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Neues zum „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ – nicht einwilligungsfähige Auseinandersetzung von FC Bayern- und TSV 1860-Fangruppierungen


OLG München
Az: 4 StRR 150/13
Urteil vom 26.09.2013


Leitsätze:

1. Eine Körperverletzungshandlung kann trotz Einwilligung auf Grund der konkreten, die Tatausführung begleitenden Umstände gegen die guten Sitten verstoßen und rechtswidrig sein (§ 228 StGB).

2. Die Sittenwidrigkeit wechselseitiger Körperverletzungen bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen kann sich trotz fehlender konkreter Lebensgefahr sowohl aus der ex ante zu beurteilenden unkontrollierbaren Eskalationsgefahr des Tatgeschehens mit nicht ausschließbaren gravierenden Körperverletzungsfolgen bis hin zu einer konkreten Lebensgefahr bezüglich einzelner Teilnehmer (im Anschluss an BGH, Beschluss v. 20.2.2013, 1 StR 585/12) als auch aus einer konkret gegebenen Gefährdung von Rechtsgütern Dritter ergeben.

3. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die eigene körperliche Integrität kann nur soweit gehen, als dadurch keine Grundrechte Dritter beeinträchtigt werden. Bei der Wahl des öffentlichen Verkehrsraums als „Austragungsort“ einer konsentierten Prügelei ist absehbar, dass unbeteiligte Dritte in die tätlichen Auseinandersetzungen mit hineingezogen und in ihren Rechten, insbesondere in ihrer Willensentschließungsfreiheit und der körperlichen Integrität verletzt werden.

Tenor:

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 20. Dezember 2012 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 10.5.2012 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.

Das Landgericht München I hat auf Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.5.2012 aufgehoben, den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt und die weitergehenden Berufungen verworfen.

Dem Urteil des Landgerichts lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde:

Am 22.5.2011 um 13:00 Uhr fand in München im Stadion an der Grünwalder Straße ein Fußballspiel zwischen den U-19-Mannschaften des FC Bayern München und des TSV 1860 München statt. Bereits vor 11:00 Uhr trafen sich der Angeklagte und ca. 50 bis 60 dem TSV 1860 München nahestehende, wie er überwiegend der Fangruppierung „Cosa Nostra“ zugehörige Fans in Stadionnähe vor der Augustiner Gaststätte und ca. 120 dem FC Bayern München nahestehende, überwiegend der Fangruppierung „Schickeria“ zuzurechnende Fans im Biergarten der ebenfalls in Stadionnähe befindlichen Gaststätte Wienerwald. Gegen 11:45 Uhr brachen die Fans des TSV 1860 München geschlossen auf, um in Richtung Stadion zu gehen und sich dem Block der Bayern Fans anzunähern.

Ein Großteil der Mitglieder aus beiden Fangruppierungen suchte den Streit und die körperliche Auseinandersetzung mit dem Gegner. Soweit in der Folge zwischen Beteiligten aus beiden Fan-Lagern wechselseitig Tätlichkeiten durch Faustschläge, aber auch durch Tritte gegen den Oberkörper ausgeübt wurden, erfolgten diese Tätlichkeiten in stillschweigend erteiltem, wechselseitigem Einvernehmen, wobei eine Unterscheidung zwischen Täter und Opfer, Angreifer und Verteidiger nicht möglich ist. Alle Beteiligten waren sich des Risikos von Verletzungen, die sie infolge der vorhersehbar kurzen Kämpfe erleiden konnten bewusst und erklärten sich mit Verletzungsfolgen wie kurzzeitigen Schmerzen oder Hämatome stillschweigend einverstanden. Anhaltspunkte dafür, dass schwere Verletzungen des Gegners beabsichtigt waren, gab es nicht.

Der Angeklagte selber wollte am Rande des Spieles – im Einvernehmen mit der anonymen, ihn unterstützenden Menge der Fans des TSV 1860 München heraus – seine Aggressionen ausleben und sich vor den anderen Mitgliedern der „Cosa Nostra“ durch unerschrockenes, rauflustiges Auftreten gegenüber den Fans des FC Bayern an vorderster Front profilieren. Gefährdungen unbeteiligter Personen, die Störungen des öffentlichen Friedens und des Sicherheitsgefühls der Allgemeinheit nahm der Angeklagte dabei wenigstens billigend in Kauf.

Als sich die Fans des FC Bayern vor dem Wienerwald versammelten und – weitgehend abgeschirmt von Polizeibeamten – über die Candidstraße hinweg zu den Sechziger-Fans lautstark-kämpferisch, mit erhobenen Armen im Chor die Parole „Tod und Hass dem TSV“ skandierten, bildete die Polizei eine Kette über die nördliche Fahrbahn der Candidstraße und drängte auf diese Weise die sich nach vorne bewegenden Fans des TSV 1860 München über die Candidstraße in Richtung Grünwalder Stadion ab.

Ein kleiner Teil der Anhänger des TSV 1860 München begab sich daraufhin direkt zum Stadioneingang, ein anderer Teil, bestehend aus ca. 40 Personen, bewegte sich unter dem Ruf „Giesing“ gegen die Fans des FC Bayern skandierend auf der südlichen Fahrbahn der Candidstraße (Straßenseite, die dem Stadion zugewandt ist) weiter in Richtung der ca. 15 – 20 m entfernt liegenden Einmündung der Candidstraße in die Tegernseer Landstraße, um sich dem Block der Bayern-Fans annähern zu können.

Ab 12:01:08 Uhr lösten sich aus der Gruppe der ca. 40 TSV-Anhänger, die am Stadioneingang vorbei in den Kreuzungsbereich der Tegernseer Landstraße vorgedrungen waren, plötzlich ca. 10 – 15 Personen, voran ein nicht näher bekannter Mann mit weißem Oberteil und kurzer Hose. Sie nutzten eine Ampelphase aus und liefen in einem Bogen auf der stadtauswärts führenden, vierspurigen Fahrbahn – im Kreuzungsbereich – an der nur lückenhaft besetzten Polizeikette vorbei auf den Fußgängerüberweg vor dem Wienerwald zu, wo sich die Ansammlung der Fans des FC Bayern postiert hatte. Männer aus dem Bayern-Block hatten dies bemerkt und waren auf den Fußgängerüberweg getreten, um die TSV-Fans zu empfangen.

Der mit weißem Oberteil bekleidete TSV-Fan und ein weiterer Mann aus dem 60er-Block, die als erstes zum Wienerwald vorgedrungen waren, schlugen sich dort mit Bayern-Fans, die sich ihnen kampfbereit in den Weg gestellt hatten. Der Angeklagte und zwei weitere unbekannte Männer aus dem TSV-Block hielten sich währenddessen auf dem Fußgängerüberweg über die Tegernseer Landstrasse, auf Höhe der Trambahnschienen, Richtung Grünwald, auf. Sie liefen, noch während die tätliche Auseinandersetzung im Gange war, auf die etwa 10 – 12 Meter entfernt befindlichen Bayern-Fans vor dem Wienerwald zu, um sich mit ihnen zu schlagen. Drei Männer aus dem Lager der Bayern-Fans traten heraus und stellten sich dem ersichtlich angriffslustigen Angeklagten und den 2 weiteren TSV-Fans zum Kampf.

Im Bereich von ca. 10 – 15 Metern vom Fan-Block des TSV entfernt kam es auf der 2. und 3. Fahrspur der Tegernseer Landstraße, vor dem Wienerwald, innerhalb eines Zeitraumes von 7 Sekunden zu wechselseitigen Kampfhandlungen, in deren Verlauf ein großgewachsener, schlanker Mann mit weißem Oberteil aus dem Block der Bayern-Fans mit erhobenen Fäusten auf den Angeklagten zu. Der Angeklagte nahm den Kampf auf, schnellte nach vorne und schlug mit der rechten Faust in Richtung des Gesichts des Angreifers. Der Mann konnte dem Schlag durch eine Bewegung mit dem Oberkörper nach hinten knapp ausweichen. Daraufhin griff ein mit rotem Oberteil bekleideter, korpulenter Mann den Angeklagten mit Fäusten an; der Angeklagte wich zunächst zurück. Ein weiterer Sechziger-Fan mit blauem Oberteil übernahm derweil den vormaligen Gegner des Angeklagten und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Der Angeklagte rangelte zwischenzeitlich mit ausgestreckten Armen mit dem Mann mit dem roten Oberteil. Es gelang ihm, dem Mann einen Faustschlag ins Gesicht zu versetzen. Die Intensität des Treffers war nicht feststellbar. Der Mann mit dem roten Oberteil zeigte sich davon nicht beeindruckt und ging weiterhin tätlich gegen den Angeklagten vor. Nunmehr griff ein – aus der Sicht des Angeklagten von hinten kommender – nicht näher bekannter Fan des TSV 1860 München mit weißem Oberteil und knielanger Hose in den Kampf ein, trat mit dem angezogenen Knie in Richtung des Oberkörpers des Mannes mit dem roten T-Shirt und zog sich sogleich wieder nach hinten zurück; der Mann mit dem roten Oberteil und der Angeklagte gingen erneut aufeinander los.

Polizeikräfte versuchten in der Folge zu verhindern, dass die Fans des FC Bayern unkontrolliert auf die andere Straßenseite zu den vor dem Stadion stehenden Fans des TSV 1860 München wechseln konnten.

Um 12:06:38 Uhr hielt sich der Angeklagte in Begleitung von 5 weiteren Personen, die zur Fan-Gruppe der „Cosa Nostra“ gehören (XXX, XXX, XXX, XXX, XXX), im Bereich der Fußgängerfurt auf, welche die nördliche und die südliche Seite der Candidstraße zwischen Wienerwald und Stadion verbindet. Fans des FC Bayern liefen auf den Angeklagten und seine Begleiter zu. Zur selben Zeit überquerte eine Fahrradfahrerin schiebend die Fußgängerfurt. Infolge des Tumultes, der sich zwischen den rivalisierenden Personen aus den rivalisierenden Fan-Blöcken gebildete hatte, kam zunächst ein Bayern-Anhänger zu Sturz und riss das Fahrrad der Frau zu Boden. Im Anschluss daran stürzte auch die Frau. Der Angeklagte und die anderen Mitglieder der „Cosa Nostra“ flüchteten nunmehr.

In der Zeit zwischen 12:00 Uhr und 12:06 Uhr wurde infolge der o.g. Ereignisse der Straßenverkehr im Bereich der Kreuzung Candidstraße/Tegernseer Landstraße immer wieder vorübergehend lahmgelegt. Da Mitglieder der beiden Fan-Blocks ohne Rücksichtnahme auf den fließenden Verkehr auf die Fahrbahn traten bzw. auf der Fahrbahn Tätlichkeiten ausübten, bestand die Gefahr, dass Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen oder aber, dass unbeteiligte Passanten in die tätliche Auseinandersetzung hineingeraten würden.

Mit ihrer gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung des materiellen Rechts und macht geltend, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung und nicht nur wegen Landfriedensbruchs zu verurteilen sei, die Strafe demzufolge nicht nach § 125 StGB, sondern innerhalb des § 223 StGB zu Grunde liegenden Strafrahmens gebildet werden müsse. Das Landgericht ging lediglich von Landfriedensbruch aus, weil nach seiner Auffassung die abzuurteilenden Körperverletzungshandlungen und der daraus zu erwartende Erfolg durch konkludent erklärte Einwilligung der jeweiligen Gegner gerechtfertigt gewesen seien.

II.

Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1 StPO,  §§ 344, 345 StPO) Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Aufgrund der erhobenen Sachrüge prüft das Revisionsgericht, ob das materielle Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet worden ist.

Soweit es um die Beweiswürdigung des Tatrichters geht, ist die Prüfung des Revisionsgerichts eingeschränkt, denn das Revisionsgericht prüft aufgrund der Sachrüge nicht den Weg, wie das Tatgericht zu den getroffenen Feststellungen gelangt ist, sondern hat die Feststellungen, so wie sie vom Berufungsgericht getroffen worden sind, hinzunehmen (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 337 Rdn. 26; Nack StV 2002, 510/511).

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Anders als das Amtsgericht hat das Landgericht den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 StGB, nicht aber wegen vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 23 StGB schuldig gesprochen.

Die vor dem Landgericht unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher und versuchter Körperverletzung gemäß §§ 223, 22, 23 StGB hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand und führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs. Darüber hinaus wird der Frage nachzugehen sein, ob auch eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB und gemeinschaftlicher Nötigung gemäß §§ 240, 25 Abs. 2 StGB gegeben ist.

1) Wie vom Landgericht zutreffend festgestellt, steht vorliegend außer Frage, dass der Angeklagte mit den ihm zur Last liegenden gewaltsamen Tathandlungen den objektiven Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung verwirklicht hat, denn § 223 StGB stellt jedes das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht unerheblich beeinträchtigende üble oder unangemessene Behandeln einer anderen Person unter Strafe (Fischer StGB 60. Aufl. § 223 Rdn. 4).

2) Von Rechts wegen zu beanstanden ist jedoch das von der Berufungskammer bejahte Vorliegen einer die Rechtswidrigkeit gemäß § 228 StGB ausschließenden Einwilligung der verletzten Person bzw. Personen in die Körperverletzungshandlungen des Angeklagten und die damit verbundene Verneinung eines Verstoßes gegen die guten Sitten.

a) Das Landgericht hat hierzu ausgeführt:

Die Kontrahenten haben sich, wie aus den Kameraaufzeichnungen ersichtlich, jeweils freiwillig und wechselseitig zum Kampf gestellt. Zwar ist der Angeklagte mit dem erkennbaren Ziel in die Tätlichkeiten vor dem Wienerwald einzugreifen, zum Bayern-Block gelaufen, um sich ebenfalls mit Bayern-Fans zu schlagen. Aus der Gruppe der Bayern-Fans fanden sich Männer, die dieses Angebot annahmen und ohne Not, dem Kampf stellten, so der große Mann mit dem weißen Oberteil und der korpulente Mann mit dem roten Oberteil. Gegen keinen der beiden Männer hat der Angeklagte die erste tätliche Angriffshandlung geführt. Vielmehr ging zunächst der große Mann mit dem weißen Oberteil mit erhobenen Fäusten auf ihn los. Nachdem der Angeklagte diesen Mann durch einen Schlag in Richtung Gesicht zurückgedrängt hatte, wurde er von dem korpulenten Mann mit dem roten Oberteil hartnäckig körperlich attackiert; dass sich zwei hinter seinem Rücken stehende TSV-Anhänger unerwartet zu seinen Gunsten einmischten, war für den Angeklagten nicht erkennbar; aufgrund der extrem kurzen Dauer des Schlagabtausch ist ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken mit diesen Männern nicht nachweisbar.

Für die Beteiligten auf beiden Seiten war vor Aufnahme der Kampfhandlungen ersichtlich, dass sie sich auf einen kurzen Schlagabtausch mit einem gegnerischen Fan einlassen würden. Erhebliche Kampfhandlungen, die zu schweren Verletzungen hätten führen können, waren nicht gewollt und nicht zu erwarten, zumal sich bereits ein größeres Polizeiaufgebot in der Kreuzung und drei Polizeibeamte keine zwei Meter vom Tatort entfernt postiert hatten. Die Angriffshandlungen waren vielmehr auf Schnelligkeit ausgelegt und von dem Bestreben getragen, den angestauten Aggressionen gegenüber den gegnerischen Fans Luft zu machen, ohne den Gegner ernsthaft verletzen zu wollen.

Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit obliegt der Disposition des Einzelnen. Diese Verfügungsbefugnis kann ihm der Gesetzgeber nicht ohne triftigen Grund versagen. Die tatbestandsausschließende Einwilligung ist nur dann unwirksam, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt. Hierbei ist vorrangig auf Art und Gewicht des Erfolges der Körperverletzungshandlung abzustellen. Allein im Bereich gravierender Verletzungen besteht aus generalpräventiv-fürsorglichen Pflichten des Staates, das individuelle Recht des Einzelnen auf Entscheidung über die körperliche Unversehrtheit zu beschränken (BGH NJW 2004,2458-2460). Derartige Verletzungen der Beteiligten waren unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Kampfhandlungen nicht zu erwarten. Zwischen den Beteiligten war ersichtlich nur ein kurzer Schlagabtausch beabsichtigt. Der Schlagabtausch zwischen dem Angeklagten und seinen Gegnern dauerte jeweils nur wenige Sekunden und erfolgte mit Fäusten; Fußtritte hat der Angeklagte selber nicht geführt. Bei den an den Kämpfen Beteiligten handelt es sich um junge sportliche Männer, welche die Folgen von wenigen Faustschlägen, auf die sie vorbereitet sind, regelmäßig schadlos überstehen.

b) Trotz Vorliegens einer Einwilligung ist eine nach § 223 StGB tatbestandsmäßige Körperverletzung gemäß § 228 StGB nicht gerechtfertigt, wenn (entgegen den Ausführungen des Landgerichts) die Tat (und nicht die Einwilligung, vgl. BGH, Urteil v. 26.5.2004, 2 StR 505/03, zitiert nach juris Rdn. 16; Fischer aaO § 228 Rdn. 8 f.) gegen die guten Sitten verstößt.

Der Begriff der Sittenwidrigkeit in § 228 StGB ist aufgrund seiner Unbestimmtheit und Auslegungsfähigkeit seit jeher umstritten (Fischer aaO § 228, Rdnr. 8; Schönke/Schröder StGB 10. Aufl. § 228 Rdnr. 1 ff.). Zwar bestehen nach herrschender Meinung (vgl. BGH, Beschluss vom 11.12.2003, 3 StR 120/03, zitiert nach juris Rdn. 16) keine grundsätzlichen Einwände (aA Schönke/Schröder aaO Rdn. 2) gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 228 StGB, jedoch bedarf der für sich gesehen konturenlose Begriff der guten Sitten zur Vermeidung eines Konfliktes mit dem sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ableitenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot der Konkretisierung und Beschränkung auf seinen Kerngehalt, da nur dann dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens genügt ist (BGH Beschluss vom 11.12.2003 aaO). Die an subjektiv-moralischen Wertvorstellungen orientierte, Zweckerwägungen und insbesondere „unlautere Zwecke“ mitberücksichtigende frühere Auslegung des Begriffs der „guten Sitten“ (RGSt 74, 91, 94; Fischer aaO § 228 Rdn. 9) wird deshalb vom Bundesgerichtshof schon seit längerem nicht mehr vorgenommen (s. Fischer aaO § 228 Rdn. 9a ff.).

Eine Körperverletzung trotz Einwilligung des Geschädigten ist somit nur dann sittenwidrig, wenn sie auch bei grundsätzlicher Anerkennung des Verfügungsrechts über die eigene Körperintegrität nach Ziel, Beweggründen, Mittel und Art der Verletzung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und ihr deshalb die rechtliche Billigung nach der für das Zusammenleben grundlegenden Ordnung zu versagen ist (BayObLG Beschl. v. 07.09.1998 – 5 St RR 153/98 zitiert nach juris Rdn. 14).

c) Die Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung beurteilt sich vorrangig anhand der Art und des Gewichts des eingetretenen Körperverletzungserfolgs sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Opfers (BGH Urteil v. 26.05.2004 aaO Rdn. 19; Fischer aaO Rdnr. 9a). Eine Körperverletzung ist jedenfalls dann sittenwidrig, wenn bei objektiver ex-ante Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH aaO), da bei (drohenden) gravierenden Verletzungen im Sinne des § 226 StGB der staatliche Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers ohne Weiteres zu legitimieren ist (BGH Urteil v. 26.05.2004 aaO Rdn. 20; Schönke/Schröder StGB § 228 Rdnr. 5); ab einem bestimmten Grad der körperlichen Beeinträchtigung oder einer möglichen Lebensgefahr kann der Einwilligung grundsätzlich keine rechtfertigende Wirkung mehr zukommen.

d) Jedoch beurteilt sich die Sittenwidrigkeit im Sinne von § 228 StGB nicht ausschließlich danach, ob durch die Tat im Ergebnis eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist, denn die Grenze zur Sittenwidrigkeit kann auch aus anderen, für die Bewertung der Rechtsgutsgefährlichkeit relevanten tatsächlichen Umständen der Tatbegehung überschritten werden. So sind bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen insbesondere auch die Auswirkungen und Interaktionen gruppendynamischer Prozesse wie etwa die Unkontrollierbarkeit und Eskalationsgefahr der Gesamtsituation aufgrund der Beeinflussung innerhalb einer Gruppe und zwischen den konkurrierenden Gruppen trotz fehlender konkreter Lebensgefahr bei der Bewertung des Grades der Gefährlichkeit einer Körperverletzung zu berücksichtigen (BGH Beschluss vom 20.02.2013, 1 StR 585/12, zitiert nach juris Rdn. 10).

e) Für die Beurteilung des Gefährlichkeitsgrades einer Körperverletzung ist in zeitlicher Hinsicht eine ex-ante Betrachtung maßgeblich (BGH Beschl. v. 20.02.2013 aaO. Rdn. 11). Insoweit laufen der Tatbestand der Einwilligung und ihre Rechtswirkungen parallel. Der Einwilligende muss eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den zu erwartenden Folgen des Angriffs haben, um wirksam einwilligen zu können (Fischer aaO Rdnr. 5; Christian Jäger: JA 2013, 634, 636).

f) Die Rechtswidrigkeit einer Körperverletzung kann auch bei der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausscheiden, wenn die Einwilligung auf der Basis eines solche Körperverletzungen gestattenden Regelwerkes, z.B. im Rahmen von sportlichen Wettkämpfen, erklärt wird. In einem solchen Fall ist der Körperverletzungserfolg nur dann nicht mehr von der Einwilligung gedeckt, wenn das Tatverhalten in grob fahrlässiger Art und Weise von den Wettkampfregeln abweicht (Schönke/Schröder StGB § 228 Rdnr. 14).

g) Im Ergebnis sind somit auch bei konsentierten Körperverletzungshandlungen die konkreten, die Tatausführung begleitenden Umstände zu berücksichtigen (BGH Beschl. v. 20.02.2013 aaO Rdn. 12). Dies führt vorliegend zur Erkenntnis, dass die Tathandlung des Angeklagten trotz der Einwilligung der Verletzten gegen die guten Sitten verstößt.

Die Sittenwidrigkeit der wechselseitigen Körperverletzungen ergibt sich dabei sowohl aus der – ex ante zu beurteilenden – unkontrollierbaren Eskalationsgefahr des Tatgeschehens mit nicht ausschließbaren gravierenden Körperverletzungsfolgen bis hin zu einer konkreten Lebensgefahr bezüglich einzelner Teilnehmer als auch aus der konkret gegebenen Gefährdung von Rechtsgütern Dritter.

aa) Die teilnehmenden Personen haben zwar im Vorhinein vereinbart, dass sie sich gegenseitig keine erheblichen Körperverletzungen zufügen werden, jedoch haben sie in keiner Weise vorab sichergestellt, dass die zwischen ihnen vereinbarten Regeln auch tatsächlich eingehalten werden.

Eine konkrete Eskalationsgefahr ergab sich darüber hinaus aus der hohen Anzahl von teilnehmenden Personen und aus dem Ort des Geschehens mitten im öffentlichen Straßenverkehrsraum auf dem Mittleren Ring an einer der verkehrsreichsten Stellen Münchens.

Mangels konkretem Regelwerk und fehlender Überwachung der Auseinandersetzung (z.B. durch unparteiische Schiedsrichter) handelte es sich nicht um einen einvernehmlich geführten „Schlagabtausch“ zweier rivalisierender Fangruppen, sondern um eine unkontrollierte und unkontrollierbare gruppendynamische Massenprügelei, deren erhebliches Gefährlichkeitspotential mit großer Eskalationsgefahr durch die vorher getroffene Vereinbarung nicht in ausreichender Weise eingegrenzt werden konnte.

Aus ex-ante-Sicht bestand für die Teilnehmer auf Grund der hohen Anzahl an beteiligten Personen eine konkrete Gefahr erheblicher Körperverletzungen bis hin zu einer konkreten Todesgefahr, denn es lässt sich bei derartigen Massenprügeleien im Vorhinein nicht mit der notwendigen Sicherheit ausschließen, dass Körperverletzungshandlungen gegen bereits geschlagene, nicht mehr effektiv zur Abwehr fähige Beteiligte fortgeführt werden oder dass sich innerhalb der Auseinandersetzung unterschiedliche Anzahlen von Kämpfern der jeweiligen Gruppen gegenüberstehen (vgl. BGH Beschl. v. 20.02.2013 aaO Rdn. 19).

Fehlen Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, die bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staates tolerierbares Maß begrenzen, verstoßen die Taten somit trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war (BGH Beschl. v. 20.02.2013 aaO Rdn. 21).

bb) Ein Verstoß gegen die „guten Sitten“ ergibt sich vorliegend darüber hinaus auch aus dem Aspekt der Gefährdung von Rechtsgütern Dritter.

Zum einen wurden zahlreiche Verkehrsteilnehmer genötigt, mitten auf einer der verkehrsreichsten Straßen Münchens anzuhalten, zum anderen wurde eine unbeteiligte Person in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigt, als sie vom Fahrrad fiel, nachdem sie sich der Auseinandersetzung genähert hatte.

Eine Gefahr der Beeinträchtigung von Rechtsgütern anderer Verkehrsteilnehmer war aus der maßgebenden ex ante-Sicht gegeben. Bei der Wahl des öffentlichen Verkehrsraums als „Austragungsort“ der Auseinandersetzung bestand von Anfang an ein besonders hohes Gefährdungspotential für Rechtsgüter Dritter. Es war absehbar, dass unbeteiligte Dritte in die Auseinandersetzung mit hineingezogen und in ihren Rechten, insbesondere in ihrer Willensentschließungsfreiheit und der körperlichen Integrität verletzt würden.

Eine Körperverletzungshandlung, die mit einer erheblichen Gefahr der Beeinträchtigung von Rechten Dritter verbunden ist, ist sittenwidrig im Sinne des § 228 StGB. Die vorab erklärte Einwilligung des Verletzten ist rechtsunwirksam, denn die grundsätzlich garantierte individuelle Verfügungsfreiheit des Einzelnen muss in einem solchen Fall hinter den Schutz von Drittinteressen zurücktreten. (vgl. Schönke/Schröder StGB § 228 Rdnr. 1). Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die eigene körperliche Integrität kann nämlich nur soweit gehen, als dadurch keine Grundrechte Dritter beeinträchtigt werden. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 228 StGB erfordert nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz einen gerechten Ausgleich zwischen dem in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen und den ebenfalls grundgesetzlich geschützten Rechten Dritter auf körperliche Integrität und Willensentschließungsfreiheit .

3) Ist der Straftatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 StGB erfüllt, scheidet eine Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 125 Absatz 1 letzter Halbsatz StGB aus.

III.

Die angefochtene Entscheidung war daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

IV.

Für das weitere Verfahren merkt der Senat – auch als rechtlichen Hinweis an den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 StPO – an:

1.) Zum Tatgeschehen werden unter dem Aspekt der Drittbetroffenheit genauere Feststellungen zu treffen sein, um eine Strafbarkeit wegen gemeinschaftlicher Nötigung der zum Anhalten gezwungenen Straßenverkehrsteilnehmer und der vom Fahrrad gerissenen Frau gemäß § 240 StGB prüfen zu können. Mit Blick auf letztere kommt zusätzlich auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB in Betracht. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nach § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB kann von der Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens bejaht werden.

2.) Weiterhin wird abzuklären sein, ob und inwieweit die dem Angeklagten vorzuwerfenden Körperverletzungshandlungen gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten vorgenommen worden und deshalb gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB abzuurteilen sind.

3.) Schließlich weist der Senat noch darauf hin, dass die Tatbestände des Landfriedensbruchs gemäß § 125 StGB und der Körperverletzung gemäß § 223 StGB verschiedene Rechtsgüter schützen. § 125 StGB schützt die öffentliche Sicherheit (Fischer aaO § 125 Rdn. 2), §§ 223ff. StGB die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit anderer Menschen (Fischer aaO § 223 Rdn. 2). § 125 StGB wird auf Grund der Subsidiaritätsklausel nach Abs. 1 letzter Halbsatz von den §§ 223ff. StGB verdrängt und stellt entgegen der Ansicht des Revisionsführers bei Vorliegen von strafbaren Körperverletzungshandlungen keine ausreichende Sanktionsmöglichkeit dar. Die §§ 223 ff. StGB sehen einen höheren Strafrahmen vor, weshalb das Amtsgericht in erster Instanz nachvollziehbar eine höhere Strafe als die Berufungsinstanz vorgesehen hat. Sollte sich als Ergebnis der neuerlichen Berufungsverhandlung zusätzlich noch eine Strafbarkeit gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und/oder gemäß § 229 StGB und §§ 240, 25 Abs. 2 StGB ergeben, so wird dies straferhöhend bei der Bemessung des Strafmaßes zu berücksichtigen sein.

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