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Arzthaftung wegen Geburt eines behinderten Kindes

OLG Stuttgart

Az.: 1 W 33/09

Beschluss vom 31.08.2009


Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hechingen vom 13.5.2009 – 2 O 329/08 – (Bl. 52 ff.d.A.) wird

zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Hechingen vom 13.5.2009 (Bl. 52 ff.d.A.), durch den die beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) versagt wurde.

1. Die Antragstellerin hat am 18.12.2006 ihre Tochter S… zur Welt gebracht, die am sog. Down-Syndrom (Trisomie 21) leidet. Sie beabsichtigt, die Beklagte, eine Gynäkologin, die sie während der Schwangerschaft betreut hat, wegen fehlerhafter Beratung über die Möglichkeiten pränataler Diagnostik bzw. wegen Unterlassung entsprechender Untersuchungen (Triple-Test, Chorionzottenbiopsie, Amniozentese) auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Sie behauptet im Wesentlichen, sie habe die Antragsgegnerin mehrmals auf die Möglichkeit entsprechender Diagnostik angesprochen und deutlich gemacht, dass sie insoweit wegen des Verlusts einer Leibesfrucht im Dezember 2005 Sicherheit wolle. Die Antragsgegnerin habe aber abgewiegelt und sinngemäß erklärt, sie solle sich keine Sorgen machen, sondern auf Gott vertrauen.

Wären die gebotenen Untersuchungen durchgeführt worden, so wäre das Down-Syndrom der Tochter frühzeitig festgestellt worden mit der Folge, dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hätte. Dieser Abbruch wäre rechtmäßig gewesen, weil damals die Voraussetzungen des § 218 a Abs.2 StGB vorgelegen hätten. Die Antragstellerin habe damals nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 2005 in einer psychischen Ausnahmesituation gestanden und daher die Mitteilung einer zu erwartenden Behinderung ihres Kindes psychisch nicht verkraftet. Das Austragen in Kenntnis der Diagnose wäre mit schwerwiegenden Gefahren für ihr Leben oder zumindest ihren körperlichen und seelischen Gesundheitszustand verbunden gewesen, was den Abbruch der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte.

Tatsächlich seien auch schwere psychische Beeinträchtigungen entstanden, die die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in der Größenordnung von mindestens 15.000.-€ rechtfertigten. Zunächst hatte die Antragstellerin Verdienstausfall in Höhe von 750.-€ monatlich geltend gemacht. Im Beschwerdeverfahren verlangt sie statt dessen Ersatz behinderungsbedingter Mehraufwendungen für die Versorgung des Kindes in entsprechender Höhe.

2. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die Antragstellerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass die Voraussetzungen eines legalen Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 a Abs.2 StGB vorgelegen hätten. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

3. Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Wegen der Begründung wird auf die Beschwerdeschrift (Bl. 60 ff.d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die nach § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigen Klage verneint. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens.

1. Behandlungsfehler

a) Das Landgericht hält es für möglich, dass der Antragsgegnerin ein Behandlungsfehler zur Last fällt, dann nämlich, wenn sie – wie von der Antragstellerin behauptet und unter Beweis gestellt – trotz ausdrücklicher Nachfrage und Wunsches der Antragstellerin von pränataler Diagnostik abgeraten und entsprechende Untersuchungen nicht durchgeführt oder veranlasst hätte.

b) Dies kann – je nach Lage des Falles – zutreffen. Eine Verpflichtung, pränatale Untersuchungen des Kindes durchzuführen, kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn die Antragstellerin oder ihr Ehemann die Antragsgegnerin konkret darauf angesprochen und entsprechende Untersuchungen verlangt haben sollten. Da für die entsprechenden Behauptungen Beweis angetreten ist (Zeugnis des Ehemannes), muss im PKH-Verfahren unterstellt werden, dass der Nachweis erbracht werden kann und damit ein Behandlungsfehler als möglich erscheint.

2. Kausalität und Zurechnung

Die Haftung scheitert aber jedenfalls daran, dass nicht festzustellen ist, dass die Durchführung pränataler Untersuchungen im Ergebnis dazu geführt hätte, dass die Antragstellerin die Schwangerschaft mit S… rechtmäßig abgebrochen hätte und S… nicht geboren worden wäre.

a) Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Haftung des Arztes wegen eines unterbliebenen Schwangerschaftsabbruchs nur in Betracht kommt, wenn auf Grund des Ergebnisses der gebotenen Untersuchungen die Schwangerschaft rechtmäßig hätte abgebrochen werden dürfen (BGHZ 151, 133; BGH NJW 2006, 1660; vgl. auch BGHZ 129, 178). Weitere Voraussetzungen ist der Nachweis, dass ein Abbruch auch tatsächlich erfolgt wäre.

Vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags sind nämlich nur solche Nachteile umfasst, deren Vermeidung die Rechtsordnung erlaubt. Dagegen wird der Patient nicht geschützt, soweit der Abbruch der Schwangerschaft rechtswidrig oder gar strafbar gewesen wäre. Dies gilt auch, soweit immaterielle Schäden der Patientin (Schmerzensgeld) als Folge davon geltend gemacht sind, dass ein Schwangerschaftsabbruch unterblieben ist.

b) Daher kommt es im vorliegenden Fall entscheidend darauf an, ob die Antragstellerin bei Kenntnis der Behinderung von S… die Schwangerschaft rechtmäßig hätte beenden dürfen und beendet hätte. Da eine Diagnose nach Lage der Dinge nicht sicher vor Ablauf der 12. Schwangerschaftswoche hätte gestellt werden können, wäre lediglich ein Abbruch nach § 218 a Abs.2 StGB (rechtfertigende Indikation aus medizinisch-sozialen Gründen) in Betracht gekommen, so dass nicht entschieden werden muss, ob ein Abbruch in den Fällen des § 218 a Abs.1 StGB – ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 218 a Abs.2 oder 3 StGB – als rechtmäßig anzusehen ist und zu den geltend gemachten Ansprüchen führen kann (verneinend OLG Nürnberg NJW 2009, 1757 = VersR 2009, 547).

Nach allgemeinen Regeln ist es Sache der Antragstellerin, im Prozess die tatsächlichen Voraussetzungen des § 218 a Abs.2 StGB, insbesondere also die medizinisch-soziale Notlage, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.

c) Die Antragstellerin kann diesen Nachweis nicht erbringen. Dies lässt sich auf Grund ihres Vorbringens und der vorgelegten Behandlungsunterlagen bereits im PKH-Verfahren beurteilen, so dass die nach § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht gegeben ist.

aa) Der Senat unterstellt, dass bei einer Amniozentese oder einer Chorionzottenbiopsie ein positiver Befund im Sinne des dringenden Verdachts auf Vorliegen eines Down-Syndroms erhoben worden wäre und dass die Antragstellerin grundsätzlich gewillt gewesen wäre, die Schwangerschaft abzubrechen und S… nicht zur Welt zu bringen.

bb) Die Antragstellerin kann aber nicht beweisen, dass die Voraussetzungen des § 218 a Abs.2 StGB tatsächlich vorgelegen hätten.

(1) Die medizinisch-soziale Indikation nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden und der Gefahr auf andere Weise nicht zumutbar begegnet werden kann.

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Diese Voraussetzungen müssen im Haftungsprozess nachträglich festgestellt werden. Soweit nicht eine unmittelbare körperliche Gefährdung der Schwangeren durch die Schwangerschaft oder die Geburt in Rede steht, sondern die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs aus der mit einer Behinderung des Kindes verbundenen psychischen Belastung der werdenden Mutter hergeleitet wird, ist erforderlich, dass hinreichend sicher feststeht (§ 286 ZPO), dass die Mutter den auf sie zukommenden seelischen Lasten nicht gewachsen gewesen wäre und körperlichen oder seelischen Schaden erheblichen Ausmaßes genommen hätte. Dabei kommen nur so schwerwiegende Nachteile in Betracht, die es als vertretbar erscheinen lassen, das Lebensrecht des Kindes im Rahmen einer Güterabwägung hintan zu stellen (BGHZ 151, 133). Die „Opfergrenze“ der Schwangeren ist schon nach dem Wortlaut des § 218 a Abs.2 StGB erst dann überschritten, wenn die zu erwartende gesundheitliche Beeinträchtigung eindeutigen Krankheitswert besitzt, was regelmäßig eine behandlungsbedürftige Erkrankung voraussetzt.

Keinesfalls genügen bloße Beeinträchtigungen der Lebensplanung und Einschränkungen in der Lebensführung. Auch die Behinderung des Kindes, mag sie noch so gravierend sein, stellt seit der Aufhebung der früheren embryopathischen Indikation keinen eigenen Rechtfertigungsgrund mehr dar.

(2) Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin bei einer zutreffenden Diagnose derartige schwerwiegende gesundheitliche Schäden drohten. Zwar dürfen – insoweit ist der Antragstellerin Recht zu geben – an den Tatsachenvortrag keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Es müssen aber zumindest Umstände vorgetragen werden, die es als möglich und beweisbar erscheinen lassen, dass aus damaliger Sicht schwerwiegende gesundheitliche Risiken bestanden.

Derartige Umstände sind nicht ersichtlich.

Das vorgelegte Attest des Hausarztes (Bl. 65 d.A.) leidet schon daran, dass es sich auf den Zustand der Antragstellerin im Oktober/Dezember 2005 bezieht, was nicht maßgeblich ist. Es enthält aber auch keinerlei konkrete und fassbare Befunde, sondern bescheinigt lediglich eine „psychische Ausnahmesituation“, womit medizinisch-psychiatrisch wenig anzufangen ist. Über die angeblich eingeleitete Behandlung ist nichts näheres bekannt, doch scheint sich die Antragstellerin nicht – wie ihr angeraten – an einen Psychiater gewandt zu haben. Dies legt nahe, dass die damaligen Beeinträchtigungen entweder nicht gravierend waren oder ohne Behandlung abgeklungen sind.

Weitere konkrete Tatsachen, die gegebenenfalls Rückschlüsse auf eine stark reduzierte Belastbarkeit der Antragstellerin und die Wahrscheinlichkeit einer pathologischen Reaktion auf eine drohende Behinderung zulassen könnten, sind nicht vorgetragen und nicht bekannt. Nach den vorliegenden Unterlagen verlief die Schwangerschaft insgesamt weitgehend unauffällig und ohne Anhaltspunkte für eine besondere psychische Labilität der Antragstellerin. Auch belastende Faktoren aus dem persönlichen/sozialen Umfeld sind nicht ersichtlich. Insbesondere lebte und lebt die Antragstellerin in geordneten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen sowie einer offensichtlich stabilen Partnerschaft.

Auf dieser Grundlage lässt sich, auch mit Hilfe eines Sachverständigen, im Nachhinein nicht feststellen, dass die Voraussetzungen des § 218 a Abs.2 StGB vorgelegen hätten. Der tatsächliche Umgang der Antragstellerin mit der Behinderung von S… lässt eher den Schluss zu, dass auch in der Prognose eine medizinisch-soziale Notlage zu verneinen gewesen wäre. So hat die Antragstellerin offenbar keine echten Krankheitssymptome entwickelt, sondern inzwischen ein weiteres Kind geboren. Dass die Lebenssituation wegen der Behinderung belastend ist und sie zur Aufgabe ihres Berufs gezwungen haben mag, genügt nicht.

Da die beabsichtigte Klage aus den genannten Gründen ohne die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg ist, kann der Antragstellerin keine PKH bewilligt werden.

III.

Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen. Einer Kostenentscheidung bedarf es wegen § 127 Abs.4 ZPO nicht.

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