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Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

Az.: BVerwG 1 C 3.08

Urteil vom 30.04.2009

Vorinstanzen:

I. VG Berlin, Az.: VG 11 A 285.05, Entscheidung vom 07.11.2006

II. OVG Berlin, Az.: OVG 11 B 4.07, Entscheidung vom 04.02.2008


In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2009 für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Ehemann.

Die Klägerin ist eine im Jahr 1956 geborene türkische Staatsangehörige. Ihr Ehemann und die sechs gemeinsamen Kinder der Eheleute leben in Deutschland.

Der Ehemann war 1990 nach Deutschland eingereist, hatte sich nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens von der Klägerin scheiden lassen und eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. In der Folgezeit waren seine Kinder zu ihm nach Deutschland gezogen. 1997 wurde seine Ehe mit der Deutschen geschieden, 1998 heiratete er erneut seine frühere Ehefrau – die Klägerin.

Diese war bereits Anfang 1995 in das Bundesgebiet eingereist und hatte später Asyl beantragt. Nach Ablehnung ihres auf „Schicksalsschläge“ gestützten Asylantrags durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte die Klägerin zunächst Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, diese aber im September 2003 zurückgenommen. Im Februar 2004 begab sie sich in die Türkei, kehrte im September 2004 aber wieder mit einem für drei Monate gültigen Visum zum Ehegattennachzug nach Deutschland zurück.

Erst danach wurde bekannt, dass ihr Ehemann bereits vor Erteilung des Visums seine Arbeitsstelle verloren hatte. Der Ehemann, der eine Niederlassungserlaubnis besitzt, ging ab Februar 2005 zunächst noch einer Teilzeittätigkeit in einer Bäckerei mit einem Nettogehalt von rund 500 Euro monatlich nach; danach konnte kein Arbeitseinkommen mehr nachgewiesen werden. Seit dieser Zeit bezog die Familie – zunächst ergänzend – Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. April 2005 den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen mangelnder Sicherung des Lebensunterhalts ab und forderte sie unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf.

Das Verwaltungsgericht Berlin wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 4. Februar 2008 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG setze in der Regel die Sicherung des Lebensunterhalts voraus, wie sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ergebe. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Die Klägerin, ihr Ehemann und das 1995 geborene minderjährige Kind hätten zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinerlei Erwerbseinkommen (mehr) erzielt. Noch im Februar 2007 habe die Klägerin mitgeteilt, dass ihr Ehemann krankheitsbedingt keine realistische Chance mehr habe, eine Arbeit zu finden. Das Nettoeinkommen der Tochter Züleyha von rund 550 Euro monatlich reiche bei Weitem nicht aus, um den Unterhaltsbedarf zu decken.

Das – nur wenig höhere – Einkommen der Tochter Zerrin sei nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Familie ihres Bruders lebe und daher keine Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern bilde. Es liege auch kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzung der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertige.

Von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG könne nicht nach Ermessen abgesehen werden. Vielmehr sei eine gebundene Entscheidung zu treffen, ob ein Ausnahmefall von der Regel vorliege. Zwar habe es bei den früheren Regelversagungstatbeständen des § 7 AuslG eine Ermessensentscheidung gegeben. § 5 Abs. 1 AufenthG liege indes ein anderes Regelungskonzept zugrunde. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Regel- und Ermessensausweisung – insbesondere das Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007 in der Sache BVerwG 1 C 10.07 (BVerwGE 129, 367) – sei auf die Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht übertragbar.

Im Fall der Klägerin liege keine Ausnahme von der Regel vor. Auch unter Berücksichtigung des gebotenen Schutzes von Ehe und Familie sowie des Privatlebens sei die Versagung der Aufenthaltserlaubnis verhältnismäßig. Die Klägerin könne nicht als faktische Inländerin bezeichnet werden. Sie habe ihr weit überwiegendes Leben in der Türkei verbracht und sich nach illegaler Einreise im Jahr 1995 bis zum Februar 2004 allein auf Grund des – erfolglosen – Betreibens des Asylverfahrens in Deutschland aufgehalten. Eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und schutzwürdige Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse sei während ihres nicht rechtmäßigen Aufenthalts nicht erfolgt. Auch dem Ehemann und dem zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung zwölfeinhalbjährigen Sohn sei es zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft mit der Klägerin in der Türkei fortzuführen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Das Bundesverwaltungsgericht habe der gewachsenen Bedeutung des Rechts auf Achtung des Privatlebens in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch seine neue Rechtsprechung zum Regel-Ausnahme-Verhältnis im Ausweisungsrecht Rechnung getragen.

Die gleichen Gesichtspunkte seien auch im Aufenthaltserteilungsrecht zu berücksichtigen. Zwar regele § 5 AufenthG keine Ermessensentscheidung. Der gewachsenen Bedeutung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK müsse aber auch bei der gebundenen Entscheidung Rechnung getragen werden, ob ein Ausnahmefall von der Regel vorliegt oder nicht. Im vorliegenden Fall könne der Klägerin und ihren Familienangehörigen nicht zugemutet werden, das Familienleben in der Türkei zu führen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und hält die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für richtig.

II.

Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 AufenthG ohne Verstoß gegen Bundesrecht verneint.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162). Nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AufenthG ist dem Ehegatten eines Ausländers, der – wie der Ehemann der Klägerin – eine Niederlassungserlaubnis besitzt, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt. Hierzu gehört neben den speziellen Voraussetzungen der §§ 27, 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 AufenthG die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat und wie es von der Revision auch nicht in Abrede gestellt wird, ist die Klägerin zur Sicherung ihres Lebensunterhalts weder gegenwärtig noch in absehbarer Zeit imstande.

Von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kann nicht nach Ermessen abgesehen werden. Vielmehr stellt es eine gerichtlich voll überprüfbare gebundene Entscheidung dar, ob ein Ausnahmefall von der Regel vorliegt (1.). Einen solchen Ausnahmefall hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zutreffend verneint (2.).

1.

Die Sicherung des Lebensunterhalts ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als allgemeine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels normiert.

Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen ist (vgl. hierzu BTDrucks 15/420 S. 70 und Urteil vom 26. August 2008 – BVerwG 1 C 32.07 – Rn. 21 – Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1 – zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Diese bereits im Ausländergesetz 1990 getroffene Wertung wurde durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz noch verstärkt, indem die Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr nicht nur bei der Erteilung von Titeln zum Daueraufenthalt, sondern für alle Aufenthaltstitel von einem Regelversagungsgrund (vgl. § 7 Abs. 2 AuslG 1990) zu einer Regelerteilungsvoraussetzung heraufgestuft worden ist (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG). Ausnahmen von der Regel sind daher grundsätzlich eng auszulegen (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2008 – BVerwG 1 C 34.07 – Rn. 16 – NVwZ 2009, 246 zu Ausnahmen von der Unterhaltssicherung bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG).

Die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG getroffene Regelung steht im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG Nr. L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) – sog. Familienzusammenführungsrichtlinie -, die es in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c den Mitgliedstaaten erlaubt, den Nachzug von Familienangehörigen von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen und die Erfüllung dieser Voraussetzung auch bei weiteren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen zu verlangen (vgl. Art. 16 der Richtlinie).

Wie der Senat mit Urteil vom 26. August 2008 (BVerwG 1 C 32.07 – a.a.O. Rn. 27) entschieden hat, liegt ein Ausnahmefall von der regelmäßig zu erfüllenden Voraussetzung der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unter folgenden Voraussetzungen vor: Es müssen entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist.

Ob danach ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung.

Der Ausländerbehörde steht insoweit kein Einschätzungsspielraum zu.

Der Gesetzgeber hat mit § 5 Abs. 1 AufenthG bestimmte Erteilungsvoraussetzungen auf der Tatbestandsseite gleichsam vor die Kammer gezogen und bestimmt, dass sie in der Regel vorliegen müssen unabhängig davon, ob auf die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – wie hier im Fall des Ehegattennachzugs nach § 30 Abs. 1 AufenthG – ein Rechtsanspruch besteht oder nach Ermessen zu entscheiden ist. Daneben enthält § 5 Abs. 3 AufenthG bei der Unterhaltssicherung für bestimmte Aufenthaltstitel abweichende Regelungen, nach denen von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen ist (Satz 1) bzw. abgesehen werden kann (Satz 2). Außerdem kann nach § 30 Abs. 3 AufenthG bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug von der Sicherung des Lebensunterhalts abgesehen werden. Diese Regelungen wären überflüssig, wenn der Ausländerbehörde bereits nach § 5 Abs. 1 AufenthG bei der Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, ein Entscheidungsspielraum zustände. Zugleich würde die gesetzgeberische Wertung unterlaufen, in Fällen des Ehegattennachzugs bei fehlender Unterhaltssicherung Ermessen nur bei der Verlängerung, nicht aber bei der Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu eröffnen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 82).

Ist der Lebensunterhalt nicht gesichert und liegt ein Regelfall vor, steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen und muss die Ausländerbehörde den Antrag – vorbehaltlich einer gesetzlichen Sonderregelung – zwingend ablehnen. Liegt ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, kann dem Ausländer jedenfalls bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – wie hier im Fall des Ehegattennachzugs nach § 30 Abs. 1 AufenthG – die fehlende Unterhaltssicherung nicht entgegengehalten werden. Die Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 2 AuslG 1990, wonach im Falle einer Ausnahme vom Regelfall Ermessen eröffnet war (vgl. Urteil vom 29. Juli 1993 – BVerwG 1 C 25.93 – BVerwGE 94, 35 <44 f.>), lässt sich auf § 5 Abs. 1 AufenthG nicht übertragen. Denn die Annahme eines Ausnahmefalles hatte bei den Regelversagungsgründen des § 7 Abs. 2 AuslG 1990 zur Folge, dass die Ermessensregelung des § 7 Abs. 1 AuslG 1990 Anwendung fand. Abweichend hiervon normiert § 5 Abs. 1 AufenthG die Unterhaltssicherung als Regelerteilungsvoraussetzung und enthält keine § 7 Abs. 1 AuslG 1990 vergleichbare allgemeine Ermessensregelung. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 AufenthG führt daher nicht dazu, dass bei einem gesetzlichen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Ermessen zu entscheiden ist.

2.

Das Berufungsgericht hat im Entscheidungsfall zutreffend eine Ausnahme vom Regelerfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 AufenthG verneint.

Der Schutz von Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebieten nicht die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis. Vielmehr kann der Klägerin, ihrem Ehemann und dem minderjährigen Sohn die Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei zugemutet werden.

Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – BVerfGE 76, 1 <42>). Art. 6 Abs. 1 GG begründet grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; Beschluss vom 11. Mai 2007 – 2 BvR 2483/06 – InfAuslR 2007, 336 <337>). Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Frage, ob es den anderen Familienangehörigen zumutbar ist, die Klägerin in ihr Herkunftsland zu begleiten, von erheblicher Bedeutung. Denn wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist – etwa weil ihm dort flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht -, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 – 2 BvR 1169/84 – BVerfGE 80, 81 <95>). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann (vgl. Urteil vom 26. August 2008 – BVerwG 1 C 32.07 – a.a.O., Rn. 27). Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist. Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996 – 53/1995/559/645 – InfAuslR 1996, 245, Gül; Urteil vom 28. November 1996 – 73/1995/579/665 – InfAuslR 1997, 141, Ahmut) oder ob der Nachzug das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zu leben (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2001 – 31465/96 – InfAuslR 2002, 334, Sen).

Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob der Klägerin die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei zumutbar ist, mit Recht darauf abgestellt, dass sie erst im Alter von 39 Jahren nach Deutschland gekommen ist, den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in der Türkei verbracht hat und sich hier seit 1995 nach illegaler Einreise allein auf Grund des – erfolglosen – Betreibens eines Asylverfahrens aufgehalten hat. Auch nach der erneuten Einreise mit ihrem zunächst auf drei Monate befristeten Visum konnte sie kein schützenswertes Vertrauen auf einen Daueraufenthalt in Deutschland entwickeln, da ihr Ehemann schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Eheleute und den minderjährigen Sohn imstande war. Das Berufungsgericht hat dem Interesse der Klägerin am Verbleib in Deutschland mit Recht das gewichtige Interesse der öffentlichen Hand an der Vermeidung einer Belastung der öffentlichen Haushalte gegenübergestellt, dem aufgrund der voraussichtlichen Dauerhaftigkeit der Angewiesenheit der Klägerin und ihres Ehemannes auf Unterstützung aus öffentlichen Mitteln entscheidendes Gewicht zukommt. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Klägerin eine Rückkehr in die Türkei zumutbar ist. Entsprechendes gilt für die Wertung des Gerichts, auch dem Ehemann der Klägerin sei trotz Besitzes einer Niederlassungserlaubnis zuzumuten, ihr in die Türkei zu folgen. Dabei konnte mit Recht darauf abgestellt werden, dass auch der Ehemann den überwiegenden Teil seines Lebens in der Türkei verbracht hat und die geltend gemachten Unterstützungsleistungen wegen einer Gehbehinderung nach den gerichtlichen Feststellungen auch in der Türkei erbracht werden können. Auch dem zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zwölfeinhalb Jahre alten Sohn der Klägerin ist trotz seines Aufwachsens in Deutschland letztlich eine Rückkehr mit der Klägerin in die Türkei oder ein Verbleib in Deutschland bei seinem Vater oder seiner Großfamilie ohne die Klägerin zuzumuten.

Der Schutz des Privatlebens der Klägerin im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebieten ebenfalls nicht die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis.

Eine schützenswerte Verwurzelung der Klägerin in Deutschland hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Sie ist keine in Deutschland aufgewachsene Ausländerin der zweiten Generation. Sie hat sich hier zwar nahezu dreizehn Jahre aufgehalten, aber – abgesehen von drei Monaten – ohne entsprechende aufenthaltsrechtliche Genehmigung. Das sich über acht Jahre erstreckende, auf „Schicksalsschläge“ gestützte Asylverfahren war von vornherein unbegründet, der Antrag wurde von ihr im Herbst 2003 selbst zurückgenommen.

Das Visum zur Einreise im Jahr 2004 wurde auf fehlerhafter Tatsachengrundlage (betreffend das Einkommen des Ehemannes) erteilt. Eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt grundsätzlich – und so auch hier – nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (vgl. EGMR, Urteil vom 8. April 2008 – 21878/06 – Rn. 72 bis 78, Nnyanzi). Beides lag im Fall der Klägerin nicht vor.

Sonstige Gesichtspunkte, die ein Abweichen vom Regelerfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gebieten könnten – etwa wegen atypischer Umstände – sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden und ergeben sich auch nicht aus dem Revisionsvorbringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).

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