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Arbeitsrecht: Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit

In der heutigen Arbeitswelt ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit zu finden. Arbeitnehmer:innen haben ein Recht auf Nichterreichbarkeit in ihrer Freizeit, um sich vor dem Druck zu schützen, auf Anrufe oder Nachrichten des Arbeitgebers reagieren zu müssen.

Laut einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27.09.2022 (Aktenzeichen 1 SA 39 öD/22) hat der Arbeitnehmer das Recht, nicht erreichbar zu sein und muss daher nicht auf SMS oder Anrufe von seinem Chef in der Freizeit reagieren. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dem Persönlichkeitsschutz. Es gehört somit zu den vornehmsten Pflichten des Arbeitgebers, dass er die Ruhezeiten seiner Mitarbeiter respektiert und sie nicht mit dienstlichen Aufgaben belastet.

Es ist wichtig, dass Unternehmen ihr Personal unterstützen und ihnen helfen, eine Balance zwischen Berufs- und Privatleben herzustellen. Denn nur so können Mitarbeiter:innen langfristig produktiv bleiben und ihr Bestes geben.

Erreichbarkeit in der Freizeit – Urteil des LAG Schleswig-Holstein

Arbeitnehmer Nichterreichbarkeit in der Freizeit
In der Freizeit hat jeder Mensch ein Recht auf Nichterreichbarkeit – das heißt, er oder sie sollte nicht verpflichtet sein, ständig erreichbar zu sein und Anrufe/Nachrichten sofort beantworten zu müssen. In vielen Berufsfeldern ist es üblich, dass man auch außerhalb der Arbeitszeit ab und an telefonisch oder per E-Mail kontaktiert wird. (Symbolfoto: Diana Grytsku/Shutterstock.com)

Es gibt die alte schöne Weisheit, dass ein Mensch arbeitet, um zu leben und nicht lebt, um zu arbeiten. Trotz dieser Weisheit ist unzähligen Arbeitnehmern die Situation, dass nachdem Feierabend noch eine Nachricht des Arbeitgebers eintrifft, nicht unbekannt. Die Frage ist nur, wie darauf reagiert wird. Viele Arbeitnehmer leben in dem Glauben, dass auf die Nachricht des Arbeitgebers auch in der Freizeit umgehend reagiert werden muss. Ein Urteil, welches von dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein jüngst gesprochen wurde, besagt allerdings etwas anderes.

Eine Klage eines Rettungssanitäters ging dem Urteil voraus

Mit seinem Urteil vom 27. September 2022, Aktenzeichen 1 Sa 39 öd/22, brachte das LAG Schleswig-Holstein einen Fall zu Ende, bei dem ein Rettungssanitäter eine Klage gegen seinen Arbeitgeber eingereicht hatte. Konkret ging es um zwei Dienstplanänderungen kurzfristiger Natur, welche den Rettungssanitäter erreichten. Der beklagte Arbeitgeber hatte den Versuch unternommen, den Arbeitnehmer nach dessen Feierabend telefonisch sowie auch per Kurznachricht SMS nebst E-Mail zu erreichen.

Die Nachrichten beinhalteten die Dienstplanänderungen, welche von dem Arbeitnehmer nicht gelesen wurden. Dementsprechend meldete sich der Arbeitnehmer am Folgetag auf der Grundlage des alten Dienstplanes auch zum Dienst. Der Arbeitgeber wertete dieses Verhalten als ein unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz, welches er mit einer Ermahnung sowie einer späteren Abmahnung würdigte. Der als Notfallsanitäter eingesetzte Arbeitnehmer reichte eine Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht ein und verlangte im Zuge dieser Klage, dass der Arbeitgeber die Abmahnung aus der Personalakte des Arbeitnehmers entfernt. Als Begründung gab er an, dass er in seiner Freizeit das Mobiltelefon auf lautlos geschaltet hatte, da er privaten Verpflichtungen und der Kindesbetreuung nachkommen musste. Aus den Nachrichten, welche der beklagte Arbeitgeber vor Gericht vorlegte, konnte nicht herausgelesen werden, ob der Arbeitnehmer die Nachrichten zur Kenntnis genommen hatte oder nicht.

Das Gericht traf eine Entscheidung

Mit seinem Urteil hatte das Gericht die Frage zu beantworten, ob ein Notfallsanitäter in der Zeit nach dem Dienst auf die sehr kurzfristig erfolgte Änderung des Dienstplanes reagieren musste oder nicht. Das Arbeitsgericht wies in der ersten Instanz die Klage von dem Arbeitnehmer ab und bejahte dementsprechend diese Frage, sodass der Arbeitnehmer gegen dieses Urteil die Berufung einlegte. Der Fall landete schlussendlich vor dem LAG, welches der rechtlichen Auffassung der Vorinstanz nicht folgte. In seinem Urteil führte das LAG aus, dass der Arbeitgeber mit dem Umstand rechnen musste, dass der Arbeitnehmer die Nachricht erst mit Dienstbeginn lesen und damit zur Kenntnis nehmen würde. Hiermit wurde letztlich auch die wichtige Frage beantwortet, ob ein Arbeitnehmer in der eigenen Freizeit zur Kenntnisnahme von Nachrichten des Arbeitgebers verpflichtet ist oder nicht.

Gem. Ansicht des LAG ist der Arbeitgeber erst mit der Arbeitsaufnahme zur Kenntnisnahme von Nachrichten des Arbeitgebers verpflichtet.

Der Arbeitnehmer muss nicht reagieren

Laut Ansicht des LAG besteht für einen Arbeitnehmer keine Verpflichtung, Anrufe oder Nachrichten des Arbeitgebers in der eigenen Freizeit zur Kenntnis zu nehmen. Überdies hat der Arbeitnehmer auch keinerlei Verpflichtung dazu, in der Freizeit nach Veränderungen hinsichtlich des Dienstplanes zu fragen. Das LAG vertritt damit die rechtliche Auffassung, dass die Erkundigung nach Dienstplanänderungen nicht zu den arbeitsvertraglichen Nebenverpflichtungen gezählt werden. Dementsprechend kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch keinerlei treuwidriges Verhalten zur Last legen, welches letztlich eine Abmahnung rechtfertigen würden. Angesichts dessen ist die Abmahnung rechtswidrig und muss auch aus der Arbeitnehmerpersonalakte wieder entfernt werden.

Der Schutz der Persönlichkeit sowie der Gesundheit hat Vorrang

Das LAG unterstrich die Ansicht, dass die Nichterreichbarkeit des Arbeitnehmers in der Freiheit dem Gesundheitsschutz sowie auch dem Persönlichkeitsschutz dient und überdies auch durch das Recht auf Nichterreichbarkeit, welches in der allgemeinen Rechtsprechung als etabliert gilt, geschützt ist. In der gängigen Praxis gilt es als erwiesen, dass die Grenzverschiebung zwischen dem Privatleben und dem Arbeitsleben einen negativen Einfluss auf die Gesundheit des Arbeitnehmers hat. Die von vielen Arbeitgebern stillschweigend eingeforderte ständige Erreichbarkeit hat für den Arbeitnehmer den Effekt des Leistungsdrucks und der Überforderung, was sich allgemein hin auch sehr negativ auf die Arbeitszufriedenheit und damit auch auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers auswirkt. Überdies muss in diesem Zusammenhang auch das Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers beachtet werden. Das Persönlichkeitsrecht beinhaltet, dass ein Mensch für sich selbst entscheiden kann, für welche Person die Erreichbarkeit in der Freizeit gewährleistet wird und für welchen Menschen nicht.

Das Arbeitsrecht sowie auch die gesetzlichen Ruhezeiten müssen eingehalten werden

Der Arbeitgeber hat gegenüber dem Arbeitnehmer eine Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsrecht heraus. Dies beinhaltet auch, dass die gesetzlich verpflichtenden Ruhezeiten eingehalten werden. Diese Ruhezeit beträgt gem. § 5 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) einen Mindestzeitraum von 11 Stunden.

Sollte ein Arbeitnehmer in der eigenen Freizeit auf eine Nachricht des Arbeitgebers mit Arbeitsbezug reagieren, so gilt die Ruhezeit als unterbrochen. Sie startet dementsprechend von diesem Zeitpunkt an erneut. Es gehört zu den Pflichten eines Arbeitgebers dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmer diese Ruhezeiten auch tatsächlich einhalten.

Das Arbeitszeitgesetz hat nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen Geltung
Es muss im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht ausdrücklich betont werden, dass dieses Gesetz lediglich für Angestellte sowie Auszubildende und Arbeiter Anwendung findet. Wer auf freiberuflicher Basis tätig ist, kann dementsprechend auch selbst entscheiden, in welchem Umfang die wöchentliche Arbeitszeit ausgestaltet ist. Die freiberufliche Tätigkeit richtet sich allerdings nach anderweitigen Regelungen wie den Vorschriften und dem Regelwerk der Berufsgenossenschaft respektive der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Gesetzgeber muss auf jeden Fall nachbessern

In der gängigen Praxis bietet insbesondere die Ruhezeit nicht selten ein Potenzial für Probleme. Wird sie erst einmal durch die Beantwortung einer Nachricht mit Arbeitsbezug des Arbeitgebers unterbrochen, so kann der Arbeitnehmer die 11 Stunden Mindestruhezeit für gewöhnlich nicht mehr einhalten. Problematisch ist auch der Umstand, dass eine derartige „Bereitschaftshaltung“ in zahlreichen Unternehmen von den Arbeitnehmern schlicht und ergreifend seitens des Arbeitgebers erwartet wird. Gleichermaßen verhält es sich auch dann, wenn sich der Arbeitnehmer in seinem Erholungsurlaub befindet. Auch dieser Teil des Jahres zählt jedoch ausdrücklich als Freizeit des Arbeitnehmers, sodass keinerlei Verpflichtung zur Reaktion des Arbeitnehmers auf eine arbeitsbezogene Nachricht des Arbeitgebers besteht. Der Gesetzgeber hat jedoch in diesem Bereich noch einen enormen Nachbesserungsbedarf, da es aktuell in Deutschland noch kein Recht des Arbeitnehmers auf die Nichterreichbarkeit gibt.

Die EU-Kommission hat bereits Pläne

Es gibt im europäischen Raum bereits die verfestigte Idee, dass ein Richtlinienvorschlag des Rechts eines Arbeitnehmers auf Nichterreichbarkeit auf den Weg gebracht wird. Eine derartige Vorlage existiert jedoch aktuell noch nicht, allerdings könnte sie wegweisende Wirkung für sämtliche Mitgliedsstaaten der EU haben. Der Gesetzgeber in Deutschland wäre für den Fall, dass eine derartige Vorlage jemals verabschiedet wird, zu einer gesetzlichen Umsetzung verpflichtet. Ob es jedoch jemals dazu kommen wird oder nicht, ist aktuell noch unsicher. Es gibt allerdings in den deutschen Gesetzen bereits einige Orientierungspunkte für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer. Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein hat jedenfalls dazu beigetragen und die Position des Arbeitnehmers in dieser Frage gestärkt.

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