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Annahmeverzug – Anrechnung böswillig unterlassenen Erwerbs


BUNDESARBEITSGERICHT

Az.: 2 AZR 650/00

Urteil vom 07.11.2002


Das Bundesarbeitsgericht hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom XXX für Recht erkannt:

1. Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug gekommen, so muß er zur Beendigung des Annahmeverzugs die versäumte Arbeitsaufforderung nachholen. Dies muß mit der Erklärung verbunden sein, daß er die Arbeitsleistung als Erfüllung des fortbestehenden Arbeitsvertrages annimmt. Deshalb endet der Annahmeverzug nicht, wenn der Arbeitgeber bei seiner Arbeitsaufforderung die Kündigung aufrechterhält. Der Annahmeverzug wird allein durch eine Rückkehr des Arbeitgebers zu dem Vertragszustand beseitigt, der ohne Kündigung gelten würde.

2. Eine Anrechnung böswillig unterlassenen Erwerbs kommt auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug befindet.

Wenn jedoch – wie vorliegend – die Arbeitnehmerin befürchtete, ihr Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz werde im Zusammenhang mit der nachdrücklichen Aufrechterhaltung bestimmter Vorwürfe durch den Arbeitgeber betriebs-öffentlich als kompromittierend angesehen, so kann dies als nachvollziehbares Motiv für die Ablehnung der Arbeitsangebote des Arbeitgebers verstanden werden, das den Vorwurf der Böswilligkeit ausschließt.

3. Die Arbeitnehmerin hat auch nicht böswillig im Sinne von § 11 Nr 2 KSchG, § 615 S 2 BGB gehandelt, indem sie den ohne Beteiligung des Betriebsrats ausgesprochenen Versetzungen nicht Folge leistete.

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. September 2000 – 2 Sa 195/00 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Klägerin macht der Höhe nach unstreitige Ansprüche aus Annahmeverzug für die Zeit vom 4. Mai bis zum 26. November 1998 geltend.

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Fleisch- und Geflügelindustrie mit mehreren Verkaufsstellen. Sie beschäftigte im Jahre 1998 mehr als 20 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat war eingerichtet. Die Klägerin war auf Grund Arbeitsvertrags vom 25. November 1992 als Verkäuferin tätig. Sie wurde in der Filiale N eingesetzt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis im November 1997 zum 31. Januar 1998. Sie warf der Klägerin vor, die stellvertretende Filialleiterin mehrfach als „dumm“, „doof“, „unfähig“, „das Letzte“ und „niveaulos“ beschimpft und behauptet zu haben, diese könne nicht richtig schreiben und mache „alles mit dem kurzen Röckchen“. Die von der Klägerin gegen die Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage, die mit einem Antrag auf Weiterbeschäftigung verbunden war, hatte vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Oder Erfolg. Die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Brandenburg (- 3 Sa 225/98 -) mit Urteil vom 26. November 1998 zurück.

Nach Ablauf der Kündigungsfrist hatte die Beklagte die Klägerin zunächst nicht beschäftigt. Am 30. April 1998 bot die Beklagte der Klägerin eine Weiterbeschäftigung als Verkäuferin in der Filiale S ab 4. Mai 1998 an. Alternativ schlug sie der Klägerin vor, eine Tätigkeit in der Produktion zu übernehmen. Die Klägerin lehnte beide Angebote ab. Mit Schreiben vom 23. Juni 1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihre Weiterbeschäftigung erfolge ab 1. Juli 1998 bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzrechtsstreits in der Verkaufsstelle G. Auch dies lehnte die Klägerin ab. Die Zustimmung des Betriebsrats zu diesen der Klägerin vorgeschlagenen Einsätzen beantragte die Beklagte nicht. Einen Antrag der Klägerin auf Festsetzung eines Zwangsgeldes, mit dem die Beklagte zur Erfüllung des titulierten Anspruchs auf Weiterbeschäftigung angehalten werden sollte, wies das Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) durch Beschluß vom 20. Juli 1998 ab, weil dem Anspruch der Klägerin wegen der Beschäftigungsangebote der Beklagten der Erfüllungseinwand entgegenstehe.

Die Klägerin hat behauptet, ihre Anfahrtzeit zu der Filiale in S betrage mit dem PKW 1,5 Stunden pro Fahrt. Sie hält die Beschäftigungsangebote für unzumutbar, weil sie Bestrafungen darstellten. Außerdem habe sie die Angebote schon deswegen nicht annehmen müssen, weil der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 17.138,35 DM brutto abzüglich erhaltener Arbeitslosengeldleistungen iHv. 6.988,72 DM netto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Differenznettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Antrag auf Klageabweisung damit begründet, daß sie mit ihren Arbeitsangeboten der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung nachgekommen sei. Jedenfalls habe die Klägerin es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Eine Beschäftigung in der Filiale N sei wegen der Kündigungsvorwürfe und der rückläufigen Umsatzzahlen nicht möglich gewesen. Die Filialen S und G befänden sich ebenso im brandenburgischen Umland von Berlin (S-Bahnbereich) wie die Filiale N. Der Betriebsrat habe nicht beteiligt werden müssen, da es sich um eine faktische Beschäftigung gehandelt habe.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Arbeitsgerichts ausgeführt, die Beklagte sei im fraglichen Zeitraum in Annahmeverzug gewesen, woran die Arbeitsangebote vom 30. April und vom 23. Juni 1998 nichts geändert hätten. Die Klägerin habe es nicht böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, indem sie die Angebote abgelehnt habe. Zum einen habe es sich um Versetzungen iSd. § 95 BetrVG gehandelt, denen die Klägerin wegen fehlender Zustimmung des Betriebsrats nicht habe folgen müssen. Nichts anderes gelte, wenn man ohne Zustimmung des Betriebsrats vorgenommene Versetzungen nicht als schlechthin unwirksam ansehe. Denn selbst dann habe der von ihnen betroffene Arbeitnehmer das Recht, sie nicht zu befolgen. Außerdem sei der Klägerin böswilliges Unterlassen auch deshalb nicht vorzuwerfen, weil die Beklagte Arbeit nur für die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits angeboten und dabei ihre Kündigungsvorwürfe aufrecht erhalten habe.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung.

I. Die Klägerin hat nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der Hauptforderung.

1. Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein (§ 615 Satz 1 BGB).

a) Die Beklagte ist nach Ablauf der Kündigungsfrist am 1. Februar 1998 in Annahmeverzug geraten. Sie hat der Klägerin nach Ablauf der Kündigungsfrist am 1. Februar 1998 keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Die Klägerin war nicht gehalten, der Beklagten ihre Dienste erneut anzubieten, sondern konnte eine Arbeitsaufforderung der Beklagten abwarten. Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger, dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu ermöglichen. Dazu muß er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne daß es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (st. Rspr. vgl. BAG 18. Januar 2000 – 9 AZR 932/98 – BAGE 93, 179; 19. Januar 1999 – 9 AZR 679/97 – BAGE 90, 329).

b) Der Annahmeverzug hat nicht mit den Arbeitsangeboten vom 30. April 2000 und vom 23. Juni 1998 geendet. Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug gekommen, so muß er zur Beendigung des Annahmeverzugs die versäumte Arbeitsaufforderung nachholen (BAG 18. Januar 2000 – 9 AZR 932/98 – aaO). Er muß dies mit der Erklärung verbinden, daß er die Arbeitsleistung als Erfüllung des fortbestehenden Arbeitsvertrags annimmt (BAG 14. November 1985 – 2 AZR 98/84 – BAGE 50, 164; LAG Rheinland-Pfalz 5. März 1998 – 5 Sa 1073/97 – LAGE BGB § 615 Nr. 57; KR-Spilger 6. Aufl. § 11 KSchG Rn. 24; Peter DB 1982, 488; vgl. auch v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 11 Rn. 8). Deshalb endet der Annahmeverzug nicht, wenn der Arbeitgeber bei seiner Arbeitsaufforderung die Kündigung aufrechterhält (BAG 14. November 1985 – 2 AZR 98/84 – aaO; LAG Rheinland-Pfalz 5. März 1998 – 5 Sa 1073/97 – aaO). An einer Arbeitsaufforderung in diesem Sinne hat es die Beklagte fehlen lassen. Keines ihrer Beschäftigungsangebote vom 30. April 1998 und vom 23. Juni 1998 hat sie mit der Erklärung verbunden, sie nehme von der Kündigung Abstand und wolle die Arbeitsleistung auf Grund des fortbestehenden Arbeitsvertrags annehmen.

aa) Das Angebot auf Beschäftigung als Produktionsmitarbeiterin entsprach nicht dem Arbeitsvertrag vom 25. November 1992, der unstreitig eine Beschäftigung der Klägerin als Verkäuferin vorsah. Das Angebot erfolgte also nicht in Anerkennung des ungekündigten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses, sondern zielte auf eine Abänderung des Vertrags.

bb) Das Angebot auf Beschäftigung in der Filiale S war zwar nach der im Berufungsverfahren erhobenen Behauptung der Beklagten mit der Erklärung verbunden, im Falle der Annahme durch die Klägerin die damals anhängige Berufung im Kündigungsschutzverfahren zurückzunehmen. Diese Erklärung reichte aber nicht aus, um den Annahmeverzug zu beseitigen. Die in Aussicht gestellte Rücknahme war nämlich an die Bedingung geknüpft, daß die Klägerin sich zuvor mit einer Beschäftigung in der Filiale S einverstanden erklärte. Ob das der Beklagten zustehende Direktionsrecht einen solchen Einsatz gerechtfertigt hätte, kann dahinstehen. In jedem Falle hätte die Klägerin, wenn sie sich mit einem Einsatz in S einverstanden erklärt und hierdurch die Berufungsrücknahme erreicht hätte, darauf verzichten müssen, die Frage, ob dieser Einsatz durch das Direktionsrecht gedeckt war, gerichtlich klären zu lassen. Die Klägerin hätte also Abstriche an ihren vertraglichen Rechten in Kauf nehmen müssen. Gerade dies zu verhindern ist aber der Sinn des vom Senat entwickelten Grundsatzes, daß der Annahmeverzug allein durch eine Rückkehr des Arbeitgebers zu dem Vertragszustand beseitigt wird, der ohne Kündigung gelten würde. Der Arbeitnehmer soll nicht durch ein während des Kündigungsschutzprozesses mit Rücksicht auf diesen gemachtes Beschäftigungsangebot zu einer Vertragsänderung gedrängt werden können (vgl. Peter aaO).

cc) Die Arbeitsaufforderung vom 23. Juni 1998 reichte zur Beseitigung des Annahmeverzugs deshalb nicht aus, weil sie ausdrücklich auf die Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits begrenzt war.

dd) An diesem Befund ändert auch die Rechtskraft des Beschlusses nichts, mit dem das Arbeitsgericht den Antrag der Klägerin auf Festsetzung eines Zwangsgeldes zurückgewiesen hat (Beschluß vom 20. Juli 1998 – 5 Ca 21952/97 – ). Zwar sind auch Entscheidungen im Zwangsvollstreckungsverfahren unter bestimmten Voraussetzungen der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. LG Wiesbaden 2. Dezember 1985 – 9 O 300/77 – NJW 1986, 939; MünchKommZPO/Musielak 2. Aufl. § 329 Rn. 10 bis 12; Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 329 Rn. 13). Indes erging der Beschluß des Arbeitsgerichts über einen Antrag, mit dem ein Titel auf Prozeßbeschäftigung vollstreckt werden sollte. Der Arbeitgeber erfüllt jedoch mit dem Angebot einer Prozeßbeschäftigung seine nach § 296 BGB bestehende Verpflichtung nicht.

2. Die Klägerin muß sich das auf Grund der Beschäftigungsangebote vom 30. April und vom 23. Juni 1998 erzielbar gewesene Verdienst nicht auf ihren nach §§ 615 Satz 1, 611 BGB bestehenden Vergütungsanspruch anrechnen lassen.

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a) Zwar muß sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (§ 11 Nr. 2 KSchG). Die Klägerin handelte aber nicht böswillig, indem sie die Arbeitsangebote vom 30. April 1998 und vom 23. Juni 1998 ausschlug.

b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, böswilliges Unterlassen liege deshalb nicht vor, weil die Angebote der Beklagten wegen des gleichzeitigen Festhaltens an den Kündigungsvorwürfen unzumutbar gewesen seien, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Bei den Begriffen der Böswilligkeit und der Zumutbarkeit handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Ihre Anwendung durch das Berufungsgericht kann deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist (zum Prüfungsmaßstab vgl. BAG 11. September 2001 – 1 ABR 2/01 – EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 34; 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187).

Diesem Maßstab genügt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts.

bb) Böswillig handelt der Arbeitnehmer, dem ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände (Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolgen für den Arbeitgeber) vorsätzlich untätig bleibt oder die Aufnahme der Arbeit bewußt verhindert (st. Rspr. BAG 18. Juni 1965 – 5 AZR 351/64 – AP BGB § 615 Böswilligkeit Nr. 2; 18. Januar 1963 – 5 AZR 200/62 – BAGE 14, 31; 18. Oktober 1958 – 2 AZR 291/58 – BAGE 6, 306; 22. Februar 2000 – 9 AZR 194/99 – AP KSchG 1969 § 11 Nr. 2 = EzA BGB § 615 Nr. 97; 19. März 1998 – 8 AZR 139/97 – BAGE 88, 196). Eine Anrechnung kommt auch in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug befindet (BAG 22. Februar 2000 – 9 AZR 194/99 – aaO; 14. November 1985 – 2 AZR 98/84 – BAGE 50, 164). Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die befristete Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen an, so hängt ihre Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer in erster Linie von der Art der Kündigung und ihrer Begründung sowie dem Verhalten des Arbeitgebers im Kündigungsprozeß ab. Handelt es sich um eine betriebsbedingte Kündigung, so ist dem Arbeitnehmer die vorläufige Weiterbeschäftigung in der Regel zumutbar. Wird eine Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt, so spricht dieser Umstand eher für die Unzumutbarkeit der vorläufigen Weiterarbeit für den Arbeitnehmer im Betrieb (BAG 14. November 1985 – 2 AZR 98/84 – BAGE 50, 164). Auch Art und Schwere der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobenen Vorwürfe können für ihn bereits die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit begründen.

cc) Auf diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht seine Auffassung gestützt, der Klägerin sei die Annahme der Arbeitsangebote schon deshalb unzumutbar gewesen, weil die Angebote mit der Aufrechterhaltung der Kündigungsvorwürfe verbunden waren. Mit dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Wenn die Klägerin befürchtete, ihr Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz werde im Zusammenhang mit der nachdrücklichen Aufrechterhaltung der Vorwürfe durch die Beklagte betriebs-öffentlich als kompromittierend angesehen, so kann dies als nachvollziehbares Motiv für die Ablehnung der Arbeitsangebote der Beklagten verstanden werden, das den Vorwurf der Böswilligkeit ausschließt.

Soweit die Revision Grundsätze zur Schadensminderungspflicht heranziehen will, verkennt sie, daß es sich bei dem auf §§ 611, 615 BGB gestützten Anspruch nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, sondern um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, der unabhängig vom Verschulden des Anspruchsgegners (Arbeitgebers) besteht (st. Rspr. BAG 22. März 2001 – 8 AZR 536/00 – AR-Blattei ES 250 Nr. 56; BGH 14. November 1966 – VII ZR 112/65 – NJW 1967, 248; vgl. Winderlich Der Annahmeverzug des Arbeitgebers S 153). Im Falle des § 254 BGB geht es darum einen Schaden nach Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen aufzuteilen, während § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB Ausdruck des Grundsatzes sind, daß die Durchsetzung vertraglicher Erfüllungsansprüche nicht – subjektiv oder objektiv – mißbräuchlich geschehen darf. Das wäre aber dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine ihm bekannte und zumutbare Erwerbsmöglichkeit vorwerfbar ausschlüge. Deshalb ist § 254 BGB im Rahmen von § 615 Satz 2 BGB nicht anwendbar (st. Rspr. vgl. BAG 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99 – BAGE 94, 343; BGH 11. März 1963 – VII ZR 176/61 – DB 1963, 662).

Wenn die Revision geltend macht, der Arbeitgeber werde in seiner Rechtsausübung eingeschränkt, berücksichtigt sie nicht hinreichend, daß die Beklagte ihrerseits durch eine rechtskräftig für unwirksam erklärte Kündigung der Klägerin die vertragsgemäße Beschäftigung entzogen hat. Die Verpflichtung zur Zahlung des Annahmeverzugslohns ist die gesetzliche Folge dieses Umstandes und beruht auf dem Grundsatz, daß Verträge zu erfüllen sind, solange sie bestehen. Darin liegt keine Einschränkung, sondern gerade die Durchsetzung bestehender Rechte. Zu Unrecht meint die Revision, durch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts werde ihr zugemutet „abzuschwören“. Die Beklagte war nicht gehindert, ihre Vorwürfe aufrechtzuerhalten, um den Erfolg im Kündigungsschutzprozeß zu sichern. Genauso wenig mußte aber auch die Klägerin „klein beigeben“; auch sie durfte bei ihrer bestreitenden Haltung bleiben. Ebenso wie aber die Klägerin, falls die Kündigungsschutzklage abgewiesen worden wäre, den infolge ihrer Weigerung eintretenden Anspruchsverlust hätte hinnehmen müssen, muß die Beklagte die aus dem Unterliegen im Kündigungsschutzprozeß sich ergebenden Ansprüche der Klägerin erfüllen.

c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe auch deshalb nicht böswillig iSd. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Erwerb unterlassen, weil die Arbeitsangebote der Beklagten ohne die nach § 99 BetrVG 1972 erforderliche Beteiligung des Betriebsrats erfolgt sind, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

aa) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, bei den der Klägerin unterbreiteten Arbeitsangeboten habe es sich nicht um Versetzungen iSd. § 95 Abs. 3 BetrVG gehandelt.

Der Begriff der Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Den Tatsacheninstanzen steht bei der Prüfung, ob eine Versetzung vorliegt, ein Beurteilungsspielraum zu (BAG 11. September 2001 – 1 ABR 2/01 – EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 34 mwN). Die revisionsrechtliche Prüfungskompetenz des Bundesarbeitsgerichts ist insoweit beschränkt (BAG 11. September 2001 – 1 ABR 2/01 – aaO; 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 1, zu III 4 der Gründe).

Diesen Beurteilungsspielraum haben die Vorinstanzen nicht verletzt. Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte nicht aufgezeigt, sie sind auch nicht ersichtlich. Die Vorinstanzen sind von dem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Rechtsbegriff der Versetzung ausgegangen. Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne in der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Unter Arbeitsbereich ist der konkrete Arbeitsplatz einschließlich seiner Beziehungen zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht zu verstehen (BAG 2. April 1996 – 1 AZR 743/95 – AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 34 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 29; 23. November 1993 – 1 ABR 38/93 – BAGE 75, 97; 19. Februar 1991 – 1 ABR 21/90 – BAGE 67, 225). Wenn die Vorinstanzen die Zuweisung von Arbeit in der Produktion an die als Verkäuferin beschäftigte Klägerin als Versetzung angesehen haben, so ist das ersichtlich nicht zu bemängeln. Gleiches gilt für die Annahme der Vorinstanzen, die von der Beklagten beabsichtigte Entsendung der Klägerin in eine andere Filiale sei als Versetzung anzusehen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß Entsendungen an einen anderen Arbeitsort – von Bagatellfällen abgesehen – eine Versetzung iSd. § 95 Abs.3 BetrVG darstellen (BAG 14. November 1989 – 1 ABR 87/88 – AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 75 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 85; Fitting BetrVG 21. Aufl. § 99 Rn. 121).

bb) Daß die Beklagte für die Versetzungen die Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeholt hat, ist unstreitig.

cc) Die Klägerin hat nicht böswillig iSv. § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB gehandelt, indem sie den ohne Beteiligung des Betriebsrats ausgesprochenen Versetzung nicht Folge leistete. Das Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung dient auch dem Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG). Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats hat daher zur Folge, daß die Versetzung auch individualrechtlich unwirksam ist und der Arbeitnehmer das Recht hat, die Arbeit zu den geänderten Bedienungen zu verweigern (BAG 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – BAGE 97, 276; 26. Januar 1988 – 1 AZR 531/86 – BAGE 57, 242). Wie das Arbeitsgericht und ihm folgend das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt haben, hat der Senat zwar entschieden, daß Änderungskündigungen nicht allein deshalb unwirksam sind, weil das erforderliche Mitbestimmungsverfahren vom Arbeitgeber nicht – erfolgreich – durchgeführt wurde (BAG 30. September 1993 – 2 AZR 283/93 – BAGE 74, 291; 17. Juni 1998 – 2 AZR 336/97 – BAGE 89, 149; zum Streitstand vgl. KR-Rost 6. Aufl. Rn. 136 ff.). Indes hat der Senat zugleich darauf hingewiesen, daß die ohne das erforderliche Mitbestimmungsverfahren ergangenen Arbeitsweisungen unwirksam nach § 134 BGB sind (BAG 20. September 1993 – 2 AZR 283/93 – aaO; 17. Juni 1998 – 2 AZR 336/97 – aaO). Soweit die Revision – ohne dies näher zu begründen – geltend macht, sie schließe sich der in der Literatur vertretenen Auffassung an, nach der der Arbeitnehmer auch solchen Weisungen folgen müsse, die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes ergehen, ergibt sich daraus keine ihr günstigere Beurteilung. Denn es kann der Klägerin nicht als böswilliges Unterlassen angelastet werden, wenn sie die Arbeitsangebote in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der bei weitem überwiegenden Auffassung in der arbeitsrechtlichen Literatur abgelehnt hat. Ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre, wenn der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, daß er ein Arbeitsangebot unter allen Umständen ausschlagen wird – also auch für den Fall, daß die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gewahrt wären -, kann dahinstehen, da für eine solche Fallgestaltung keine Anhaltspunkte vorliegen.

II. Der von der Klägerin erhobene und von der Beklagten nicht bestrittene Anspruch auf Zahlung von 4 % Rechtshängigkeitszinsen aus dem sich nach Abzug des Arbeitslosengeldes ergebenden Nettodifferenzbetrag ist begründet nach §§ 288, 291 BGB.

III. Die Kosten der ohne Erfolg gebliebenen Revision muß die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO tragen.

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