Ein ganzes Stadtviertel als Anwohner?
Rechtsanwaltskanzlei als Anwohner?
BVerwG
Az: 11 C 24.93
Urteil vom 28.09.94
Normen
– StVG § 6 Abs. 1 Nr. 14;
– StVO § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2
Leitsätze:
»Ein Rechtsanwalt, der in einer anwohnerparkberechtigten Straße seine Kanzlei hat, aber dort nicht wohnt, ist kein Anwohner im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO.«
Gründe (Auszug):
„Eine Definition des Begriffs »Anwohner« enthält weder das Straßenverkehrsgesetz noch die Straßenverkehrsordnung. In den … Allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist dieser Begriff dahin erläutert, daß Anwohner nur diejenigen Personen sind, die in dem in Betracht kommenden Gebiet »tatsächlich wohnen« (vgl. Abschnitt IX Nr. 1 VwV-StVO zu § 45 StVO). Dieses Verständnis entspricht dem Wortsinn: »Anwohner« ist nicht der Anlieger, ferner auch nicht derjenige, der im Bereich des anwohnerberechtigten Parkens einer Berufstätigkeit nachgeht und dort nur – selbständig oder unselbständig – »arbeitet«. Diese Differenzierung zwischen »Wohnen« und »Arbeiten« wird durch den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG bestätigt, der nur zugunsten von Schwerbehinderten und Blinden zur Schaffung von Parkmöglichkeiten in der Nähe ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstätte ermächtigt. Das BVerwG ist deshalb bereits in seinem Beschluß vom 3.5.1985 (NJW 1985, 3092 [= DRsp II (286) 200 d-e]) von einem engen Anwohnerbegriff ausgegangen und hat entschieden, daß die Auslegungsregel in den vorgenannten Verwaltungsvorschriften zum Begriff des Anwohners rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Diese Auslegung des Anwohnerbegriffs entspricht auch der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck von § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG und § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO. Die Änderung dieser Vorschriften ist – wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 6 StVG ergibt – deshalb erfolgt, weil die bisherige Verordnungsermächtigung des § 6 StVG nicht ausreichte, Parkbeschränkungen zugunsten von Anwohnern, Blinden und Schwerbehinderten in der StVO vorzusehen, obwohl sich in der Praxis ein dringendes Bedürfnis hierfür ergeben hatte (vgl. VerkBl 1980, 241, 245). In dieser Begründung heißt es ferner: »Die Parkraumsituation der Anwohner innerstädtischer Wohnstraßen muß verbessert werden, um die innerstädtischen Wohngebiete wieder attraktiver zu gestalten. Die Parkraumnot erschwert die Lebensumstände der dortigen Wohnbevölkerung in besonderem Maße und bildet ein entscheidendes Hindernis für die Verbesserung des Wohnumfeldes und damit für die Erhaltung und Modernisierung dieser Wohngebiete … . Die vorgesehene Ermächtigung ist daher ein geeigneter Beitrag, den städtebaulich nicht zu verantwortenden Folgen der Stadtumlandwanderung entgegenzuwirken. Sie stellt eine notwendige Maßnahme im Zusammenhang mit den Bemühungen von Bund und Ländern um eine attraktivere Gestaltung innerstädtischer Wohngebiete dar« … . Hierin kommt klar zum Ausdruck, daß es dem Gesetzgeber um Parkmöglichkeiten allein für die in dem betreffenden Gebiet »Wohnenden« nicht auch um Parkgelegenheiten für die dort Beschäftigten gegangen ist. Der Kl., der in dem fraglichen Gebiet seine Rechtsanwaltskanzlei hat, aber dort nicht wohnt, ist demnach kein Anwohner i.S. des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO … . Er hat deshalb auch keinen Anspruch auf einen »eingeschränkten« Anwohner-Parkausweis.“
BVerwG
Az: 3 C 6.90
Urteil vom 12.11.92
Normen
-StVO § 42 Abs. 4 (Zeichen 314), § 45 Abs. 1b;
– StVO § 42 Abs. 4 (Zeichen 314), Abs. 6,
§ 41 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7, Abs. 4,
§ 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2
Leitsätze:
A. Der Begriff „Anwohner“ i.S.d. § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2 StVO ist jedenfalls dann nicht mehr erfüllt, wenn Bewohner eines ganzen Stadtviertels, eines gesamten Stadtquartiers, eine flächendeckende Parksonderberechtigung erhalten.
B. 1. Die Verwendung grüner Fahrbahnmarkierungen im Zusammenhang mit der Aufstellung des Verkehrszeichens Nr. 314 (Parkplatz) führt zur Unbestimmtheit der durch dieses Verkehrszeichen auf einer Straße verkörperten verkehrsrechtlichen Anordnung.
2. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 StVO ermöglicht jedenfalls nicht die Schaffung einer flächendeckenden Parksonderberechtigung für die Bewohner eines ganzen Stadtviertels, hier eines Gebiets von ca. 1 qkm. Wie weit der Kreis der Anwohner im übrigen zu ziehen ist, bleibt offen.
Gründe (Auszug):
„Die verkehrsrechtliche Anordnung, die durch das Aufstellen des Verkehrszeichens Nr. 314 nebst Zusatzschild und das Anbringen der grünen Fahrbahnmarkierung vor dem Betriebsgrundstück der Kl. zum Ausdruck kommt, ist formell rechtswidrig. Die Verwendung einer grünen Fahrbahnmarkierung widerspricht … eindeutig den Bestimmungen der StVO. Aus § 41 Abs. 1 und § 42 Abs. 6 StVO folgt, daß nur weiße Markierungen auf der Straßenoberfläche angebracht werden dürfen, um Gebote oder Verbote zum Ausdruck zu bringen. Die Ausnahme nach § 41 Abs. 4 StVO hinsichtlich vorübergehender Fahrstreifenbegrenzungen … liegt erkennbar nicht vor. Die Möglichkeit spezieller Parkflächenmarkierungen – in weißer Farbe – eröffnet darüber hinaus § 41 Abs. 3 Nr. 7 StVO … .
Die fehlerhafte grüne Fahrbahnmarkierung hat zur Folge, daß das Verkehrszeichen Nr. 314 seinerseits nicht mehr hinreichend bestimmt ist. Ohne Fahrbahnmarkierung ist der Geltungsbereich des Parkplatzschildes nicht mehr feststellbar. Der Verkehrsteilnehmer weiß nicht mehr, worauf sich die Anordnung des Parkplatzes bezieht. … Die in der Beschilderung und Markierung verkörperte verkehrsrechtliche Anordnung des Bekl. ist allerdings nicht nichtig … . Denn aus dem Zusammenwirken der Beschilderung und der Straßenmarkierung kann ein Verkehrsteilnehmer nicht sofort den Schluß ziehen, daß ein Parken an der grün markierten Stelle von vornherein unsinnig und widersprüchlich ist und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Der aufmerksame und verständige Durchschnittsverkehrsteilnehmer wird vielmehr mit der vorgenommenen Beschilderung und Fahrbahnmarkierung noch einen gewissen Sinn verbinden können, so daß die verkehrsrechtliche Anordnung zwar fehlerhaft ist, aber nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet. …
Im übrigen bestehen … erhebliche Zweifel, ob die verkehrsrechtliche Anordnung mit materiellem Bundesrecht im Einklang steht. Bei vernünftiger Auslegung besagt die durch die konkrete Beschilderung und Fahrbahnmarkierung zum Ausdruck gebrachte verkehrsrechtliche Anordnung des Bekl., daß an der bezeichneten Stelle vor dem Betriebsgrundstück der Kl. jeder Bewohner des Quartiers N., also jeder, der in dem etwa 1 qkm großen Parkbereich N. wohnt …, parken kann. Die Parkbevorrechtigung für die Bewohner dieses Stadtbezirkes bedeutet für alle anderen Verkehrsteilnehmer, daß sie vom Parken an dieser Stelle ausgeschlossen sind. Der Kl., die als Gewerbetreibende vom Bekl. keine Parkberechtigung erhalten hat, ist damit gleichfalls das Parken vor ihrem Betriebsgrundstück verwehrt.
Der Senat bezweifelt, ob diese verkehrsrechtliche Anordnung, die nur einem bestimmten Personenkreis unter Ausschluß aller anderen Verkehrsteilnehmer das Parken an den gekennzeichneten Stellen gestattet, in § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 2 StVO eine tragfähige Rechtsgrundlage haben kann. Diese Norm sieht die Schaffung von Parkmöglichkeiten für Anwohner vor, wobei nach § 45 Abs.1 b Satz 2 StVO die Straßenverkehrsbehörden die Anordnung im Einvernehmen mit der Gemeinde vornehmen.
Wie auch immer der Begriff des Anwohners im Sinne dieser Bestimmung auszulegen ist, steht für den Senat jedenfalls im Ergebnis fest, daß der Anwohnerbegriff nicht mehr erfüllt ist, wenn die Bewohner eines ganzen Stadtviertels, eines gesamten Stadtquartiers, eine flächendeckende Parksonderberechtigung erhalten. … Eine großflächige Umzonung ganzer Stadtteile zu bevorrechtigten Anwohnerparkbereichen ist von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage der StVO nicht gedeckt. Wie eng die räumliche Verbindung zwischen Wohnung und dem Pkw-Abstellplatz im einzelnen dabei beschaffen sein muß, läßt der Senat offen. Man wird hier jedenfalls an einen Nahbereich denken müssen, der unter den örtlich gegebenen Umständen üblicherweise von Anwohnern zum Parken aufgesucht wird.“