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO habe zur Unwirksamkeit der Wahl geführt. Darüber hinaus habe der Wahlvorstand den Betriebsbegriff verkannt. Die Voraussetzungen für die Wahl eines bundeseinheitlichen Betriebsrats lägen nicht vor, insbesondere sei kein Tarifvertrag nach § 3 BetrVG abgeschlossen worden. Bei den Filialen der Arbeitgeberin handele es sich um qualifizierte betriebsratsfähige Betriebsteile, d. h. selbstständige Filialen. Weiterhin sei im Rahmen der öffentlichen Stimmauszählung ein erheblicher Fehler unterlaufen, da zu Beginn der Stimmauszählung ca. 80 Briefwahlunterlagen geöffnet und ohne einen Abgleich mit der Wählerliste den übrigen Stimmzetteln zugefügt worden seien. Auf Hinweis der Zeugin W. sei dann versucht worden, dies rückgängig zu machen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Vorbringens der Beteiligten, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf Ziff. II der Gründe des angefochtenen Beschlusses einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.12.2010 die bei der Arbeitgeberin am 08.06.2010 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam erklärt. Die Anfechtung scheitere nicht bereits an der fehlerhaften Bezeichnung des Betriebsrats – Betriebsrat der B. G. GmbH anstelle der B. G. KG – in der Antragsschrift. Hierbei handele es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit. Aus den Anlagen zur Antragsschrift ergebe sich eindeutig, welche Betriebsratswahl angefochten werden sollte und welcher Betriebsrat mithin Antragsgegner sei. Ergebe sich aus den gesamten Umständen, wer Antragsgegner sein solle, sei die Berichtigung des Rubrums regelmäßig möglich. Es könne insoweit auf die entsprechende BAG-Rechtsprechung in Kündigungsschutzverfahren verwiesen werden. Bei der Betriebsratswahl sei ein verfahrenswesentlicher Fehler unterlaufen, weil der Stimmzettel unstreitig gegen die Formvorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO verstoße. Dieser Fehler habe sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt, was zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geführt habe. Aus dem Anlagenkonvolut B 2 sei ersichtlich, dass aufgrund der Angabe sämtlicher Bewerbernamen bei denjenigen Stimmberechtigten, deren Stimmen als ungültig gewertet worden seien, der Eindruck entstanden sei, es habe sich tatsächlich um eine Personenwahl gehandelt. So seien teilweise einzelne oder mehrere Namen einer Liste angekreuzt oder deren laufende Nummer in den für das Listenkreuz vorgesehenen Kreis eingetragen worden. Hieraus ergebe sich, dass die Stimmberechtigten entgegen dem Hinweis am Fuß des Stimmzettels davon ausgegangen seien, einzelne Bewerber wählen zu können, wie dies bei der Personenwahl der Fall sei. Die hiernach für die Liste 1 als ungültig gewerteten 15 Stimmen, für die Liste 2 als ungültig gewerteten 34 Stimmen sowie für die Liste 3 als ungültig gewerteten 11 Stimmen hätten das in der Wahlniederschrift wiedergegebene Wahlergebnis im Rahmen der Höchstwahlauswertung auch im Ergebnis beeinflussen können, sodass sich der Fehler auf das Wahlergebnis potentiell habe auswirken können. Entgegen der Auffassung der Gewerkschaft sei die Betriebsratswahl indessen nicht nichtig. Die von der Gewerkschaft gerügten Fehler stellten weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit einen Nichtigkeitsgrund dar.
Gegen diesen ihnen am 30.12.2010 bzw. 03.01.2011 zugestellten Beschluss haben der Betriebsrat und die Arbeitgeberin am 27.01.2011 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschwerde eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 04.04.2011 am 01.04.2011 begründet.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin tragen vor, die Anfechtung sei unzulässig. Bei einer „B. G. GmbH“ sei keine Betriebsratswahl durchgeführt worden. Der angefochtene Beschluss weise im Rubrum einen Antragsgegner auf, der gar nicht existiere. Das Arbeitsgericht gehe unter Hinweis auf die Parallelproblematik im Kündigungsschutzrecht fehlerhaft davon aus, das Passivrubrum könne entsprechend geändert werden. Denn vorliegend habe nicht ein rechtsunkundiger Arbeitnehmer Klage erhoben, sondern eine Gewerkschaft mit eigener Rechtsabteilung die gerichtliche Wahlanfechtung betrieben. Die Voraussetzungen für die Wahlanfechtung lägen trotz des Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO nicht vor. Der Formfehler habe zu keiner Beeinflussung der Betriebsratswahl geführt. Insbesondere sei aufgrund der Angabe sämtlicher Bewerbernamen und aufgrund der weiteren Gestaltung des Stimmzettels nicht der Eindruck einer Personenwahl erweckt worden. Bereits im Kopf der Stimmzettel stehe „Listenwahl“. Des Weiteren verweist der Betriebsrat auf den rot abgesetzten Hinweis am Ende der Stimmzettel und den jeweils nur einmal vorhandenen roten Kreis auf den Stimmzetteln. Die festzustellenden Fehler beim Ausfüllen der Stimmzettel seien angesichts dessen nicht erklärlich, jedenfalls nicht auf die Angabe sämtlicher Bewerber in den jeweiligen Listen zurückzuführen. Bei der bundeseinheitlichen Betriebsratswahl sei auch nicht gegen den Betriebsbegriff verstoßen worden. Die Filialen seien unselbstständig und auch keine einfachen Betriebsteile i. S. v. § 4 BetrVG. Der anfängliche Fehler bei der Behandlung der Briefwahlunterlagen, d. h. kein Abgleich mit der Wählerliste, sei behoben worden. Der geforderte Abgleich sei sofort nachgeholt worden. Eine Vermengung der 80 betroffenen Stimmzettel sei tatsächlich nicht erfolgt.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin beantragen,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.12.2010, Az. 4 BV 56/10 abzuändern und den Antrag, die am 08.06.2010 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, zurückzuweisen.
Die Gewerkschaft beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und macht sich die dortige Begründung zu Eigen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 15.09.2011 verwiesen.
Die Berufungskammer hat die Beteiligten in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass vorliegend nicht nur ein Stimmzettel, sondern drei Stimmzettel, und zwar für jede Liste einer, die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen könnte.
II.
Die Beschwerden des Betriebsrats und der Arbeitgeberin sind zulässig, insbesondere ist sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 89 Abs. 1, Abs. 2; 89 Abs. 2; 66 Abs. 1; 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 518; 519 ZPO.
In der Sache selbst haben die Beschwerden indessen keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin (Gewerkschaft) sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht stattgegeben. Die Antragstellerin hat die Betriebsratswahl ordnungsgemäß angefochten (1.). Die Anfechtung der Betriebsratswahl ist auch begründet, da mit der Betriebsratswahl gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen worden ist (2.).
1.
Die formellen Voraussetzungen zur Anfechtung der Betriebsratswahl sind vorliegend erfüllt. Die Gewerkschaft ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigt und hat die am 08.06.2010 stattgefundene Betriebsratswahl auch innerhalb der zweiwöchigen Frist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG am 21.06.2010 beim Arbeitsgericht angefochten. Der Zulässigkeit der Anfechtung steht auch nicht entgegen, dass im Rubrum der Antragsschrift als Antragsgegner der „Betriebsrat der Firma B. G. GmbH“ und nicht zutreffenderweise der „Betriebsrat der Firma B. G. KG“ aufgeführt ist. Denn die Arbeitgeberin, bei der die Betriebsratswahl stattgefunden hat, ist als Beteiligte zu 3) mit der korrekten Gesellschaftsform „KG“ benannt worden. Zudem war an Hand der der Antragsschrift als Anlagen beigefügten Wahlunterlagen eindeutig erkennbar, welche konkrete Betriebsratswahl die Gewerkschaft anfechten wollte. Es kann insoweit zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen unter Ziff. II. 1. der Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden. Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin verkennen insoweit, dass es zur formgerechten Anfechtung der Wahl des Betriebsrats genügt, wenn aus der Anfechtungserklärung zu ersehen ist, welche konkrete Betriebsratswahl angefochten werden soll. Die Bezeichnung des Antragsgegners ist nicht einmal erforderlich, wenn sich aus dem Inhalt der Antragsschrift sowie der beigefügten Unterlagen zweifelsfrei ergibt, welche konkrete Betriebsratswahl angefochten werden soll (BAG Beschl. v. 20.07.1982 – 1 ABR 19/81 -, AP Nr. 26 zu § 76 BetrVG).
2.
Die Wahlanfechtung ist auch begründet. Es liegen gleich mehrere Anfechtungsgründe nach § 19 Abs. 1 BetrVG vor. Danach kann die Betriebsratswahl von den nach § 19 Abs. 2 BetrVG Antragsberechtigten angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Als wesentlich sind solche Normen anzusehen, die tragende Grundprinzipien des Wahlrechts enthalten. Hierzu zählen grundsätzlich die zwingenden Wahlvorschriften. Vorliegend wurde nicht nur gegen Ordnungsvorschriften oder Sollbestimmungen verstoßen, sondern gegen zwingende Vorschriften des Wahlverfahrensrechts.
Die Betriebsratswahl vom 08.06.2010 ist gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 1 WO unwirksam, weil bei der Betriebsratswahl nicht nur ein Stimmzettel, sondern drei unterschiedliche Stimmzettel verwandt wurden (a), weil auf dem Stimmzettel bei den Vorschlagslisten nicht jeweils nur die beiden ersten Wahlbewerber aufgeführt waren, sondern alle (b) und weil bei der Öffnung der eingegangenen Briefwahlunterlagen die ersten 80 Wahlumschläge und persönlichen Erklärungen nicht mit der Wählerliste abgeglichen wurden (c). Angesichts dieser Verstöße gegen wesentliche Verfahrensvorschriften kann dahingestellt bleiben, ob bei der Betriebsratswahl von einem fehlerhaften Betriebsbegriff ausgegangen worden ist
a) Der Wahlvorstand hat für die Betriebsratswahl nicht nur einen Stimmzettel, sondern drei unterschiedliche Stimmzettel, für jede Vorschlagsliste einen gesonderten Stimmzettel, vorbereitet. Hierin ist bereits ein wesentlicher Verstoß gegen § 11
Abs. 2 Satz 1 WahlO zu erblicken. Nach dieser Vorschrift sind auf den Stimmzetteln die Vorschlagslisten nach der Reihenfolge der Ordnungsnummern untereinander aufzuführen. Alle Vorschlagslisten sind mithin auf einem einzigen Stimmzettel untereinander aufzuführen. Hiergegen spricht auch nicht, dass in diesem Absatz von „den Stimmzetteln“ die Rede ist, denn der Plural bezieht sich erkennbar auf alle für die Wähler und Wählerinnen vorzubereitenden Stimmzettel. In § 11 Abs. 3 WahlO heißt es dann folgerichtig, dass die Wählerin oder der Wähler die von ihr oder ihm gewählte Vorschlagsliste durch Ankreuzen an der „im (Singular) Stimmzettel“ hierfür vorgesehenen Stelle kennzeichnet. Auch aus den Vorschriften zur schriftlichen Stimmabgabe ergibt sich, dass für die Betriebsratswahl nur ein Stimmzettel und nicht mehrere Stimmzettel zur Verfügung gestellt werden dürfen. Gemäß § 24 Abs. 1 WahlO hat der Wahlvorstand den im Zeitpunkt der Wahl vom Betrieb abwesenden Wahlberechtigten das Wahlausschreiben, die Vorschlagslisten, den Stimmzettel und den Wahlumschlag, die persönliche Erklärung und einen großen Freiumschlag auszuhändigen oder zuzusenden. Auch bei der schriftlichen Stimmabgabe in § 25 WahlO heißt es, dass die Wählerin oder der Wähler den Stimmzettel unbeobachtet persönlich kennzeichnet und in dem Wahlumschlag verschließt. Schließlich bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 2 WahlO, dass die Stimmzettel für die Betriebsratswahl sämtlich die gleiche Größe, Farbe, Beschaffenheit und Beschriftung haben müssen. Vorliegend hatte der Wahlvorstand aber drei unterschiedliche Stimmzettel für die Wahl bereitgestellt. Nur durch die Verwendung eines einzigen Stimmzettels, auf dem alle Vorschlagslisten untereinander in der Reihenfolge ihrer Ordnungsnummer aufgelistet sind, wird ein faires und transparentes Wahlverfahren gewährleistet. Sofern mehrere Wahlzettel zum Einsatz kommen, ist die Gefahr einer Verfälschung des Wahlergebnisses offenkundig. Es kann bei der Stimmauszählung nicht mehr nachgeprüft werden, ob den Wählern alle Stimmzettel betreffend die einzelnen Wahlvorschlagslisten ausgehändigt worden sind. Es bestand vorliegend mithin die Gefahr, dass einzelnen wahlberechtigten Arbeitnehmern (versehentlich) nur ein oder zwei Stimmzettel betreffend die unterschiedlichen Vorschlagslisten mit den Wahlunterlagen zugesandt oder am Wahltag ausgehändigt worden sind. Diese Arbeitnehmer hätten dann gerade nicht die Wahl zwischen allen drei vom Wahlvorstand zugelassenen Vorschlagslisten gehabt. Der Grundsatz der freien Wahl wäre dann verletzt. Es lässt sich dem Protokoll zur Wahlniederschrift auch nicht entnehmen, ob jeder Wähler alle drei ihm ausgehändigten bzw. zugesandten Stimmzettel oder nur den angekreuzten Stimmzettel in den Wahlumschlag verschlossen hat. Nur wenn die Wähler auch die nicht angekreuzten Wahlzettel jeweils mit in die Wahlumschläge verschlossen hätten, hätte der Wahlvorstand bei der Auszählung prüfen können, ob den einzelnen Wählern bei der Wahl alle drei Wahlzettel vorgelegen haben. Es liegt mithin auf der Hand, dass dieser Verstoß gegen das Gebot der Verwendung eines einzigen Stimmzettels gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO das Wahlergebnis hätte beeinflussen können.
Zwar hat sich die Gewerkschaft in ihrer Antragsschrift nicht auf diesen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (Verwendung von drei unterschiedlichen Stimmzetteln) explizit berufen, indessen ist dieser Verstoß von Amts wegen zu berücksichtigen. Falls innerhalb der Frist zur Anfechtung einer Betriebsratswahl vom Anfechtenden ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Sachverhalt geschildert wird, der für die Anfechtung nicht auf den ersten Blick erkennbar ganz unerheblich ist, muss das Gericht den weiteren im Verfahren hervortretenden Umständen, die möglicherweise eine Wahlanfechtung begründen könnten, von Amts wegen nachgehen (BAG, Beschl. V. 30.06.1969 – 1 ABR 3/69 -, AP Nr. 17 zu § 18 BetrVG). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Gewerkschaft hat sich in der Antragsbegründung vom 21.06.2010 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist auf einen betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Sachverhalt berufen, der geeignet ist, die Wahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG unter drei verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten anzufechten (Verkennung des Betriebsbegriffs, Benennung sämtlicher Listenbewerber auf den Stimmzetteln, fehlender Abgleich der abgegebenen Briefwahlunterlagen mit der Wählerliste).
b) Ein weiterer Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WO ist darin zu erblicken, dass bei den zur Wahl gestellten Vorschlagslisten nicht nur jeweils die ersten beiden Listenvertreter, sondern alle Bewerber der Liste aufgezählt sind. Insoweit handelt es sich entgegen der Auffassung des Betriebsrats auch nicht um eine Kann-Vorschrift, die dem Wahlvorstand die Möglichkeit eröffnet hätte, gar keinen, irgendeinen oder gar alle Listenvertreter auf den Stimmzettel bei der Vorschlagsliste einzusetzen. Vielmehr sind auf den Stimmzetteln die Vorschlagslisten unter Angabe der beiden ersten Bewerber/innen aufzuführen. Die für die Listenwahl nach § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO notwendigen Angaben dienen der Konkretisierung der Vorschlagsliste, weshalb das Fehlen der beiden Listenführer zu einer Anfechtbarkeit führen kann (LAG Brandenburg, Beschl. v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 -, zit. n. Juris). Indessen soll der Wahlvorstand durch die Gestaltung des Stimmzettels selbst keinen Einfluss auf die Wahl nehmen. Er hat vielmehr Neutralität zu wahren und die Wahlvorschlagslisten auf dem Stimmzettel von der optischen Gestaltung einheitlich darzustellen. Zur Einheitlichkeit gehört auch, dass er bei jeder Vorschlagsliste jeweils nur die beiden ersten Listenvertreter auf dem Stimmzettel aufführt, egal wie viele Bewerber die Liste vertreten. Das Wahlverfahren muss so ausgestaltet sein und von dem Wahlvorstand so durchgeführt werden, dass dabei nicht schon durch die Ausgestaltung des Wahlverfahrens und die dabei eingesetzten Mittel, insbesondere die den Wählern vom Wahlvorstand zur Verfügung gestellten Stimmzettel, auf die Wahlberechtigten in einem bestimmten Sinne eingewirkt wird oder eingewirkt werden kann (BAG, Beschl. v. 14.01.1969 – 1 ABR 14/68 -, AP Nr. 12 zu § 13 BetrVG). Bei der Stimmabgabe darf keine Wahlbeeinflussung mehr stattfinden. Der Wahlkampf findet nur vorher statt. Nur im Vorfeld der eigentlichen Wahl kann jede Liste mit ihren jeweiligen Vertretern auch werben. Der Stimmzettel muss jedoch in jeder Hinsicht neutral gestaltet sein. So führt selbst ein stärkerer Aufdruck eines Stimmkreises oder einer Vorschlagsliste zur Anfechtbarkeit der Wahl (BAG Beschl. v. 14.01.1969 – 1 ABR 14/68 -, AP Nr. 12 zu § 13 BetrVG). Das gleiche gilt aber auch, wenn entgegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO nicht die beiden ersten Listenvertreter, sondern alle Bewerber der jeweiligen Vorschlagsliste auf dem Stimmzettel aufgeführt sind. Es ist gerade nicht auszuschließen, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei ihrer Wahl durch die hohe Anzahl der Bewerber (30) der Liste 1 haben beeinflussen lassen. Die Liste 1 hat die Wahl mit hohem Abstand (375 Stimmen von 506 gültigen Stimmen) gewonnen. Die Stimmzettel betreffend die Liste 2 und 3 wiesen nur 18 bzw. 16 Bewerber auf und bekamen wesentlich weniger Stimmen (Liste 2: 84 Stimmen und Liste 3: 47 Stimmen). Der Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz 1 WahlO erweist sich mithin auch in dieser Hinsicht als wesentlicher Verstoß gegen das Wahlverfahren.
c) Die Betriebsratswahl ist aber auch wegen Verstoßes gegen § 26 Abs. 1 WahlO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift ist der Freiumschlag zu öffnen, die vorgedruckte persönliche Erklärung zu entnehmen und der Wahlumschlag nach Vermerk der Stimmabgabe in der Wählerliste ungeöffnet in die Wahlurne zu legen. Unstreitig fand bei der Öffnung der ersten 80 Freiumschläge und Entnahme der persönlichen Erklärungen und Wahlumschläge gerade kein jeweiliger Abgleich mit der Wählerliste statt. Auch haben weder der Betriebsrat noch die Arbeitgeberin behauptet, dass die Wahlhelfer die ersten 80 Freiumschläge lediglich geöffnet haben und die Wahlunterlagen (persönliche Erklärung und Wahlumschlag) in dem Freiumschlag belassen haben, sodass auf den Einwand der Zeugin W. auch noch im Nachhinein eine zweifelsfreie Zuordnung von persönlicher Erklärung und einem zugeklebten Wahlumschlag und ein entsprechender Abgleich mit der Wählerliste möglich gewesen sei. Im Protokoll vom 08.06.2010 ist hierzu auch nur vermerkt, dass nach entsprechender Rüge der Zeugin W. das Versäumnis unverzüglich nachgeholt worden sei, die persönlichen Erklärungen mit der Wählerliste zu vergleichen und abzuhaken. Ob daher bei der Stimmauszählung sichergestellt worden ist, dass ein Briefwähler nur eine Stimme abgegeben hat, erschließt sich aus der Wahlniederschrift nicht. Denkbar ist auch, dass sich in einem Freiumschlag neben der persönlichen Erklärung gar kein Wahlumschlag befunden hat, in einem anderen Freiumschlag hingegen zwei Wahlumschläge waren. Der Abgleich mit und Vermerk auf der Wählerliste soll gerade auch sicherstellen, dass ein wahlberechtigter Arbeitnehmer nicht zwei oder mehr Stimmen, z. B. durch Briefwahl und persönliche Wahl, abgibt. Der Verfahrensfehler gemäß § 26 Abs. 1 WahlO war auch – wie aufgezeigt – geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Der Betriebsrat hat auch nicht in sich schlüssig dargelegt, dass der Wahlvorstand diesen Verfahrensverstoß rechtswirksam i. S. v. § 19 Abs. 1 BetrVG berichtigt hat. Hiernach rechtfertigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften eine Anfechtung dann nicht, wenn der Verstoß im Laufe des Wahlverfahrens rechtzeitig berichtigt worden ist. Rechtzeitig ist eine Berichtigung dann, wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, dass danach die Wahl noch ordnungsgemäß ablaufen kann und sich der anfängliche und berichtigte Fehler somit nicht mehr auf das Wahlergebnis auswirken kann (Fitting, BetrVG, 25. Aufl. Rn. 23 zu § 19 BetrVG). Wie bereits oben ausgeführt kann eine Berichtigung des unterlassenen Abgleichs mit der Wählerliste nur bis zu dem Zeitpunkt erfolgen, bis zu dem die persönliche Erklärung und der in die Wahlurne zu werfende Wahlumschlag noch nicht getrennt wurden. Nach dem Inhalt der Wahlniederschrift hat der Wahlvorstand jedoch nur die beiseite gelegten persönlichen Erklärungen mit der Wählerliste verglichen und auf dieser entsprechend vermerkt. Ob auch noch eine Zuordnung von persönlicher Erklärung und Wahlumschlag möglich war, ergibt sich hieraus nicht. Selbst dann, wenn die Wahlumschläge noch nicht in die Wahlurne geworfen wurden und sich die Anzahl der persönlichen Erklärungen und die Anzahl der ebenfalls beiseite gelegten Wahlumschläge deckte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einem oder mehreren Freiumschlägen mehrere Wahlumschläge und in anderen gar keine Wahlumschläge befanden. Eine rechtzeitige und wirksame Berichtigung des Verstoßes gegen § 26 Abs. 1 WahlO ist mithin nicht erfolgt.
3.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lagen nicht vor, §§ 92 Abs. 1 Satz 2, i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG.