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Anwalt trägt Kosten für Berufung ohne Auftrag: Wer zahlt bei PKH und Rücknahme?

Der Anwalt legte Berufung ohne Auftrag ein, um die Frist für seinen bedürftigen Mandanten nicht verstreichen zu lassen. Er half dem Mandanten und steht nun selbst vor einem erheblichen Kostenrisiko, weil er die Prozesskostenhilfe-Prüfung vernachlässigte.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 20 U 78/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Kammergericht
  • Datum: 17.09.2025
  • Aktenzeichen: 20 U 78/25
  • Verfahren: Beschluss
  • Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht, Kostenrecht, Anwaltspflichten

  • Das Problem: Ein Anwalt legte für seinen bedürftigen Mandanten Berufung ein. Er tat dies ohne einen ausdrücklichen Auftrag seines Mandanten. Durch den späteren Widerruf entstanden unnötige Gerichtskosten.
  • Die Rechtsfrage: Muss der Anwalt diese nutzlosen Verfahrenskosten selbst zahlen? Oder muss der Mandant für die ungefragte Berufung aufkommen?
  • Die Antwort: Der Anwalt muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen. Er handelte pflichtwidrig, indem er die Berufung kostenpflichtig einlegte. Er kannte die Bedürftigkeit des Mandanten und hätte zuerst Prozesskostenhilfe prüfen müssen.
  • Die Bedeutung: Anwälte müssen bei bedürftigen Mandanten immer den kostengünstigeren Weg prüfen. Kostenpflichtige Rechtsmittel dürfen nur mit einem klaren und ausdrücklichen Mandatsauftrag eingelegt werden.

Wann muss ein Anwalt die Kosten für eine Berufung ohne Auftrag selbst tragen?

Ein verlorener Prozess, eine tickende Frist und ein Mandant, der unerreichbar scheint – dieses Dilemma führte zu einer bemerkenswerten Entscheidung des Kammergerichts Berlin.

Der Anwalt legt die Berufung ohne Auftrag ein und wird nach dem Veranlasserprinzip zur Zahlung der nutzlosen Verfahrenskosten verpflichtet.
Anwalt haftet für unnötige Berufungskosten bei fehlendem Mandatsauftrag. | Symbolbild: KI

In seinem Beschluss vom 17. September 2025 (Az. 20 U 78/25) machten die Richter unmissverständlich klar: Ein Anwalt, der im Eifer des Gefechts eine Berufung ohne klaren Auftrag einlegt, kann am Ende selbst auf den Kosten sitzen bleiben. Der Fall beleuchtet eindrücklich die Grenzen anwaltlicher Fürsorgepflicht und die Anwendung des sogenannten Veranlasserprinzips, einer Regel, die sicherstellt, dass derjenige für nutzlose Verfahrenskosten aufkommt, der sie verursacht hat.

Was war zwischen dem Mandanten und seinem Anwalt genau vorgefallen?

Die Geschichte begann mit einem Zivilprozess vor dem Landgericht, den ein Mann als Beklagter verlor. Das Gericht verurteilte ihn zur Zahlung von über 6.300 Euro. Da der Mann finanziell nicht in der Lage war, den Prozess zu führen, war ihm zuvor auf Antrag seines Anwalts Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt worden. Nach dem für ihn negativen Urteil brach der Kontakt zwischen dem Beklagten und seinem Anwalt ab.

Der Anwalt stand nun vor einem Problem: Die einmonatige Frist zur Einlegung einer Berufung lief. Trotz mehrerer gescheiterter Kontaktversuche entschied er sich, im Namen seines Mandanten fristwahrend Berufung einzulegen, um die letzte juristische Möglichkeit offenzuhalten. Er beantragte und erhielt sogar eine Verlängerung für die Berufungsbegründung.

Kurz vor Ablauf dieser verlängerten Frist meldete sich jedoch der Beklagte direkt beim Gericht. Er teilte telefonisch mit, erst kürzlich von der Berufung erfahren zu haben und diese niemals beauftragt zu haben. Er sei mittellos und habe seinen Anwalt bereits per E-Mail angewiesen, die Berufung zurückzunehmen.

Der Senat des Kammergerichts forderte den Anwalt zur Stellungnahme auf. Dieser nahm daraufhin die Berufung offiziell zurück. Damit war das Berufungsverfahren beendet, bevor es richtig begonnen hatte – doch es hatte bereits Kosten verursacht. Nun stellte sich die entscheidende Frage: Wer sollte diese Kosten tragen? Der Beklagte, der die Berufung nie wollte? Oder der Anwalt, der sie ohne Auftrag eingeleitet hatte?

Welche juristischen Prinzipien standen im Mittelpunkt der Entscheidung?

Um diesen Konflikt zu lösen, stützte sich das Gericht auf mehrere zentrale Rechtsgrundsätze. Diese zu verstehen, ist der Schlüssel zur Logik der Entscheidung.

Die Prozessvollmacht, die ein Mandant seinem Anwalt erteilt, erstreckt sich gemäß § 81 der Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich auch auf die nächste Instanz, also die Berufung. Das bedeutet, der Anwalt ist formal berechtigt, diesen Schritt zu gehen. Diese formale Berechtigung ist jedoch kein Freibrief für eigenmächtiges Handeln, das den Interessen des Mandanten widerspricht.

Hier kommt das Veranlasserprinzip ins Spiel. Es ist nicht explizit in einem einzigen Paragraphen geregelt, sondern wird von den Gerichten aus den allgemeinen Kostenvorschriften (wie §§ 91, 97 ZPO) abgeleitet. Der Grundgedanke ist einfach und fair: Wer durch sein Verhalten unnötige Kosten in einem Gerichtsverfahren verursacht, soll diese auch tragen. Das kann in Ausnahmefällen eben auch der Anwalt einer Partei sein und nicht die Partei selbst.

Eine entscheidende Rolle spielte zudem die Prozesskostenhilfe (PKH). Sie soll sicherstellen, dass auch Menschen ohne ausreichende finanzielle Mittel ihre Rechte vor Gericht verfolgen oder verteidigen können. Für einen Anwalt, der einen bedürftigen Mandanten vertritt, ergeben sich daraus besondere Pflichten. Er muss den kostengünstigsten und sichersten Weg für seinen Mandanten wählen.

Schließlich regelt § 516 Abs. 3 ZPO die Konsequenzen einer zurückgenommenen Berufung. Mit der Rücknahme oder dem Nachweis, dass der Anwalt gar keinen Auftrag hatte, gilt das Rechtsmittel als nicht eingelegt. Die Partei ist „des eingelegten Rechtsmittels verlustig“, was bedeutet, dass sie diesen speziellen Berufungsweg nicht mehr weiterverfolgen kann.

Warum musste der Anwalt die nutzlosen Verfahrenskosten übernehmen?

Das Kammergericht entschied unmissverständlich, dass der Prozessbevollmächtigte die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hat. Die Analyse des Gerichts folgte einer klaren und für Anwälte folgenschweren Logik, die sich in mehrere Kernargumente aufteilen lässt.

Das Veranlasserprinzip: Wer unnötige Kosten verursacht, zahlt

Das Gericht stellte fest, dass die Einlegung der Berufung und die anschließende Rücknahme einen völlig nutzlosen Verfahrensaufwand darstellten. Da der Anwalt diesen Aufwand ohne einen Auftrag seines Mandanten initiiert hatte, war er im juristischen Sinne der „Veranlasser“ der Kosten. Er hatte die Kausalkette in Gang gesetzt, die zu den Gebühren führte. Gemäß dem Veranlasserprinzip, das vom Bundesgerichtshof (BGH) und sogar vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt wurde, ist es nur billig und gerecht, ihm diese Kosten aufzuerlegen.

Die Pflicht zur kostengünstigsten Lösung: Warum der PKH-Antrag Vorrang hatte

Dies war das zentrale Argument der Richter. Der Anwalt wusste durch das erstinstanzliche Verfahren, dass sein Mandant bedürftig war – schließlich hatte er selbst erfolgreich Prozesskostenhilfe für ihn beantragt. In einer solchen Situation, so das Gericht unter Verweis auf ständige BGH-Rechtsprechung (z.B. BGH, Az. IX ZB 9/22), ist ein Anwalt verpflichtet, den für den Mandanten risikoärmsten und kostengünstigsten Weg zu wählen.

Dieser Weg wäre nicht die direkte Einlegung einer kostenpflichtigen Berufung gewesen. Stattdessen hätte er zunächst einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren stellen müssen. Dieses Vorgehen hätte mehrere Vorteile gehabt: Es wäre für den Mandanten zunächst kostenfrei gewesen, und das Gericht hätte bereits in diesem Stadium die Erfolgsaussichten der Berufung geprüft. Indem der Anwalt diesen Schritt übersprang, setzte er seinen Mandanten einem vermeidbaren Kostenrisiko aus.

Kein Schutzschild: Warum die „fristwahrende“ Berufung hier nicht zählte

Der Anwalt verteidigte sein Handeln damit, er habe aus Sorge um den Fristablauf und zum Schutz seines Mandanten gehandelt, da er diesen nicht erreichen konnte. Dieses Argument, das in der Praxis häufig vorgebracht wird, ließ das Gericht nicht gelten. Es betonte, dass die Pflichten gegenüber einem bedürftigen Mandanten schwerer wiegen als die pauschale Sorge um eine Frist.

Ein sachgerechtes Vorgehen hätte darin bestanden, den Mandanten nachweislich – notfalls schriftlich per Post – zur Erteilung eines klaren Auftrags aufzufordern und ihn explizit auf die Möglichkeit eines PKH-Antrags hinzuweisen. Sich allein auf gescheiterte Telefonanrufe zu berufen, genügte dem Gericht nicht. Die Richter machten deutlich, dass das Wissen um die richtige Vorgehensweise bei bedürftigen Mandanten zum prozessualen Grundwissen eines jeden Anwalts gehören müsse. Die gut gemeinte Absicht, eine Frist zu wahren, schützt nicht vor den finanziellen Konsequenzen, wenn dabei grundlegende anwaltliche Pflichten verletzt werden.

Der Vorwurf des Vollmachtsmissbrauchs: Ein Anwalt ist kein Alleinentscheider

Obwohl die Prozessvollmacht formal auch für die Berufung galt, sah das Gericht in dem Vorgehen des Anwalts einen Missbrauch dieser Vollmacht. Ein Anwalt hat die Pflicht, vor Einlegung eines Rechtsmittels zu klären, ob sein Mandant diesen Schritt überhaupt wünscht. Er muss ihm eine angemessene Überlegungszeit gewähren. Ohne einen ausdrücklichen Auftrag zu handeln, stellt eine Verletzung der Pflichten aus dem Anwaltsdienstvertrag dar. Die Entscheidung über das „Ob“ einer Berufung liegt allein beim Mandanten, nicht beim Anwalt. Dessen Aufgabe ist es, die Optionen aufzuzeigen und eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen.

Was bedeutet dieses Urteil für Sie und Ihr Verhältnis zum Anwalt?

Die Entscheidung des Kammergerichts ist weit mehr als ein juristisches Detail. Sie stärkt die Rechte von Mandanten und definiert die Verantwortlichkeiten von Anwälten neu, insbesondere im Umgang mit finanziell schwächeren Klienten. Für Sie als Mandant ergeben sich daraus konkrete Punkte, die Sie in der Zusammenarbeit mit Ihrem Rechtsbeistand beachten sollten.

Checkliste: So sichern Sie eine klare Kommunikation mit Ihrem Anwalt

  • Strategie vorab besprechen: Klären Sie schon vor einer erstinstanzlichen Entscheidung, wie im Falle eines negativen Urteils verfahren werden soll. Besprechen Sie die Chancen, Risiken und Kosten einer möglichen Berufung.
  • Klare Anweisungen erteilen: Vage Äußerungen reichen nicht aus. Wenn Sie eine Berufung wünschen, erteilen Sie einen unmissverständlichen und am besten schriftlichen Auftrag. Wenn Sie keine Berufung wollen, teilen Sie dies ebenfalls klar mit.
  • Erreichbarkeit sicherstellen: Geben Sie Ihrem Anwalt verlässliche Kontaktdaten und reagieren Sie zeitnah auf seine Anfragen, insbesondere wenn Fristen laufen. Informieren Sie ihn proaktiv über längere Abwesenheiten.
  • Kosten explizit ansprechen: Fragen Sie aktiv nach allen anfallenden Kosten. Wenn Sie Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben könnten, bestehen Sie darauf, dass dieser Weg als Erstes geprüft wird, bevor kostenpflichtige Schritte eingeleitet werden.
  • Keine Annahmen treffen: Gehen Sie niemals davon aus, dass Ihr Anwalt „schon das Richtige tun wird“. Die letztendliche Entscheidung über die Fortführung eines Verfahrens liegt immer bei Ihnen. Ein guter Anwalt wird Sie beraten, aber niemals bevormunden.
  • Protokoll anfordern: Bitten Sie bei wichtigen Besprechungen oder Telefonaten um eine kurze schriftliche Zusammenfassung der besprochenen Punkte und getroffenen Entscheidungen per E-Mail. Das schafft Klarheit für beide Seiten.

Die Urteilslogik

Die anwaltliche Fürsorgepflicht zwingt Rechtsvertreter, bei der Einlegung von Rechtsmitteln stets die finanziellen Interessen des Mandanten über die reine Fristwahrung zu stellen.

  • Das Veranlasserprinzip verpflichtet denjenigen zur Kostentragung: Wer durch eigenmächtiges Handeln ohne klaren Mandatsauftrag einen unnötigen Verfahrensaufwand auslöst, muss die daraus resultierenden Gerichtskosten selbst tragen.
  • PKH-Antrag hat Vorrang vor kostenpflichtiger Berufung: Anwälte wählen für bedürftige Mandanten immer den risikoärmsten Weg und beantragen zuerst Prozesskostenhilfe, bevor sie kostenpflichtige Rechtsmittel ohne klare Zustimmung einleiten.
  • Formale Vollmacht ersetzt niemals den ausdrücklichen Auftrag: Die allgemeine Prozessvollmacht ermächtigt den Anwalt nicht zu eigenständigen Rechtsmitteln; er muss stets den ausdrücklichen Auftrag des Mandanten für die Fortsetzung des Verfahrens einholen.

Die Justiz schützt das Vertrauen der Mandanten, indem sie die anwaltliche Pflicht zur klaren Kommunikation und zur Vermeidung vermeidbarer Verfahrenskosten strikt durchsetzt.


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Experten Kommentar

Viele Anwälte kennen das Dilemma: Frist retten oder warten, bis der Mandant einen klaren Auftrag erteilt? Das Kammergericht zieht hier eine klare rote Linie, die gerade für bedürftige Mandanten wichtig ist. Wer weiß, dass der Klient Prozesskostenhilfe (PKH) benötigt, darf nicht einfach eine teure Berufung einlegen, um die Frist zu wahren. Die Pflicht, stattdessen zuerst den PKH-Antrag zu stellen, ist zwingend und nicht verhandelbar. Ignoriert der Anwalt diesen kostengünstigen Weg, gilt er selbst als Verursacher des unnötigen Aufwands und muss die Gebühren übernehmen. Das Urteil macht klar: Die Kasse des Mandanten geht immer vor der gut gemeinten, aber eigenmächtigen Fristrettung.


Symbolbild für Rechtsfragen (FAQ): Allegorische Justitia mit Waage und Richterhammer.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Muss mein Anwalt die Verfahrenskosten selbst zahlen, wenn er ohne meinen Auftrag Berufung einlegt?

Ja, Ihr Anwalt muss die Kosten für eine Berufung selbst tragen, wenn er diese ohne Ihren ausdrücklichen Auftrag einreicht und das Verfahren als nutzlos beendet wird. Gerichte legen dem Anwalt die Gebühren direkt auf, wenn er ohne Zustimmung handelt und dadurch unnötige Kosten verursacht. Diese Regelung dient dem Schutz der Mandanten und kommt besonders häufig in Fällen zur Anwendung, in denen der Anwalt die Pflichten gegenüber bedürftigen Klienten missachtet.

Obwohl die formelle Prozessvollmacht den Anwalt zur Einlegung von Rechtsmitteln berechtigt, entbindet ihn das nicht von der materiellrechtlichen Pflicht, einen klaren Auftrag des Mandanten einzuholen. Fehlt dieser Auftrag, gilt der Anwalt als Veranlasser der nutzlosen Prozesskosten. Wenn die Berufung mangels Zustimmung zurückgenommen werden muss, stellt dies einen vermeidbaren Aufwand dar. Das Kammergericht Berlin hat in einem konkreten Fall unmissverständlich entschieden, dass der Prozessbevollmächtigte in solchen Situationen die gesamten Gebühren des Berufungsverfahrens übernehmen muss.

Ein schwerwiegender Pflichtverstoß liegt zusätzlich vor, wenn der Anwalt von der finanziellen Bedürftigkeit seines Klienten (PKH) weiß. Der Anwalt ist dann verpflichtet, den risikoärmsten Weg zu wählen. Dazu gehört die zwingend vorherige Stellung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe, um das Kostenrisiko für den Mandanten zu minimieren. Überspringt der Anwalt diesen Schritt, setzt er den Mandanten einem unnötigen Risiko aus, was seine Haftung zementiert.

Fordern Sie Ihren Anwalt umgehend schriftlich (per Einschreiben) auf, das Protokoll vorzulegen, das Ihren expliziten Auftrag zur Einlegung der Berufung beweist.


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Hafte ich als Mandant für Gerichtskosten, die mein Anwalt ohne meine Zustimmung verursacht?

Sie haften in diesem speziellen Fall in der Regel nicht für die entstandenen Gerichtskosten, sofern Sie umgehend aktiv werden. Gerichte können die Pflicht zur Kostentragung auf Ihren Anwalt verschieben. Dies geschieht, wenn der Anwalt ein Verfahren wie die Einlegung einer Berufung ohne Ihren klaren Auftrag initiiert und dieses Vorgehen als Vollmachtsmissbrauch gewertet wird.

Der Schutzmechanismus basiert auf dem sogenannten Veranlasserprinzip. Dieses besagt, dass diejenige Partei die Kosten trägt, die den unnötigen Verfahrensaufwand kausal verursacht hat. Obwohl die formelle Prozessvollmacht Ihrem Anwalt die Befugnis zur Einlegung von Rechtsmitteln erteilt, liegt die Entscheidungshoheit über die Fortführung des Prozesses immer beim Mandanten. Handelt der Anwalt ohne explizite Beauftragung, verletzt er seine Pflichten aus dem Anwaltsdienstvertrag und gilt als Verursacher.

Ihre Haftungsfreiheit hängt entscheidend von Ihrer sofortigen Reaktion ab. Erfahren Sie von der unautorisierten Berufung, müssen Sie dem Gericht unverzüglich mitteilen, dass Sie diesen Schritt niemals gewollt oder beauftragt haben. Fehlt diese aktive Mitteilung, könnte das Gericht sonst eine stillschweigende Billigung unterstellen und Sie belasten. Wird die fehlende Zustimmung nachgewiesen, gilt die Berufung gemäß § 516 Abs. 3 ZPO als nicht eingelegt, und die Kostenlast fällt auf den Anwalt zurück.

Senden Sie dem zuständigen Senat sofort ein nachweisbares Schreiben, in dem Sie die fehlende Beauftragung der Berufung dokumentieren, statt nur anzurufen.


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Welche besondere Pflicht zur Kostenprüfung hat mein Anwalt, wenn ich Prozesskostenhilfe (PKH) beziehe?

Ihr Anwalt trägt eine erhöhte Fürsorgepflicht, sobald ihm Ihre finanzielle Bedürftigkeit durch eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe bekannt ist. Er muss zwingend den für Sie risikoärmsten Weg einschlagen, um Sie vor unnötigen Gebühren zu schützen. Das bedeutet, er darf nicht direkt eine kostenpflichtige Berufung einleiten, sondern muss zuerst einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die nächste Instanz stellen.

Das Wissen um die bereits gewährte PKH aus der ersten Instanz verpflichtet den Anwalt, seinen Mandanten keinen vermeidbaren Kostenrisiken auszusetzen. Die direkte Einlegung einer Berufung bindet sofort Gerichtsgebühren, für die Sie bei Scheitern des Rechtsmittels später selbst haften müssten. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung gilt dies als schwere anwaltliche Pflichtverletzung, da der kostengünstige PKH-Antrag stets Vorrang hat.

Der PKH-Antrag erfüllt dabei eine doppelte Schutzfunktion: Er dient nicht nur der staatlichen Kostenübernahme, sondern auch als gerichtliche Vorprüfung der Erfolgsaussichten. Das Gericht prüft, ob die Berufung hinreichend aussichtsreich ist, bevor Kosten entstehen. Lehnt das Gericht den Antrag ab, ist das Verfahren für Sie kostenfrei beendet und das Risiko einer Kostentragung eliminiert.

Fragen Sie bei der Besprechung eines Rechtsmittels sofort aktiv nach, ob der Anwalt beabsichtigt, primär einen PKH-Antrag zu stellen, und lassen Sie sich das damit verbundene Null-Kostenrisiko erklären.


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Was bedeutet das Veranlasserprinzip und wann kann mein Anwalt dafür in die Pflicht genommen werden?

Das Veranlasserprinzip ist ein fundamentaler Grundsatz der Verfahrenskostenverteilung, der für Gerechtigkeit sorgen soll. Es besagt, dass diejenige Person die entstandenen Prozesskosten tragen muss, welche diese durch ihr Handeln kausal und unnötig verursacht hat. Gerichte leiten dieses Prinzip aus den allgemeinen Kostenvorschriften, wie den Paragraphen §§ 91, 97 ZPO, ab. Dieses Prinzip dient als Schutzmechanismus, um Mandanten vor Kosten zu bewahren, die durch eigenmächtige Entscheidungen ihres Anwalts entstanden sind.

Die Anwendung des Prinzips auf den Prozessbevollmächtigten selbst ist ein Ausnahmefall. Wenn ein Anwalt ohne Ihren klaren Auftrag ein Rechtsmittel wie die Berufung einlegt, setzt er einen nutzlosen Verfahrensaufwand in Gang. Er wird zum Veranlasser, weil er die Kausalkette der Gebühren durch eine nicht autorisierte Prozesshandlung initiiert hat. Die Anwendung greift insbesondere dann, wenn die Handlung im Widerspruch zu Ihren Interessen stand, beispielsweise wenn sie Sie als mittellosen Mandanten in eine Kostenfalle manövriert.

Der Anwalt kann in die Pflicht genommen werden, sobald feststeht, dass er die Handlung vorgenommen hat, die unmittelbar zu den Kosten führt, obwohl der Auftrag fehlte. Konkret: Legt der Anwalt eine Berufung ein, obwohl er wusste, dass Sie bedürftig sind, und überspringt er den gesetzlich vorgesehenen PKH-Antrag, verletzt er seine Pflicht zur Wahl des risikoärmsten Weges. Die Pflichtverletzung liegt im fehlenden Mandat und nicht primär in der Qualität der juristischen Beratung.

Wenn Sie eine gerichtliche Anfechtung der Kostenrechnung planen, verweisen Sie explizit auf die Anwendung des Veranlasserprinzips auf den Prozessbevollmächtigten.


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Wie stelle ich sicher, dass mein Anwalt nur mit meinem klaren und schriftlichen Auftrag handelt?

Um eine Kostenfalle durch eigenmächtiges Handeln zu verhindern, ist klare schriftliche Kommunikation essenziell. Die Entscheidungshoheit über strategische Schritte, wie die Einlegung von Rechtsmitteln, liegt stets beim Mandanten. Sie müssen Ihren Anwalt aktiv steuern, da die formelle Prozessvollmacht keinen Freifahrtschein für die Fortführung des Prozesses darstellt. Verlangen Sie einen klaren Auftrag für jede neue Instanz.

Ein häufiger Fehler ist die pauschale Anweisung, der Anwalt solle „alles Notwendige tun, um Fristen zu wahren“. Juristisch kann dies als Auftrag zur Einlegung einer teuren Berufung interpretiert werden. Trennen Sie strikt zwischen dem Ob (Ihrer Entscheidung zur Fortführung) und dem Wie (der Durchführung durch den Anwalt). Formulieren Sie stattdessen präzise, beispielsweise: „Stellen Sie bitte nur einen Antrag auf Fristverlängerung zur Klärung des weiteren Vorgehens.“ Bestehen Sie zudem auf der detaillierten Protokollierung der Kosten- und Risikoberatung, insbesondere bei Fragen zur Prozesskostenhilfe (PKH).

Sorgen Sie für eine lückenlose Dokumentation, die auch Ihre Erreichbarkeit sicherstellt, falls Fristen drohen. Informieren Sie Ihren Anwalt proaktiv über Abwesenheiten, um die Behauptung einer Notlage zu verhindern. Nehmen wir an, Sie besprechen die Strategie telefonisch: Senden Sie Ihrem Anwalt direkt im Anschluss eine E-Mail mit dem Betreff „Zusammenfassung und Bestätigung“, in der Sie die besprochenen Entscheidungen und das Fehlen eines Berufungsauftrags festhalten. Lassen Sie sich alle wichtigen Beschlüsse oder Fristgespräche als Protokoll zusenden, um maximale Klarheit zu schaffen.

Gehen Sie niemals davon aus, dass Ihr Anwalt von sich aus das Richtige tun wird; die letztendliche Entscheidung über die Fortführung eines Verfahrens liegt immer bei Ihnen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Juristisches Glossar: Symbolbild der Justitia mit Waage und Richterhammer.

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Fürsorgepflicht

Die anwaltliche Fürsorgepflicht ist die zentrale Treuepflicht des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten, die ihn dazu anhält, die Interessen des Klienten bestmöglich zu wahren und unnötige Risiken zu vermeiden. Das Gesetz schützt damit den Mandanten, der als juristischer Laie auf das Fachwissen seines Beistands vertrauen muss; dies beinhaltet die Pflicht zur umfassenden Aufklärung und zur Wahl des kostengünstigsten Weges.

Beispiel: Im vorliegenden Fall verletzte der Anwalt seine Fürsorgepflicht, weil er für den bedürftigen Mandanten nicht primär den risikoarmen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellte.

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Prozesskostenhilfe (PKH)

Prozesskostenhilfe, oft als PKH abgekürzt, ist eine staatliche Leistung, die finanziell bedürftigen Personen ermöglicht, ihre Rechte vor Gericht zu verfolgen oder sich zu verteidigen, ohne die Gerichtskosten und Anwaltsgebühren tragen zu müssen. PKH gewährleistet die Waffengleichheit vor Gericht und sichert das Grundrecht auf einen effektiven Rechtsschutz, indem sie einkommensschwachen Bürgern den Zugang zur Justiz öffnet, vorausgesetzt das Verfahren hat hinreichende Erfolgsaussichten.

Beispiel: Da der Beklagte bereits Prozesskostenhilfe für die erste Instanz erhielt, wusste der Anwalt um die Bedürftigkeit und hätte diesen Umstand bei der Strategieplanung zwingend berücksichtigen müssen.

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Prozessvollmacht

Die Prozessvollmacht ist die formelle Ermächtigung, die ein Mandant seinem Rechtsanwalt erteilt und die den Anwalt formal berechtigt, im Namen des Klienten Prozesshandlungen vorzunehmen, auch in höheren Instanzen wie der Berufung. Diese Vollmacht dient der Verfahrensvereinfachung, da Gerichte nicht bei jedem Schriftsatz prüfen müssen, ob der Anwalt gerade einen spezifischen Auftrag hat; sie ist die äußere Legitimation gegenüber dem Gericht.

Beispiel: Obwohl die Prozessvollmacht den Anwalt zur Einlegung der Berufung formal berechtigte, rechtfertigte sie nicht sein Handeln ohne den klaren Willen des Mandanten.

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Veranlasserprinzip

Dieses Veranlasserprinzip ist ein ungeschriebener Grundsatz im deutschen Prozessrecht, der festlegt, dass diejenige Person die unnötigen Verfahrenskosten tragen muss, die diese Kosten durch ihr Verhalten kausal verursacht hat. Dieses Prinzip sorgt für Fairness bei der Kostenverteilung und wird aus den allgemeinen Kostenvorschriften der Zivilprozessordnung abgeleitet, um zu verhindern, dass Parteien für nutzlose Prozesse Dritter aufkommen müssen.

Beispiel: Weil der Anwalt die Berufung ohne Auftrag des Mandanten einlegte und damit den Verfahrensaufwand initiierte, sah das Kammergericht Berlin ihn als Veranlasser der entstandenen Gerichtskosten an.

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Vollmachtsmissbrauch

Juristen nennen Vollmachtsmissbrauch das Handeln eines Bevollmächtigten, der zwar formal im Rahmen seiner erteilten Prozessvollmacht agiert, dies aber intern entgegen den klaren Anweisungen oder den objektiv feststellbaren Interessen des Mandanten tut. Obwohl die Handlung nach außen gegenüber dem Gericht wirksam ist, verletzt sie die vertraglichen Pflichten des Anwalts gegenüber seinem Klienten, was eine Haftung nach sich ziehen kann.

Beispiel: Die Einlegung der Berufung ohne ausdrückliche Beauftragung durch den mittellosen Mandanten stellte laut Gericht einen klaren Vollmachtsmissbrauch dar.

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Das vorliegende Urteil


KG – Az.: 20 U 78/25 – Beschluss vom 17.09.2025


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