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Arbeitsvertragskündigung – fehlende Defizit-Prüfung

 LAG Rheinland-Pfalz

Az: 3 Sa 405/10

Urteil vom 30.11.2010


Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 14.07.2010 – Az: 7 Ca 410/10 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Mit seiner, dem Beklagten am 14.05.2010 zugestellten Klage wehrt sich der Kläger gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die ihm der Beklagte mit dem Schreiben vom 06.05.2010 (Bl. 14 d. A.) „fristlos, hilfsweise fristlos mit sozialer Auslauffrist bis zum 15.06.2010“ erklärt hat.

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Ab. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 14.07.2010 – 7 Ca 410/10 – (dort Seite 2 ff. = Bl. 62 ff. d. A.). In dem vorbezeichneten Urteil hat das Arbeitsgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 06.05.2010 weder außerordentlich noch mit Auslauffrist aufgelöst wurde. Gegen das am 04.08.2010 zugestellte Urteil vom 14.07.2010 hat der Beklagte am 05.08.2010 Berufung eingelegt und diese am 01.10.2010 mit dem Schriftsatz vom 01.10.2010 begründet. Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 01.10.2010 (Bl. 90 ff. d. A.) verwiesen. Ergänzend äußert sich der Beklagte im Schriftsatz vom 26.11.2010 (Bl. 111 ff. d. A.), worauf ebenfalls Bezug genommen wird. Zum Zwecke der Berufungsbegründung bringt der Beklagte u.a. vor:

Soweit das Arbeitsgericht es als zweifelhaft ansehe, ob und inwieweit der Beklagte dazu berechtigt gewesen sei, durch einseitige Anordnung den Tätigkeitsbereich des Klägers auf einfache Tätigkeit zu beschränken, könne dem nicht gefolgt werden. Der Beklagte verweist auf § 2 des Anstellungsvertrages sowie auf § 3 Abs. 2 lit. b der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte („ZO-Z“; folgend: ZV-Z). Das Arbeitsgericht verkenne, dass zwischen der grundsätzlichen Berechtigung zur Ausübung der Zahnheilkunde und der Behandlung von Kassenpatienten zu differenzieren sei. Während der Zeit des zweijährigen Vorbereitungsdienstes gemäß § 3 Abs. 2 lit. b ZV-Z („Assistenzzeit“) sei der Beklagte selbstverständlich berechtigt gewesen, dem Kläger Weisungen zu erteilen, ohne dass dies einer besonderen Aufführung im Arbeitsvertrag bedurft habe. Der Beklagte verweist auf den (unstreitigen) Umstand, dass der Kläger an der auf den 29.07.2009 terminierten Prüfung nicht teilgenommen hat (vgl. dazu das Schreiben [Ladung des Klägers] des Landesprüfungsamtes für Studierende der Medizin und der Pharmazie vom 10.07.2009 für die „Kenntnis-/Defizit-Prüfung zur Feststellung der Gleichwertigkeit Ihres Ausbildungsstandes“; Bl. 100 f. d. A.).

Der Beklagte behauptet, bei Abschluss des Anstellungsvertrages sei ihm nicht bekannt gewesen, dass der Kläger nicht über die erforderliche Defizit-Prüfung verfügt habe. Der Kläger habe ihn hierüber getäuscht, so dass rein vorsorglich auch die Anfechtung des Anstellungsvertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt werde. Unzutreffend sei es – so bringt der Beklagte weiter vor -, dass es im Rahmen des Kammertermins (vor dem Arbeitsgericht am 14.07.2010) unwidersprochen geblieben sei, dass der Kläger zwei Jahre Zeit habe, sich der Defizit-Prüfung zu unterziehen. Die vom Kläger angeführten zwei Jahre würden sich auf seine Assistenzzeit beziehen, die jedoch ohne die Gleichwertigkeits- bzw. Defizit-Prüfung überhaupt noch nicht zu laufen begonnen habe. Auch seitens der Kassenzahnärztlichen Vereinigung werde eine erfolgreiche Ablegung dieser Gleichwertigkeits- bzw. Defizit-Prüfung verlangt. Erst nach einer erfolgreichen Prüfung würden Assistenzzeiten von der KZV anerkannt. Da der Kläger zur eigenständigen kassenzahnärztlichen Versorgung nicht berechtigt gewesen sei, sei er, der Beklagte, nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet gewesen, die Arbeiten des Klägers zu überwachen und zu überprüfen. Nur bezüglich der Tätigkeiten, die aus Sicht des Beklagten der Kläger noch nicht eigenständig habe durchführen können, sei eine Anweisung erfolgt, dass diese nur in Anwesenheit und Aufsicht des Beklagten durchgeführt werden dürften. Da der Kläger bei vorherigen Befragungen durch den Beklagten erhebliche Mängel hinsichtlich seiner Kenntnisse bezüglich der Notfallversorgung aufgewiesen habe, sei ihm wiederholt untersagt worden, (keine) invasive(n) Eingriffe durchzuführen, ohne dass der Beklagte hierbei zugegen sei (Beweis: Vernehmung der Zeuginnen A., R., G. und H.). Soweit das Arbeitsgericht die Auffassung vertrete, das eigenmächtige Verhalten des Klägers sei nur als Verstoß gegen eine Arbeitsanordnung zu werten, stößt dies bei dem Beklagten auf Unverständnis. Das Arbeitsgericht verkenne, dass der Kläger hierdurch Patienten einem erheblichen Gesundheitsrisiko aussetze. Auch bei einem für die Allgemeinheit vermeintlich harmlosen Eingriff, wie der Extraktion eines Zahnes oder der Gabe eines Betäubungsmittels, könne es zu unvorhergesehenen Reaktionen kommen, die bis zum Tod des Patienten führen könnten. Im Falle einer Schockreaktion müsse der behandelnde im Bruchteil von Sekunden reagieren, – es müsse eine unverzügliche Reaktion erfolgen. Es sei nicht zutreffend, dass es ausreichend gewesen wäre, dass der Kläger den Beklagten im Falle eines Notfalles hätte hinzurufen können. Da eine unverzügliche Reaktion zu erfolgen habe, habe der Beklagte darauf bestanden, dass er bei entsprechenden Eingriffen des Klägers unmittelbar zugegen sei.

Der Beklagte trägt weiter vor, dass unmittelbar am Abend vor dem Vorfall (vom 04.05.2010) es noch ein Streitgespräch zwischen den Parteien gegeben habe, in dem der Beklagte eindeutige Weisungen erteilt habe. Hierüber habe sich der Kläger vorsätzlich hinweggesetzt und die Weisungen seines ausbildenden Arztes missachtet. In einem solchen Falle bedürfe es keiner gesonderten Abmahnung, weil der Kläger von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens habe rechnen können und dürfen. Der Kläger sei sich somit bewusst gewesen, dass er seinen Arbeitsplatz durch sein eigenmächtiges Verhalten aufs Spiel setze. Der Beklagte habe jegliches Vertrauen in das Verhalten des Klägers verloren. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt Einsicht gezeigt, so dass der Beklagte auch davon ausgehen müsse, dass sich ein derartiges Fehlverhalten wiederhole. Bereits im Interesse seiner Patienten, aber auch im Hinblick auf seine eigene kassenzahnärztliche Zulassung könne der Beklagte dies nicht hinnehmen, so dass die fristlose Kündigung, hilfsweise die fristlose Kündigung mit sozialer Auslauffrist, Bestand haben müsse.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 14.07.2010 – 7 Ca 410/10 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 29.10.2010 (Bl. 108 ff. d. A.) sowie im Schriftsatz vom 26.11.2010 (Bl. 111 d. A. ff. d. A.), worauf jeweils verwiesen wird. Soweit es um die Nichtwahrnehmung des Prüfungs-Termins vom 29.07.2009 geht, bringt der Kläger vor, dass nicht genügend Zeit vorhanden gewesen sei, um sich ordnungsgemäß auf die Gleichwertigkeitsprüfung vorzubereiten. Insofern habe zwischen den Parteien Einigkeit bestanden, dass der Kläger zu einem späteren Zeitpunkt die Gleichwertigkeitsprüfung habe absolvieren sollen. Unter Verweis auf § 1 Ziffer 2 des Anstellungsvertrages trägt der Kläger vor, dass offen gewesen sei, wann er ganz konkret die Zulassungsvoraussetzungen zur Zulassung als Vertragszahnarzt bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung erfüllen würde. Der Kläger behauptet, nicht gegen eine Arbeitsanweisung des Beklagten verstoßen zu haben. Eine solche Arbeitsanweisung habe es nicht gegeben. Eine solche Anweisung widerspreche auch den Tätigkeitsbeschreibungen in § 2 des Anstellungsvertrages. Soweit es um die Gabe des Betäubungsmittels geht, hält der Kläger fest, dass es hier keine eindeutige Anweisung des Beklagten gegeben habe. Er, der Kläger, habe die Behandlung (vom 04.05.2010) „lege artis“ ausgeführt. Es habe zu keiner Zeit die Gefahr einer „unvorhersehbaren Reaktion“ bestanden. Wenn der Beklagte der Auffassung gewesen sei, der Kläger verstoße gegen eine Weisung, so hätte der Beklagte – so argumentiert der Kläger weiter – den Kläger zuerst abmahnen müssen als milderes Mittel vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

Er, der Kläger, habe den Beklagten niemals über die Notwendigkeit einer Gleichwertigkeitsprüfung getäuscht, so dass die Anfechtung des Anstellungsvertrages wegen arglistiger Täuschung nicht greife.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet. Die Klage des Klägers ist, soweit ihr das Arbeitsgericht stattgegeben hat, begründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.05.2010 weder außerordentlich-fristlos noch außerordentlich nach Ablauf einer Auslauffrist am 15.06.2010 geendet hat. Die Begründetheit der Klage ergibt sich aus § 626 Abs. 1 BGB. Dem Beklagten ist es zur Zeit des Kündigungsausspruchs (06.05.2010) nicht unzumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zu dem Beendigungszeitpunkt fortzusetzen, der sich aus § 1 Ziffer 2 und § 11 Ziffer 2 Satz 2 des Anstellungsvertrages ergibt.

1. Allerdings liegt eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers vor, die an sich geeignet ist, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Der Kläger hat am 04.05.2010 eine Arbeitspflichtverletzung begangen. Der Behandlungsauftrag, der dem Kläger am 04.05.2010 für das Kind der Zeugin ….. (s. Bl. 55 d. A.) erteilt worden war, beschränkte sich auf eine Zahnversiegelung. Diesen Arbeitsauftrag hat der Kläger eigenmächtig dahingehend erweitert, dass er ohne vorherige Absprache mit dem Beklagten und in dessen Abwesenheit eine Betäubung (intraligamentäre Anästhesie; mittels „Peripresstechnik“) nebst anschließender Extraktion eines Zahnes vornahm sowie die Füllung eines anderen Zahnes vornahm. Durch dieses Verhalten hat der Kläger die Grenze, die seinen Tätigkeitsbefugnissen gemäß § 2 des Anstellungsvertrages gesetzt war, überschritten. Demgemäß oblag dem Kläger die diagnostische und therapeutische Behandlung der Patienten nur im Rahmen seiner beruflichen Befugnisse (§ 2 Ziffer 1 a des Anstellungsvertrages). Der Umfang der beruflichen Befugnisse des Klägers ergibt sich in erster Linie aus dem Bescheid des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom 27.06.2008 (Bl. 50 d. A.). Dort ist dem Kläger zwar das Recht zur Ausübung der Zahnheilkunde für die Zeit bis zum 30.06.2010 (widerruflich) erteilt worden, – allerdings ausdrücklich nur „beschränkt auf eine nicht selbständige und nicht leitende Tätigkeit in der Praxis eines niedergelassenen Zahnarztes/einer Zahnklinik…..“. Weiter heißt es in dem Bescheid vom 27.06.2008 ausdrücklich: „Die Erlaubnis berechtigt nicht zu einer Vertretertätigkeit“. Nur mit diesen einschränkenden Maßgaben hat der Kläger die Rechte und Pflichten eines Zahnarztes erhalten. Ebenso wie der Bescheid vom 27.06.2008 enthält der Bescheid der Kassenzahnärztlichen Vereinigung vom 30.03.2009 – soweit es um die Behandlung von Kassenpatienten geht – die ausdrückliche Beschränkung auf eine „nicht selbständige Tätigkeit“ (s. Bescheid Bl. 33 d.A.; s. zur unselbständigen Stellung eines Vorbereitungsassistenten: LSG Hessen 14.07.2005 – L 4 KA 21/05 ER; SG Marburg 18.05.2005 – S 12 KA 30/05; vgl. auch OVG Münster 04.09.2006 – 13 A 1667/05 – und VG Hamburg 16.05.2006 – 10 K 4943/04 -)). Entgegen diesen Einschränkungen hat sich der Kläger am 04.05.2010 das angemaßt zu tun, was selbständig nur der Beklagte als Praxisinhaber hätte tun dürfen. Für den Beklagten als zugelassenen Kassenzahnarzt gilt der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung. Der Kassenzahnarzt darf sich grundsätzlich nur durch einen anderen Kassenzahnarzt oder durch einen, der die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 ZV-Z erfüllt, vertreten lassen. Zu diesem Personenkreis zählte der Kläger am 04.05.2010 unstreitig nicht. Weder verfügte der Kläger über die Approbation als gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG), noch hatte der Kläger bereits die zweijährige Vorbereitungszeit gemäß § 3 Abs. 2 lit. b ZV-Z abgeleistet. Dem Kläger war lediglich befristet, beschränkt und widerruflich das Recht zur Ausübung der Zahnheilkunde erteilt worden mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Erlaubnis vom 27.06.2008 gerade nicht zu einer Vertretertätigkeit berechtigte. In ähnlicher Weise war dem Beklagten in kassenzahnarztrechtlicher Hinsicht die Beschäftigung des Klägers lediglich als Vorbereitungsassistent nach § 32 Abs. 2 ZV-Z in Verbindung mit § 3 Abs. 3 ZV-Z genehmigt worden. Ein bloßer Vorbereitungsassistent hat keineswegs die Befugnis, hinsichtlich Diagnose und Therapie selbständig all das zu tun, was der Praxisinhaber tun darf.

2. Liegt hiernach ein Verhalten des Klägers vor, das an sich geeignet ist, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, so führt hier allein die gemäß § 626 Abs. 1 BGB (weiter) vorgeschriebene Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles dazu, dass dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu dessen vereinbarter Beendigung (gemäß § 1 Ziffer 2 und § 11 Ziffer 2 Satz 2 des Anstellungsvertrages) doch noch zuzumuten ist, – wobei für diese Bewertung entscheidungserheblich auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruches, also auf den 06.05.2010, abzustellen ist.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist mit Rücksicht auf die schweren (finanziellen) Folgen des Verlustes des Arbeitsplatzes (entweder sofort mit Zugang der Kündigung vom 06.05.2010 oder nach Ablauf der Auslauffrist zum 15.06.2010), – nämlich Wegfall der für den Unterhalt seiner Familie notwendigen Einkünfte (der Kläger ist unstreitig verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder) und die Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle im Zusammenhang mit dem Ansehensverlust eines außerordentlich Gekündigten eine Unzumutbarkeit i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zu verneinen. Auch wirkt es sich jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung zum Nachteil des Beklagten aus, dass er den Kläger vor Kündigungsausspruch nicht ordnungsgemäß abgemahnt hat. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung ist in einem Fall der vorliegenden Art (- die ordentliche Kündigung ist vertraglich ausgeschlossen; § 11 Ziffer 2, Satz 1 des Anstellungsvertrages -) nicht auf die – mangels ordentlicher Kündbarkeit des Klägers konkret nicht einschlägige und daher „fiktive“ – ordentliche Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 1 BGB abzustellen, sondern auf die zu erwartende Zeitspanne der künftigen Vertragsdauer (vgl. BAG v. 14.11.1984 – 7 AZR 474/83 -). Abzustellen ist also auf den (voraussichtlichen) Zeitpunkt, der sich aus § 1 Ziffer 2 und § 11 Ziffer 2 Satz 2 des Anstellungsvertrages ergibt. Trotz der damit gegebenen, noch entsprechend langen Vertragsdauer ist dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar gewesen. Zwar spricht für die außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Beklagten daran, dass durch ein Tätigwerden des Klägers in der Praxis des Beklagten nicht das Leben und die Gesundheit von Patienten gefährdet wird. Diesem berechtigten Anliegen konnte der Beklagte jedoch auch durch Ausspruch einer Abmahnung Rechnung tragen. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre eine Abmahnung die angemessene und ausreichende Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers gewesen. In diesem Zusammenhang ist entscheidungserheblich, dass die objektiv gegebene Einschränkung des Aufgabenbereichs des Klägers, wie sie oben unter Ziffer I. 1. festgestellt wurde, im Arbeitsvertrag selbst nicht mit dieser Eindeutigkeit formuliert worden ist. Vielmehr heißt es dort unter § 2 Ziffer 1d sogar, dass der Kläger zur Vertretung des Beklagten in Krankheitsfällen und zu Urlaubszeiten befugt sei bzw. dass dies zu den ärztlichen Aufgaben des Klägers gehöre. Zwar ist es während der Beschäftigungszeit des Klägers tatsächlich nicht dazu gekommen, dass der Kläger den Beklagten in einem Krankheitsfall oder zu Urlaubszeiten vertreten hätte. Die Vertretungsregelung bezüglich Krankheit und Urlaub ist jedoch nicht ungeeignet gewesen, den Kläger in seiner Auffassung zu bestärken, er habe bereits als Vorbereitungsassistent einen uneingeschränkten Anspruch auf eine qualifizierte Beschäftigung. Diesbezüglich hat sogar das Arbeitsgericht, als Kollegialgericht einer Fachgerichtsbarkeit, im ersten Teil seiner Entscheidungsgründe (Urteil Seite 7) Zweifel an der Berechtigung des Beklagten geäußert, „durch einseitige Anordnungen den Tätigkeitsbereich des Klägers auf einfache Tätigkeiten zu beschränken“. Das Arbeitsgericht meint, da zur Ausübung der Zahnheilkunde sicherlich auch die Gabe von Betäubungsspritzen gehöre, dürfte auch dieser Vorgang zu den im Arbeitsvertrag genannten beruflichen Befugnissen zählen. Soweit es um die Bedeutung der Einschränkung „beschränkt auf eine nicht selbständige und nicht leitende Tätigkeit“ geht, hat das Arbeitsgericht – im Sinne der Ausführungen des Klägers – die Auffassung vertreten, dass diese Einschränkung nicht im Sinne eines Verbotes eigenständigen Arbeitens zu verstehen sei. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse „an einer qualifizierten Beschäftigung“, wie sie in § 2 Ziffer 1 a des Anstellungsvertrages definiert sei, habe. Wenn aber bereits das Arbeitsgericht, soweit es um die Auslegung des Arbeitsvertrages geht, der vom Kläger vertretenen Auffassung zuneigt, musste der Kläger – als juristischer Laie – nicht annehmen, dass er durch ein Verhalten, wie er es am 04.05.2010 gezeigt hat, ohne vorherige Abmahnung seinen Arbeitsplatz verlieren würde. Es lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger die mögliche Kündigungsrelevanz seines Verhaltens vom 04.05.2010 erkennbar war. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte dem Kläger am Abend vor dem 04.05.2010 im Rahmen eines Streitgespräches noch die vom Beklagten behaupteten Weisungen erteilt haben sollte. Dem Vorbringen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass er dem Kläger damals oder bei früherer Gelegenheit unter Beachtung des abmahnungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses deutlich gemacht hätte, das bei einem Anweisungsverstoß der Bestand und/oder der Inhalt des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei. Aus diesem Grunde bedurfte es der Vernehmung der von dem Beklagten in diesem Zusammenhang benannten Zeuginnen nicht. Vielmehr bleibt es hier bei dem Grundsatz, dass eine Kündigung dann nicht gerechtfertigt ist, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. § 314 Abs. 2 BGB). Das Abmahnungserfordernis ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch aus dem sogenannten Prognoseprinzip lässt sich vorliegend das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung ableiten. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung darauf geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Dies ist ebenso anerkanntes Recht wie der Grundsatz, dass der Zweck einer Kündigung nicht in der Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung besteht, sondern die Kündigung der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen dient. Soweit man das Verhalten des Klägers, auf das der Beklagte die Kündigung stützt, nicht ausschließlich dem Leistungsbereich, sondern auch dem sogenannten Vertrauensbereich zuordnet, ist darauf hinzuweisen, dass das Abmahnungserfordernis grundsätzlich – von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen – auch bei Störungen im Vertrauensbereich gilt. Verlorenes Vertrauen kann durchaus auch durch künftige Vertragstreue zurückgewonnen werden. Ist freilich der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er (dann) dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Vorliegend ist der Fall nicht so gelagert, dass eine Hinnahme des Verhaltens des Klägers durch den Beklagten offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war. Vielmehr war am 06.05.2010 die Prognose berechtigt, der Kläger werde sich nach einer Abmahnung künftig nicht mehr einschlägig fehlverhalten. Über den Weg der Abmahnung hätte das Vertrauen also wiederhergestellt werden können.

3. Die Klage ist (auch) nicht deswegen unbegründet, weil der Beklagte den Arbeitsvertrag im Schriftsatz vom 26.11.2010 wegen arglistiger Täuschung angefochten hat.

a) Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit eine derartige Anfechtung, wäre sie wirksam, Rückwirkung entfalten könnte. Die Anfechtung ist unwirksam. Sie beseitigt den Arbeitsvertrag der Parteien deswegen weder mit „ex-tunc“-Wirkung noch mit „ex-nunc“-Wirkung.

Der Beklagte hat den von ihm nur allgemein behaupteten Anfechtungsgrund „arglistige Täuschung“ in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend dargetan. Die „arglistige Täuschung“ im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB setzt nach näherer Maßgabe der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Täuschung zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus, – wobei die Täuschung durch positives Tun oder Unterlassen begangen werden kann. Insoweit hat der Beklagte in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen lediglich ausgeführt, dass ihm bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger nicht über die erforderliche Defizit-Prüfung verfügt habe. Des Weiteren hat der Beklagte dann wertend bzw. im Rahmen einer Rechtsbehauptung vorgebracht, der Kläger habe ihn „hierüber getäuscht“. Worin konkret eine etwaige Täuschungshandlung des Klägers liegen könnte, hat der Beklagte nicht hinreichend konkret dargetan. Insbesondere hat er nicht behauptet, der Kläger habe ihm seinerzeit vorgespiegelt, die Gleichwertigkeits- bzw. Defizit-Prüfung (vgl. § 2 Abs. 2 ZHG) bereits erfolgreich abgelegt zu haben. Soweit eine Täuschungshandlung durch Unterlassen bzw. Verschweigen in Rede stehen sollte, ist nicht dargetan, weshalb den Kläger, dem immerhin mit dem Bescheid des Landesamtes vom 27.06.2008 das Recht zur Ausübung der Zahnheilkunde erteilt worden war und für den dem Beklagten die KZV die Genehmigung vom 30.03.2009 erteilt hatte, eine entsprechende Aufklärungspflicht getroffen haben sollte. Grundsätzlich ist es vor Vertragsabschluss Sache jeder Partei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Es besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Vertragsteils eventuell von Bedeutung sein können, – ungünstige Eigenschaften der Person brauchen grundsätzlich nicht ungefragt offengelegt zu werden (vgl. Palandt/Ellenberger, 68. Auflage BGB, § 123, Rz. 5). Die vom – im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweispflichtigen – Beklagten vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen nicht die Feststellung, der Beklagte habe nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung vom Beklagten redlicherweise Aufklärung dahingehend erwarten dürfen, der Kläger habe die Gleichwertigkeits- bzw. Defizit-Prüfung noch nicht abgelegt.

b) Dahingestellt bleiben kann, ob der Beklagte die Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB gewahrt hat. Insoweit führt der Beklagte lediglich aus, dass er davon, dass der Kläger „Gleichwertigkeitsprüfungen nicht absolviert“ habe, „erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangt“ habe. Angaben dazu, wann genau erstmals (und wie im Einzelnen) diese Kenntnis erlangt wurde, macht der Beklagte nicht.

II. Eine Frist für die Nachreichung eines Schriftsatzes, wie vom Beklagten im Termin vom 30.11.2010 erbeten, war dem Beklagten nicht einzuräumen. Die Bewilligung einer entsprechenden Schriftsatzfrist hatte zu unterbleiben, weil die Berufungskammer ihre Entscheidung nicht auf Tatsachen stützt, die vom Kläger erstmals im Schriftsatz vom 30.11.2010 vorgetragen worden wären. Es war Sache des Berufungsführers – wenn nicht bereits innerhalb der Berufungsbegründungsfrist, so doch spätestens im Berufungsverhandlungstermin -, die Tatsachen vorzutragen, die eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gerechtfertigt hätten. Da es an derartigem Vortrag des Beklagten fehlt, musste die Berufung kostenpflichtig gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

 

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