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Anordnung Betretungs- und Tätigkeitsverbots – kein Immunitätsnachweis Coronavirus

VG Düsseldorf – Az.: 29 L 1703/22 – Beschluss vom 30.08.2022

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der am 8. August 2022 sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 5603/22 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 00. Juli 2022 anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 00. August 2022 (29 K 5603/22) gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt. Dies ist hier der Fall, da die Klage des Antragstellers hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheides vom 00. Juli 2022 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20a Abs. 5 Satz 4 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des Bescheides entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Gesetz über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW).

Der Antrag ist aber unbegründet. Das Gericht macht von der ihm durch § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eingeräumten Befugnis, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anzuordnen, Gebrauch, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen (vorerst) verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei der Interessenabwägung spielt neben der gesetzgeberischen Grundentscheidung die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts eine wesentliche Rolle. Ergibt diese – im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts grundsätzlich kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt nach der gesetzgeberischen Wertung das behördliche Vollzugsinteresse. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung vorzunehmen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fällt die Interessenabwägung vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 00. Juli 2022 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Denn bei dem angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt.

Vgl. VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 20; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 118.

Rechtsgrundlage des in Ziffer 1 des Bescheides angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbotes ist § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Nach dieser Vorschrift kann das Gesundheitsamt unter anderem einer Person, die trotz einer Anforderung nach § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung oder eines dort genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG sieht wiederum vor, dass die in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personen dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorzulegen haben. Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in den in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 IfSG im Einzelnen genannten Einrichtungen oder Unternehmen des Pflege- und Gesundheitssektors tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- und Genesenennachweis im Sinne des § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügen, es sei denn sie können aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4 IfSG).

Eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften, insbesondere des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, vermag die Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht festzustellen.

Anordnung Betretungs- und Tätigkeitsverbots - kein Immunitätsnachweis Coronavirus
(Symbolfoto: Heiko Kueverling/Shutterstock.com)

Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, die – wie hier im Fall einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – im Ergebnis darauf hinausläuft, eine Regelung in einem formellen Gesetz gegenüber einem Antragsteller jedenfalls vorläufig nicht anzuwenden, ist an besondere Voraussetzungen geknüpft. Zwar sind die Fachgerichte in Bezug auf ein formelles Gesetz durch Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung nicht vorweggenommen wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde den Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Hauptsacheverfahrens verhindern.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 -, juris Rn. 71 f. (im Zusammenhang mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG, wonach Personen, die keinen Nachweis über eine Masernimpfung bzw. eine entsprechende Immunität vorlegen, nicht in bestimmten Einrichtungen beschäftigt werden dürfen) unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992 – 1 BvR 1028/91 -, juris Rn. 29 und BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2010 – 7 VR 5.10 -, juris Rn. 10 (im Zusammenhang mit einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO).

Ein solches Vorgehen kann bei formellen Gesetzen aber nur unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 100 Abs. 1 GG erfolgen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 -, juris Rn. 73 f. und Beschluss vom 27. April 2009 – 16 B 539/09 -, juris Rn. 34 ff.; in diesem Sinne auch: OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2013 – 1 B 1316/12 -, juris Rn. 8 ff.

Erforderlich ist mithin, dass das beschließende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften überzeugt ist. Dies bedeutet im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass der Grundrechtsverstoß offenkundig ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 -, juris Rn. 75 f. m.w.N.; siehe auch VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22:NW -, juris Rn. 24 f. im Zusammenhang mit einem Betretungsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG („offensichtliche“ bzw. „greifbare“ Verfassungswidrigkeit der Norm).

Eine solche offenkundige Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG vermag die Kammer derzeit nicht festzustellen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kommt dem Gesetzgeber bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Allerdings müssen sich die getroffenen Maßnahmen auf hinreichend tragfähige tatsächliche und wissenschaftliche Erkenntnisse stützen lassen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 171.

Auf dieser Grundlage hat das BVerfG mit Beschluss vom 27. April 2022 entschieden, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht bezüglich einer Covid-19-Immunität gemäß § 20a IfSG in der konkreten Situation der Pandemie im Winter 2021 und nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Erkenntnislage zu den Wirkungen der Covid-19-Schutzimpfungen sowie zu den großen Gefahren für Leben und Gesundheit vulnerabler Personen auch unter Berücksichtigung der hiermit für die Betroffenen verbundenen Eingriffstiefe verfassungsrechtlich tragfähig war. Nach damaliger überwiegender fachlicher Einschätzung sei von einer erheblichen Reduzierung der Infektions- und Transmissionsgefahr durch die Covid-19-Impfung ausgegangen worden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris, insb. Rn. 157 ff., 173 f.

Zwar führt das BVerfG in dieser Entscheidung weiter aus, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung zunächst nur aus einer ex-ante-Perspektive im Hinblick auf die verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen ist. Gleichwohl könne eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr trügen, weil sie durch nachträgliche Erkenntnisse oder Entwicklungen erschüttert würden. Bestehe dagegen eine Situation der Ungewissheit fort, weil es insbesondere auch der Wissenschaft nicht gelinge, die Erkenntnislage zu verbessern, wirke sich dies nicht ohne Weiteres auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des weiteren Vorgehens aus.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 235 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 177.

Bei Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe ist die Vorschrift des § 20a IfSG auch bis zum Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung nicht durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens offenkundig in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen.

So auch VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 23 ff.

Das BVerfG führt in seinem Beschluss vom 27. April 2022 bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung aus, die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, sei durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im dortigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht durchgreifend erschüttert worden. Dies gelte insbesondere auch für die gesetzgeberische Prognose, die verfügbaren Impfstoffe könnten vor einer Infektion schützen und – sollten sich Betroffene gleichwohl infizieren – zu einer Reduzierung des Transmissionsrisikos beitragen. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass eine Impfung jedenfalls einen relevanten – wenn auch mit der Zeit abnehmenden – Schutz vor einer Infektion auch mit der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus biete. Dabei sei auch nicht erkennbar, dass die Impfwirksamkeit so sehr reduziert wäre, dass die Verwirklichung des mit dem angegriffenen Gesetz verfolgten Zwecks des Schutzes vulnerabler Menschen nur noch in einem derart geringen Maße gefördert würde, dass im Rahmen der Abwägung den widerstreitenden Interessen der von der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht Betroffenen von Verfassungs wegen der Vorrang gebühren müsste. Zwar sei nach wie vor fachwissenschaftlich nicht gesichert, in welchem Maße die Schutzwirkung der Impfung mit der Zeit und abhängig von weiteren Faktoren konkret abnehme. Auch bestünden keine gesicherten Erkenntnisse zur genauen Höhe des reduzierten Transmissionsrisikos. Die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers seien aber auch nicht grundlegend erschüttert, sodass sein insoweit bestehender Einschätzungs- und Prognosespielraum fortbestehe.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 184 f., 237 ff.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 14. April 2022 – 13 B 96/22 -, juris Rn. 48 ff. und Beschluss vom 29. März 2022 – 13 B 1441/21 -, juris Rn. 28 ff.

Hiervon geht die Kammer auch zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung weiter aus. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hat sich seit Ergehen der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht derart geändert, dass die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, eine Impfung gegen das Coronavirus schütze in nennenswertem Umfang vor einer Infektion und einer weiteren Transmission des Virus, unzutreffend geworden und deshalb nunmehr von einer offenkundigen materiellen Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG auszugehen wäre.

So auch VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 26 ff.; im Ergebnis auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 2 L 820/22 -, juris Rn. 8 ff.

Tragbare wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Impfungen keinerlei Einfluss auf die Infektionstätigkeit haben, sind derzeit nicht ersichtlich und auch von dem Antragsteller nicht dargelegt worden. Nach den Ausführungen des Robert Koch-Instituts (im Folgenden: RKI), der nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG), auf seiner Internetseite stellt sich die derzeitige Erkenntnislage vielmehr wie folgt dar:

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Die Covid-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) und der Vektor-Impfstoff JCOVDEN (Johnson & Johnson) böten vor der Omikron-Variante weniger Schutz als vor der sog. Delta-Variante, die das Infektionsgeschehen in Deutschland zuvor dominiert hatte. Die Studienergebnisse zeigten, dass die Wirksamkeit nach zwei Impfstoffdosen (Grundimmunisierung) gegenüber jeglicher oder symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante insgesamt gering sei und zudem mit der Zeit deutlich nachlasse. Durch eine Auffrischimpfung könne die Schutzwirkung verbessert werden. Gegen schwere Erkrankungen biete die Impfung weiterhin einen guten Schutz. Die Datenlage deute darauf hin, dass auch hier die Schutzwirkung nach der Grundimmunisierung abfalle, jedoch weniger stark als im Vergleich zu jeglichen bzw. symptomatischen Erkrankungen. Nach einer Auffrischimpfung sei die Wirksamkeit gegenüber schweren Erkrankungen erneut hoch. Daten wiesen auch nach Auffrischimpfung auf einen nachlassenden Schutz vor (symptomatischer) Infektion über die Zeit hin. Die hohe Schutzwirkung gegenüber schweren Infektionen bleibe aber mindestens über sechs bis neun Monate nach der Auffrischimpfung bestehen. Über die Transmission, das heißt die Virusübertragung, unter Omikron gebe es bisher keine ausreichenden Daten; sie scheine bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt sei. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigten, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 % nach Grundimmunisierung und nach Auffrischimpfung um weitere 5 bis 20 % reduziere.

Vgl. RKI, Wie wirksam sind die Covid-19-Impfstoffe?, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.html, zuletzt abgerufen am 30. August 2022.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich in zwei – bisher nicht im Volltext veröffentlichten – Beschlüssen vom 7. Juli 2022 (Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22), die Beschwerden von zwei Luftwaffenoffizieren gegen die Verpflichtung, die Covid-19-Impfung zu dulden, betrafen, nach einer von ihm durchgeführten umfangreichen Sachverständigenanhörung der Bewertung des BVerfG angeschlossen, dass die Impfung gegenüber der nunmehr vorherrschenden Omikron-Variante nach wie vor eine noch relevante Schutzwirkung im Sinne einer Verringerung der Infektion und Transmission habe.

Vgl. die zu den beiden Entscheidungen veröffentlichten Pressemitteilungen des BVerwG vom 7. Juli 2022, abrufbar unter https://www.bverwg.de/pm/2022/44, zuletzt abgerufen am 30. August 2022.

Die Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes in Ziffer 1 des Bescheides ist formell rechtmäßig.

Der Antragsgegner ist gemäß § 20a Abs. 5 Satz 1 und Satz 3, § 2 Nr. 14, § 54 Satz 1 IfSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Gesetz zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (Infektionsschutz- und Befugnisgesetz – IfSBG-NRW) als Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die Einrichtung befindet, in der der Antragsteller tätig ist, für die Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes zuständig. Insbesondere hat der Antragsgegner seine Anordnung auf diejenigen Einrichtungen des im S. -L. O. ansässigen Arbeitgebers des Antragstellers beschränkt, die sich im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners, das heißt im Kreis W. , befinden. Dies gilt vor allem für den aktuellen Einsatzort des Antragstellers in U. . Dass der Antragsgegner insoweit nicht allein auf den Sitz des M. -W1. I. I1. abgestellt hat, der ausweislich seines Schreibens an den Antragsgegner vom 00. Mai 2022 (Beiakte Heft 2 Bl. 196 f.) seine Unterstützungsleistungen in zehn Kreisen, der Städteregion B. und sechs kreisfreien Städten anbietet, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Verfügung ist auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen. Insbesondere hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 00. Mai 2022 sowohl dem Antragsteller als auch dem M. -W1. I. I1. als Arbeitgeber des Antragstellers im Sinne des § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) Gelegenheit gegeben, zu der beabsichtigten Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes gegenüber dem Antragsteller Stellung zu nehmen.

Vgl. zur Anhörung auch des Arbeitgebers im Rahmen des der Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG vorangehenden Verwaltungsverfahrens BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 205 f.; Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 83.

Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides ist nach summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.

Die Regelung genügt zunächst den Anforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Danach muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies ist der Fall, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Davon ist auszugehen, wenn der Adressat und die mit dem Vollzug befasste Behörde und deren Organe aufgrund der Entscheidungssätze und der Begründung des Verwaltungsakts sowie der sonst für die Betroffenen erkennbaren Umstände ersehen können, was genau durch den Verwaltungsakt gefordert wird und ggf. zu vollstrecken ist. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts. Demnach ist ein Verwaltungsakt nicht schon dann unbestimmt, wenn seine Regelung für eine mit dem jeweiligen Sachbereich nicht vertraute Person nicht ohne weiteres verständlich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsgehalt auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr künftiges Verhalten danach ausrichten können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2015 – 13 A 1215/12 -, juris Rn. 57 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 37 Rn. 5 ff.

Dies zugrunde gelegt, ist die in Ziffer 1 des Bescheides getroffene Anordnung hinreichend bestimmt. Insbesondere ist der Regelungsgehalt der Anordnung jedenfalls in Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides hinreichend klar. So heißt es im Tenor des Bescheides unter Ziffer 1 zwar, dass dem Antragsteller untersagt werde, die Einrichtungen des M. -W1. I. I1. im Kreis W. „zu betreten oder dort tätig zu werden“ (Hervorhebung durch das Gericht). Im Zusammenhang mit der ebenfalls zu berücksichtigenden Begründung des Bescheides wird aber hinreichend deutlich, dass der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat und diese beiden Möglichkeiten nicht in einem Alternativverhältnis stehen. So versteht im Übrigen ausweislich der Klage- und Antragsschrift vom 8. August 2022 auch der Antragsteller die Anordnung.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG sind erfüllt.

Zunächst ist der Anwendungsbereich des § 20a IfSG eröffnet. Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in den dort im Einzelnen aufgeführten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügen. Hierzu zählen nach § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind. Hiervon erfasst sind etwa besondere Wohnformen für Menschen mit Behinderungen.

Vgl. BT-Drs. 20/188 S. 38; Tabbara, Die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Angeboten der Behindertenhilfe in: NZS 2022, 171 (173).

Tätig ist eine Person in der entsprechenden Einrichtung immer dann, wenn sie regelmäßig, das heißt nicht nur für wenige Tage, und nicht nur zeitlich vorübergehend, das heißt nicht nur jeweils wenige Minuten, sondern über einen längeren Zeitraum, in der Einrichtung beschäftigt ist.

Vgl. BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 61; siehe auch BT-Drs. 20/188, S. 38.

Lediglich in den Fällen, in denen jeglicher Kontakt zu den gefährdeten Personengruppen, das heißt zu den behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen, ausgeschlossen werden kann und auch keine regelmäßigen Kontakte zu dem betreuenden Personal bestehen, kann eine Tätigkeit verneint werden.

Vgl. BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 60.

Erfasst werden neben ärztlichem und pflegerischem Personal auch sonstige Betreuungskräfte sowie andere dort tätige Personen, wie zum Beispiel Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal.

Vgl. BT-Drs. 20/188, S. 38.

Im Rahmen der Behindertenhilfe sind vor allem auch die Berufsgruppen umfasst, die neben dem eigentlichen Pflegepersonal in Wahrnehmung ihrer Aufgaben Kontakt mit den Leistungsberechtigten haben, beispielsweise Heilerziehungspfleger, Sonderpädagogen, Heilpädagogen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und Inklusions- und Rehabilitationspädagogen.

Vgl. Tabbara, Die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Angeboten der Behindertenhilfe in: NZS 2022, 171 (174).

Dies zugrunde gelegt, unterfällt die Tätigkeit des Antragstellers dem Anwendungsbereich des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG. Der Antragsteller ist im Assistenz- und Betreuungsdienst des M. -W1. I. I1. an deren Standort C. Straße 00 in U. tätig. Der M. -Verbund I. I1. bietet ausweislich seines Internetauftritts I. I1. für Erwachsene mit geistiger Behinderung. Dazu zählt etwa das Wohnen in einer Betreuten Wohngemeinschaft, wie am Standort C. Straße in U. .

Vgl. https://hph.lvr.de/de/nav_main/home/startseite.html, zuletzt abgerufen am 30. August 2022.

Laut des Schreibens des Arbeitgebers des Antragstellers vom 00. Mai 2022 hat der Antragsteller dort direkten und täglichen Kundenkontakt. Kunden und Kundinnen seien Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Ein Kontakt mit diversen Personengruppen sei unumgänglich, um der Aufgabenerfüllung nachzukommen.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich etwas anderes auch nicht im Hinblick darauf, dass der Antragsteller im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 00. Mai 2022 (Beiakte Heft 1 Bl. 6 ff.) geltend gemacht hat, er arbeite nicht in der Pflege, sondern im pädagogischen Bereich und verbringe „einen großen Teil“ seiner alltäglichen Arbeit am Computer mit Dokumentationen und Verwaltungstätigkeit. Entscheidend ist insofern – wie dargelegt -, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit regelmäßig direkten Kontakt mit vulnerablen Personengruppen hat. Dies ist von dem Antragsteller selbst auch nicht in Frage gestellt worden.

Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für ein Einschreiten des Antragsgegners nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG liegen vor. Der Antragsteller hat auf die entsprechende Anforderung des Antragsgegners mit Schreiben vom 00. März 2022 keinen Immunitätsnachweis im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorgelegt.

Für den Antragsteller greift auch nicht der Ausnahmetatbestand des § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG. Danach gilt die Nachweispflicht des § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht für Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können. Hiervon werden Fälle erfasst, in denen an sich Nachweisverpflichtete aus medizinischen Gründen aufgrund ihrer individuellen medizinischen Vorgeschichte und Konstitution durch die Covid-19-Schutzimpfung ein konkretes Risiko der Eigengefährdung eingehen würden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 145.

Diese Voraussetzungen sind nach derzeitigem Sach- und Streitstand in der Person des Antragstellers nicht erfüllt. Soweit der Antragsteller im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Antragsgegner unter Vorlage einer von ihm selbst verfassten „Kontraindikationserklärung“ vom 00. Mai 2022 (Beiakte Heft 1 Bl. 11) sinngemäß geltend gemacht hat, er wolle sich wegen möglicher Impfnebenwirkungen, insbesondere im Hinblick auf mögliche allergische Reaktionen, derzeit nicht gegen das Coronavirus impfen lassen, hat er damit eine medizinische Kontraindikation im dargelegten Sinne nicht ausreichend dargetan. Sein Vortrag bleibt insoweit vollkommen unsubstantiiert. Das von dem Antragsteller vorgelegte Schreiben von Herrn Dr. med. I2. -V. N. vom 00. Dezember 2021 (Beiakte Heft 1 Bl. 10) ist für eine Substantiierung des Vortrags des Antragstellers nicht ansatzweise geeignet. Ungeachtet des fragwürdigen inhaltlichen Aussagegehalts des mit „Ärztliches Attest für jeden Menschen über das Vorliegen von allgemeinen und speziellen Kontraindikationen gegen die Verabreichung einer Impfung gegen die SARS-CoV-2-Virus-assoziierte Erkrankung“ überschriebenen Schreibens fehlt es diesem auch an jeglichem Bezug zum Einzelfall des Antragstellers.

Im Übrigen wäre dem Antragsgegner durch den Antragsteller im Falle des tatsächlichen Vorliegens einer medizinischen Kontraindikation im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG als Nachweis gemäß § 20a Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 IfSG ein ärztliches Zeugnis hierüber vorzulegen gewesen. Ein solches stellt das Schreiben von Dr. med. N. vom 00. Dezember 2021 aus den dargelegten Gründen offensichtlich nicht dar.

Der Antragsgegner hat nach im Eilverfahren allein möglicher und gebotener summarischer Prüfung auch das ihm im Rahmen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG legt der § 20a Abs. 5 IfSG zugrundeliegende Regelungszweck, vulnerable Personen zu schützen, sowohl die Anforderung des Nachweises als auch – bei dessen nicht rechtzeitiger Vorlage – den Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG in der Regel nahe. Vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle dürfe daher für das Gesundheitsamt letztlich kein relevanter Spielraum bestehen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 85; in diesem Sinne auch Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 83.

In den Blick zu nehmen ist aber auch, dass der Gesetzgeber für bereits zum 15. März 2022 in einer von § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG erfassten Einrichtung tätige Personen – wie den Antragsteller – kein sich unmittelbar kraft Gesetzes ergebendes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot geregelt, sondern dessen Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gerade von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts abhängig gemacht hat. Die zuständige Behörde muss das ihr eingeräumte Ermessen (rechtmäßig) ausüben und darf dessen Grenzen nicht über- oder unterschreiten. Darüber hinaus muss sich das Gesundheitsamt des Eingriffs seiner Maßnahmen in die Grundrechte der betroffenen Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG bewusst sein.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 147, 215; siehe auch BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 197.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt hier kein Ermessensfehler vor.

Ausweislich der Begründung des Bescheides war sich der Antragsgegner des ihm zustehenden Ermessens bewusst und hat im Rahmen der Ausübung dieses Ermessens auch die Belange des Antragstellers, insbesondere die von ihm im Verwaltungsverfahren geltend gemachten, gewürdigt.

Es bestehen im Eilverfahren auch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbotes. Die Anordnung ist zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen.

Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot dient einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz von Gesundheit und Leben der von dem Antragsteller betreuten und im Hinblick auf eine Covid-19-Erkrankung als besonders vulnerabel einzustufenden Personen (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 154 f. in Bezug auf die legitimen Ziele der Vorschrift des § 20a IfSG.

Menschen mit einer Behinderung sind in der Coronavirus-Pandemie spezifisch gefährdet. Sie unterliegen in Heimen und Einrichtungen und bei täglicher Unterstützung durch mehrere Dritte einem hohen Infektionsrisiko und tragen ein höheres Risiko, schwerer zu erkranken und an Covid-19 zu sterben.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 1 BvR 1541/20 -, juris Rn. 3.

Sie haben einen erhöhten Unterstützungs- und Betreuungsbedarf und können ihre Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauerndem nahem physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal ist das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht. Bei Menschen mit geistigen Behinderungen, die Zeit in Einrichtungen verbringen, ergibt sich ein nachweislich erhöhtes Expositions- und Infektionsrisiko zudem dadurch, dass sie aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen das strikte Einhalten von Hygiene- und Abstandsregelungen häufig nicht eigenverantwortlich sicherstellen können.

Vgl. BT-Drs. 20/188, S. 1.

Das gegenüber dem Antragsteller angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist zur Erreichung dieses legitimen Zwecks voraussichtlich auch geeignet. Das ist im verfassungsrechtlichen Sinne schon dann der Fall, wenn mit Hilfe der Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 166.

Dies zugrunde gelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner davon ausgeht, das Betretungs- und Tätigkeitsverbot gegenüber dem Antragsteller, der keinen Immunitätsnachweis im Hinblick auf das Coronavirus vorgelegt hat, diene dem Schutz der von ihm betreuten, besonders vulnerablen Personen. Insbesondere ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand – wie dargelegt – die Annahme, dass die vorhandenen Impfstoffe eine noch relevante Schutzwirkung im Hinblick auf eine Infektion und eine weitere Transmission des Virus haben, weiterhin tragfähig. Dies ist auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil der Antragsteller erstmals in diesem Verfahren behauptet, seines Wissens seien bis auf eine Person alle Personen, mit denen er im Rahmen seiner Tätigkeit Kontakt habe, selbst (mehrfach) gegen das Coronavirus geimpft. Denn auch insofern ist weiterhin davon auszugehen, dass mit einer Impfung (auch) des Antragstellers eine Reduzierung des Infektions- und Transmissionsrisikos einhergeht.

Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist auch erforderlich. Ein aus Sicht des Antragstellers weniger eingriffsintensives, zur Zweckerreichung ebenso geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich.

Es ist in diesem Zusammenhang zunächst rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner kumulativ ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot gegenüber dem Antragsteller ausgesprochen hat. Zwar kann die isolierte Anordnung eines Betretungsverbotes nach den Erwägungen des BVerfG ein milderes Mittel gegenüber der (zusätzlichen) Anordnung eines Tätigkeitsverbotes darstellen, da Mitarbeitern ohne einen Immunitätsnachweis dann eine berufliche Tätigkeit etwa im Home-Office weiter möglich wäre.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 215.

Vorliegend hat der Antragsgegner dennoch zu Recht ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Denn nach der Stellungnahme des Arbeitgebers des Antragstellers im Verwaltungsverfahren besteht für den Antragsteller keine alternative Einsatzmöglichkeit. Insbesondere sei eine Verlagerung seiner Tätigkeiten, die im direkten und täglichen Kundenkontakt stattfänden, ins Home-Office ausgeschlossen.

Siehe in diesem Zusammenhang auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 2 L 820/22 -, juris Rn. 25 ff.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, er verbringe „einen großen Teil“ seiner Arbeitszeit am Computer mit Dokumentationen und Verwaltungstätigkeit. Insbesondere dürfte auf der Grundlage der Angaben seines Arbeitgebers Vieles dafür sprechen, dass diese Arbeiten gerade an Tätigkeiten in direktem Kontakt mit betreuten Personen anknüpfen, das heißt wegfallen, falls der Antragsteller keinen Kontakt zu diesen Personen mehr hat.

Auch der Vortrag des Antragstellers im Verwaltungsverfahren, er unterziehe sich vor jedem Arbeitstag einem Corona-Test und im Umgang mit den von ihm betreuten Personen bestehe eine Maskenpflicht, stellt die Erforderlichkeit des angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbotes nicht durchgreifend in Frage. Denn sowohl eine regelmäßige Testung als auch die Einhaltung sonstiger Hygienemaßnahmen stellen keinen gleichwertigen Schutz wie eine Immunisierung dar, gerade bei Kontakt mit besonders vulnerablen Personen.

Vgl. dazu im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 192 ff., 197 und Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. -, juris Rn. 210; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 22. Dezember 2021 – 13 B 1858/21.NE -, juris Rn. 67 ff., 71 ff.

Die streitgegenständliche Regelung erweist sich schließlich nach summarischer Prüfung auch als angemessen. Die mit der Regelung für den Antragsteller verbundenen Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den bezweckten Vorteilen.

Zwar greift das angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot erheblich in das Recht des Antragstellers auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein und betrifft zudem seine Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Die getroffene Anordnung begründet zwar keinen Impfzwang, sondern überlässt dem Antragsteller letztlich die Entscheidung, den erforderlichen Nachweis zu erbringen. Sie stellt den Antragsteller aber de facto vor die Wahl, entweder seine bisherige Tätigkeit zumindest zwischenzeitlich aufzugeben und damit die im Verwaltungsverfahren geltend gemachten finanziellen Einbußen hinzunehmen oder aber in die Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität durch die Impfung einzuwilligen.

Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 206 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Vorschrift des § 20a IfSG.

Es ist jedoch nach summarischer Prüfung dennoch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner durch seine Anordnung dem Schutz von Leib und Leben der von dem Antragsteller betreuten Personen gegenüber den Rechten des Antragstellers den Vorrang eingeräumt hat. Bei den durch das Betretungs- und Tätigkeitsverbot geschützten Schutzgütern handelt es sich um Verfassungsgüter von überragendem Stellenwert.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 217 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Regelung des § 20a IfSG.

Die von dem Antragsteller betreuten Personen sind zudem im Rahmen der Corona-Pandemie – wie dargelegt – in besonderem Maße schutzbedürftig. Dies gilt auch, soweit sie selbst gegen das Coronavirus geimpft sein sollten. Denn die besondere Schutzbedürftigkeit von Menschen mit geistigen Behinderungen ergibt sich auch daraus, dass sie – unabhängig von einem eigenen Impfschutz – unter anderem deshalb einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, weil sie aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigungen häufig nicht in der Lage sind, Hygiene- und Abstandsregelungen strikt einzuhalten.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Eingriffstiefe auf Seiten des Antragstellers zum einen dadurch abgemildert wird, dass das angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot – entsprechend der Geltungsdauer der zugrundeliegenden Rechtsgrundlage des § 20a IfSG, der zum 1. Januar 2023 außer Kraft tritt (vgl. Art. 2 Nr. 1 und 2a i.V.m. Art. 23 Abs. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie) – bis zum 31. Dezember 2022 befristet ist. Zum anderen gilt die Anordnung auch nur bis zur Vorlage eines Nachweises im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG. Damit besteht für den Antragsteller insbesondere die Möglichkeit, ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG vorzulegen. Im Übrigen ist bezüglich des Auftretens von gravierenden Folgen einer Impfung gegen das Coronavirus – wie sie der Antragsteller augenscheinlich befürchtet – von einer nur sehr geringen Wahrscheinlichkeit auszugehen.

Vgl. dazu im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 222, 230 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Vorschrift des § 20a IfSG.

Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner bei der Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes den Aspekt der Versorgungssicherheit im Hinblick auf die von dem Antragsteller betreuten Personen nicht hinreichend gewürdigt hätte.

Vgl. zu diesem Gesichtspunkt VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW -, juris Rn. 61; Berneith, Die sogenannte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ des § 20a IfSG als weitere Herausforderung für die Gesundheitsämter in: COVuR 2022, 135 (138).

Denn der Arbeitgeber des Antragstellers hat in seinem Schreiben vom 00. Mai 2022 ausdrücklich mitgeteilt, dass ein mögliches Betretungs- und Tätigkeitsverbot für den Antragsteller durch geeignete interne Maßnahmen und die Übertragung von Aufgaben auf andere Personen kompensiert werden könne.

Auch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des Bescheides begegnet nach summarischer Prüfung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Antragsgegner hat diese rechtmäßig auf der Grundlage von §§ 55 Abs. 1 Var. 2, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs. 1 und 63 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) erlassen. Insbesondere lag mit der Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides ein vollziehbarer Verwaltungsakt im Sinne des § 55 Abs. 1 Var. 2 VwVG NRW vor, da ein Rechtsmittel gegen das Betretungs- und Tätigkeitsverbot gemäß § 20a Abs. 5 Satz 4 IfSG keine aufschiebende Wirkung hat. Auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes von 500,- Euro je Zuwiderhandlung ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (§ vgl. § 58 Abs. 1 VwVG NRW) nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer legt mangels anderweitiger Anhaltspunkte den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zugrunde. Von einer Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des in der Hauptsache maßgeblichen Streitwertes entsprechend Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit,

NVwZ 2013, Beilage 2/2013, 57 ff.,

wird abgesehen, da die angegriffene Ordnungsverfügung nur bis zum 31. Dezember 2022 gilt und der Antrag des Antragstellers damit inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt.

 

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