BFH
Az: VI R 2/05
Urteil vom 07.11.2006
Gründe:
I.
Die Revisionsklägerin (Klägerin) ist die alleinige Erbin nach ihrem verstorbenen Ehemann (G). G wurde im Streitjahr 1998 zusammen mit der Klägerin zur Einkommensteuer veranlagt. Im September 2001 beantragte G, den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid für 1998 zu ändern, weil er überzahlten Arbeitslohn des Streitjahres in Höhe von 6 994 DM im Jahr 1999 zurückgezahlt habe. Der zurückgezahlte Arbeitslohn sei im Streitjahr als negative Einnahme bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu erfassen. Später beantragte G außerdem, die Einkommensteuer für das Streitjahr nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) abweichend in der Weise festzusetzen, dass die Lohnrückzahlung steuermindernd berücksichtigt werde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) lehnte die Anträge auf Änderung des Einkommensteuerbescheids und auf abweichende Steuerfestsetzung ab. Die Einsprüche wies das FA anschließend als unbegründet zurück.
Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1608 veröffentlichten Gründen ebenfalls keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im Wesentlichen aus, Einnahmen seien nach § 11 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen seien. Ausgaben seien gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden seien. Im Streitfall bestehe kein Grund für eine Abweichung vom Zu- und Abflussprinzip. Die Ermessensentscheidung des FA, die Rückzahlung auch nicht aus Billigkeitsgründen im Streitjahr zu berücksichtigen, sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG gelte laufender Arbeitslohn in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum ende, für den der Arbeitslohn gezahlt worden sei. Werde laufender Arbeitslohn zurückgezahlt, müssten im Umkehrschluss auch die Einnahmen in dem Jahr als zurückgezahlt gelten, in dem der Lohnzahlungszeitraum ende, für den der Lohn zurückgezahlt werde. Folglich sei die Rückzahlung der im Jahr 1998 als laufender Arbeitslohn gezahlten Beträge im Streitjahr zu berücksichtigen. Im Übrigen seien die steuerlichen Nachteile infolge der Abschnittsbesteuerung und des Zufluss-/Abflussprinzips sachlich unbillig. G habe ab dem Jahr 1999 nur noch sonstige Einkünfte unterhalb der steuerlichen Freibeträge erzielt. Die Rückzahlung der Einnahmen wirke sich deshalb für 1999 steuerlich nicht aus. Der hiermit verbundene Nachteil sei durch abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO 1977 im Streitjahr auszugleichen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer für 1998 unter Berücksichtigung eines Abzugs von 6 994 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass zurückgezahlte Einnahmen erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen sind.
a) Muss ein Steuerpflichtiger, dem in einem Veranlagungszeitraum Einnahmen zugeflossen sind, die Einnahmen ganz oder zum Teil in einem späteren Veranlagungszeitraum zurückzahlen, ist die Rückzahlung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erst im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Leistung einkommensteuerlich zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184; vom 18. September 1965 VI 244/63 U, BFHE 81, 30, BStBl III 1965, 11; vom 2. April 1974 VIII R 76/69, BFHE 112, 348, BStBl II 1974, 540; vom 1. März 1977 VIII R 106/74, BFHE 122, 60, BStBl II 1977, 545; vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593; vom 13. Oktober 1989 III R 30-31/85, BFHE 159, 123, BStBl II 1990, 287; vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, BFH/NV 2006, 1744, und vom 4. Mai 2006 VI R 33/03, BFH/NV 2006, 1979). Dies gilt auch, wenn es sich bei den (teilweise) zurückgezahlten Einnahmen um (laufenden) Arbeitslohn handelte (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1744, und in BFH/NV 2006, 1979; ebenso Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 39b Rz 8; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, § 39b EStG Anm. 20; Blümich/Thürmer, § 39b EStG Rz. 141; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 39b Rn 15; Stache in Bordewin/Brandt, § 39b EStG Rz. 133; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, „Rückzahlung von Arbeitslohn“ Rz. 2; Wüllenkemper, Rückfluss von Aufwendungen im Einkommensteuerrecht, 1987, S. 31; a.A. Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39b Rdnr. C 14).
Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 EStG sind nach dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen und Ausgaben bei den Überschusseinkünften nach dem kalenderjahrbezogenen Zu- und Abflussprinzip zu erfassen, sofern nicht eine gesetzliche Ausnahmeregelung greift (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396). Eine solche Ausnahmeregelung besteht für die Rückzahlung von (laufendem) Arbeitslohn nicht. Insbesondere ergibt sich –anders als die Klägerin meint– eine gesetzliche Ausnahme nicht aus § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG, der nach § 11 Abs. 1 Satz 3 (jetzt Satz 4) EStG auf den Zufluss von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit anzuwenden ist.
Gemäß § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG gilt laufender Arbeitslohn als in dem Kalenderjahr bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet. Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird nach § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt. § 11 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG betreffen damit nicht die Rückzahlung von (laufendem) Arbeitslohn, um die es im Streitfall geht. Sie regeln vielmehr, wann laufender Arbeitslohn bzw. sonstige Bezüge als vereinnahmt gelten. Angesichts dessen rechtfertigen diese Vorschriften entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht den „Umkehrschluss“, dass die Rückzahlung ursprünglich als laufender Arbeitslohn geleisteter Beträge in dem Kalenderjahr als abgeflossen gelten müsse, in dem der laufende (und später zurückgezahlte) Arbeitslohn selbst als bezogen galt.
b) Nach diesen Grundsätzen ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die von G erst im Jahr 1999 geleistete Rückzahlung nicht im Streitjahr 1998 steuermindernd berücksichtigt werden kann. Die von der Klägerin begehrte Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach §§ 172 ff. AO 1977, insbesondere gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 (vgl. dazu BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1744, und in BFH/NV 2006, 1979), kommt folglich nicht in Betracht. Der Streitfall gibt damit auch keinen Anlass darüber zu entscheiden, ob Rückzahlung von Einnahmen als negative Einnahme oder als Werbungskosten einkommensteuerlich zu berücksichtigen sind.
c) Soweit die Klägerin erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, die von G zurückgezahlten Einnahmen seien nicht für eine tatsächliche Beschäftigung gezahlt worden und deshalb nicht als Arbeitslohn anzusehen, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, welches im Revisionsverfahren –von im Streitfall nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen– grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann (§ 118 Abs. 2 FGO). Im Übrigen kommt es für das Vorliegen von Arbeitslohn nach ständiger Rechtsprechung des BFH darauf an, ob der betreffende Vorteil durch das Dienstverhältnis veranlasst ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367, m.w.N.). Unerheblich ist demgegenüber, ob der Arbeitnehmer seinerseits tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht hat. Darüber hinaus hat der BFH in seinem Urteil in BFH/NV 2006, 1744 erneut betont, dass Arbeitslohn auch dann zufließt, wenn der Arbeitnehmer die durch das Dienstverhältnis veranlasste Einnahme später zurückzahlen muss. Denn das Behaltendürfen ist kein Merkmal einer Einnahme.
2. Das angefochtene Urteil ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als das FG die Entscheidung des FA, die Einkommensteuer für das Streitjahr nicht nach § 163 AO 1977 aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, als ermessensfehlerfrei beurteilt hat.
a) Nach § 163 Satz 1 AO 1977 kann eine Steuer u.a. niedriger festgesetzt werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die nach § 163 AO 1977 im Festsetzungsverfahren zu treffende Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO 1977), die gemäß § 102 FGO (i.V.m. § 121 FGO) grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; BFH-Urteil vom 26. Oktober 1995 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Im Rahmen des § 163 AO 1977 bestimmt der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Unbilligkeit kann entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der Person des Steuerpflichtigen haben.
b) Im Streitfall haben FA und FG die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden sachlichen Unbilligkeit zutreffend verneint.
Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, BFH/NV 2004, 1555, und in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Demnach können Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen nicht rechtfertigen (BFH-Urteil vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BFHE 164, 114, BStBl II 1991, 541).
Der BFH hat schon wiederholt entschieden, dass es hinzunehmen ist, wenn es durch das in § 11 EStG normierte Zu- und Abflussprinzip in einem Veranlagungszeitraum zu Ergebnissen kommt, die als Folge der Einkommensteuerprogression oder fehlender tatsächlicher Ausgleichsmöglichkeiten zu steuerlichen Be- oder Entlastungen führen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1979, m.w.N.). Eine zeitabschnittsbezogene Steuerermittlung bewirkt typischerweise Unterschiede der Steuerbelastung zwischen den verschiedenen Abschnitten. Es läuft folglich den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwider, dass G den ihm im Streitjahr zugeflossenen Arbeitslohn ohne Berücksichtigung der erst im Folgejahr geleisteten Rückzahlung versteuern muss. Dies gilt auch, falls sich die (teilweise) Rückzahlung im Folgejahr –wie die Klägerin vorgetragen hat– steuerlich nicht mehr auswirken sollte, weil die Einkünfte im Jahr der Rückzahlung unter den steuerlichen Freibeträgen lagen.
Die sachliche Unbilligkeit der Anwendung des Abflussprinzips auf zurückgezahlten Arbeitslohn ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Verbot der Übermaßbesteuerung. Denn die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ist grundsätzlich auf den jeweils zu beurteilenden Einkommensermittlungszeitraum (Veranlagungszeitraum) zu beziehen. Dies folgt aus der auf den jährlichen Besteuerungsabschnitt bezogenen steuerlichen Ermittlungstechnik für die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer in ihrer Ausgestaltung als Jahressteuer (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518, sowie BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1744).
3. Die von der Klägerin erhobene Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO) ist ebenfalls nicht durchgreifend. Das FG hat das Recht auf Gehör nicht verletzt.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs beinhaltet für das Gericht insbesondere die Verpflichtung, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen, sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen und bei der Begründung zu berücksichtigen (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 96 Rz 30, m.w.N.). Jedoch gebietet es das Recht auf Gehör nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. Dezember 1995 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153; BFH-Beschluss vom 1. Dezember 1999 XI B 88, 89/98, BFH/NV 2000, 730).
Im Streitfall hat das FG im Tatbestand seines Urteils die Argumentation zur „Identität des Totaleinkommens“ ausdrücklich berücksichtigt. In den Entscheidungsgründen hat es im Hinblick auf die Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgeführt, es sei nicht sachlich unbillig, dass die Rückzahlung im vorliegenden Fall zu keiner Steuerentlastung führe. Dies sei Folge des Jahressteuerprinzips. Mit diesen Ausführungen hat sich das FG mit dem Kern des (entscheidungserheblichen) Vortrags auseinandergesetzt und ihn in seinem Urteil hinreichend erörtert.