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Atemalkoholtest – Beweisverwertungsverbot

Oberlandesgericht Bamberg

Az: 3 Ss 14/11

Beschluss vom 22.03.2011


Zum Sachverhalt:

Das AG hat den Angekl. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm unter Festsetzung einer Sperrfrist die Fahrerlaubnis entzogen. Auf seine Berufung hat das LG den Angekl., dessen Fahrereigenschaft es für nachgewiesen hält, „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen, weil nach seiner Auffassung der Überführung die Unverwertbarkeit der Ergebnisse der beiden Blutproben des Angekl. entgegensteht, so dass weder das Vorliegen einer absoluten noch einer relativen Fahruntüchtigkeit iSv. § 316 StGB oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG festgestellt werden können. Nach den Feststellungen des LG hielt sich der Angekl. am 23.10.2009 (Freitag) vor 12.19 Uhr mit einem Pkw auf dem Parkplatz an der L.-Straße am Mainufer in W. auf, wobei er mit einer 0,5 l Bierflasche, aus der er mehrfach trank, auf der Motorhaube des Pkw sitzend von dem Zeugen A. beobachtet wurde. Der Angekl. redete vor sich hin, torkelte um das Auto herum und stieg wiederholt in dieses ein und wieder aus. Der Zeuge verständigte gegen 12.19 Uhr fernmündlich die Polizei und teilte seine Beobachtungen sowie das Kennzeichen des Fahrzeugs mit, da er fürchtete, der Angekl. werde alsbald losfahren. Der Angekl. fuhr kurze Zeit später tatsächlich mit hoher Geschwindigkeit rückwärts aus der Parklücke heraus und bog dann nach rechts in die L.-Straße ein. Der Zeuge A. fuhr dem Angekl. hinterher und konnte ihn noch beobachten, wie er auf der L.-Straße schnell in Richtung A.-Brücke weiter fuhr, ehe er den Angekl. aus den Augen verlor. Über eine Zeugin erhielt die Polizei später die Mitteilung, dass in der K.-Straße in W. auf einem Pkw eine männliche Person mit einer Bierflasche in der Hand sitze. Die K.-Straße ist durch Linksabbiegen von der L.-Straße aus noch vor der Auffahrt zur A.-Brücke zu erreichen. Daraufhin fuhr eine Polizeistreife mit der Zeugin POM’in S. in die K.-Straße, wo sie um ca. 12.35 Uhr eintraf. Der Angekl. stand zu diesem Zeitpunkt auf der Straße und hatte eine Bierflasche in der Hand, aus der er trank. Der Pkw mit dem von A. bezeichneten Kennzeichen stand ordnungsgemäß abgestellt in einer Parklücke zwischen anderen Fahrzeugen. Der Angekl. war im Besitz der Pkw-Schlüssel; die Motorhaube des Wagens war noch warm. Der Zeuge A. wurde sodann seitens der Polizei telefonisch in die K.-Straße gebeten, um den Angekl. zu identifizieren. Als der Zeuge eintraf, wurde der Angekl. gerade gefesselt und in das Polizeifahrzeug gesetzt. A. erkannte den Angekl. eindeutig als die Person wieder, die er auf dem Parkplatz beobachtet hatte. Aufgrund des von dem Zeugen geschilderten Sachverhaltes, der Antreffsituation sowie des Umstandes, dass der Angekl. nach Alkohol roch, wurde ihm ein freiwilliger Atemalkoholtest angeboten, den dieser jedoch verweigerte. Daraufhin wurde der Angekl. zur Polizeidienststelle verbracht. Die Zeugin POM’in S. nahm mit dem zuständigen Dienstgruppenleiter PHK R., der den Sachverhalt von Anfang an mitverfolgt hatte, zur Klärung der Frage, ob wegen des Nachtrunks zwei Blutentnahmen durchgeführt werden sollten, Rücksprache und ordnete die Blutentnahme an. Obwohl zu dieser Zeit ein richterlicher Bereitschaftsdienst bestand, der jederzeit telefonisch hätte erreicht werden können, informierten weder S. noch R. den richterlichen Bereitschaftsdienst, da wegen einer damals geltenden allgemeinen Dienstanweisung des zuständigen Polizeipräsidiums zur Problematik der Anordnungskompetenz für Blutentnahmen gemäß § 81 a Abs. 2 StPO nach Trunkenheitsfahrten eine vorläufige Regelung bestand, wonach grundsätzlich Gefahr in Verzug anzunehmen sei. Die von der Zeugin PHM’in S. bei dem Angekl. angeordneten beiden Blutentnahmen wurden am 23.10.2009 um 13.32 Uhr und um 13.52 Uhr ärztlich durchgeführt und ergaben eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,43 ‰. Die gegen das freisprechende Urteil des LG gerichtete Revision der StA, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LG.

III. Die Revision der StA führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, weil das LG zu Unrecht von der Existenz eines Beweisverwertungsverbots hinsichtlich der ohne richterliche Anordnung entnommenen Blutproben und des insoweit erstellten Gutachtens vom 29.10.2009 zur BAK des Angekl. ausgegangen ist.

1. Nach § 81 a I 1 StPO darf „eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten (…) zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind.“ Gemäß § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO sind „zu diesem Zweck (…) Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.“ Nach § 81 a Abs. 2 StPO steht „die Anordnung (…) dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) zu“.

2. Aufgrund der Feststellungen des LG ist bereits nicht gegen die Beweiserhebungsvorschrift des § 81 a StPO verstoßen worden. Wegen Vorliegens der materiellen und formellen Eingriffsvoraussetzungen war die Zeugin und Polizeibeamtin PHM’in S. als Ermittlungsperson im Sinne von § 152 II GVG i.V.m. § 1 II Nr. 1b BayStAHiBV vielmehr berechtigt, die Entnahmen der Blutproben des Angekl. ohne dessen Einwilligung nach § 81 a II StPO wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung selbst, d.h. ohne den vorherigen Versuch der Einholung einer richterlichen Anordnung, anzuordnen. Da die Eilanordnungskompetenz des § 81 a II StPO nicht unberechtigt in Anspruch genommen wurde, steht einer Verwertung der entnommenen Blutproben des Angekl. und des insoweit erstellten Blutalkoholgutachtens vom 29.10.2009 auch kein Beweisverwertungsverbot entgegen.

a) Die Eilanordnungskompetenz der polizeilichen Ermittlungsperson folgt hier jedenfalls daraus, dass der Angekl. nach Beendigung der Fahrt nicht nur weiterhin Alkohol in unbekannter Menge zu sich nahm (sog. Nachtrunk), sondern auch die Mitwirkung an dem ihm angebotenen freiwilligen Atemalkoholtest verweigerte und für eine BAK außerhalb der rechtlich bedeutsamen ‚Grenzwerte’ auch sonst keinerlei Anhaltspunkte vorlagen, so dass ein in mehrfacher Hinsicht unklares Ermittlungsbild gegeben war. Denn je komplexer sich der Sachverhalt darstellt und je präziser deswegen die Analyse der Blutwerte sein muss, desto eher ist von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auszugehen (OLG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2008 – 1 Ss 226/07 = NJW 2008, 2597 ff.; v. Kühlewein JR 2007, 517 ff., 518). Die objektive „Evidenz der Gefährdungslage“ (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 11.06.2010 – 2 BvR 1046/08 = NJW 2010, 2864 ff.) wurde hier insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen oder auch nur relativiert, dass die anordnende Polizeibeamtin – etwa aufgrund eines ihr zur Verfügung stehenden Atemalkoholwertes – von einem ersichtlich nicht in der Nähe eines von der höchstrichterlichen Rspr. festgelegten ‚quasi-gesetzlichen’ Grenzwertes, hier einer BAK in Höhe von 1,1 ‰ für die Annahme sog. ‚absoluter’ Fahruntüchtigkeit im Sinne von § 316 I StGB (vgl. BGHSt 37, 89/91 ff.; Fischer StGB 58. Aufl. § 316 Rn. 12 ff., 25 m.w.N.) auszugehen hatte, zumal der Angekl. auch keine Angaben zu seiner Alkoholaufnahme machte, mithin zuverlässige Anhaltspunkte zu Trinkmenge und Trinkverlauf fehlten (zur Erheblichkeit eines – wie hier – tatsächlichen oder behaupteten Nachtrunks bei fehlenden sonstigen hinreichend aussagekräftigen Hinweisen auf den Alkoholisierungsgrad vgl. BVerfG aaO. [„Ein Nachtrunk war zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet und auch nicht mehr zu befürchten…“] und BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 21.01.2008 – 2 BvR 2307/07, bei Juris [„Es ist … nicht vollständig auszuschließen, dass die ermittelnden Polizeibeamten das Vorliegen von Gefahr im Verzuge angenommen haben, um die BAK des Beschwerdeführers, insbesondere wegen dessen Behauptung des Nachtrunks, in zeitlicher Nähe zum Tatzeitpunkt zu sichern“]; ferner OLG Bamberg, Beschluss vom 19.03.2009 – 2 Ss 15/09 = NJW 2009, 2146 ff.; OLG Hamburg aaO.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2010 – 53 Ss 68/10, bei Juris; OLG Frankfurt DAR 2010, 145 ff.; OLG Hamm, Beschlüsse vom 25.08.2008 – 3 Ss 318/08 = NJW 2009, 242 ff. und vom 12.03.2009 – 3 Ss 31/09 = DAR 2009, 336 ff.; LG Berlin DAR 2008, 534 f.; LG Itzehoe NStZ-RR 2008, 249 ff.; LG Hamburg, Beschluss vom 06.05.2010 – 603 Qs 165/10 = BA 47, 306 ff.; v. Kühlewein aaO.; vgl. im Übrigen auch die jeweiligen Hinweise auf den Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzbereichen bzw. auf die konkreten Umstände des Einzelfalls am Kontroll- oder Betreffensort u.a. bei OLG Köln, Beschluss vom 15.01.2010 – 83 Ss 100/09 = StV 2010, 622 ff.; OLG Nürnberg DAR 2010, 217 ff. und zuletzt OLG Koblenz, Beschluss vom 02.12.2010 – 2 SsBs 140/10, bei Juris). Wie das LG im Rahmen seiner Beweiswürdigung selbst zutreffend ausführt, konnte von einem den Grenzwert der ‚absoluten’ Fahruntüchtigkeit sicher erreichenden oder diesen gar erheblich oder zweifelsfrei überschreitenden Alkoholisierungsgrad des Angekl. aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung der insbesondere über den Zeugen A. bekundeten Tatumstände sowie der konkreten polizeilichen Betreffenssituation des Angekl., der Angaben zu seinem Alkoholkonsum am Tattag verweigerte, auch in Verbindung mit den Feststellungen des ärztlichen Untersuchungsberichts gerade nicht ausgegangen werden. Dies muss erstrecht für die von der anordnenden Polizeibeamtin im Anordnungszeitpunkt rein situativ zu beurteilende Indizienlage gelten, die aus ihrer Sicht jegliche zuverlässige Aussage über den Alkoholisierungsgrad des Angekl. oder gar dazu, ob sich die Alkoholisierung in der Nähe eines anerkannten Grenzwertes bewegte oder einen solchen klar überschritten hatte, ausschloss. Hinzu kommt, dass der Angekl. noch bei Eintreffen der Polizei aus einer Bierflasche trank und auch diese Nachtrunkmenge völlig unbekannt war. Nachdem sich der Angekl. nach der unwidersprochen gebliebenen und im Urteil ausdrücklich wiedergegebenen Aussage der die Blutentnahmen anordnenden Polizeibeamtin und Zeugin PHM’in S. vor Ort „aufmüpfig“ verhielt, was offenbar zur in vergleichbaren Fällen zumindest nicht als Regelmaßnahme gebotenen – vom Zeugen A. bei seinem Eintreffen in der K.-Straße auch beobachteten – Fesselung und (vorläufigen) ‚Ingewahrsamnahme’ des Angekl. im Polizeifahrzeug führte, war es geboten, die Blutentnahmen ohne jeden weiteren Verzug, d.h. sofort und noch am Betreffensort spätestens nach der Weigerung des Angekl. zur freiwilligen Mitwirkung an dem ihm angebotenen Atemalkoholtest anzuordnen, da andernfalls ein Beweismittelverlust oder eine erhebliche Beeinträchtigung der Brauchbarkeit späterer Blutentnahmen, beispielsweise durch einen weiteren unkontrollierten Nachtrunk des Angekl., drohte (vgl. LG Hamburg aaO.).

b) Da § 81 a StPO ein eigenständiges Festhalte- oder Festnahmerecht der Polizeibeamten außerhalb der zur konkreten Umsetzung der nach § 81 a II StPO getroffenen Maßnahmenanordnung wegen verzögerungsbedingter Gefährdung des Untersuchungserfolges nicht vorsieht (LR-Krause StPO 26. Aufl. § 81 a Rn. 72 ff.; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 81 a Rn. 29; KK/Senge StPO 6. Aufl. § 81 a Rn. 9; Brocke/Herb NStZ 2009, 671, 672; Götz NStZ 2008, 238, 240 [zugleich Anm. zu OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.11.2007 – 1 Ss 532/07 = VRS 113, 365 ff. = OLGSt StPO § 81 a Nr. 5]; LG Hamburg aaO., jeweils m.w.N.), kommt hinzu, dass die anwesenden Polizeibeam-ten, darunter die Zeugin PHM’in S., ohne die sofortige Blutentnahmeanordnung man-gels anderer Festhaltegründe (insbesondere gemäß § 163 b I [vgl. § 163 c I 1 StPO: Festhaltung nur bis zur Identitätsfeststellung des Beschuldigten], § 127 I [Festnahme des „auf frischer Tat“ Betroffenen ebenfalls nur bis zur Identitätsfeststellung] oder § 127 II StPO [allein die Weigerung des Besch., sich freiwillig einer Blutentnahme zu unterziehen, rechtfertigt weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr, da für Letztere ein aktives Handeln des Besch. notwendig wäre, wofür der vom Willen unabhängige physiologische Alkoholabbau nicht genügt; vgl. LR-Krause § 81 a Rn. 74; Brocke/Herb aaO. 672 und Götz aaO., jeweils m.w.N.]) über keine hinreichende rechtliche Handhabe zur Festhaltung des Angekl. verfügt hätten und schon allein deshalb die durch die Einschaltung eines Richters eintretende Verzögerung den Untersuchungserfolg gefährdete. Denn bei lebensnaher Interpretation der insoweit unvollständigen Feststellungen des LG ist davon auszugehen, dass die mit der Maßnahmeanordnung der Blutentnahme zeitlich zusammenfallende Fesselung noch am Betreffensort und eine diese später gegebenenfalls ablösende anderweitige Festhaltung des Angekl. im Polizeifahrzeug mindestens bis zum Eintreffen auf der Dienststelle aufrechterhalten werden musste, um den sich ‚aufmüpfig’ gebärdenden Angekl. an einer räumlichen Entfernung bzw. zeitweiligen Entziehung, gegebenenfalls verbunden mit einem weiteren Alkoholkonsum am Betreffensort in der K.-Straße oder auch später bis zum Abschluss der Maßnahmedurchführung auf der Dienststelle zu hindern (hierzu eingehend: LG Hamburg aaO. unter Bezugnahme u.a. auf OLG Bamberg aaO.; vgl. auch Brocke/Herb aaO. 672 f. und Götz aaO. 239 f.).

c) Aussagekräftige Feststellungen dazu, dass eine bereits anlässlich der Betreffenssituation des Angekl. um 12.35 Uhr mit oder auch ohne eine allerdings in der Regel unter mündlicher Einschaltung des (Jour- bzw. Notdienst-) StA erfolgende Verständigung des Bereitschaftsrichters tatsächlich zu einer ebenfalls nur knapp eine Stunde später, nämlich bereits um 13.32 Uhr durchgeführten ersten Blutentnahme geführt hätte, hat das LG im Übrigen gerade nicht getroffen. Allein die Feststellung, dass der zuständige Bereitschaftsrichter am Tattag, einem Freitag, von 12.00 bis 21.00 Uhr telefonisch erreichbar gewesen wäre, vermag hieran auch dann nichts zu ändern, wenn bei dem vom LG als allein rechtlich zulässig angesehen Alternativerhalten der die Blutentnahme anordnenden Polizeibeamtin letztlich gemutmaßt wird, dass eine auch mündlich mögliche richterliche Anordnung innerhalb von 15 Minuten hätte eingeholt werden können.

d) Aus Rechtsgründen nicht haltbar erweist sich ferner die Erwägung des LG, der von Anfang an informierte Dienstgruppenleiter und Zeuge PHK R. hätte sich während der Fahrt der Zeugin S. zur Dienststelle um eine richterliche Anordnung bemühen können. Das LG übersieht hier, dass im Zeitpunkt der Fahrt zur Dienststelle die Anordnung der Blutentnahme bereits erfolgt sein musste und tatsächlich auch noch am Betreffensort in der K.-Straße erfolgt ist. Denn die Verbringung des Angekl. zur Dienststelle unter Anwendung unmittelbaren Zwangs (Fesselung) verfolgte ja gerade den ausschließlichen und für alle Beteiligten einschließlich des Angekl. offen zu Tage tretenden Zweck, den Angekl. der (ärztlich vorzunehmenden) Blutprobenentnahme zuzuführen. Anderenfalls wäre die zur Vollziehung der Entnahmeanordnung zwangsweise Verbringung des Angekl. unter (vorübergehender) Einschränkung seiner persönlichen Freiheit – wie schon oben näher ausgeführt – rechtswidrig erfolgt, wovon das LG selbst nicht ausgeht (vgl. hierzu u.a. Götz aaO.: „Es ist eben nicht zulässig, den Beschuldigten im Vorgriff auf eine erwartete richterliche Entscheidung festzuhalten. Vor der Anordnung hat der Beamte am Kontrollort keine Befugnisse nach § 81 a StPO“). Die Rechtsauffassung des LG liefe im Übrigen im Ergebnis darauf hinaus, dass selbst bei einer verzögerungsbedingten Gefährdung des Untersuchungserfolges noch die Einschaltung eines Richters versucht werden müsste, womit die vom Gesetzgeber in § 81 a II StPO ausdrücklich vorgesehene – wenn auch nachrangige bzw. subsidiäre – Anordnungskompetenz der polizeilichen Ermittlungspersonen (Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 81 a Rn. 25a) negiert würde. Denn über die Berechtigung zur Maßnahmeanordnung bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung hat die jeweilige Ermittlungsperson zunächst selbst und eigenständig zu entscheiden (vgl. zuletzt auch OLG Naumburg, Beschluss vom 07.02.2011 – 1 Ss 38/10, bei Juris).

3. Die Zeugin PHM’in S. war damit als Ermittlungsperson zur Anordnung der Blutentnahmen selbst und unmittelbar nach § 81 a II StPO materiell und formell befugt, so dass sie sich vor der Anordnung auch nicht um eine richterliche Entscheidung und gegebenenfalls nachrangig um eine staatsanwaltschaftliche Weisung bemühen musste. Denn hierauf kommt es bei der gegebenen Sachverhaltskonstellation ebenso wenig an wie darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Blutentnahmen nach den Feststellungen des LG allein aufgrund einer im Anordnungszeitpunkt seit knapp drei Monaten geltenden allgemeinen Dienstanweisung des zuständigen Polizeipräsidiums zur vorläufigen Regelung der Frage der Anordnungskompetenz für Blutentnahmen gemäß § 81 a II StPO nach Trunkenheitsfahrten anordnete, wonach beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt grundsätzlich von „Gefahr im Verzug“ auszugehen sei. Das LG verkennt, dass sich die rechtliche Frage nach der Existenz eines etwaigen Beweisverwertungsverbots erst dann und nur dann stellt, wenn eine originäre polizeiliche Anordnungszuständigkeit nach § 81 a II StPO entweder schon wegen Fehlens der materiellen Eingriffsvoraussetzungen des § 81 a I StPO oder – wie hier allenfalls relevant – wegen Fehlens der formellen Voraussetzungen des § 81 a II StPO nicht bestanden hat und sich die Maßnahmeanordnung der Blutentnahme – wegen des Verstoßes gegen die Beweiserhebungsvorschrift des § 81 a StPO auf-grund der unberechtigten Annahme von Gefahr im Verzug und damit einer tatsächlich nicht gegebenen polizeilichen Eilanordnungskompetenz – zusätzlich insbesondere als (subjektiv oder objektiv) willkürlich oder als gezielte Umgehung oder Ignorierung des Richtervorbehalts oder als ein gleichgewichtiger sonstiger besonders schwerwiegender Fehler darstellt (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 24.02.2011 – 2 BvR 1596/10 u.a., bei Juris; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 28.07.2008 – 2 BvR 784/08 = NJW 2008, 3053 f.; BGHSt 44, 243/249; 51, 285/289 ff.; BGH NStZ 2004, 449 f.; OLG Naumburg, Beschluss vom 07.02.2011 – 1 Ss 38/10, bei Juris; OLG Stuttgart VRS 113, 365 ff.; OLG Brandenburg OLGSt StPO § 81 a Nr. 7; OLG Köln DAR 2008, 710 ff.; OLG Frankfurt aaO.; OLG Karlsruhe, Be-schluss vom 29.05.2008 – 1 Ss 151/07, bei Juris). Dies ist hier – wie ausgeführt – gerade nicht der Fall. Aufgrund des Nachtrunks des Angekl. in unbekannter Menge, seines im Übrigen völlig unbestimmten Alkoholisierungsgrades und nicht zuletzt seines die Fesselung und weitere Festhaltung erforderlich machenden Verhaltens am Betreffensort war die anordnende Polizeibeamtin vielmehr zu sofortigen Anordnung der Blutentnahmen nach § 81 a II StPO berechtigt mit der Folge, dass – im Unterschied zu den vom LG zum Beleg seiner Rechtsauffassung zu Unrecht als einschlägig angesehenen und zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Oldenburg (Beschluss vom 12.10.2009 – 2 SsBs 149/09 NJW 2009, 3591 f.) und Brandenburg (Beschluss vom 13.07.2010 – 53 Ss 40/10 = ZfS 2010, 587 ff.) – bereits kein Verstoß gegen die Beweiserhebungsvorschrift des § 81 a StPO angenommen werden kann. Ein Beweisverwertungsverbot scheidet hier damit schon deshalb aus.

4. Entgegen der Rechtsauffassung des LG resultierte jedoch selbst bei einem unter-stellten – hier aus den vorstehenden Gründen nicht gegebenen – Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot kein Beweisverwertungsverbot allein daraus, dass die anordnende Zeugin PHM’in S. aufgrund der im Urteil nur auszugsweise wiedergegebenen Dienstanweisung des zuständigen Polizeipräsidiums vom 31.07.2009 im Anordnungszeitpunkt davon ausgegangen war, dass Blutentnahmen wegen des durch den körpereigenen Abbau des Alkohols drohenden Beweismittelverlusts grundsätzlich ohne die Einschaltung eines Richters anzuordnen seien, also ohne eine weitere Einzelfallprüfung von ‚Gefahr im Verzug’ auszugehen sei.

a) Es erscheint bereits fraglich, ob der die Blutentnahmen anordnenden Polizeibeamtin im Rahmen richterlicher Tatsachenfeststellungen bei der hier gegebenen besonderen Sachverhaltskonstellation tatsächlich ein Handeln ohne jedwede „Einzelfallprüfung“ unterstellt werden kann. In jedem Fall könnte aber selbst dann der anordnenden Beamtin hier aufgrund des für sie verbindlichen Charakters der Dienstanweisung offensichtlich kein subjektiv willkürliches Verhalten vorgeworfen werden (vgl. wie hier zuletzt auch OLG Naumburg aaO.).

b) Ein Beweisverwertungsverbot könnte damit allenfalls noch – wie vom LG im Ergebnis angenommen – im Hinblick auf den Inhalt der ‚Dienstanweisung’ in Erwägung gezogen werden. Eine abschließende Beurteilung dieser für die hier zu treffende Entscheidung wegen der berechtigten Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz nach § 81 a II StPO nicht mehr erheblichen Frage durch den Senat scheitert jedoch schon daran, dass das LG die ‚Dienstanweisung’ in seinen Urteilsgründen nur auszugsweise und damit verkürzt wiedergibt, was sich u.a. aus dem Inhalt der Überschriftszeile und der ihr vorangestellten Nummerierung mit ‚1.’ ergibt. Nicht nur der Wortlaut der Überschrift selbst („Dokumentation der angenommenen Gefahr im Verzug“) sondern auch der nachfolgend im Urteil wiedergegebene Textinhalt vermitteln zumindest den Eindruck, dass es in der Anweisung gar nicht um das Vorliegen der materiellen und formellen Eingriffsvoraussetzungen nach § 81 a II StPO, also insbesondere die Frage geht, unter welchen Voraussetzungen die polizeilichen Ermittlungspersonen eine Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung annehmen dürfen, sondern allein um die Frage, ob und in welchem Umfang diese Voraussetzungen – sollten sie vorliegen – in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind (vgl. hierzu zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 24.02.2011 – 2 BvR 1596/10 u.a., bei Juris). Angesichts der aus der Dienstanweisung vom 31.07.2009 hergeleiteten Tragweite für die Annahme eines strafprozessualen Beweisverwertungsverbotes hätte das LG überdies auf eine Mitteilung des Inhalts des – weder nach Geschäftszeichen noch nach Erlassdatum näher bezeichneten – „IMS des Bayerischen Staatsministeriums des Innern in Abstimmung mit dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Problematik der Anordnungskompetenz für Blutentnahmen gemäß § 81 a Abs. 2 StPO“ nicht verzichten dürfen. Da die Dienstanweisung des Polizeipräsidiums nach der Sachdarstellung des LG „aufgrund“ dieses IMS „bestand“, wäre entweder die vollständige Wiedergabe im Wortlaut oder wenigstens eine zusammenfassende Mitteilung des Inhalts geboten gewesen, schon weil die Vermutung dafür spricht, dass sich der Inhalt der im übrigen wohl nur als vorläufige Anordnung „bis zu einer endgültigen Regelung des Bayer. Staatsministeriums des Inneren“ und einer „geplanten Einführung“ eines Dokumentationsformblattes zu verstehenden Dienstanweisung erst vor diesem Hintergrund vollständig und zutreffend gerade aus dem Horizont der als Adressaten angesprochenen und für Blutentnahmeanordnungen nach § 81 a Abs. 2 StPO zuständigen polizeilichen Sachbearbeiter erschließen lässt.

IV. Der Senat braucht schließlich auch nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Annahme eins Verwertungsverbots hier schon deshalb ausscheidet, weil – worauf die GenStA in ihrer Antragsschrift hinweist – der verteidigte Angekl. der Verwertung des Blutalkoholgutachtens nicht bereits in der Hauptverhandlung vor dem AG spätestens bis zu dem durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt ausdrücklich und unbedingt widersprochen und dort seinen Widerspruch gegen die Verwertung des Beweismittels spezifiziert begründet hat. Denn durch den unterlassenen – weder nach einer Verfahrensaussetzung oder in der Berufungsinstanz (auch bei einem Freispruch in erster oder zweiter Instanz) oder nach einer Urteilsaufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht nachholbaren – und ebenso wie die Zustimmung zur Blutentnahme der Dispositionsfreiheit des Angekl. unterliegenden Widerspruch in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung könnte eine dauerhafte Umgestaltung der prozessualen Rechtslage eingetreten sein, so dass es dem Senat auch von Amts wegen verwehrt wäre, von einem Beweisverwertungsverbot ausgehen (vgl. in diesem Sinne zuletzt – u.a. unter Hinweis auf BGHSt 50, 272/274 f.; OLG Celle NZV 2011, 48 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.03.2010 – 2 <9> Ss 18/10, bei Juris und OLG Stuttgart NStZ 1997, 405 f. – dezidiert insbesondere OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.11.2010 – 3 Ss 285/10 = NStZ-RR 2011, 46 ff. m. krit. Anm. Kudlich HRRS 2011, 114 ff.; zur sog. ‚Widerspruchslösung’ vgl. im Übrigen u.a. BGHSt 38, 214/225 f.; 42, 15/22; 51, 1/2 ff.; BGH NJW 2007, 2269/2273 f.; OLG Hamm NJW 2009, 242; OLG Celle StraFo 2009, 330 f.; OLG Rostock VRS 119, Nr. 10; OLG Hamm, Beschlüsse vom 25.08.2008 – 3 Ss 318/08 = NJW 2009, 242 ff.; vom 22.12.2009 – 3 Ss 497/09 = NStZ-RR 2010, 148 f. und vom 25.10.2010 – 3 RVs 85/10 = NJW 2011, 469 ff. sowie OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.08.2010 – 3 Ss 147/10 = NStZ-RR 2011, 45 f.). Ob der verteidigte Angekl. der Beweisverwertung hier gegebenenfalls schon in der Hauptverhandlung vor dem AG und dort rechtzeitig und mit welcher Begründung widersprochen hat, ist weder den Urteilsgründen des LG noch den Ausführungen der revisionsführenden StA im Rahmen ihrer Revisionsrechtfertigung vom 30.12.2010, insbesondere auch nicht ihrem Vortrag zur Verfahrensrüge, zu entnehmen.

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