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Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Beweiswert

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Az: 11 Sa 410/09

Urteil vom 03.09.2009

Nachinstanz: BAG, Az: 5 AZR 692/09


Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 05.02.2009 – 4 Ca 1437/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 06.02.1998 bei der Beklagten als Karosseriebauer zu einem Bruttolohn von zuletzt monatlich 3.158,66 € beschäftigt. Er hat einen Grad der Behinderung von 40 und ist laut Bescheid der Agentur für Arbeit Essen vom 07.05.2007 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Der Kläger war im Zeitraum vom 14.12.2006 bis zum 01.06.2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Ausweislich des ärztlichen Attestes von Dr. med. T., Facharzt für Psychiatrie und Nervenheilkunde, Psychotherapie befindet sich der Kläger seit dem 12.01.2007 in ambulanter Behandlung der Gemeinschaftspraxis Dr. med. S. T. und Dr. med. L. I.. Gemäß dem ärztlichen Attest von Frau Dr. G. L., Fachärztin für Psychiatrie – Psychotherapie – vom 26.09.2008 befindet sich der Kläger seit dem 22.01.2007 in ihrer regelmäßigen psychotherapeutischen Behandlung.

Der Kläger erkrankte erneut am 02.06.2008 aufgrund einer kurzfristigen Ansteckung, wie es im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 02.08.2008 an die gegnerischen Prozessbevollmächtigten heißt. Am 04.06.2008 bot er seine Arbeit der Beklagten an. Diese wies das Angebot durch ihren Geschäftsführer, Herrn L., zurück.

Mit Schreiben vom 29.05.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis in Unkenntnis von dessen Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen ohne Zustimmung des Integrationsamtes ordentlich zum 30.09.2008. Hiergegen erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Oberhausen – 3 Ca 1060/08 – Kündigungsschutzklage. Nachdem die Beklagte durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27.06.2008 gegenüber dem Arbeitsgericht Oberhausen die Rücknahme der Kündigung erklärt hatte, nahm der Kläger seine Kündigungsschutzklage zurück.

Unter dem 09.07.2008 schrieben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten an die gegnerischen Prozessbevollmächtigten, der Kläger habe telefonisch am 07.07.2008 mitgeteilt, dass er derzeit arbeitsunfähig krank sei, und zwar bis einschließlich 09.07.2008. In diesem Schreiben stellten sie den Kläger namens ihrer Mandantin „erneut von der Arbeitsleistung unter Anrechnung von etwaigen Urlaubsansprüchen frei.“ Sie wiesen darauf hin, der Kläger würde, sofern er wieder zur Arbeit erscheinen werde, des Betriebes verwiesen werden. Mit Schreiben vom 21.07.2008, persönlich an den Kläger gerichtet, forderten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten diesen auf, mit der beigefügte Schweigepflichtentbindungserklärung den behandelnden Arzt, der ihn bis zum 01.06.2008 dauernd arbeitsunfähig krankgeschrieben habe, von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass ihre Mandantin aus Gründen der Arbeitssicherheit die Arbeitsfähigkeit des Klägers durch einen Betriebsarzt überprüfen lassen möchte.

Auf beide Schreiben antworteten die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 02.08.2008. Hierauf erwiderten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten schriftlich am 19.08.2008 und fragten an, ob der Kläger im Hinblick auf seine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung bereit sei, den ärztlichen Dienst mit der Untersuchung der Arbeitsfähigkeit zu beauftragen. Einen Tag zuvor, am 18.08.2008, entband der Kläger schriftlich die ihn behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht.

Mit Bescheid vom 24.10.2008 wies der Landschaftsverband Rheinland den Antrag der Beklagten vom 17.06.2008 auf Zustimmung zur Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. § 85 SGB IX) zurück. Den hiergegen seitens der Beklagten eingelegten Widerspruch wies der Landschaftsverband Rheinland mit Bescheid vom 27.05.2009 zurück.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Oberhausen am 21.08.2008 eingegangenen und der Beklagten am 02.09.2008 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst das Arbeitsentgelt für Juni und Juli 2008 geltend gemacht. Mit einem am 03.12.2008 bei diesem Gericht eingereichten Schriftsatz hat der Kläger zunächst mitgeteilt, im Hinblick auf die Zahlung des Entgelts für Juni 2008, würde der mit der Klage geltend gemachte Betrag für Juli und August 2008 verlangt. Zugleich hat der Kläger seine Entgeltklage für die Monate September bis November 2008 erweitert. Mit einem am 09.01.2009 beim Arbeitsgericht eingereichten Schriftsatz hat der Kläger noch das Arbeitsentgelt für Dezember 2008 und Januar 2009 verlangt.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht: Er habe seine Arbeit ordnungsgemäß angeboten. Seine Ärzte hätten ihn als arbeitsfähig angesehen. Die ihn behandelnde Frau Dr. G. L. habe mit Schreiben vom 26.09.2008 – unstreitig – erklärt, dass er wieder arbeitsfähig sei und aus medizinischer Sicht Belastbarkeit zur Teilnahme am Arbeitsleben bestehe. Gleiches habe – unstreitig – Herr Dr. med. T. am 04.08.2008 konstatiert.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, ihm € 6.371,32 zzgl. 5 % Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2008 zu zahlen;

3. die Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit dem 31.10.2008 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit dem 30.11.2008 zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit dem 31.12.2008 zu zahlen;

6. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit dem 31.01.2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht: Es bestehe der hinreichende Verdacht, dass der Kläger nach wie vor arbeitsunfähig sei. Allein die von ihm vorgelegte Arbeitsfähigkeitsbescheinigung sei nicht ausreichend, um seine Arbeitsfähigkeit feststellen zu können.

Mit seinem am 05.02.2009 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Kläger stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch gem. § 615 BGB zu. Er habe sich mit Datum vom 02.06.2008 ordnungsgemäß zur Arbeitsleistung bei der Beklagten gemeldet, nachdem ihm die behandelnden Ärzte ausdrücklich konstatiert hätten, einer Wiedereinsetzbarkeit am Arbeitsplatz stehe nichts im Wege. Die Beklagte habe den Kläger von der Arbeit ausdrücklich freigestellt und ihm im Juli 2008 angekündigt, er werde des Betriebes verwiesen, sollte er zur Arbeit erscheinen. Es sei kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der danach feststehende Annahmeverzug der Beklagten infolge Leistungsunfähigkeit des Klägers gem. § 297 BGB ausgeschlossen gewesen sei. Allein die Tatsache, dass der Kläger längere Zeit erkrankt gewesen sei, lasse nicht den Schluss auf weitere Arbeitsunfähigkeit zu. Er habe durch Vorlage der Atteste der Ärzte in genügendem Umfang nachgewiesen, dass er zur Arbeitsleistung imstande gewesen sei.

Gegen das ihr am 30.03.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem bei Gericht am 22.04.2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem hier am 28.04.2009 eingereichten Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend: Sie habe bereits erstinstanzlich die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens beantragt, um die Arbeitsfähigkeit des Klägers überprüfen zu lassen. Diesen Beweisantritt habe das Vordergericht unbeachtet gelassen. Die Arbeitsfähigkeit des Klägers könne aber nicht dadurch festgestellt werden, dass dieser als quasi Parteigutachten ärztliche Atteste vorlege, wonach er angeblich arbeitsfähig sein solle. Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit würden sich aus dem ärztlichen Gutachten der Deutschen Rentenversicherung Rheinland ergeben, wonach sich der Kläger wegen behaupteten Mobbings und einem „Knock-out“ in psychologischer, psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung befunden habe. Er sei durch seine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung, die offensichtlich auf den Arbeitsplatz zurückzuführen sei, daran gehindert, seine Tätigkeit bei ihr auszuüben. Sobald der Kläger mit ihrem Geschäftsführer wieder zusammenträfe, würden seine behandlungsbedürftigen Krankheitsbilder wieder auftreten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 05. Februar 2009 – 4 Ca 1437/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und führt unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus: Zu Recht habe die Vorinstanz keinen Anlass gesehen, die von ihm vorgelegte Arbeitsfähigkeitsbescheinigung in Zweifel zu ziehen. Dem behandelnden Arzt sei seine Tätigkeit als Werkstattleiter bekannt gewesen. Ihm sei darüber hinaus aufgrund der konkreten Erkrankung und insbesondere der psychiatrischen Grundlage der Erkrankung bekannt, dass die Arbeitsunfähigkeit mit seinen damaligen persönlichen Verhältnissen und den beruflichen Einwirkungen seines Vorgesetzten begründet gewesen sei. Auch Frau Dr. L. habe ihm in ihrem ärztlichen Attest vom 11.05.2009 bestätigt, dass er aus ihrer Sicht ohne Einschränkungen arbeitsfähig sei.

Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien wird ausdrücklich auf den Akteninhalt Bezug genommen. Das gilt insbesondere auch für das vom Kläger vorgelegte ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, ausgestellt von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie – Psychotherapie, Herrn H.-W. E., aufgrund einer am 05.05.2008 stattgefundenen Untersuchung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist unbegründet. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat die Vorinstanz der Klage stattgegeben.

I.

Der Kläger kann von der Beklagten gem. § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 Satz 1 BGB für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis zum 31.01.2009 monatlich 3.067,75 € brutto verlangen.

1. Da § 615 Satz 1 BGB dem Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitsleistung „die vereinbarte Vergütung“ sichern, ihm also lediglich den originären Vergütungsanspruch aus § 611 Abs. 1 BGB aufrecht erhalten will (BAG 28.04.1993 – 4 AZR 329/92 – EzA § 611 BGB Croupier Nr. 2; BAG 05.09.2002 – 8 AZR 702/01 – EzA § 615 BGB Nr. 109), ist erste Voraussetzungen für einen auf diese Norm gestützten Zahlungsanspruch ein bestehendes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten (vgl. auch BVerfG 20.01.1990 – 1 BvR 42/82 – DB 1990, 1042). Hiervon ist unzweifelhaft für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.01.2009 auszugehen, da in dieser Zeit ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand.

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2. Auch ist die zweite Voraussetzung für den auf § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 Satz 1 BGB gestützten Vergütungsanspruch des Klägers für den vorgenannten Zeitraum, nämlich der Annahmeverzug der Beklagten, erfüllt.

a) Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muss der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung tatsächlich (§ 294 BGB) oder wörtlich (§ 295 Satz 1 BGB) anbieten. Ist allerdings für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebots, wenn der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§ 296 Satz 1 BGB).

b) Im Streitfall hat der Kläger seine Arbeitskraft der Beklagten – von dieser unwidersprochen – am 04.06.2008 tatsächlich gem. § 294 BGB angeboten. Diese hat das Angebot durch ihren Geschäftsführer abgelehnt.

c) Allerdings kommt der Arbeitgeber nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Ein Arbeitnehmer ist leistungsunfähig i. S. von § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausnahmslos nicht mehr verrichten kann. Ob es sich um gesundheitliche, rechtliche oder andere Gründe handelt, ist nicht maßgebend (BAG 18.03.2009 – 5 AZR 192/08 – Rz. 13, EzA § 615 BGB 2002 Nr. 28). Leistungsunfähigkeit aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausüben kann, oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird (BAG 23.01.2008 – 5 AZR 393/07 – EzA § 615 BGB 2002 Nr. 22).

aa) Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu verrichten, trägt der Arbeitgeber (BAG 29.10.1998 – 2 AZR 666/97 – EzA § 615 BGB Nr. 91; BAG 05.11.2003 – 5 AZR 562/02 – EzA § 615 BGB 2002 Nr. 2). Da er über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, können an seinen Vortrag zum Leistungsunvermögen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Der Arbeitnehmer muss dann darlegen, warum aus dem Vorbringen des Arbeitgebers nicht auf Leistungsunvermögen geschlossen werden kann (§ 138 Abs. 2 ZPO). Er kann z. B. vortragen, warum die zugrunde liegenden Erkrankungen keine Aussagekraft für den Annahmeverzugszeitraum haben, oder konkrete Umstände für eine Ausheilung von Krankheiten bzw. ein Abklingen der Beschwerden darlegen. Naheliegend ist es, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber ist dann für die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen. Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei auch während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. (BAG 05.11.2003 – 5 AZR 562/02 – EzA § 615 BGB 2002 Nr. 2; LAG Köln 29.11.2006 – 7 Sa 1646/05 – LAGE § 615 BGB 2002 Nr. 6).

bb) Im Streitfall hat die Beklagte die Leistungsunfähigkeit des Klägers in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.01.2009 nicht nachgewiesen.

(1.) Die Beklagte hat vorliegend zwar zunächst ausreichende Indizien zum Leistungsunvermögen des Klägers im Annahmeverzugszeitraum vom 01.07.2008 bis zum 31.01.2009 vorgetragen. Sie begründet ihre Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Klägers im Anspruchszeitraum in erster Linie mit dessen Krankheitsvorgeschichte. Sie verweist darauf, dass der Kläger in der Zeit vom 14.12.2006 bis einschließlich 02.06.2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Dieser Einwand reicht jedoch nicht aus, durchgreifende Zweifel an der Wiederherstellung an der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu begründen. Der Kläger hat mit der Vorlage der Atteste von Herrn Dr. med. T. vom 04.08.2008 und von Frau Dr. G. L. vom 26.09.2008 seine Arbeitsfähigkeit ab dem 02.06.2008 und damit aktuell für den hier streitigen Annahmeverzugszeitraum nachgewiesen. Diese Bescheinigungen betrafen das Krankheitsbild, das zuvor für den Zeitraum bis zum 02.06.2008 zur Arbeitsunfähigkeit geführt hatte. Der Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers ab dem 02.06.2008 in den vorgenannten ärztlichen Attesten steht nicht entgegen, dass der Kläger erneut für zwei Tage, nämlich am 02. und 03.06.2008 arbeitsunfähig war. Dies beruhte auf einer anderen Krankheitsursache.

(2.) Da die Überprüfung der Richtigkeit der von dem Kläger vorgelegten Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen unter entsprechender Anwendung der Grundsätze zu erfolgen hat, die zur Überprüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG entwickelt worden sind (vgl. dazu mehr ErfK/Dörner, 9. Aufl. 2009, § 5 EFZG Rz. 15, 16), musste die Beklagte nunmehr begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigungen aufzeigen, um ihren Beweiswert zu erschüttern (vgl. BAG 11.10.2006 – 5 AZR 755/05 – AP Nr. 9 zu § 5 EntgeltFG). Dies ist nicht gelungen. Die Beklagte will den Beweiswert der Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen vom 04.08.2008 und 26.09.2008 vor allem damit erschüttern, dass aus ihnen nicht ersichtlich sei, den behandelnden Ärzten sei bekannt gewesen, welche Tätigkeit der Kläger ausübe und aus welchem Grund er sich in psychologischer und psychiatrischer Behandlung habe gebeten müssen. Dem ersten Einwand ist entgegenzuhalten, dass ein Arzt eine Arbeitsunfähigkeit nur nach Schilderung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten durch den Arbeitnehmer ausstellen darf. Bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit muss er nämlich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom 01.12.2003 (BAnz. 2004 Nr. 61, S. 6501) i. d. F. vom 19.09.2006 (BAnz. 2006, S. 7356) darauf abstellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit des Arbeitnehmers konkret geprägt haben. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass Herr Dr. T. bzw. Frau Dr. G. L. den Kläger nicht nach seinen bei der Beklagten zu erbringenden Tätigkeiten vor Feststellung der bis zum 02.06.2008 dauernden Arbeitsunfähigkeit gefragt hatten. Dementsprechend brauchte in den Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen vom 04.08.2008 bzw. 26.09.2008 nicht ausdrücklich auf die vom Kläger bei der Beklagten ausgeübten Tätigkeit eingegangen werden, um nunmehr das Ende der Arbeitsunfähigkeit wegen der vorherigen Krankheitsursachen zu attestieren. Entsprechendes gilt für den Einwand der Beklagten, aus den vorgenannten Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen sei der Grund für die psychologische und psychiatrische Behandlung des Klägers nicht ersichtlich. Dieser Aspekt muss bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zur Sprache gekommen sein. Denn um eine Anamnese aufnehmen zu können, muss der behandelnde Arzt, auch zwecks anzuwendender Heilmethoden, den Arbeitnehmer nach den Gründen für eine festgestellte Erkrankung fragen.

(3.) In diesem Zusammenhang ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Die Beklagte hat am Ende ihres Schriftsatzes vom 08.06.2009 die Prognose aufgestellt, sobald der Kläger mit ihrem Geschäftsführer wieder zusammentreffe, würden seine behandlungsbedürftigen Krankheitsbilder wieder auftreten. Sie knüpft damit offensichtlich an die im ärztlichen Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung (Seite 2 unten) wiedergegebene Angabe des Klägers an, mit seinem Chef habe er einen „Knock out“ gehabt. Es hätte die der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Rücksichtnahmepflicht geboten, dass ihr Geschäftsführer nach der Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Klägers – selbstverständlich auch durch eine geänderte Einstellung dem Kläger gegenüber – diesem ab 04.06.2008 die Chance gegeben hätte, Restzweifel an seiner Arbeitsfähigkeit durch einen praktischen Arbeitsversuch zu zeigen. Die Verpflichtung der Beklagten, weitestmöglich auf etwa im Annahmeverzugszeitraum noch bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers Rücksicht zu nehmen, folgte im Übrigen auch aus seiner Anerkennung nach § 2 Abs. 3 SGB IX als ein einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter behinderter Mensch (vgl. LAG Köln 29.11.2006 – 7 Sa 1646/05 – a. a. O.).

II.

Der Zinsanspruch für Juli 2008 ergibt sich dem Grunde nach aus § 291 Satz 1 1. Halbs. BGB i. V. m. §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO und der Höhe nach gemäß §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 Satz 2 BGB. Für die übrigen Monate ergibt sich der Zinsanspruch dem Grunde nach aus § 288 Abs. 1 Satz BGB i. V. m. §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 614 Satz 2 BGB und der Höhe nach aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.

Die Kammer hat der Rechtssache im Hinblick auf die Bedeutung einer ärztlichen Arbeitsfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der dem Arbeitgeber für die Feststellung einer Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. § 297 BGB) obliegenden Darlegungs- und Beweislast grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die Revision an das Bundesarbeitsgericht gem. § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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