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Anrechnung von Arbeitsentgelt auf Sozialhilfeanspruch


Bundesverwaltungsgericht – Sozialhilferecht

Az.: 5 C 4/00

Urteil vom 19.02.2001

Vorinstanzen: OVG Münster; VG Gelsenkirchen


Leitsatz:

Zur Anrechnung von nachgezahltem Arbeitsentgelt auf einen Sozialhilfeanspruch (Hilfe zum Lebensunterhalt).

Norm: § 11 Abs. 1 BSHG


In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 19. Februar 2001 für Recht erkannt:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 1999 wird aufgehoben, soweit der Beklagte unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 28. August 1997 verpflichtet worden ist, den Klägern für den Monat August 1996 Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung des zweiten Auszahlungsbetrages des Gehalts für den Monat Juli 1996 (976, 57 DM) zu bewilligen.

Insoweit wird die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger und der Beklagte je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe: I. Der Beklagte bewilligte den Klägern für August 1996, nachdem er zunächst Sozialhilfeleistungen ab dem 1. August 1996 nicht gewährt hatte, auf Grund einer Bedarfs- und Einkommensberechnung vom 19. August 1996 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er rechnete hierbei eine „Abschlagszahlung Lohn 19. 08. 96“ in Höhe von 1065, 24 DM an, die die Klägerin zu 1 als restliches Arbeitsentgelt für Juli 1996 angegeben hatte. Tatsächlich wurden der Klägerin zu 1 am 19. August 1996 nur 976, 57 DM restliches Arbeitsentgelt ausgezahlt. Hiervon zahlte die Klägerin zu 1 einen Teilbetrag in Höhe von 600 DM alsbald auf ihr Girokonto ein, um einen dort bestehenden Fehlbetrag – teilweise – auszugleichen. Die Kläger legten gegen die Anrechnung Widerspruch mit der Begründung ein, die Zahlung restlichen Arbeitsentgeltes für Juli 1996 dürfe nicht als Einkommen für August 1996 gewertet werden. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1996 zurück, weil das Arbeitseinkommen der Klägerin zu 1 den Klägern im August zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse gedient habe; unerheblich sei, dass die Klägerin zu 1 zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts vor Erhalt der Restzahlungen ihr Girokonto überzogen habe.

Die auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung u. a. des im Revisionsverfahren allein noch streitigen „zweiten Gehaltsbetrages von ca. 900, 00 DM“ gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der hiergegen eingelegten Berufung der Kläger stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die nachträgliche Auszahlung restlichen Arbeitsentgeltes sei im August 1996 nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Sie stelle sich hier als Kompensation einer zuvor erlittenen Schlechterstellung dar, die infolge zwischenzeitlicher, dem Beklagten erkennbarer Einkommenslosigkeit der Kläger und dadurch notwendiger Neuverschuldung eingetreten sei. Die rechtlich als „Schuldentilgung“ einzuordnende Einzahlung eines Teilbetrages von 600 DM auf ein überzogenes Girokonto habe einem „Gebot der Vernunft“ entsprochen; sie sei deshalb „(k) eine gegebenenfalls nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG zu beurteilende absichtsvolle Herbeiführung der Notlage“ bzw. keine „Vereitelung von präsenten Selbsthilfemöglichkeiten“. Der von der Klägerin zu 1 nicht sofort auf ihr Konto eingezahlte Restbetrag in Höhe von 376, 57 DM falle nach der „Identitätslehre“ im August 1996 zunächst als Forderung aus dem Vormonat und nach Auszahlung als Barbetrag unter § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG.

Der Beklagte rügt mit der auf den Teilbetrag von 976, 57 DM beschränkten Revision die Verletzung materiellen Rechts: Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin zu 1 habe den Rest des Juligehalts in Höhe von 600 DM zur Schuldentilgung verwenden dürfen, verstoße gegen § 2 BSHG, weil es sich um nach § 76 BSHG zu berücksichtigendes Einkommen handele. Die freiwillige Vermögensverfügung der Klägerin zu 1 zur Schuldentilgung sei bei der Beurteilung, ob die Kläger in der Lage waren, sich selbst zu helfen, nicht zu berücksichtigen. Die Sozialhilfe diene nicht dazu, Schulden zu begleichen. Dass die Entwicklung des Girokontos der Klägerin zu 1 nicht auf ein sozialhilferechtlich zu missbilligendes Verhalten zurückgehe, sei ohne Belang. Im Hinblick auf den Teilbetrag von 376, 57 DM seien die §§ 2, 76 BSHG verletzt. (Auch) bei diesem Betrag handele es sich um Einkommen und nicht um Vermögen.

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.

II. Die Revision, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, das der Klägerin zu 1 am 19. August 1996 ausgezahlte restliche Arbeitsentgelt (976, 57 DM) müsse bei der Berechnung der den Klägern für August 1996 zustehenden Sozialhilfe außer Ansatz bleiben, ist mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) unvereinbar.

Der Betrag von 976, 57 DM war bei der Bedarfs- und Einkommensberechnung für August 1996, den hier in Rede stehenden Bedarfs-(Bewilligungs-)zeitraum, gemäß § 11 Abs. 1, § 76 Abs. 1 BSHG als Einkommen zu berücksichtigen. Die Klägerin zu 1 hat diesen Betrag (als restliches Arbeitsentgelt für Juli 1996) am 19. August 1996 erhalten, er ist ihr also im hier maßgeblichen Bedarfszeitraum zugeflossen. Alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, ist Einkommen im Sinne von § 76 BSHG (BVerwGE 108, 296 <299> – „Zuflusstheorie“ -). Unerheblich sind der Grund der Zahlung (hier Arbeitsentgelt für Juli 1996) und eine etwaige Zweckbestimmung; sozialhilferechtlich entscheidend für den Einsatz von Einkommen ist dessen bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit (BVerwG, a. a. O., S. 299).

Das am 19. August 1996 ausgezahlte Arbeitsentgelt war auch nicht deshalb vom Einkommenseinsatz ausgenommen, weil mit der Zahlung die Gehaltsforderung der Klägerin zu 1 für Juli 1996 erfüllt wurde. Zwar hat sich die Gehaltsforderung der Klägerin zu 1 im Monat Juli 1996 aufgebaut, die Klägerin zu 1 hat sie aber nicht über deren Fälligkeit (vgl. § 614 BGB) hinaus freiwillig „stehen lassen“ und damit Vermögen „angespart“, das hier nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung dieser Vorschrift als Schonvermögen außer Ansatz bleiben könnte. Vielmehr ist ihr das restliche Arbeitsentgelt für Juli 1996 erst am 19. August 1996 ausgezahlt worden und damit im August 1996 als Einkommen einzusetzen (vgl. BVerwG, a. a. O., S. 300).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bleibt die Anrechnung des im August zugeflossenen Arbeitsentgeltes auch davon unberührt, dass die Klägerin zu 1 einen Teilbetrag in Höhe von 600 DM alsbald nach Zahlungsempfang auf ihr überzogenes Girokonto eingezahlt hat.

Bei der Berechnung von Sozialhilfe wird das im Bedarfszeitraum verfügbare Einkommen dem in dieser Zeit bestehenden Bedarf gegenübergestellt. Wird wie im Streitfall Sozialhilfe am neunzehnten Tag eines Monats für den ganzen Monat berechnet, so wird das bis dahin zugeflossene Einkommen dem Bedarf für den gesamten Monat gegenübergestellt. Einsetzen konnten die Kläger neben den am 19. August 1996 erhaltenen 976,57 DM (Restzahlung Juligehalt) Kindergeld und Unterhaltsvorschuss in Höhe von zusammen 1. 016, 53 DM. Diesem Gesamteinkommen in Höhe von 1.993, 10 DM stand am 19. August 1996 ein bereits aufgelaufener Gesamtbedarf in Höhe von 1. 992, 38 DM gegenüber (853, 37 DM Unterkunftskosten und 19 Tage anteilige Lebensunterhaltskosten). Verwenden die Kläger – wie hier – Einkommen, das zwar nicht zeitgleich mit der Entstehung des Bedarfs, aber im Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialhilfeträgers verfügbar ist, dazu, Kontoüberziehungen zurückzuführen, die durch die Finanzierung des bis dahin erforderlichen Lebensunterhalts entstanden sind, so wird dadurch im Ergebnis nur die finanzielle Lage hergestellt, die der Deckung vorhandenen Bedarfs durch vorhandene Mittel entspricht.

Der Gesichtspunkt der „Kompensation einer zuvor erlittenen Schlechterstellung“, der aus der Sicht des Oberverwaltungsgerichts „der Einstufung der zuletzt erlangten Restgehaltszahlung als anzurechnendes Einkommen entgegensteht“ und den die Vorinstanz damit begründet, die weitgehende Einkommenslosigkeit der Kläger in früherer Zeit sei dem Beklagten bekannt oder jedenfalls erkennbar gewesen, findet im Gesetz keine Stütze und kann deshalb die Anrechungsfreiheit von Einkommen ebenfalls nicht rechtfertigen. Das ist entgegen der Auffassung der Kläger verfassungsrechtlich unbedenklich.

Nach alledem war der auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkten Revision des Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils und sowie teilweiser Zurückweisung der Berufung der Kläger mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO stattzugeben.

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