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Anrechnung vorgerichtlicher Inkassokosten auf Verfahrensgebühr späterer Prozessbevollmächtigter

AG Bremen – Az.: 8 C 273/20 – Beschluss vom 06.11.2020

1. Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bremen vom 31.08.2020 dahingehend abgeändert, dass über die festgesetzten Kosten hinaus ein Betrag von 52,00 EUR erstattungsfähig ist.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss wird daher wie folgt geändert und neu gefasst:

Die aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Amtsgerichts in Bremen vom 22.06.2020 von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 273,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches seit dem 26.06.2020.

2. Eine Gerichtsgebühr wird nicht erhoben; der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bremen.

Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.08.2020 setzte der zuständige Rechtspfleger die zu erstattenden Kosten auf 221,00 EUR fest. Die Festsetzung wird nunmehr von der Klägerin insoweit angegriffen, als der Rechtspfleger eine Gebühr von 0,65 in Höhe von 52,00 EUR nach §§ 254 Abs. 1 BGB, 15a Abs. 1 RVG in Verbindung mit Vorb. 2.3. Abs. 4 VV RVG und § 4 Abs. 5 RDGEG auf die Verfahrensgebühr angerechnet hat.

Gegen diesen Beschluss legte die Klägerin Erinnerung ein. Der Rechtspfleger half der Erinnerung nicht ab und legte sie der zuständigen Richterin zur Entscheidung vor.

II.

Die zulässige Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.08.2020 ist begründet.

Die Erinnerung ist statthaft, da die Beschwer 200 EUR nicht übersteigt, §§ 567 Abs. 2 ZPO, 11 Abs. 2 S. 1 RPflG.

Die vom Rechtspfleger vorgenommene Anrechnung der 52,00 EUR auf die im Rechtsstreit entstandenen Rechtsanwaltskosten scheidet mangels einer gesetzlichen Vorschrift, die eine Anrechnung dieser Kosten vorsieht, aus.

Insbesondere lässt sich die Anrechnung nicht auf §§ 254 Abs. 1 BGB, 15a Abs. 1 RVG in Verbindung mit Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG und § 4 Abs. 5 RDGEG stützten.

1. Eine Anrechnung nach § 15a Abs. 1 RVG in Verbindung mit Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG kommt im Fall vorgerichtlich angefallener Inkassokosten nicht in Betracht.

Es fehlt schon an der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Vorb. 3 Abs. 4 RVG.

Nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG hat eine Anrechnung zu erfolgen, sofern wegen desselben Gegenstands eine Verfahrens- sowie eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht. Inkassounternehmen als nach § 10 Abs. 1 RDG registrierte Personen stellen in der Regel eine Vergütung in Höhe einer vergleichbaren anwaltlichen 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) in Rechnung und machen diese Gebühr sodann als Verzugsschaden geltend. Bei den als Nebenforderung zugesprochenen Inkassokosten handelt es sich somit um einen Anspruch, welcher seiner Höhe nach (in der Regel) einer anwaltlichen Geschäftsgebühr entspricht, dogmatisch jedoch als rein materiell-rechtlicher Schadensersatzanspruch einzuordnen ist. Allein einem Anwalt kann aufgrund seines vorprozessualen Tätigwerdens ein Anspruch auf eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV zustehen. Ein Inkassounternehmen rechnet jedoch nicht nach dem RVG ab, sondern vereinbart die Vergütung frei nach BGB. Lediglich hinsichtlich des Erstattungsanspruchs wird diese Vergütung auf die vergleichbare Vergütung eines Rechtsanwalts beschränkt, vgl. § 4 Abs. 5 EGRDG (vgl. NJW-Spezial 2020, 125 zu AG Leipzig Beschl. v. 7.1.2020 – 108 C 2014/19, BeckRS 2020, 358; LG Dortmund, Urteil vom 18. September 2018 – 25 O 227/18 –, juris; BeckOK RDG/Günther, 15. Ed. 1.10.2020, RDG § 10 Rn. 97, 98). Für den Fall einer (rechtsgeschäftlichen) Vergütungsvereinbarung ist selbst bei Tätigwerden eines Prozessbevollmächtigten eine Anrechnung ausgeschlossen (vgl. BeckOK RVG/v. Seltmann, 49. Ed. 1.3.2020, RVG VV Vorbemerkung 3: Rn. 11a).

Darüber hinaus dürfte eine Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG schon deswegen ausscheiden, da die Geschäftsgebühr – oder wie hier die Inkassovergütung in vergleichbarer Höhe – von einer anderen Person verdient worden ist (so AG Leipzig, Beschluss vom 07. Januar 2020 – 108 C 2014/19 –, juris; für den Fall des Anwaltswechsels: BGH Beschl. v. 10.12.2009 – VII ZB 41/09, BeckRS 2010, 869; von dem ausgehend auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 24.06.2020, Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht, BT Drucksache 19/20348, S. 52: „Denn auch wenn die für einen Inkassodienstleister […] entstandene Vergütung schon mangels Personenidentität nicht auf die Verfahrensgebühr der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts im streitigen Verfahren angerechnet werden kann, so wird der Schadensersatzanspruch des Gläubigers doch auf den Betrag begrenzt, der entstandenen wäre, wenn eine solche Anrechnung möglich gewesen wäre.“). Der Wortlaut des § 15a RVG stellt deutlich auf nur einen einzigen Kostengläubiger ab, nämlich den Rechtsanwalt. Dieser soll in dem Fall, in dem er sowohl einen Anspruch auf Zahlung einer Geschäfts- als auch auf Zahlung einer Verfahrensgebühr hat grundsätzlich beide Ansprüche fordern können. Der Gesetzgeber ist somit ersichtlich von nur einem Kostengläubiger ausgegangen und nicht von nebeneinander bestehenden Ansprüchen zweier unabhängiger Kostengläubiger, dem Rechtsanwalt und dem Inkassounternehmen.

Diese Einschätzung steht im Einklang mit der Entscheidung des BGHs zur vergleichbaren Situation des Anwaltswechsels. Hiernach ist eine Anrechnung ausgeschlossen, wenn beide Gebühren (Geschäfts- und Verfahrensgebühr) von verschiedenen Rechtsanwälten verdient worden sind (vgl. BGH Beschl. v. 10.12.2009 – VII ZB 41/09, BeckRS 2010, 869). Denn begründet wird die Anrechnung damit, dass dem schon vorprozessual mit der Sache befassten und hierfür vergüteten Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf den erfahrungsgemäß geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand nur eine gekürzte Vergütung zugebilligt werden solle. Die Anrechnungsbestimmungen dienen dem Zweck zu verhindern, dass der schon vorprozessual tätige Rechtsanwalt für eine (annähernd) gleiche Tätigkeit doppelt honoriert wird und der Erleichterung seines Einarbeitungsaufwands Rechnung tragen. Dies trifft auf den Rechtsanwalt, welcher sich nach der vorherigen Einschaltung eines Inkassounternehmens erstmalig zur Klageerhebung mit dem Sachverhalt befasst, jedoch gerade nicht zu.

2. Auch § 4 Abs. 5 RDGEG (in Verbindung mit § 254 BGB) kann nicht Grundlage einer Anrechnung der Inkassogebühren auf die spätere Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts sein.

a) Schon nach seinem Wortlaut kann § 4 Abs. 5 RDGEG (in Verbindung mit §§ 254, 242 BGB) im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO keine Anwendung finden. Denn nach § 4 Abs. 5 RDGEG werden nicht die Gebühren beschränkt oder gekürzt bzw. eine Anrechnung vorgenommen, sondern es werden die im Wege eines materiell-rechtlichen Schadensersatzes geltend gemachten Inkassogebühren ihrer Höhe nach beschränkt.

Durch § 4 Abs. 5 RBG in Verbindung mit §§ 254, 242 BGB wird der materiell-rechtliche Schadensersatzanspruch der Höhe nach auf eine 0,65 Gebühr nach dem RVG begrenzt. Dem Inkassounternehmen, welches vorprozessual tätig geworden ist, soll nicht mehr zustehen als einem Rechtsanwalt für dieselbe vorprozessuale Tätigkeit (unter Berücksichtigung der in diesem Fall vorzunehmenden Anrechnung) zugestanden hätte. Auf materiell-rechtlicher Ebene wäre der geltend gemachte Anspruch somit einer 0,65 Gebühr nach dem RVG entsprechend zu kürzen gewesen, hätte der Beklagte den Anspruch nicht in voller Höhe anerkannt. Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten als Verzugsschaden sowie ihre Höhe sind jedoch Fragen des materiellen Rechts, deren Klärung dem zuständigen Richter obliegt. Materiell-rechtliche Aspekte der Schadensminderung nach § 254 BGB oder der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB können im Kostenfestsetzungsverfahren keine Berücksichtigung finden. Der Rechtspfleger ist im Rahmen der Kostenfestsetzung vielmehr an die Kostengrundentscheidung des Richters gebunden.

b) Darüber hinaus würde eine Anrechnung auch nicht dem Ziel des § 4 Abs. 5 RDGEG, nämlich dem Schutz des Schuldners vor überhöhten Inkassokosten, entsprechen. Ergebnis einer Anrechnung wäre nämlich nicht eine Reduzierung der Inkassokosten, sondern vielmehr eine Reduzierung der vom Anwalt geltend zu machenden Kosten, welche aufgrund der Anrechnung geringer ausfielen. Die Inkassokosten blieben ihrer Höhe nach unberührt. Zwar würde der Kostenschuldner im Ergebnis mit geringeren Kosten konfrontiert, im Verhältnis zwischen Anwalt und Inkassounternehmen würde eine Anrechnung jedoch zu unbilligen Ergebnissen im Hinblick auf die Kostenverteilung und damit zu einer unzulässigen Vermischung von Anwalts- und Inkassogebühren führen.

3. Zuletzt kommt auch eine analoge Anwendung der Aufrechnungsvorschriften im Fall von Inkassokosten nicht in Betracht.

Für eine analoge Anwendung der Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Im Zuge des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 59, ausgegeben am 08.10.2013, Seite 3714) hat der Gesetzgeber sich bewusst dafür entschieden mit § 4 Abs. 5 RDGEG eine Beschränkung des materiell-rechtlichen Anspruchs von Inkassounternehmen gesetzlich zu regeln und gerade keine Anrechnungsvorschrift für vorgerichtliche Inkassounternehmen zu erlassen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 11 Abs. 4 RpflG, § 91 ZPO.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, § 11 Abs. 4 RPflG. Über die außergerichtlichen Kosten war dem Grund nach zu entscheiden. Das gilt auch dann, wenn der Gegner der Erinnerung nicht entgegentritt (BeckOK ZPO/Jaspersen, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 104 Rn. 80).

Gegen die Entscheidung des Richters ist kein Rechtsbehelf mehr gegeben (Musielak/Voit/Flockenhaus, 17. Aufl. 2020, ZPO § 104 Rn. 32).

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