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Verkehrsicherungspflicht – Übertragung auf Anlieger per Satzung

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Az.: 1  U 62/03

Verkündet am 19.11.2003

Vorinstanz: Landgericht Limburg a. d. Lahn – Az.: 2 O 406/02


In dem Rechtsstreit hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2003 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.2.2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Limburg abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.250 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.4.2002 zu zah­len. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe:

I. Die Parteien streiten vor Allem um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger für bei einem Sturz auf schneeglatter Fahrbahn erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld zu zahlen.

Die Beklagte beruft sich insbesondere darauf, sie habe den Winterdienst mit ihrer Straßenreinigungssatzung (Bl. 43 ff. d. A.) auf die Anlieger übertragen. Die Satzung enthält folgende Bestimmungen:

„§ 1 Übertragung der Reinigungspflicht

(1)  Die Verpflichtung zur Reinigung der öffentlichen Straßen nach § 10 Abs. 1 – 3 des Hessischen Straßengesetzes wird nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen auf die Eigentümer und Besitzer der durch öf­fentliche Straßen erschlossenen bebauten oder unbebauten Grundstü­cke übertragen.

(2)  (…)

§ 2 Gegenstand der Reinigungspflicht

(…)

(3)  Gehwege im Sinne dieser Satzung sind die für den Fußgängerverkehr entweder ausdrücklich oder ihrer Natur nach bestimmten Teile der Straße, ohne Rücksicht auf ihren Ausbauzustand und auf die Breite der Straße (z. B. Bürgersteige, unbefestigte Gehwege, zum Gehen geeig­nete Randstreifen, Bankette, Sommerwege) sowie räumlich von einer Fahrbahn getrennte selbständige Fußwege.

(…) § 10 Schneeräumung

(1) Neben der allgemeinen Straßenreinigungspflicht §§6-9) haben die Verpflichteten bei Schneefall die Gehwege vor ihren Grundstücken (§ 7) in einer solchen Breite von Schnee zu räumen, daß der Verkehr nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt wird.

(…)

§ 11 Beseitigung von Schnee- und Eisglätte (…)

(3) Bei Schneeglätte braucht nur die nach § 10 zu räumende Fläche abge­stumpft zu werden.“

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei infolge wirksamer Übertragung ihrer Räum- und Streupflicht auf die Anlieger nicht passiv legitimiert. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen An­träge weiter. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schmerzensgeldanspruch in ausgesprochener Höhe, weil er sich bei einem Sturz verletzt hat, der auf einer Verletzung der die Beklagte treffenden Streupflicht beruhte (1.). Unbegründet ist die Berufung bezüglich des angeblichen Vermögensschadens (2.) und der Feststellung (3.).

1.  Die Beklagte schuldet dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.250 €, weil sie ihre Streupflicht verletzt hat (Art. 34 GG i. V. m. §§ 839, 847 BGB).

a)   Die Vernehmung der Zeugin X hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass der Kläger am 27.12.2001   auf der schneeglatten  Fahrbahn des …wegs, einer Gemeindestraße, gestürzt ist. Die Beklagte hatte dort un­streitig seit dem 20.12.2001 keinen Schnee mehr geräumt und – ebenso unstreitig – nicht mit abstumpfenden Mitteln gestreut. Aus dem ärztlichen Attest des Y vom 3.7.2002 (Bl. 6 f. d. A.), das der Senat mit Zustimmung der Parteien urkundsbeweislich verwertet hat, ergibt sich, dass der Kläger durch diesen Sturz Prellungen des Bewegungsapparates und mutmaßlich einen Rippenbruch erlitten hat, Verletzungen, deren Heilung sich bei ihm angesichts seines gesegneten Alters länger hinzog. Für darüber hinaus gehende Verletzungen ist der Kläger beweisfällig geblieben; einzelne von ihm angegebene Beschwerden sind ausweislich des Attestes zweifelhaft und nicht auf den streitgegenständlichen Unfall zurück zu führen.

b)   Rechtsirrig ist die Ansicht der Beklagten, sie habe den …weg angesichts seiner untergeordneten Verkehrsbedeutung weder räumen noch streuen müssen.

(1)  Hinsichtlich des Umfangs der Streupflicht ist zwischen Fahrbahnen und Fußgängerwegen zu differenzieren (vgl. BGH VersR 1966, 90, 92). Letztere sind innerorts grundsätzlich zu räumen und zu streuen, wenn sie nicht nur eine Freizeit-, sondern auch eine Erschließungsfunktion haben (vgl. OLG Hamm OLGR 2001, 244, 245; OLG Düsseldorf OLGR 1993, 257; anderer Ansicht – nicht nach Fahrbahnen und Gehwegen differenzierend- OLG Frankfurt am Main, Urteile vom 20.4.1990-25 U 256/89, OLGR 1992, 38, 39, und vom 21.5.1992 – 15 U 297/90, OLGR 1992, 91, 93); in der Regel sollen innerorts alle Anwesen zu Fuß sicher zu erreichen sein (OLG Düsseldorf OLGR 1998, 284, 285; Schmid NJW 1988,3177,3181).

(2)  Der …weg erschließt die dortigen Wohnhäuser. Für den Umfang der Winterdienstpflicht kommt es nicht darauf an, ob ein Bürgersteig baulich abgetrennt ist oder ob eine Anliegerstraße den Fußgängerverkehr ohne eine derartige Trennung aufnimmt.

(3)  Es fehlt an besonderen Umständen, die es als für die Beklagte unzu­mutbar erscheinen ließen, die Unfallstelle bis zur Unfallzeit abzustreuen.

c)  Die Beklagte ist passiv legitimiert. Sie hat ihre Streupflicht für den …weg nicht wirksam auf die Anlieger übertragen.

(1)  Die Verkehrssicherung für eine Gemeindestraße einschließlich des Winterdienstes obliegt grundsätzlich der Gemeinde. Die auf Gehwege bezogene uneingeschränkte Räum- und Streupflicht nach § 10 Abs. 3 HStrG kann zwar nach § 10 Abs. 5 HStrG auf die Anlieger abgewälzt werden. Das setzt aber eine klare, inhaltlich bestimmte Satzungsrege­lung voraus; die Pflichten des Anliegers müssen zweifelsfrei umschrie­ben werden, so dass er weiß, wo er bei Glätte streuen muss (vgl. OLG Hamm OLGR 2001, 242, 244; OLG Köln VersR 1988, 827).

(2)  Diese Klarheit lässt die Satzung der Beklagten vermissen. Zum Einen ist zweifelhaft, ob § 2 Abs. 3 der Satzung den vorliegenden Fall einer kleinen Straße ohne Bürgersteig, Randstreifen o. Ä. umfasst. Zum An­deren beschreiben §§ 11 Abs. 3, 10 Abs. 1 der Satzung die zu bestreu-

ende Fläche für den Fall der Schneeglätte nur nach Art einer Generalklausel.

d) Die festgestellten Verletzungen des Klägers rechtfertigen nur ein Schmer­zensgeld in ausgesprochener Höhe. Dieses ist infolge fruchtloser Mahnung zum 31.3.2002 nach §§ 286, 288 BGB zu verzinsen.

2.   Der Klageantrag zu 2. ist unbegründet, weil der Zuzahlung des Klägers für die stationäre Behandlung in Höhe von 9 € täglich entsprechende Ersparnisse bei der häuslichen Verpflegung gegenüber stehen.

3.   Der Feststellungsantrag ist unbegründet, weil der Kläger bei dem streitgegen­ständlichen Unfall letztlich noch Bagatellverletzungen davon getragen hat, die ausweislich des vorgelegten Attestes komplikationslos ausgeheilt sind. Mit nennenswerten Spätfolgen muss der Kläger vernünftigerweise nicht rechnen.

4.   Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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