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Arbeitslosengeld – Erlöschen des Restanspruchs

SOZIALGERICHT SPEYER

Az.: S 10 AL 220/07

Urteil vom 03.02.2009


In dem Rechtsstreit hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Speyer auf die mündliche Verhandlung vom 3. Februar 2009 für Recht erkannt:

1. Der Bescheid vom 23.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.4.2007 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 4.2.2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Restanspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld erloschen ist.

Die 1950 geborene Klägerin war in der Zeit vom 17.1.1994 bis 30.9.2002 als Leiterin des „Haus der Familie“ in L… versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Zeit ab dem 1.10.2002 beantragte sie die Gewährung von Arbeitslosengeld und erhielt dieses für eine Anspruchsdauer von 660 Tagen ab Antragstellung bewilligt (Verfügung vom 7.10.2002). Ab dem 1.11.2003 bis zum 27.9.2006 war die Klägerin selbstständig tätig. Am 28.9.2006 beantragte sie erneut die Gewährung von Arbeitslosengeld und erhielt dieses mit Bescheid vom 23.10.2006 für eine Restanspruchsdauer von 290 Tagen bewilligt.

Am 25.1.2007 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie in der Zeit vom 29.1.2007 bis 3.2.2007 einen Lehrauftrag als selbstständigen Vollzeittätigkeit wahrnehmen werde. Mit Bescheid vom 29.1.2007 hob die Beklagte die Arbeitslosengeldbewilligung für die Zeit ab 29.1.2007 wegen Abmeldung der Klägerin aus dem Leistungsbezug auf. Im Anschluss an die selbstständige Tätigkeit begehrte die Klägerin die Weiterzahlung vor Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 23.3.2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihr könne ab dem 4.2.2007 kein Arbeitslosengeld mehr gewährt werden, da ihr Anspruch erloschen sei. Mit ihrem Antrag vom 1.10.2002 habe die Klägerin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben. Dieser Anspruch könne für die Zeit ab dem 4.2.2007 nicht mehr geltend gemacht werden, da nach seiner Entstehung bereits vier Jahre verstrichen seien.

Hiergegen legte die Klägerin am 30.3.2007 Widerspruch ein mit der Begründung, das festgestellte Erlöschen des Anspruchs widerspreche nicht nur dem Merkblatt für Arbeitslose, sondern auch den Aussagen zweier Mitarbeiterinnen der Beklagten.

Sie bitte darum, die säumige Zahlung wieder aufzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid 24.4.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, die Vierjahresfrist habe am 2.10.2002 begonnen und am 1.10.2006 geendet. Am 4.2.2007 sei der am 1.10.2002 erworben Arbeitslosengeldanspruch erloschen gewesen.

Daraufhin hat die Klägerin am 22.5.2007 Klage erhoben.

Zu deren Begründung macht sie geltend, die Voraussetzungen des Erlöschens des Anspruchs lägen nicht vor. Im Übrigen sei der Aufnahme ihrer Zwischenbeschäftigung am 29.1.2007 eine falsche Beratung durch die Beklagte vorausgegangen.

Sie habe vorher ausdrücklich gefragt, ob die Tätigkeit ihren Anspruch gefährde.

Dies sei verneint worden. Es sei ihr die Auskunft erteilt worden, der Anspruch laufe ohne erneute Antragstellung weiter.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 23.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.4.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 4.2.2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten. Beide waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht ein Erlöschen des Restanspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld festgestellt und deswegen die Weitergewährung von Arbeitslosengeld ab dem 4.2.2007 abgelehnt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab dem 4.2.2007 noch einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 169 Tagen, der nicht nach § 147 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erloschen ist.

Diese Vorschrift regelt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind.

Vorliegend hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld am 1.10.2002 entstanden war, denn die Klägerin erfüllte an diesem Tag alle Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosengeld. Die Vierjahresfrist begann am Tag nach der Entstehung des Anspruchs, also am 2.10.2002 und endete am Montag, dem 2.10.2006.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Arbeitslosengeldanspruch der Klägerin im hier streitigen Zeitraum ab dem 4.2.2007 nicht erloschen, weil die Klägerin den Anspruch rechtzeitig vor Ablauf der Vierjahresfrist, nämlich am 28.9.2006, durch persönliche Arbeitslosmeldung und Antragstellung geltend gemacht hat und diese persönliche Arbeitslosmeldung und Antragstellung auch nach der Zwischenbeschäftigung der Klägerin vom 29.1.2007 bis 3.2.2007 fortgewirkt hat. Der Klägerin steht nach der Beendigung der Zwischenbeschäftigung ab dem 4.2.2007 der Zahlungsanspruch auf Arbeitslosengeld automatisch wieder zu, ohne dass es einer erneuten persönlichen Arbeitslosmeldung und Antragstellung bedurft hat. Infolgedessen bedurfte es auch keiner erneuten Geltendmachung im Sinne des § 147 Absatz 2 SGB III.

Die Fortwirkung der Arbeitslosmeldung vom 28.9.2006 ergibt sich aus § 122 Abs. 2 SGB III. Danach erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit (Nr. 1) sowie mit der Aufnahme einer dem Arbeitsamt nicht unverzüglich mitgeteilten Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 2). Diese Erlöschenstatbestände sind hier unstreitig nicht einschlägig. § 122 Abs. 2 SGB III führt im Ergebnis dazu, dass bei angezeigter Unterbrechung der Arbeitslosigkeit für eine Dauer von höchstens sechs Wochen eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung und Antragstellung nicht erforderlich ist mit der Folge, dass auch eine rechtzeitige vorherige Geltendmachung im Sinne des § 147 Abs. 2 SGB III fortwirkt (vergleiche hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 25.5.2005 – B 11a/11 AL 61/04 R).

Soweit die Beklagte, entsprechend ihrer Weisungslage (vergleiche Durchführungsanweisung zu § 147 SGB III 04/2008, Anmerkung 147.10 und Änderungsvorbemerkungen hierzu), das vorgenannte Urteil des Bundessozialgerichts so verstanden wissen will, dass eine erneute Geltendmachung nur im Falle der Unterbrechung des Leistungsbezuges aufgrund von Ruhenstatbeständen nicht erforderlich sei, lassen Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung und auch das Urteil des Bundessozialgerichts eine derartige einschränkende Auslegung nicht zu.

§ 122 Abs. 2 SGB SGB III ordnet die Weitergeltung einer persönlichen Arbeitslosmeldung und Antragstellung und somit auch einer rechtzeitig erfolgten Geltendmachung im Sinne des § 147 Abs. 2 SGB III im Falle jeglicher kurzzeitiger mitgeteilter Unterbrechung der Arbeitslosigkeit an. Der Wirkungskreis der Vorschriften beschränkt sich dem Wortlaut nach also gerade nicht nur auf Unterbrechungen, die mit Ruhenstatbeständen einhergehen.

Der vom Bundessozialgericht entschiedene Fall war nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Kläger Übergangsgeld bezog und sein Anspruch auf Arbeitslosengeld deswegen nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ruhte. Infolge seiner tatsächlichen Teilnahme an der stationären Rehabilitationsmaßnahme war der Anspruch des dortigen Klägers darüber hinaus auch dem Grunde nach entfallen, weil dieser während der Kurmaßnahme der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stand (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt von 23.12.2003 (BGBl. I, Seite 2848). Dementsprechend ist in dem genannten Urteil ausdrücklich ausgeführt, dass eine Fortwirkung der Arbeitslosmeldung trotz Wegfalls des anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals „Arbeitslosigkeit“ (also trotz Wegfalls des Anspruchs dem Grunde nach) anzunehmen ist.

Die Kammer hält es auch nach dem Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 SGB III für nicht gerechtfertigt, nur im Falle des Ruhens des Anspruchs auf eine erneute Geltendmachung des Anspruchs nach einer kurzen Zwischenbeschäftigung zu verzichten.

Es ist für die Kammer kein Grund ersichtlich denjenigen, dessen Zahlungsanspruch für eine kurze Zwischenzeit ruht, gegenüber demjenigen zu privilegieren, dessen Anspruch dem Grunde nach für eine kurze Zwischenzeit entfallen ist. Zwar mag es insoweit rechtsdogmatische Unterschiede geben. Diese rechtfertigen aber nicht die unterschiedliche Behandlung beider Fallkonstellationen. In den Gesetzesmaterialien zu § 122 SGB III (BT – Drucksache 13/ 4941, Seite 176) hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass unter Geltung der Neuregelung des § 122 SGB III den Arbeitslosen keine Nachteile dadurch entstehen sollen, dass der Leistungsbezug lediglich kurzfristig unterbrochen wird. Das wäre aber der Fall, wenn die Erlöschensregelung im Falle einer bloß kurzfristigen Unterbrechung des Leistungsbezuges eingreifen würde. Dies gilt für den Fall der Unterbrechung wegen Ruhens genauso wie für den Fall der Unterbrechung wegen vorübergehenden Wegfalls der Anspruchvoraussetzungen.

Eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung und Antragstellung der Klägerin ab dem 4.2.2009 wurde auch nicht deswegen erforderlich, weil die Beklagte die Arbeitslosengeldbewilligung für die Zeit ab dem 29.1.2007 ohne zeitliche Einschränkung aufgehoben hat. Dieser Umstand hindert die Beklagte nicht daran, die Leistung nach dem Ende der Zwischenbeschäftigung wieder zu bewilligen, da alle Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind und der Verfügungssatz des Aufhebungsbescheides einer solchen Bewilligung nicht entgegen steht. Mit der Beendigung der Zwischenbeschäftigung und dem Wiedereintritt der Klägerin in die Arbeitslosigkeit ist insoweit eine wesentliche anspruchsrelevante Änderung eingetreten, die vom Regelungsgehalt des Aufhebungsbescheides nicht erfasst wird.

Im Übrigen neigt die Kammer schließlich zu der Auffassung, dass eine Berufung der Beklagten auf den Ablauf der Vierjahresfrist rechtsmissbräuchlich wäre, wenn sie die vorübergehende Abmeldung der Klägerin aus dem Leistungsbezug zur Kenntnis genommen hätte, ohne die Klägerin zuvor auf die Gefahr des Erlöschens des Anspruchs wegen dieser kurzzeitigen Unterbrechung des Leistungsbezuges hinzuweisen. Dass eine Berufung auf § 147 Abs. 2 SGB III wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich sein kann, ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vergleiche hierzu Jahraus, Nomos Großkommentar, § 147 SGB III Randziffer 38 mit weiteren Nachweisen). Diese Frage braucht vorliegend jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, weil nach dem Vorgesagten ein Erlöschen des Anspruchs nicht eingetreten ist.

Aus diesen Gründen ist der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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