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Haftung des Arbeitsgebers für fahrlässig falsche Nebenverdienstbescheinigungen


 SOZIALGERICHT DORTMUND

Az.: S 27 AL 39/01

Urteil vom 18.07.2002


In dem Rechtsstreit hat die 27. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung vom 18.07.2002 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin an Schadensersatz 28.586,34 EUR zu erstatten.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Schadensersatzanspruch von (nunmehr) 28.586,34 EUR zusteht.

Die Beklagte bewilligte dem Arbeitnehmer mit Bescheid vom 02.11.1994 auf seinen Antrag hin Arbeitslosengeld für 832 Tage ab 08.10.1994 mit Unterbrechung in Höhe von zunächst 376,80 DM wöchentlich. Hierbei wurde das angegebene gelegentliche Nebeneinkommen bei der Klägerin angerechnet. Arbeitslosengeld wurde bis zur Erschöpfung des Anspruchs (26.07.1997) gewährt und im Anschluss daran Arbeitslosenhilfe bis in das Jahr 1998 hinein.

Nach einer anonymen Anzeige im Oktober 1997, nach der Herr X seit ca. zwei Jahren vollzeitig bei der Beklagten tätig sein sollte, erstattete die Klägerin im Februar 1998 Strafanzeige und regte eine Durchsuchung u.a. der Geschäftsgebäude der Beklagten an. Bei der dann im Juli 1998 vorgenommenen Durchsuchung der Geschäftsräume der Beklagten wurden Unterlagen gefunden, nach denen der Arbeitnehmer ab 20.10.1994 mit geringen Unterbrechungen durchgehend bis 24. April 1998 vollschichtig beschäftigt war.

Nach Anhörung des Arbeitnehmers machte die Beklagte diesem gegenüber mit Bescheiden vom 17.09.1998 und vom 03.12.1998 die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit ab 20.10.1994 geltend und forderte 67.361,14 DM vom Arbeitnehmer zurück. Der gegen diese Bescheide eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 09.02.1999 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom 23.09.1999 erklärte die Beklagte die Aufrechnung gegen die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld ab 01.09.1999 in Höhe von 42,70 DM wöchentlich.

Durch Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 29.10.1999 (rechtskräftig seit dem 06.11.1999) wurde der Arbeitnehmer wegen Betruges im Zusammenhang mit der genannten Tätigkeit verurteilt. Durch Bewährungsbeschluss wurde ihm aufgegeben, nach besten Kräften den Schaden in Höhe von 66.404,14 DM auszugleichen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Staatsanwaltschaft Hagen 21 Js 490/98 verwiesen.

Mit der am 15.02.2001 vor dem Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage macht die Klägerin der Beklagten gegenüber Schadensersatz in Höhe von (nunmehr) noch 28.586,34 EUR geltend.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor: Durch die zumindest fahrlässig falschen Nebenverdienstbescheinigungen habe sie dem Arbeitnehmer zu Unrecht Arbeitslosengeld in der Zeit vom 20.10.1994 bis 25.04.1995 und 30.05.1995 bis 26.07.1997 in Höhe von 55.085,50 DM sowie Arbeitslosenhilfe in der Zeit vom 28.07.1997 bis 30.04.1998 in Höhe von 12.175,64 DM bezahlt. Der Arbeitnehmer sei hierfür erstattungspflichtig. Wegen seiner finanziellen Situation sei jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Forderung zu Lebzeiten beglichen werden könne. Es seien zunächst ab 01.09.1999 täglich 6,60 DM und seit dem 22.06.2000 täglich 10,10 DM von den laufenden Leistungen einbehalten worden und gegen den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe aufgerechnet worden. Ab dem 01.04.2001 erhalte der Arbeitnehmer Altersruhegeld von der LVA Westfalen. Diese behalte ab August 2001 monatlich 151,50 DM von der Rente ein. In der Bewährungssache des Arbeitnehmers hätten Gericht und Staatsanwaltschaft übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass eine Beleihung des Immobilienbesitzes des Arbeitnehmers für diesen eine überobligationsmäßige Belastung darstelle. Der Anregung, dem Arbeitnehmer zwecks Wiedergutmachung des Schadens aufzugeben, den Immobilienbesitz zu beleihen, könne daher nicht gefolgt werden.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 28.586,34 EUR an Schadensersatz zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte trägt vor: Es könne nicht in Abrede gestellt werden, dass die falschen Nebenverdienstbescheinigungen erteilt worden seien. Hauptsächlicher Einwand gegen die Forderung der Klägerin sei jedoch, dass sie sich zur Regulierung eines ihr eventuell entstandenen Schadens zunächst an den Arbeitnehmer selbst halten müsse. Das Bundessozialgericht habe bereits festgestellt, dass eine Haftung des Arbeitgebers nur dann in Betracht komme, wenn der Arbeitnehmer selbst auf Rückzahlung der bezogenen Leistungen in Anspruch genommen worden sei. Der Arbeitnehmer sei Miteigentümer eines Eigenheims. Eine Realisierung der Forderung ihm gegenüber erscheine daher erfolgsversprechend. Vor diesem Hintergrund müsse die Klägerin schon ein Zwangsversteigerungsverfahren betreiben, bevor sie die Beklagte in Anspruch nehme. Für sie sei im Übrigen nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Klägerin nicht in voller Höhe die Aufrechnung erklärt habe. Schließlich habe sich der Arbeitnehmer den Leistungsbezug erschlichen. Ihrer Meinung nach sei der Arbeitnehmer vor diesem Hintergrund in das vorliegende Verfahren einzubeziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf Inhalt der Gerichtsakten und der Akten der Staatsanwaltschaft Hagen 21 Js 490/98 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Schadensersatz gerichtete Klage ist in der geltend gemachten Höhe begründet.

Diese Entscheidung konnte die Kammer treffen, ohne den Arbeitnehmer über eine Beiladung in das Verfahren einzubeziehen (vgl. §§ 69, 74, 75 SGG), denn der Beklagten und dem Arbeitnehmer gegenüber liegt kein einheitlicher Streitgegenstand vor. Während dem Arbeitnehmer gegenüber die Rückabwicklung des Leistungsverhältnisses über Rücknahme und Aufhebung und Rückforderung streitig war, liegt im Verhältnis der Beteiligten dieses vorliegenden Verfahrens ein Streitverhältnis über einen davon rechtlich getrennten Schadensersatzanspruch vor. Es besteht also insoweit in diesem Fall kein rechtlicher Zusammenhang zwischen den Forderungen (so ausdrücklich BSG, SozR 4100 § 145 Nr. 3). Das (nachvollziehbare) Interesse der Beklagten an einem eventuellen Rückgriff auf den Arbeitnehmer hingegen ist nicht sozialversicherungsrechtlicher Natur.

Der Anspruch ist begründet, denn gemäß § 321 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist u.a. derjenige, der fahrlässig eine Nebeneinkunftsbescheinigung nicht richtig oder nicht vollständig ausfüllt, verpflichtet der Klägerin den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn die Beklagte bzw. die für sie tätige Arbeitnehmerin hat zugestandenermaßen die der Klägerin über den Arbeitnehmer erteilten Nebenverdienstbescheinigungen nicht richtig oder nicht vollständig ausgefüllt. Dieser Tatbestand ist erfüllt, weil durch die Nebenverdienstbescheinigung der Eindruck von geringfügig entlohnten Tätigkeiten in einem zeitlichen Rahmen unterhalb der Grenze der Kurzzeitigkeit erweckt worden ist.

Der mit der Klage (noch) geltend gemachte Betrag von (nunmehr) 28.586,34 EUR war daher als der daraus entstandene Schaden zu ersetzen. Hierzu zählen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur konkret die Leistungen von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe für alle Tage, an denen der Arbeitnehmer seiner Schwarzarbeit nachgegangen ist, sondern der gesamte Zeitraum vom 20.10.1994 bis 30.04.1998, für den der Arbeitnehmer Leistungen erhalten hat. Der Arbeitnehmer hat nämlich schon wegen der Nichtanzeige seiner Vollzeitbeschäftigung den Anspruch auf Leistungen bis zur erneuten Arbeitslosmeldung nach Beendigung der Schwarzarbeit verloren. Hat nämlich der Arbeitslose die Arbeitsaufnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht mitgeteilt, rechtfertigt diese Verletzung der Mitteilungspflicht die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen über die Dauer der Zwischenbeschäftigung hinaus bis zur erneuten Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzung, d.h. insbesondere der Arbeitslosmeldung und des Leistungsantrags (so ausdrücklich BSG, SozR 3 – 4100 § 105 Nr. 2).

Der Anspruch der Klägerin ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nicht nach den Grundsätzen über die Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB ausgeschlossen. Die Kammer folgt hierbei nicht voll der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.10.1983, Az.: 7 RAr 41/82 (SozR 4100 § 145 Nr. 3), wenn diese so zu verstehen sein sollte (andere Ansicht wohl auch BSG SozR 3 – 4100 § 145 Nr. 1), dass die Bundesanstalt für Arbeit den Arbeitgeber erst dann in Anspruch nehmen kann, wenn und soweit alle Möglichkeiten zum Vorgehen gegen den zu Unrecht begünstigten Arbeitnehmer einschließlich Vollstreckung erfolglos geblieben sind. Diese Auslegung würde in Fällen der vorliegenden Art dazu führen, dass sowohl bei Schwierigkeiten in der Feststellung des Rückabwicklungsanspruches gegenüber dem begünstigten Arbeitnehmer als auch bei zeitaufwändigen Vollstreckungen insbesondere höherer Beträge regelmäßig die nach der Rechtsprechung geltende Verjährungsregelung des § 852 BGB (drei Jahre) den Anspruch gegen den Aussteller der falschen Bescheinigung verhindern würde. Hierfür kann die Kammer keinen sachlichen Grund erkennen, weil die Heranziehung der Reihenfolge – also die Frage, wer letztlich den Schaden trägt – durchaus im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgetragen werden kann. In dieses Innenverhältnis gehört die Frage der Natur der Sache nach auch hin.

Der Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge aus § 193 SGG stattzugeben.

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