Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
Az.: I – 88/05 (3 Ss 64/05 OWi)
Beschluss vom 10.01.2006
Leitsatz:
Der Grundsatz, dass die Übersendung eines Anhörungsbogens zur Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG) nur dann die Verjährung wirksam unterbricht, wenn entweder aktenkundig gemacht ist, wer die Anordnung vorgenommen hat und der zuständige Sachbearbeiter durch Unterschrift oder Handzeichen die Verantwortung für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums übernommen hat, oder der Anhörungsbogen mittels einer EDV-Anlage gefertigt worden ist, ohne dass der Sachbearbeiter zuvor in den vorprogrammierten Arbeitsablauf des Computers eingegriffen hat (so zuletzt OLG Dresden in DAR 2005, 570, 571), gilt wegen des eindeutigen Wortlauts des § 33 Abs. 2 OWiG auch dann, wenn die den Sachbearbeiter ausweisende Anordnung elektronisch im System hinterlegt ist und ein Missbrauch durch eine jedem Sachbearbeiter individuell zugeordnete – durch Passwort gesicherte – Kennung ausgeschlossen erscheint.
Gründe:
Die durch Beschluss des Einzelrichters des Senats vom 5. Januar 2005 zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Das Verfahren ist gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Denn die Ordnungswidrigkeit war bei Erlass des Bußgeldbescheides bereits verjährt.
Gemäß § 31 Abs. 2 OWiG, § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Verjährungsfrist für Verkehrsordnungswidrigkeiten bis zum Erlass eines Bußgeldbescheides drei Monate. Hier begann die Verjährungsfrist am 2. Juni 2004, dem Tattag, zu laufen; sie endete am 1. September 2004. Der Bußgeldbescheid ist erst am 29. November 2004 erlassen worden und konnte deshalb die Verjährung nicht mehr wirksam unterbrechen.
Die Verjährung wurde auch nicht durch andere Ereignisse vor Fristablauf wirksam gem. § 33 Abs. 1 OWiG unterbrochen.
Weder die Versendung des Anhörungsbogens an die Halterin, die Wolf-Walter Modersohn Präzisionswerkzeuge e.K., am 10. Juli 2004 (vgl. HansOLG Hamburg, DAR 1999, 176; ähnlich BGHSt 24, 321, 324) noch die Abgabe zur Personenermittlung an die Polizei am 26. Juli 2004 kommen als verjährungsunterbrechendes Ereignis in Betracht, weil der Betroffene zu den entsprechenden Zeitpunkten jeweils noch nicht hinreichend konkretisiert war. Dies ist jedoch erforderlich, um die verjährungsunterbrechende Wirkung herbeizuführen (HansOLG Hamburg, NZV 1997, 286).
Aber auch die Anordnung der Anhörung bzw. die Versendung des Anhörungsbogens am 31. August 2004 vermochte die Verjährung nicht gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG zu unterbrechen. Denn gemäß § 33 Abs. 2 OWiG ist bei schriftlichen Anordnungen der Zeitpunkt der Unterzeichnung maßgebend. Eine handschriftliche Abzeichnung ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt.
Diese ist hier auch nicht entbehrlich. Denn nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung – der auch das Hanseatische Oberlandesgericht folgt (Beschluss vom 21. Februar 1997, NZV 1997, 286) – hat die Übersendung eines Anhörungsbogens zur Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens i.S.d. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG nur dann verjährungsunterbrechende Wirkung, wenn entweder aktenkundig gemacht ist, wer die Anordnung vorgenommen hat und der zuständige Sachbearbeiter durch Unterschrift oder Handzeichen die Verantwortung für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums übernommen hat (HansOLG Hamburg, a.a.O.; OLG Hamm, NStZ 1981, 225; OLG Düsseldorf, DAR 1996, 507), oder der Anhörungsbogen mittels einer EDV- Anlage gefertigt worden ist, ohne dass der Sachbearbeiter zuvor in den vorprogrammierten Arbeitsablauf des Computers eingegriffen hat (OLG Dresden, DAR 2004, 534; OLG Dresden, DAR 2005, 570, 571; OLG Köln, DAR 2000, 131; OLG Köln, VRS 66, 362, 363; OLG Zweibrücken, NZV 2001, 483; OLG Frankfurt, VRS 50, 220, 222; vgl. auch Göhler, 13. Aufl., § 33, Rn. 45 und Gübner, NZV 1998, 230, 232).
Denn während bei Ausdruck eines Anhörungsbogens mittels EDV-Anlage entsprechend dem schematisierten Arbeitsablauf des Computers, den die Behörde von vornherein in ihren Willen aufgenommen hat (OLG Köln, VRS 66, 362, 364; Hans OLG Hamburg, a.a.O.), das Datum des Anhörungsbogens eindeutig den Zeitpunkt der Unterbrechung bestimmt, kann in anderen Fällen nicht auf die Unterzeichnung der Anordnung verzichtet werden, um klarzustellen, dass eine Individualentscheidung getroffen worden ist (OLG Köln, VRS 66, 362, 364).
Eine Individualentscheidung liegt immer dann vor, wenn der Sachbearbeiter im Zusammenhang mit einem Arbeitsschritt den Sachverhalt prüft und dafür in den Programmablauf eingreift (OLG Frankfurt, VRS 50, 220, 221). Hier hat die zuständige Sachbearbeiterin am 31. August 2004 in den Ablauf eingegriffen, indem sie die Betroffenen ausgewechselt hat (so auch OLG Dresden, DAR 2004, 534 und DAR 2005, 570, 571; OLG Zweibrücken, NZV 2001, 483). Dabei musste sie angesichts des späten Zeitpunktes – die Verjährungsfrist endete bereits am folgenden Tag – zwangsläufig zunächst prüfen, ob bereits Verjährung eingetreten war (vgl. OLG Dresden, a.a.O., und KG Berlin, VRS 100, 134, 135).
In diesen Fällen der Individualentscheidung bedient sich der Sachbearbeiter des Computers lediglich als Schreibhilfe (vgl. OLG Köln, DAR 2000, 131; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 33, Rn. 46). Das nach der zutreffenden herrschenden Meinung erforderliche Abzeichnen eines Vermerks stellt dann auch keinen erheblichen Verwaltungsaufwand dar (HansOLG Hamburg, VRS 47, 43, 46). Der Vergleich mit der Abgabe zur Personenermittlung an die Polizei am 26. Juli 2004, den die Sachbearbeiterin unterzeichnet hat, belegt dies.
Von dieser nahezu einhelligen Rechtsprechung weicht nur das BayObLG ab (DAR 2004, 401 und DAR 2004, 531). Danach soll das Fehlen einer Unterschrift oder des Handzeichens des Sachbearbeiters auf einer schriftlichen Anordnung zur Anhörung des Betroffenen entgegen § 33 Abs. 2 OWiG unschädlich sein, wenn sich der geäußerte behördliche Wille der Unterbrechungshandlung auf andere Weise mit Gewissheit feststellen lässt. Allerdings handelt es sich in beiden Beschlüssen des BayObLG lediglich um die Entscheidungen nicht tragende ergänzende Ausführungen (obiter dicta).
Die Rechtsbeschwerde gibt in der hier vorliegenden Konstellation keinen Anlass, von der bisher herrschenden Meinung abzuweichen.
Die Unterscheidung zwischen dem vollautomatisierten Verfahren und dem Verfahren nach Eingriff in den Computerablauf ist hier gerechtfertigt. Denn wenn von Anfang an ein automatisiertes Verfahren abläuft, obliegen dem Sachbearbeiter keine eigenen Sachentscheidungen, sondern er übt nur eine den Computer überwachende Tätigkeit aus (OLG Frankfurt, VRS 61, 370, 371).
Die Auswechselung des Betroffenen setzt dagegen eine intellektuelle Leistung voraus, zu der nur der Sachbearbeiter in der Lage ist. Und da die Unterschrift dokumentiert, dass der Sachbearbeiter die Verantwortung für die Richtigkeit der Beurkundung des Datums seiner Handlung übernimmt (HansOLG Hamburg, VRS 47, 43, 45), kann auf sie bei Auswechselung der Betroffenen-Daten nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 OWiG nicht verzichtet werden. Deshalb ist es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch nicht von Bedeutung, dass der Computer auf eine Auswechselung der Daten des Betroffenen „eingestellt“ ist.
Dadurch wird auch kein Formzwang statuiert (so aber König, DAR 2005, 572). Denn die Anordnung bleibt trotzdem formfrei; so kann sie nach wie vor z.B. fernmündlich erfolgen. Wird aber die Schriftform gewählt, ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Unterzeichnung erforderlich, um den Zeitpunkt der Verjährungsunterbrechung zu bestimmen und damit Rechtssicherheit herbeizuführen (BT-Drs. 7/550, S. 216 i.V.m. S. 345).
Dass – wie die Nachfrage des Senats bei der Bußgeldstelle ergeben hat – die von der Sachbearbeiterin am 31. August 2004 getroffene Verfügung elektronisch im System hinterlegt ist und ein Missbrauch ausgeschlossen erscheint, da jedem Sachbearbeiter eine durch Passwort gesicherte Kennung zugeordnet ist, ändert daran nichts. Zwar wird die elektronische Verfügung durch den in der Akte befindlichen Ausdruck unter Ausweis der verantwortlichen Sachbearbeiterin dokumentiert; das Gesetz verlangt aber zur Dokumentation des Zeitpunkts der Unterbrechung der Verjährung die Unterzeichnung. Dies kann durch den Ausdruck nicht ersetzt werden.
Eine Vorlage an den BGH ist nicht erforderlich. Zwar gilt § 121 Abs. 2 GVG, wonach ein Oberlandesgericht, das in einer Sache von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen will, diese dem Bundesgerichtshof vorzulegen hat, bei Rechtsbeschwerden entsprechend (BGHSt 23, 365, 366; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 79, Rn. 38 m.w.N.). Eine Vorlage an den BGH ist jedoch nur bei tragenden Entscheidungsgründen unabdinglich (Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 121, Rn. 22; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80, Rn. 3). Rechtlich unverbindliche Hinweise in einer Entscheidung begründen keine Vorlagepflicht (BGHSt 18, 156, 159). Dies gilt auch für einen veröffentlichten Leitsatz, auf dem die Entscheidung nicht beruht (BayObLG, NJW 1972, 302). Da das BayObLG seine Beschlüsse jedoch nicht entscheidend auf die Ausführungen zur Entbehrlichkeit der Unterschrift stützt, ist keine Entscheidung des BGH herbeizuführen.
Da die Verfolgung der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit somit gem. § 26 Abs. 3 StVG bereits verjährt war, als der Bußgeldbescheid erlassen wurde, liegt ein Verfahrenshindernis vor. Das Verfahren war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.