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Anhörungsbogen nicht erhalten – Kostenerstattung

AG Meldorf

Az.: 25 OWiE 171/10

Beschluss vom 27.05.2010


1. Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung werden der „Kostenfestsetzungsbescheid“ des Kreises D. vom 10.05.2010 – Az. […] – aufgehoben und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Wegen einer angeblichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h sandte der Landrat des Kreises D. – Fachdienst Ordnung und Sicherheit – unter dem 14.12.2010 mit einfacher, nicht rückläufiger Post ein Anhörungsschreiben an den Betroffenen als vermeintlichen Führer des „geblitzten“ Fahrzeugs ([amtl. Kennz.]), auf welches der Betroffene nicht reagierte.

Unter dem 19.01.2010 erließ die o.g. Behörde einen Bußgeldbescheid, mit welchem sie gegen den Betroffenen wegen vorgenannten Verkehrsverstoßes ein Bußgeld von 80,00 € festsetzte. Gegen den ihm zugestellten Bußgeldbescheid legte der Betroffene über seinen Verteidiger rechtzeitig Einspruch ein, der unter Vorlage einer Kopie des Personalausweises des Betroffenen damit begründet wurde, dieser sei nicht der auf dem Messfoto abgebildete Fahrer des gemessenen Fahrzeugs. Gleichzeitig beantragte der Betroffene, die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

Nach Abgleich des Fotos des Personalausweises des Betroffenen mit dem Messfoto nahm die Behörde den Bußgeldbescheid vom 19.01.2010 zurück und stellte das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Betroffenen ein, da sich im Einspruchsverfahren herausgestellt habe, dass dieser nicht der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei. Eine Kosten- und Auslagenentscheidung wurde zunächst nicht getroffen.

Den erneuten Antrag des Betroffenen vom 12.04.2010, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, lehnte die Behörde mit „Kostenfestsetzungsbescheid“ vom 10.05.2010 mit der Begründung ab, dem Betroffenen wären bei rechtzeitigem Vorbringen der entlastenden – zu der Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG führenden – Umstände im Anhörungsverfahren keine Auslagen entstanden, weswegen der Betroffene seine eigenen Auslagen gemäß § 109a Abs. 2 OWiG selbst zu tragen habe.

Gegen diesen, dem Verteidiger am 11.05.2010 zugestellten Bescheid wendet sich der Betroffene nunmehr mit seinem vorliegenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18.05.2010 – beim Kreis D. am selben Tag eingegangen –, den er damit begründet, er habe das Anhörungsschreiben nicht erhalten, sondern sei vielmehr erstmalig durch den ihm zugestellten Bußgeldbescheid mit dem Tatvorwurf konfrontiert worden. Im Übrigen sei es der Bußgeldstelle vor Erlass des Bußgeldbescheides selbst möglich gewesen, durch Fotoabgleich festzustellen, dass er nicht der auf dem Messfoto abgebildete Fahrzeugführer sei.

II.

1. Der Antrag des Betroffenen vom 18.05.2010 auf gerichtliche Entscheidung gegen die als „Kostenfestsetzungsbescheid“ bezeichnete Entscheidung des Landrates des Kreises D. vom 10.05.2010 ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht eingelegt.

Der Sache nach handelt es sich bei der vorgenannten Entscheidung um die – nach Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG – von der Behörde zu treffende Kostengrundentscheidung im Sinne eines selbständigen Kostenbescheides (§ 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG; vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 14. Aufl., Vor § 105, Rn. 15, 19), die mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 108, 62 OWiG angefochten werden kann. Die zur Anbringung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenbescheid einzuhaltende Zweiwochenfrist nach Zustellung des Bescheides (§ 108 Abs. 1 S. 2 OWiG) ist hier gewahrt: die behördliche Entscheidung ist dem Verteidiger am 11.05.2010 zugestellt worden, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits am 18.05.2010 bei der Behörde eingegangen.

2. Der zulässige Antrag erweist sich auch der Sache nach als begründet.

Der vorgenannte Kostenbescheid ist aufzuheben und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

a) Grundsätzlich hat die Staatskasse im Falle der – auch hier gegebenen – Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG neben den Verfahrenskosten auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen, zu denen auch die Verteidigergebühren zählen, zu tragen (vgl. § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG; Göhler, aaO., Vor § 105 Rn. 93, 94; KK-OwiG/Schmehl, 3. Aufl., § 105 Rn. 100, 103), was in einer Kostengrundentscheidung in Form eines selbständigen Kostenbescheides – der allerdings mit der Einstellungsverfügung verbunden werden kann – von Amts wegen oder auf Antrag zu entscheiden ist (Göhler, aaO., Vor § 105 Rn. 19; KK-OWiG/Schmehl, aaO., § 105 Rn. 102).

b) Eine Ausnahme, nach welcher davon abgesehen werden könnte, die eigenen notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, liegt hier nicht vor.

(1) Ein Fall des § 109a Abs. 1 OWiG ist offensichtlich nicht gegeben; gegen den Betroffenen wurde ein Bußgeld von 80,00 € verhängt, so dass es sich vorliegend nicht – wie von § 109a Abs. 1 vorausgesetzt – um eine mit maximal 10,00 € Bußgeld geahndete Bagatelle handelt, bei der dem Betroffenen zumutbar wäre, seine Einwendungen selbst vorzubringen.

(2) Aber auch der vom Kreis D. zur Begründung seiner Kostenentscheidung bemühte § 109a Abs. 2 OWiG ist vorliegend nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift kann (fakultativ) davon abgesehen werden, solche notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, die dieser durch ein rechzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können. Dass diese tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegend aber gegeben wären und damit überhaupt der Weg zu einer Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG eröffnet wäre, kann nicht festgestellt werden. Es bleibt zweifelhaft, ob der Betroffene, seinen entlastenden Einwand, er sei nicht der verkehrsordnungswidrig handelnde Fahrzeugführer gewesen, bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides – nämlich unverzüglich auf das Anhörungsschreiben vom 14.12.2009 hin – hätte geltend machen können.

Es fehlt insoweit bereits der Nachweis, dass der Betroffene von dem gegen ihn eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Erhalt eines Anhörungsbogens Kenntnis und damit überhaupt die Möglichkeit hatte, seinen Einwand vor Erlass des Bußgeldbescheides vorzubringen. Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, den Anhörungsbogen vom 14.12.2009 nicht erhalten zu haben. Diese Einlassung ist ihm mangels Zustellung der Anhörung gegen einen entsprechenden Zustellungsnachweis nicht zu widerlegen. Dass das Anhörungsschreiben nicht über die Post in Rücklauf geraten ist, beweist den Zugang beim Betroffenen nicht (Göhler, aaO., § 109a Rn. 11 m. Rspr.-Nachw. empfiehlt insoweit für die Praxis die förmliche Zustellung).

Scheidet danach die Anwendbarkeit des § 109a Abs. 2 OWiG bereits aus vorgenannten Erwägungen aus, bedarf es einer Entscheidung darüber, ob die Behörde die vom Betroffenen im Einspruchsverfahren aufgezeigten entlastenden Umstände bei der ihr obliegenden Sachaufklärung – wie vom Betroffenen geltend gemacht – selbst hätte feststellen können (bspw. durch EMA-Anfrage nebst Fotoabgleich), was der Anwendbarkeit des § 109a Abs. 2 StPO ebenfalls entgegenstehen könnte (Göhler, aaO., § 109a Rn. 7 m.w.N.; AG Aschaffenburg DAR 2002, 136), vorliegend nicht mehr.

(3) Schließlich ist auch ein anderer Ausnahmegrund im Sinne der §§ 467a Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 467 Abs. 2 bis 5 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, der eine dem Betroffenen ungünstige Auslagenentscheidung rechtfertigen könnte, vorliegend nicht gegeben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.

4. Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar (vgl. auch § 108 Abs. 1 S. 2, 2. Halbs.).

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