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Arbeitsunfähigkeit und Ausübung einer Nebentätigkeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Az: 9 Sa 275/09

Urteil vom 12.02.2010


1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.01.2009, Az.: 6 Ca 1027/08 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2008 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2008 beendet worden ist.

Der Kläger ist am … 1955 geboren, verheiratet und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist Schwerbehinderter mit einem GdB von 50. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 15.11.1978 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 19.05.1980 (Bl. 9 ff. d. A.), zuletzt als Bezirksmeister zu einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen von 5.700,– € beschäftigt. Nach der Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 61 d. A.) ist die Tätigkeit als Bezirksmeister wie folgt beschrieben:

Führen und Anweisen der unterstellten Mitarbeiter.

Sicherstellen der Versorgung in dem ihm zugeordneten Netzbezirk.

Einsatzplanung von Fremdfirmen.

Organisieren der für Bau und Betrieb sowie ggf. Projektierung des Verteilungsnetzes erforderlichen Arbeiten.

Materialdisposition.

Zusammenarbeit mit Gebietskörperschaften und anderen Versorgungsträgern.

Kontaktpflege zu Kommunen und Sondervertragskunden.

Nach § 18 Ziff. 6.1. des MTV RWE ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dem Unternehmen mindestens 20 Jahre ununterbrochen angehört, aus Gründen, die in seinem Verhalten liegen, nur nach ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betriebsrats zulässig.

Neben seiner Tätigkeit bei der Beklagten arbeitet der Kläger als Betriebsleiter in der mit Sanitärhandel und Heizungsbau befassten Firma seiner Ehefrau. Im Zeitraum vom 23.06. bis 31.07.2008 wurde dem Kläger ärztlicherseits Arbeitsunfähigkeit attestiert. Am 24.07.2008 ging bei der Beklagten ein anonymer Telefonanruf ein, in dem mitgeteilt wurde, der Kläger arbeite auf einer Baustelle in R. in der B.straße. Der Vorgesetzte des Klägers S. suchte dann zusammen mit einem weiteren Mitarbeiter der Beklagten besagte Adresse auf. Dort trafen beide Personen das Montagefahrzeug der Firma der Ehefrau des Klägers, einen LKW der Firma R. und F. (Heizungsbau- und Sanitärgroßhandel) wie auch den privaten PKW des Klägers vor. Strittig ist zwischen den Parteien, ob der Kläger an besagter Baustelle Arbeitsleistungen erbracht hat. Die beiden genannten Mitarbeiter der Beklagten stellten den Kläger noch vor Ort zur Rede. Dieser gab an, dass seine beiden Söhne vor Ort arbeiteten und er lediglich Anweisungen gebe. Der Kläger trug Arbeitskleidung und Sicherheitsschuhe.

Mit Schreiben vom 29.07.2008 (Bl. 62 ff. d. A.) hörte die Beklagte den am Standort C-Stadt bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 und weiter hilfsweise zu einer fristgerechten ordentlichen Kündigung zum 31.03.2009 an. Mit Schreiben vom 01.08.2008 (Bl. 15 ff. d. A.) teilte der Betriebsrat mit, dass er beschlossen habe, sämtlichen gestellten Anträgen auf Zustimmung zur Kündigung zu widersprechen. Unter dem 04.08.2008 (Bl. 64 f. d. A.) informierte die Beklagte den Vertreter der Schwerbehinderten über die beabsichtigte Kündigung. Ebenfalls am 04.08.2008 (vgl. Gesprächsprotokoll Bl. 304 d. A.) fand im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden eine Anhörung des Klägers statt. Mit Bescheiden vom 19.08. (Bl. 18 ff. d. A.) und 20.08.2008 (Bl. 28 ff. d. A.) stimmte das Integrationsamt K. der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung sowie der hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu.

Mit Schreiben vom 22.08.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009. Mit seiner am 28.08.2008 vor dem Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az: 6 Ca 1027/08 – erhobenen Klage, wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Zur weiteren Darstellung des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 22.01.2009, Az: 6 Ca 1027/08 (Bl. 194 ff. d. A.).

Das Arbeitsgericht hat Zeugenbeweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen J., S. und C. gemäß Beweisbeschluss vom 18.11.2008 (Bl. 157 f. d. A.). Hinsichtlich des Ergebnisses dieser erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 22.01.2009 (Bl. 178 ff. d. A.).

Mit dem genannten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und – zusammengefasst – zur Begründung ausgeführt, es liege ein Sachverhalt vor, der das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belaste. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger während seiner Krankschreibung körperlich zumindest so leistungsfähig gewesen sei, dass er nicht nur zu Hause einen Tisch mit Schiffslack habe streichen können, sondern sich auch mindestens eine dreiviertel Stunde an einer Baustelle der Firma seiner Ehefrau aufgehalten und dort leitende Tätigkeiten habe entfalten können. Ferner sei aufgrund der Beweisaufnahme die Überzeugung gerechtfertigt, dass der Kläger in irgendeiner Form auch auf der Baustelle körperliche Tätigkeiten entfaltet habe, weil ansonsten die Feststellung durchgeschwitzter Haare noch im Zeitpunkt des Auftretens der Mitarbeiter der Beklagten auf der Baustelle ohne weiteres nicht vorstellbar sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Zeuge S. nach Erhalt des Telefonanrufes zunächst innerbetrieblich habe dafür sorgen müssen, dass der Zeuge J. ihn begleite und dass die Fahrt nach Einschätzung des Zeugen S. mindestens 15 Minuten gedauert habe und darüber hinaus das Parken und das anschließende Betreten des Grundstücks ebenfalls einen weiteren Zeitaufwand erfordert habe. Damit stehe fest, dass der Kläger während eines Zeitraums, in dem er sich von der Beklagten wegen ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit vergüten ließ, Tätigkeiten entfaltet habe, die inhaltlich exakt den Anforderungen entsprächen, für die er sich von der Beklagten habe bezahlen lassen und für die er angeblich gesundheitlich aktuell nicht tauglich gewesen sei. Dies begründe an der entsprechenden Arbeitsunfähigkeit erhebliche Zweifel. Die Kammer sei insoweit zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger aufgrund des Umfangs seiner Arbeitsleistung am besagten Tag letztlich nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Auch die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Gerade bei einem in der Hierarchie höher angesiedelten Mitarbeiter führe ein Betrugsversuch zur Zerstörung des erforderlichen Vertrauens. Dieses könne auch nicht durch mildere Maßnahmen wieder hergestellt werden. Insbesondere käme auch ein Verbot der Nebentätigkeit als milderes Mittel nicht in Betracht, da der Kläger ungeachtet der grundsätzlichen Billigung seiner Nebentätigkeit durch die Beklagte jedenfalls während Arbeitsunfähigkeitszeiten, die er sich habe vergüten lassen, nicht berechtigt gewesen sei, in anderer Weise tätig zu werden.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 06.04.2009 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 05.05.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 03.07.2009, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 06.07.2009, begründet.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 19.11.2009, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 260 ff. d. A., Bl. 310 ff. d. A.), im Wesentlichen geltend:

Das Arbeitsgericht habe die maßgebliche Darlegungs- und Beweislast verkannt. Es bestünden bereits Zweifel, ob überhaupt ein Sachverhalt vorliege, der geeignet sei, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Jedenfalls aber habe der Kläger bereits erstinstanzlich substantiiert vorgetragen, welche ärztlichen Umstände zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit geführt hätten und aus welchen Gründen trotz dieser die ihm vorgeworfenen Tätigkeiten möglich gewesen seien. Die bestehenden rheumatischen Beschwerden und die damit verbundenen Schmerzen seien ärztlicherseits festgestellt worden. Hierbei sei keine völlige Ruhigstellung, sondern vielmehr leichte Bewegung in Abhängigkeit vom Schmerzempfinden empfohlen worden. Das Arbeitsgericht hätte damit zumindest dem auf Vernehmung des behandelnden Arztes gerichteten Beweisangebot nachgehen müssen. Im Übrigen werde verkannt, dass es einen Unterschied darstelle, ob eine Tätigkeit für eine Stunde, oder aber für einen ganzen Arbeitstag auszuüben sei. Er habe sich auch nicht genesungswidrig verhalten, da eine leichte Bewegung je nach eigenem Schmerzempfinden ärztlicherseits empfohlen gewesen sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach -vom 22.01.2009, Az.: 6 Ca 1027/08, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2008 nicht beendet wird.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 10.09.2009, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 292 ff. d. A.), als zutreffend. Das Arbeitsgericht sei rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht. Eine Vernehmung des behandelnden Arztes sei nicht geboten gewesen, da der Kläger seinerseits der ihm obliegenden Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Die vom Kläger erstinstanzlich behauptete andauernde Schmerzsituation habe dieser erstinstanzlich nicht unter Beweis gestellt. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger bei der Arbeit auf der Baustelle und bei der Lackierung eines Tisches keine Schmerzen gehabt habe.

Mit Nichtwissen sei zu bestreiten, dass der behandelnde Arzt bei Erstellung des Attestes über die genaue Tätigkeit des Klägers informiert gewesen sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass eine Arbeitsunfähigkeit dann nicht vorliege, wenn für das Arbeitsergebnis völlig untergeordnete, unwesentliche Tätigkeiten aufgrund von Krankheit nicht mehr erbracht werden könnten. Aufgrund des bestehenden Direktionsrechts sei die Beklagte auch berechtigt gewesen, dem Kläger nur solche Tätigkeiten zuzuweisen, für die er seine Hände nicht hätte gebrauchen müssen. Jedenfalls wäre der Kläger verpflichtet gewesen, seine mehrstündige Restarbeitsfähigkeit vorrangig der Beklagten anzubieten. Das Unterlassen dieses Angebots stelle bereits einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.

Jedenfalls bestehe der Verdacht der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Die für eine Verdachtskündigung erforderliche Anhörung des Klägers sei am 24.07. und 04.08.2008 erfolgt. Eine Würdigung der Kündigung unter diesem Gesichtspunkt stehe die Betriebsratsanhörung nicht entgegen, da in dieser die Vorgänge des 24.07.2008 neutral beschrieben worden seien, aus denen sich der vorgeworfene Betrug ebenso wie der entsprechende Betrugsverdacht ergäbe.

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Selbst wenn der Kläger tatsächlich insgesamt arbeitsunfähig gewesen sein sollte, habe er sich doch jedenfalls genesungswidrig verhalten. Die mehrere Stunden in Anspruch nehmende Lackierung eines Tisches und die Ausübung sowohl leitender als auch körperlicher Tätigkeiten auf der Baustelle am 24.07.2008 für deutlich mehr als 45 Minuten, seien dazu geeignet zu einer Beeinträchtigung und Verzögerung des Heilungsprozesses beizutragen.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen Dr. A. gemäß Beweisbeschluss vom 20.11.2009 (Bl. 316 d. A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Aussage des Zeugen gemäß dessen Schreiben vom 11.01., 01.02. und 10.02.2010 (Bl. 338 f., 344 und 349 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft, die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet.

II.

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten gemäß Schreiben vom 22.08.2008 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder außerordentlich fristlos, noch unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist vom 31.03.2009 aufgelöst.

1. Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (26.08.1993 – 2 AZR 154/93 -, EzA § 626 nF BGB Nr. 148) davon aus, dass es einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attestes der Arbeit fern bleibt und sich Lohnfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist dabei von folgenden Grundsätzen auszugehen:

Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dies in der Regel den Beweis für die Tatsache der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung. Ist es dem Arbeitgeber allerdings gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, ist es nunmehr wiederum Sache des Arbeitnehmers, angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente z. B. bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seinem Arbeitgeber verrichten konnte, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war. Wenn der Arbeitnehmer dieser Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen. Es ist auch zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attestes erschüttern, nicht als so gravierend anzusehen sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen, so dass der Arbeitnehmer dieses Indiz entkräften muss.

a) Ausgehend von diesen Grundsätzen, ist die Berufungskammer – insoweit noch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts – der Auffassung, dass aufgrund des Vorfalls am 24.07.2008 der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Zeitraum 23.06. bis 31.07.2008) erschüttert war. Nach dem unstreitigen Sachverhalt befand sich der Kläger an diesem Tag im Rahmen der von ihm ausgeübten Nebentätigkeit in der Firma seiner Frau auf einer Baustelle, trug Arbeitskleidung und war verschwitzt. Nach der Aussage der erstinstanzlich vernommenen Zeugen S. und C. hat der Kläger am 24.07. und erneut im Rahmen seiner Anhörung am 04.08.2008 angegeben, zuvor auch einen Tisch mit Schiffslack lackiert zu haben. Diese Umstände sind geeignet, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Angesichts dieser gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechenden Umstände war es daher Sache des Klägers, sich hierzu substantiiert einzulassen. Dieser Darlegungslast ist der Kläger – jedenfalls unter Berücksichtigung seines Berufungsvorbringens – gerecht geworden. Der Kläger hat bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 29.10.2008 (Bl. 81 ff. d. A.) die aus seiner Sicht bestehenden Beschwerden (Schmerzerscheinung in beiden Handgelenken aufgrund einer schon seit langer Zeit bestehenden rheumatischen Erkrankung) geschildert und ebenso dargelegt, dass ihm ärztlicherseits ausdrücklich empfohlen worden sei, sich zu bewegen. Er hat sich insoweit auf das Zeugnis des behandelnden Arztes berufen und diesen von seiner Schweigepflicht entbunden. Mit seiner Berufung hat der Kläger die ärztlicherseits festgestellten Diagnosen unter Hinweis auf den Inhalt eines Arztbriefes ebenso wie die medikamentöse Behandlung im Einzelnen geschildert.

b) Aufgrund dieses Sachvortrages des Klägers war der Behauptung der Beklagten, die Arbeitsunfähigkeit sei tatsächlich nur vorgetäuscht gewesen, durch eine (ergänzende) Beweisaufnahme durch Vernehmung des behandelnden Arztes nachzugehen. Nichts anderes gilt, wenn davon ausgegangen wird, dass im vorliegenden Fall die Umstände, die den Beweiswert des ärztliches Attestes erschüttern, als so gravierend angesehen werden, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen. Der Kläger hat seinerseits Tatsachen vorgetragen, die diesen Indiz entkräften und sich seinerseits auf das Zeugnis des behandelnden Arztes berufen. Die Würdigung des Arbeitsgerichts aufgrund der durchgeführten erstinstanzlichen Beweisaufnahme stehe fest, der Kläger sei am 24.07.2008 tatsächlich nicht arbeitsunfähig gewesen, teilt die Berufungskammer nicht. Das Arbeitsgericht hat zwar aufgrund der Zeugenvernehmung umfänglich seine Überzeugung begründet, dass an der entsprechenden Arbeitsunfähigkeit erhebliche Zweifel bestanden hätten, die weiter gewonnene Überzeugung, tatsächlich sei der Kläger am 24.07.2008 nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, lediglich mit dem Umfang der Arbeitsleistung des Klägers am besagten Tag begründet. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt die Annahme einer tatsächlich nicht bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht. Der Kläger hat Tätigkeit auf der Baustelle maximal im zeitlichen Umfang einer Stunde ausgeübt. Selbst wenn man davon ausgeht – was der Kläger nach wie vor bestreitet -, der Kläger habe zuvor einen Tisch mit Schiffslack lackiert, wurden diese Aktivitäten nicht in einem zeitlichen Umfang ausgeübt, der auch nur annähernd an die zeitliche Dauer der im Falle der Arbeitsfähigkeit bei der Beklagten auszuübenden Tätigkeit heranreicht.

c) Der somit der Beklagten obliegende Beweis, der Kläger sei tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, ist der Beklagten nicht gelungen. Im Gegenteil steht aufgrund der im Berufungsverfahren durchgeführten schriftlichen Vernehmung des Zeugen Dr. A. zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Die Berufungskammer stützt sich insoweit insbesondere auf die schriftlichen Äußerungen des Zeugen Dr. A. gemäß den am 11.01. und 10.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schreiben (Bl. 338 f., 349 d. A.). Aus der Aussage des Zeugen ergibt sich insbesondere, dass die diagnostizierte Erkrankung (akutes Stadium einer Polyarthritis) nicht nur auf Eigenangaben des Klägers, sondern aufgrund objektivierbarer Befunde (starke Ausprägung der Synovitiden, Druckschmerz, Nachweis von Flüssigkeit als Ausdruck einer Gelenkentzündung mittels Ultraschalluntersuchung) festgestellt wurden. Ferner ergibt sich aus der schriftlichen Aussage des Zeugen, dass dieser von einer Arbeitsunfähigkeit, auch im Hinblick auf leichte, zeitlich begrenzte Arbeiten ausging und ihm die aktuell ausgeübte Tätigkeit des Klägers (leitende, aufsichtsführende Funktion) bekannt war. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer darauf hingewiesen hat, es sei nicht ersichtlich, dass dieser Befund, der am 15.07.2008 erhoben wurde, am 24.07.2008 noch vorgelegen habe, ist darauf hinzuweisen, dass Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht nur dann gegeben ist, wenn ein Krankheitsgeschehen den Arbeitnehmer außer Stande setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, sondern auch dann, wenn er die Arbeiten nur unter der Gefahr aufnehmen oder fortsetzen kann, in absehbarer naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern (BAG 07.09.2004 – 9 AZR 587/03, EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 12) oder die Ausheilung zu verzögern. Ausweislich der schriftlichen Aussage des Zeugen A. wurde dem Kläger körperliche Schonung zur Förderung der Rekonvaleszenz angeraten.

2. Auch unter dem Gesichtspunkt, es habe zumindest der dringende Verdacht bestanden, der Kläger habe die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, ist die Kündigung nicht rechtswirksam.

Auch die Berufungskammer geht davon aus, dass auch der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann. Ein solcher dringender Verdacht bestand aber unter Berücksichtigung der schriftlichen Aussage des Zeugen Dr. A. nicht. Vielmehr ergibt sich aus dieser – wie ausgeführt -, dass der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Dass der Beklagten dieser zur Arbeitsunfähigkeit führende medizinische Befund zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht bekannt war, ist unerheblich. Im Falle einer Verdachtskündigung sind die einen Verdacht entkräftenden Tatsachen grundsätzlich im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, sofern sie – wenn auch unerkannt – bereits vor Zugang der Kündigung vorlagen (BAG 06.11.2003 – 2 AZR 631/02 -, EzA § 626 BGB 2002, Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2).

3. Soweit die Beklagte die streitgegenständlichen Kündigungen damit begründen will, der Kläger habe seine mehrstündige Restarbeitsfähigkeit vorrangig der Beklagten anbieten müssen, rechtfertigt dies keine andere rechtliche Beurteilung. Aufgrund der Aussage des Zeugen Dr. A. bestand keine Arbeitsfähigkeit, auch nicht für leichte Arbeiten, die zeitlich begrenzt gewesen wären. Ferner ist die Behauptung der Beklagten, es sei von einer mehrstündigen „Restarbeitsfähigkeit“ auszugehen, durch Tatsachen nicht gerechtfertigt. Wie ausgeführt, ergibt sich aufgrund der festgestellten Tatsachen lediglich, dass der Kläger sich eine Stunde auf der Baustelle aufgehalten hat und – strittig – zuvor noch einen Tisch mit Schiffslack lackiert haben soll. Angesichts der Tatsache, dass der anonyme Anruf um 9.45 Uhr einging und die erstinstanzlich vernommenen Zeugen sich sodann auf den Weg zur Baustelle machten, ergibt sich jedenfalls, dass selbst unter Hinzurechnung einer – von der Beklagten allerdings auch nicht näher behaupteten – Zeit für das Lackieren eines Tisches der zeitliche Umfang der vom Kläger insgesamt ausgeübten Tätigkeiten auch nicht annähernd an den zeitlichen Umfang der im Falle des Nichtbestehens vom Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten geschuldeten Arbeitsleistung heranreicht.

4. Schließlich ist die streitgegenständliche Kündigung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht gerechtfertigt. Der Kläger hat diese Pflicht zwar verletzt. Diese Pflichtverletzung rechtfertigt aber im vorliegenden Fall ohne vorherige Abmahnung weder eine außerordentliche fristlose Kündigung, noch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

a) Aus der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht folgt, dass ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer sich so verhalten muss, dass er bald wieder gesund wird. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann auch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen (BAG 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 16).

b) Vorliegend hat der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme diese Pflicht verletzt. Nach der schriftlichen Aussage des Zeugen Dr. A. wurde dem Kläger durch diesen ärztlicherseits körperliche Schonung zur Förderung der Rekonvaleszenz angeraten. Diesem medizinischen Rat zuwider hat der Kläger sich körperlich nicht geschont, sondern sich auf der Baustelle aufgehalten. Die erstinstanzlich vernommenen Zeugen S. und C. haben ferner übereinstimmend und widerspruchsfrei bekundet, dass der Kläger anlässlich seiner Anhörung am 04.08.2008 eingeräumt hat, zuvor, d. h. vor einem Erscheinen auf der Baustelle zu Hause einen Tisch lackiert zu haben. Dieses Lackieren eines Tisches stellt unter Berücksichtigung der ärztlicherseits festgestellten Befunde (u. a. Schmerzen in den Handgelenken) kein Verhalten entsprechend der ärztlichen Verhaltensregel dar.

c) Diese Pflichtverletzung rechtfertigt aber im vorliegenden Fall unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ohne vorherige Abmahnung weder eine außerordentliche Kündigung, noch eine außerordentliche Kündigung unter Wahrung einer sozialen Auslauffrist.

Grundsätzlich setzt eine auf eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers gestützte Kündigung eine vorherige Abmahnung voraus (vgl. für den Fall genesungswidrigen Verhaltens LAG Rheinland-Pfalz 09.12.2004 – 4 Sa 728/04 – juris). Bei schweren Pflichtverletzungen kann eine Abmahnung entbehrlich sein, wenn der Arbeitnehmer nicht mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (vgl. etwa BAG 02.03.2006, a. a. O.).

Eine einschlägige Abmahnung des bereits seit knapp 30 Jahren bei der Beklagten beschäftigten Klägers liegt nicht vor. Auch sonstige Abmahnungen sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Kläger bereits zuvor Pflichten im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeitszeiten verletzt hat.

Eine Abmahnung war im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu den Sachverhalten, denen die Urteile des BAG vom 26.08.1993 (2 AZR 154/93, a. a. O.) und 02.03.2006 (2 AZR 53/05, a. a. O.) zugrunde lagen, der Kläger allein vom zeitlichen Umfang her Tätigkeiten entfaltet hat, die auch nicht annähernd zeitlich an die Anforderungen der geschuldeten Arbeitsleistung bei der Beklagten heranreichen und der Kläger – etwas anderes lässt sich den Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen nicht entnehmen – auf der Baustelle nicht Montage- oder sonstige Bauarbeiten durchgeführt hat, sondern lediglich dabei beobachtet wurde, dass er einen Lieferschein in der Hand hielt und am Lkw eines Zulieferers mit einer dort befindlichen Verpackung beschäftigt war. Diese von den Zeugen geschilderte Beobachtung spricht für die Behauptung des Klägers, er habe dort lediglich die Korrektheit bzw. Vollständigkeit einer Lieferung kontrolliert. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger bereit seit 15.11.1978 bei der Beklagten beschäftigt ist, konnte der Kläger mit vertretbaren Gründen annehmen, die Beklagte werde dieses einmalige Fehlverhalten nicht ohne Vorliegen jeglicher Abmahnung als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten ansehen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

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