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Arbeitnehmerüberwachung durch Detektiv – Kündigung


Hessisches Landesarbeitsgericht

Az: 6 Sa 1593/08

Urteil vom 01.04.2009


In dem Berufungsverfahren hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 6, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 01. April 2009 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 10. Juli 2008 – 3 Ca 173/08 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der am 20. Juni 1955 geborene, verheiratete und drei Kindern im Alter von 11, 19 und 25 Jahren unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 04. November 1987 bei der Beklagten als Stahlschweißer beschäftigt.

Die Beklagte ist ein tarifgebundenes Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Sie produziert und vertreibt automatische Türsysteme für Straßen- und Schienenfahrzeuge.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 29. November 2007 zum 31. Mai 2008. Über die Wirksamkeit dieser Kündigung ist mit dem Aktenzeichen 3 Ca 513/07 ein Rechtsstreit beim Arbeitsgericht Kassel anhängig. Die betriebsbedingte Kündigung vom 29. November 2007 wurde ausgesprochen, nachdem die Betriebsparteien im Rahmen von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan sich am 15. Oktober 2007 über den Abbau von mehr als 60 Arbeitsplätzen verständigten, und darauf, die zu kündigenden Arbeitnehmer, u.a. den Kläger, namentlich zu bezeichnen.

Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigungen auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs mit Namensliste erhöhte sich der Krankenstand innerhalb der Belegschaft der Beklagten. Der Kläger war arbeitsunfähig erkrankt vom 05. September bis 05. Oktober 2007, vom 17. Oktober bis 16. November 2007, vom 08. Januar bis 18. Februar 2008 und vom 06. März bis 04. April 2008. Die Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten für den Kläger endete am 15. März 2008. Die Beklagte entschloss sich, wegen des angestiegenen Krankenstandes zu dessen Überprüfung einen Detektiv einzuschalten. Dieser sollte u.a. auch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers überprüfen. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Detektiv den Kläger am 19. März 2008 zwischen 12.00 Und 13.30 Uhr in einer Spielhalle antraf. Der Kläger hat sich dahingehend eingelassen, dass er die Spielhalle aufsuchte um seinen Sohn zu suchen. Er habe deshalb auch die Gäste der Spielhalle nach dem Verbleib seines Sohnes befragt und – weil ohnehin nicht unter Zeitdruck stehend – habe er auch noch das eine oder andere Wort gewechselt. Unstreitig ist weiter auch, dass der Detektiv mit dem Kläger ein Gespräch am Telefon führte. Die Beklagte hat zum Inhalt des Telefongesprächs vorgetragen, dass der Detektiv unter dem Vorwand, sich in der Telefonnummer geirrt zu haben, dem Kläger mitteilte, dass er sich mit einer anderen Person zum Arbeiten bei ihm verabredet hätte, und dass diese Person noch nicht da sei. Daraufhin habe der Kläger dem Detektiv sofort seine Dienste und seine Person zum Arbeiten angeboten. Der Kläger habe den Detektiv gefragt, für welche Tätigkeit er die andere Person denn suche. Der Detektiv habe dem Kläger erklärt, dass er jemanden suche für einen Innenausbau, und zwar zum Wände einreißen, Mauern und für Malerarbeiten. Der Kläger habe dem Detektiv mitgeteilt, dass er auch Mauern könnte und auch mit Malerarbeiten hätte er kein Problem. Der Kläger habe weiter gefragt, was man ihm denn zahlen würde und erklärt, er könne sofort anfangen. Auf die Frage des Detektivs, warum er sofort anfangen könne, ob er denn arbeitslos sei, habe der Kläger erklärt, dass er zurzeit krank sei und sofort für diese Arbeiten zur Verfügung stehe. Ohne darum gebeten worden zu sein, habe der Kläger dem Detektiv seine private Handynummer gegeben und ihm erklärt, wenn er niemanden bekäme, dann solle er unbedingt beim Kläger zurückrufen. Der Kläger hat sich zum Inhalt des Telefongesprächs dahingehend eingelassen, dass er darauf hingewiesen habe, dass er dem Detektiv nicht helfen könne, da er seit über 20 Jahren im Metallbau tätig wäre und daher solche Arbeiten wie vom Detektiv beschrieben für ihn fremd wären. Er habe aber dem Detektiv erklärt, dass er möglicherweise seinen Bruder bzw. andere Kollegen fragen könnte, ob diese solche Arbeiten ausführen würden. Aus diesem Grund habe er dem Detektiv auch seine Handynummer gegeben, damit dieser bei ihm anrufen könne, soweit er keinen anderen Helfer finden würde.

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 20. März 2008 (Bl. 27, 28 d.A.) den im Betrieb gewählten Betriebsrat zur außerordentlichen – hilfsweise ordentlichen – Kündigung des Klägers wegen des Verdachts auf genesungswidriges Verhalten im Hinblick auf den Aufenthalt in der Spielhalle an. Mit Schreiben vom 02. April 2008 (Bl. 31, 32 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer außerordentlichen – hilfsweise ordentlichen – Kündigung im Hinblick auf das Angebot von Schwarzarbeit während der Krankheit an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 26. März und 03. April 2008 (Bl. 29, 30 und Bl. 33 d.A.), weil er die Ansicht vertrat, dass ein genesungswidriges Verhalten nicht vorliege und weil er meinte, dass die Möglichkeit einer Verwechslung bestehe; der Bruder des Klägers führe solche Arbeiten aus, wie der Kläger sie angeboten haben soll. Der Betriebsrat vertrat außerdem die Ansicht, dass die außerordentliche Kündigung im Hinblick auf den Verlust der Abfindungszahlung aus dem Sanierungstarifvertrag vom 13. Oktober 2007 und wegen drohender Sperre der Agentur für Arbeit sozial nicht gerechtfertigt sei.

Die Kenntnis über den Inhalt des Telefonats zwischen dem Kläger und dem Detektiv erhielt die Beklagte in der Person des Personalleiters aufgrund des schriftlichen Detektivberichts vom 02. April 2008. Die Stellungnahme des Betriebsrats zur Anhörung vom 02. April 2004 mit Schreiben vom 03. April 2004 ist der Beklagten in der Person des Personalleiters am gleichen Tage zugegangen. Die Beklagte sprach daraufhin mit Schreiben vom 03. April 2008 zwei außerordentliche Kündigungen mit sofortiger Wirkung aus (Bl. 9, 10 d.A.). Hiergegen wendet sich der Kläger mit beim Arbeitsgericht am 14. April 2008 eingegangener und der Beklagten am 15. April 2008 zugestellter Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die beiden Kündigungen der Beklagten vom 03. April 2008 nicht außerordentlich, fristlos aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund rechtmäßiger außerordentlicher Kündigung geendet hat. Die zur außerordentlichen Kündigung berechtigende schwerwiegende Vertragsverletzung sieht die Beklagte einmal wegen genesungswidrigen Verhaltens des Klägers bzw. wegen Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass kein genesungswidriges Verhalten vorliege und auch keine Umstände gegeben seien, die die Annahme der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen könnten, da nämlich unzutreffend sei, dass er Schwarzarbeit angeboten habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. Juli 2008 stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat zunächst gemeint, die Beklagte habe mit dem Vorwurf, der Kläger habe Schwarzarbeit während seines Krankheitsstandes angeboten, ein wettbewerbswidriges Verhalten des Klägers gerügt. Einen Wettbewerbsverstoß hat das Arbeitsgericht im Weiteren verneint. Das Arbeitsgericht hat weiter gemeint, dass ein Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf damit zu Unrecht beanspruchte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als Kündigungsgrund ausscheide, weil der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers im Krankheitsfall am 19. März 2008 bereits beendet war. Das Arbeitsgericht hat weiter gemeint, dass das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als Kündigungsgrund damit nur noch im Hinblick auf das Zurückhalten der Arbeitsleistung des Klägers relevant sein könnte. Die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten unterstellt, bliebe aber festzustellen – so das Arbeitsgericht -, dass es tatsächlich zur Aufnahme von Schwarzarbeit nicht gekommen sei; es bliebe daher völlig offen, wie der Kläger sich im Weiteren verhalten hätte, sich die Sache möglicherweise anders überlegt hätte oder tatsächlich andere Personen die Arbeiten ausführen sollten. Ein genesungswidriges Verhalten des Klägers aufgrund des Besuchs einer Spielhalle hat das Arbeitsgericht ebenso verneint. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zur Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung vom 01. April 2009 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht verkenne, dass der Kläger durch das Anbieten seiner Dienste in eigener Person dokumentiert habe, dass er körperlich gesund sei. Dies lasse den Schluss zu, dass die von einem Sportmediziner attestierte Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht war und der Kläger seine Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten somit zu Unrecht zurückgehalten habe. Zwar habe der Kläger – wie das Arbeitsgericht richtig festgestellt habe – keine Entgeltfortzahlung erschlichen, da er sich zum maßgeblichen Zeitpunkt schon außerhalb des 6-Wochen-Zeitraums des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG befand. Nicht gewürdigt habe das Arbeitsgericht aber den maßgeblichen Aspekt in diesem Zusammenhang, dass der Kläger durch sein Verhalten nämlich das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit nachhaltig zerstört habe. Auch der Besuch der Spielhalle während der Arbeitsunfähigkeit sei geeignet, erhebliche Vorbehalte hinsichtlich der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu rechtfertigen.

Die Beklagte hält schließlich weiter ihre Rechtsmeinung aufrecht, wonach mit dem Besuch der Spielhalle auch ein genesungswidriges Verhalten des Klägers anzunehmen ist unter Berufung auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 02. März 2006 – 2 AZR 53/05 – und vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – verweist die Beklagte darauf, dass ein arbeitsunfähig krankgeschriebener Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er habe alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Die Verletzung dieser aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers herzuleitende Pflicht sei geeignet eine Kündigung zu rechtfertigen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 10. Juli 2008 – 3 Ca 173/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und meint unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen, dass weder eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht wurde, noch ein genesungswidriges Verhalten vorgelegen habe. Richtig sei allein, dass er sich damals kurz in der Spielhalle aufgehalten habe, da er dort seinen Sohn gesucht habe. Er selbst habe in dieser Spielhalle sich allein im Rahmen dieses Aufsuchens seines Sohnes aufgehalten, nicht also um selbst zu spielen. Unzutreffend sei ebenfalls, dass er die Ausführung von ihm durchzuführender Schwarzarbeit angeboten habe. Richtig sei, dass am 19. März 2008 eine für ihn unbekannte Person bei ihm angerufen und ihm erklärt habe, er (die unbekannte Person) würde sich bezüglich der Ausführung von Arbeiten in seinem Haus in einer Notlage befinden. Unabhängig davon, dass in diesem Verhalten des Detektivs ein bewusst arglistiges Verhalten gesehen werden müsse, allein ausgerichtet auf das Ziel für die Beklagte einen Kündigungsgrund zu konstruieren, bleibe festzuhalten, dass zu keinem Zeitpunkt der Kläger irgendeine Zusage für die Aufnahme von Schwarzarbeiten abgegeben habe. Zutreffend sei allein, dass er im Rahmen dieses Gesprächs erklärt habe, dass er seinen Bruder bzw. andere Kollegen befragen könne, ob diese solche Arbeiten ausführen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, namentlich den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 04. November 2008 (Bl. 73 – 84 d.A.), den Berufungserwiderungsschriftsatz vom 30. Dezember 2008 (Bl. 92 – 94 d.A.), die Replik der Beklagten auf die Berufungserwiderung vom 16. Februar 2009 (Bl. 95 – 97 d.A.) und die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. März 2009 überreichte schriftliche Zeugenaussage vom 01. April 2008 (Bl. 102 d.A.) verwiesen.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch eidliche Vernehmung des Detektivs, des Zeugen Engling. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01. April 2009 (Bl. 104 – 107 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 10. Juli 2008 – 3 Ca 173/08 – ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG) und außerdem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

Auch in der Sache ist die Berufung der Beklagten begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat mit Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 03. April 2008 geendet. Die außerordentliche Kündigung vom 03. April 2008 ist gem. § 626 BGB hinsichtlich des Kündigungsgrundes des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit aus wichtigem Grund gerechtfertigt und damit rechtmäßig. Die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist offensichtlich eingehalten. Der schriftliche Detektivbericht hierzu ist der Beklagten nach ihrer unwidersprochen gebliebenen Einlassung am 02. April 2008 zugegangen. Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlerhafter Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam. Nach unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beklagten ist die Stellungnahme des Betriebsrats dieser vor Ausspruch der Kündigung am 03. April 2008 zugegangen. Im Übrigen ist die Betriebsratsanhörung vom Kläger auch nicht bestritten worden.

Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung im Hinblick auf die Anforderung des § 626 Abs. 1 BGB, die hier somit allein streitentscheidend ist, geht das Berufungsgericht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes wird dabei durch eine abgestufte Prüfung in zwei Stufen vollzogen. Zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben, sodann ist zu untersuchen, ob die Kündigung auch bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist. Dabei folgt das Berufungsgericht dem Arbeitsgericht auch insoweit, als es die Ansicht des Arbeitsgerichts teilt, dass der Besuch der Spielhalle im Streitfall keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Kläger sich genesungswidrig verhalten haben könnte. Anders als das Arbeitsgericht ist das Berufungsgericht aber der Ansicht, dass das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit auch dann – ohne vorherige Abmahnung – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, wenn der Arbeitnehmer mit dem Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit sich keine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber erschleicht (weil der 6-wöchige Entgeltfortzahlungszeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG bereits beendet ist), sondern „nur“ dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung vorenthält. Anders als das Arbeitsgericht ist das Berufungsgericht auch der Ansicht, dass schon die angekündigte Arbeitsbereitschaft während einer Arbeitsunfähigkeit und nicht erst das tatsächliche Durchführen von Arbeiten während der Arbeitsunfähigkeit den Beweiswert eines Arbeitsunfähigkeitsattestes erschüttern kann. Demgemäß war für das Berufungsgericht auch entscheidungserheblich, den Inhalt des streitigen Telefongesprächs durch Einvernahme des Detektivs aufzuklären.

Die Einlassung der Beklagten zur Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf die behauptete angekündigte Arbeitsbereitschaft des Klägers während seines Krankenstandes ist zunächst erheblich. Eine schwere, regelmäßig schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann insbesondere ein wichtiger Grund an sich in der erheblichen Verletzung von Hauptleistungspflichten liegen. Die Nichterbringung der Arbeitsleistung stellt die Verletzung der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers dar. Dabei wird nicht jede Nichterbringung der Arbeitsleistung – wie ein einmaliges, kurzfristiges unentschuldigtes Fehlen bereits ohne vorherige Abmahnung – eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die die Pflichtverletzung als so erheblich erscheinen lassen, dass eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses eintritt, was die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, und eine Abmahnung entbehrlich erscheinen lässt, weil der Arbeitnehmer ohne weiteres erkennen kann, dass sein Verhalten vom Arbeitgeber nicht als vertragsgemäße Erfüllung des Arbeitsverhältnisses verstanden werden wird und als so schwerwiegend angesehen werden wird, dass es der Arbeitgeber zum Anlass einer Kündigung nimmt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall – die Richtigkeit des Beklagtenvorbringens unterstellt – gegeben.

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Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit und damit das Vorenthalten der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung ist eine erhebliche, schuldhafte Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen kann. Der Arbeitnehmer verletzt mit diesem Verhalten nämlich nicht nur die von ihm geschuldete Hauptleistungspflicht. Der Arbeitnehmer verletzt mit diesem Verhalten auch die für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauensbasis zwischen den Parteien, indem er den Arbeitgeber über seine Verpflichtung zur Erfüllung der Hauptleistungspflicht täuscht, indem er vorgibt, arbeitsunfähig zu sein. Es ist auch für jeden Arbeitnehmer ohne weiteres ersichtlich, dass der Arbeitgeber die Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung aufgrund des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit als eine so schwerwiegende Vertragsverletzung ansehen wird, dass er ohne vorherige Abmahnung das Arbeitsverhältnis kündigen wird. Das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit stellt ein unredliches Verhalten des Arbeitnehmers dar, das unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit zu einer Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten führt oder nicht, die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zerstört. Entscheidend ist, dass der Arbeitnehmer nicht nur gegen seine Leistungspflichten verstößt, sondern zugleich das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit zerstört (BAG, Urteil vom 26.08.1993 – 2 AZR 153/93 – AP Nr. 112 zu § 626 BGB).

Weiter ist für den Streitfall entscheidend, dass der Arbeitgeber den außerordentlichen Kündigungsgrund darlegen und beweisen muss. Stützt der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die Kündigung auf die Behauptung, der Arbeitnehmer habe eine Krankheit lediglich vorgetäuscht, so trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt war. Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dieses in der Regel den Beweis für die Arbeitsunfähigkeit. Bezweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, dann muss er die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und notfalls beweisen, um dadurch die Beweiswerte des Attestes zu erschüttern. Ist dies dem Arbeitgeber gelungen, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derjenige Zustand ein, wie er vor Vorlage des Attestes bestand. Es ist dann wiederum Sache des Arbeitnehmers, nunmehr angesichts der Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente z.B. bewirkt haben, dass er zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem Arbeitgeber verrichten konnte, aber zu anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war. Kommt der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nach, so muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen (BAG, Urteil vom 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – a.a.O.).

Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe war die streitige Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Beklagte hat Umstände dargelegt und bewiesen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die Arbeitsunfähigkeit ab dem 19. März 2008 nur vorgetäuscht hat. Das Berufungsgericht hält es nach der durchgeführten Beweisaufnahme für erwiesen, dass der Kläger dem Zeugen seine Arbeitsleistung in Person für schwere körperliche Arbeit im Innenausbau angeboten hat. Dabei ist zunächst schon zwischen den Parteien unstreitig, dass es zu dem besagten Telefongespräch gekommen ist und im Weiteren ist zwischen den Parteien auch unstreitig, dass es sich in dem Telefongespräch um die Verrichtung von körperlicher Arbeit im Innenausbau ging. Allein streitig ist geblieben, ob der Kläger seine Arbeitsleistung in Person angeboten hat oder sich bereit erklärt hat, seinen Bruder bzw. Arbeitskollegen für eine Tätigkeit im Innenausbau zu gewinnen. Auch wenn der Zeuge sich an alle Einzelheiten des Gesprächs nach einem Jahr nicht mehr im Einzelnen erinnert und auch eingedenk des Umstandes, dass der Zeuge einräumte, dass er nicht mehr weiß, ob der Kläger seine Dienste in der Ich-Form angeboten hat oder von „wir“ gesprochen hat, hat der Zeuge doch bestätigt, dass er den Kläger gefragt habe, ob er arbeitslos sei und warum er arbeiten könne und dass der Kläger ihm gesagt habe, dass er krank sei und ihm auch mitgeteilt habe, dass er arbeiten könne. Weiter hat der Zeuge bestätigt, dass er die zu den Akten gereichte Aussage, niedergeschrieben am 01. April 2008 (Bl. 102 d.A.) nach seinem Bericht gefertigt hat. Es macht keinen Sinn, wenn der Kläger auf die Frage des Zeugen, ob er arbeitslos sei und warum er arbeiten könne erklärt hat, dass er krank sei aber trotzdem arbeiten könne, wenn die Version des Telefongesprächs des Klägers richtig sein soll, dass der Kläger nämlich lediglich seinen Bruder bzw. andere Arbeitskollegen für die vom Zeugen gewünschte Tätigkeit vermitteln wollte. Der Zeuge ist dem Berufungsgericht auch nicht unglaubwürdig erschienen. Dies gilt auch eingedenk des Umstandes, dass er seine Zeugenaussage hinsichtlich des Zustandekommens der Anlage Bl. 102 d.A. im Verlauf der Vernehmung berichtigt hat. Das Berufungsgericht sieht auch keinen rechtlichen Gesichtspunkt, unter dem die Einvernahme des Zeugen unrechtmäßig sein sollte bzw. die Verwertung der Zeugenaussage ausgeschlossen sein soll. Ein substantiiertes Gegenvorbringen, weshalb der Kläger dem Zeugen gegenüber erklärt hat – wie nach der Beweisaufnahme feststeht -, dass er arbeiten könne, obwohl er krank sei, ist nicht erfolgt. Damit steht für das Berufungsgericht fest, dass die Aussage des Klägers insoweit zutreffend ist und er trotz einer attestierten Arbeitsunfähigkeit für Maurer- und Malerarbeiten arbeitsfähig war. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Tätigkeit von der Tätigkeit des Klägers als Stahlschweißer bei der Beklagten erheblich abweicht. Der Kläger hat insgesamt nicht anderweitig dargelegt und unter Beweis gestellt, trotz seiner durch die Beweisaufnahme bestätigten Aussagen gegenüber dem Zeugen gleichwohl arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein.

Die Interessenabwägung fällt gegen den Kläger aus. Dies gilt ungeachtet der langen Dauer des Arbeitsverhältnisses und der bestehenden Unterhaltspflichten. Die betrieblichen Interessen der Beklagten an der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwiegen. Der Arbeitgeber hat nämlich insoweit auch zu berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat. Schon ein einmaliger Fall einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit, auch wenn der Arbeitnehmer damit keine Entgeltfortzahlungskosten erschleicht, kann deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, zu der Frage der Wiederholungsgefahr weitere Umstände vorzutragen. Ein anderes Ergebnis der Interessenabwägung kann auch nicht mit dem Hinweis auf die dem Kläger entgangene Sozialplanabfindung und erst recht nicht mit Hinweis auf die zu erwartende Sperre der Agentur für Arbeit begründet werden. Ohne dass dies rechtlich von Bedeutung wäre, weil das Berufungsgericht eine Entscheidung nur darüber zu treffen hat, ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 03.04.2008 beendet worden ist oder fortbesteht, sei an dieser Stelle jedoch erwähnt, dass die Beklagte auch noch nach durchgeführter Beweisaufnahme bereit war, dem Kläger bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von EUR 10.000,00 zu zahlen, was gut ein Drittel der im Sozialplan für den Kläger vorgesehenen Sozialplanabfindung ausgemacht hätte.

Der Kläger hat als unterlegen Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

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