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Anwaltshaftung wegen nicht zurückgenommener Berufung

AG Frankfurt – Az.: 32 C 807/21 (92) – Urteil vom 22.07.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die klagende Rechtsschutzversicherung begehrt von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz aus übergegangenem Recht.

Der Beklagte vertrat die bei der Klägerin jeweils rechtsschutzversicherten Zeugen … und … sowie … und … in dem gegen ein erstinstanzlich klageabweisendes Urteil gerichteten Berufungsverfahren vor dem OLG Stuttgart mit dem Aktenzeichen …. Die Klägerin hatte zuvor Kostendeckung für diesen Rechtszug erteilt. Mit Hinweisbeschluss vom 09.01.2017 (Anlage K 4, Bl. 19-21 d. A.) wies das OLG Stuttgart darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und stellte den Klägern anheim, die Berufung zwecks Kostenersparnis innerhalb der mit dem Beschluss gesetzten Frist zurückzunehmen. Nachdem eine Reaktion des Beklagten ausblieb, wies der Senat mit Beschluss vom 06.02.2017 die Berufung zurück. In der Folge fielen Gerichtsgebühren aus einem Streitwert von EUR 52.844,70 in Höhe von EUR 2.664,00 (4,0-fache Gebühr) an, die die Klägerin für ihre Versicherungsnehmer verauslagte.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die Zeugen nicht über den Inhalt sowie Folgen des Hinweisbeschlusses des OLG Stuttgart einschließlich der wirtschaftlichen Folgen der Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels belehrt. Die Klägerin ist daher der Ansicht, dass der Beklagte in Höhe der Differenz zu denjenigen Gebühren haftet, die bei einer Rechtsmittelrücknahme entstanden wären (mithin in Höhe einer 2,0-fachen Gebühr).

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.332,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Mai 2019 zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 17,25 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02. Juli 2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Versicherungsnehmer hätten in Kenntnis und nach erfolgter Belehrung, wonach wahrscheinlich mit einer Zurückweisung zu rechnen sei, eine streitige Entscheidung wegen der bestehenden Kostendeckung in der Sache gewünscht.

Das Gericht hat Beweis erhoben – gemäß Beweisbeschluss vom 18.05.2021 (vgl. Bl. 93 d. A.) – durch die Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen …, … und …. Der weiterhin im Beweisbeschluss vom 18.05.2021 bezeichnete Zeuge … ist verstorben. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird hinsichtlich der Zeugenaussage auf das Sitzungsprotokoll vom 13.07.2021 (Bl. 139-140 d. A.) verwiesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2021, 22.06.2021 und 13.07.021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 675 BGB, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG aus übergangenem Recht im Hinblick auf eine Verletzung der anwaltlichen Pflichten des Beklagten in Bezug auf die Rechtsberatung der bei der Klägerin versicherten Zeugen …, sowie … und ….

Voraussetzung eines solchen Anwaltshaftungsanspruchs ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts bei seiner Anwaltstätigkeit, wobei sein Tun oder Unterlassen zu einem Nachteil für den Mandanten geführt haben muss (vgl. BeckOK BGB/Fischer, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 675 Rn. 29 m. w. N.). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist nach den allgemeinen Beweisregeln der Mandant, im Falle von § 86 VVG die – wie hier – klagende Rechtschutzversicherung darlegungs- und beweisbelastet.

Soweit die Klägerin behauptet, der Beklagte habe ungenügend über die Folgen des Hinweisbeschlusses vom 09.01.2017 sowie die kostenmindernden Möglichkeiten der anheimgestellten Rechtsmittelrücknahme aufgeklärt, so kann dies nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich eine haftungsrelevante Pflichtverletzung begründen. Denn der Rechtsanwalt ist in einem solchen Fall gehalten, seinen Mandanten in einer ihm verständlichen Art und Weise über den Inhalt des Hinweises, die tragenden rechtlichen Erwägungen des hinweisenden Gerichts einschließlich deren Bewertung, die zur Verfügung stehenden Rechtsmittelmöglichkeiten oder anderweitige prozessualen Beendigungsmöglichkeiten einschließlich ihrer jeweiligen Risiken sowie der wirtschaftlichen Folgen für den Mandanten zu belehren. Droht der Rechtsstreit unanfechtbar verloren zu werden, muss er die günstigste prozessuale Beendigungsmöglichkeit aufzeigen. Dabei obliegt es dem Rechtsanwalt grundsätzlich auch, sofern er – wie hier – Kenntnis von einer Rechtsschutzversicherung hat, auf etwaige erkennbaren Auswirkungen im Versicherungsverhältnis hinzuweisen (so etwa im Falle von bedingten Deckungszusagen o. ä.). Diese Verpflichtung trifft den Rechtsanwalt indes im Verhältnis zu seinen Mandanten, ohne eine irgend gelagerte „Drittschutzwirkung“ gegenüber dem Rechtsschutzversicherer.

Eine derartige Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten steht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme indes nicht wie erforderlich zur zweifelsfreien Überzeugung des Gerichts im Sinne von § 286 ZPO fest.

Zwar vermochte das Gericht den konkreten Inhalt der auf den Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 09.01.2017 hin durch den Beklagten erfolgten Belehrung gegenüber den Versicherungsnehmern der Klägerin nicht mehr inhaltlich nachzuvollziehen. So war der zunächst als Zeuge benannte … noch im Vorfeld der Beweisaufnahme verstorben. Der Zeuge … hat betreffend die Aufklärung durch den Beklagten im Zusammenhang mit dem Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 09.01.2017 bekundet, lediglich über seinen verstorbenen Schwager … darüber informiert worden zu sein, der für sämtliche Versicherungsnehmer den Kontakt zum Beklagten gehalten habe. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass es eine negative Rückmeldung des Gerichts gegeben habe. Man habe dennoch, da man eine Rechtsschutzversicherung hatte und deshalb keine Kosten erwartete, sich gemeinsam dazu entschieden, dass man die abschlägige Entscheidung haben wolle. Auch konnten die des Weiteren gehörten Zeuginnen … und …, die jeweils glaubhaft bekundet haben, an der anwaltlichen Beratung selbst nicht teilgenommen, diese vielmehr ihren Ehemännern, dem verstorbenen … sowie … überlassen zu haben, nicht zur Sache beitragen.

Unter Berücksichtigung dieser glaubhaften Einlassungen der Zeugen kann das Gericht nicht – wie erforderlich – zweifelsfrei annehmen, dass der Beklagte keine ordnungsgemäße Belehrung erteilt hätte. Insbesondere spricht Einiges dafür, dass jedenfalls die Mehrkosten einer streitigen Entscheidung zum Gegenstand der Erörterung gemacht wurden, ihre Hinnahme jedoch von den Versicherungsnehmern wegen des bestehenden Versicherungsschutzes explizit gewollt war. Ein derartiges Verhalten ist indes nicht ungewöhnlich, mag es im Einzelfall durch sachliche Gründe gerechtfertigt (so etwa präjudizielle Wirkung der Entscheidung für weitere Geschäftsvorgänge o. ä.) oder einfach dem Umstand geschuldet sein, dass fremdes Geld (namentlich das des Rechtschutzversicherers) ohne „Rücksicht auf Verluste“ ausgegeben wird.

Die Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

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