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Auffahrunfall bei plötzlichem Abbremsen

OLG Oldenburg – Az.: 1 U 60/17 – Urteil vom 26.10.2017

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9.6.2017 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.617,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.1.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben, wobei die Beklagten für die Gerichtskosten als Gesamtschuldner haften.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Regressansprüche nach einem Verkehrsunfall, der sich am 6.4.2016 gegen 14.50 Uhr auf der … Straße in … in Höhe der Hausnummer … ereignete. In dem Bereich gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h.

Der Beklagte zu 2) befuhr mit seinem PKW die … Straße aus Richtung S… kommend in Richtung O…. Hinter ihm fuhren in Kolonne mehrere Fahrzeuge in einem Abstand von jeweils ca. eineinhalb Fahrzeuglängen. Der Beklagte zu 2) bremste ab, um nach rechts in die Einfahrt seines Wohnhauses abzubiegen. Die hinter dem Beklagten zu 2) fahrenden Zeugen V… und M… konnten jeweils einen Zusammenstoß mit dem ihnen vorausfahrenden Fahrzeug durch Einleitung einer Vollbremsung verhindern, nicht aber der als letzter in der Kolonne fahrende Zeuge L…, der auf das Fahrzeug der Zeugin M… auffuhr.

Das Fahrzeug des Zeugen L… ist bei der Klägerin haftpflicht- und vollkaskoversichert. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2) ist bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert. Die Klägerin nimmt die Beklagten mit der vorliegenden Klage im Wege des Regresses auf Basis eines Mithaftungsanteils von 75 % auf Erstattung der an die Zeugen L… und M… geleisteten Schadensersatzzahlungen in Anspruch.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe ohne zwingenden Grund vor dem Abbiegen in sein Grundstück für den Nachfolgeverkehr unvorhersehbar und ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers stark abgebremst und die Auffahrgefahr vorsätzlich herbeigeführt.

Der Senat hat den Beklagten zu 2) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T… V…, J… V…, M… M… und P… L….

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313 a ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 3.617,93 €, §§ 86 Abs. 1 VVG, 7, 17, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB. Ihr steht gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall ein Anspruch auf Schadensersatz auf Basis einer Mithaftung von 1/3 zu.

Der Unfall war nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen und weder für den Zeugen L… noch für den Beklagten zu 2) ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein umsichtiger und besonnener Fahrer den Unfall jeweils hätte verhindern können, indem er an Stelle des Beklagten zu 2) frühzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und vorsichtig abgebremst hätte bzw. an Stelle des Zeugen L… mit angepasster Geschwindigkeit und ausreichendem Sicherheitsabstand zum Vordermann gefahren wäre und auf dessen Abbremsen sein Fahrzeug ebenfalls rechtzeitig abgebremst hätte.

Gem. § 17 Abs. 1 StVG bzw. § 254 BGB ist im Rahmen der Haftungsverteilung eine Abwägung danach vorzunehmen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Beim Auffahren spricht grundsätzlich der erste Anschein gegen den Auffahrenden (BGH, NZV 2011, 177; NZV 1989, 105; KG, NZV 1993, 478, OLG Hamm, NZV 1994, 229). Diesen trifft den Vorwurf, entweder zu schnell, mit zu geringem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren zu sein, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1, 1 Abs. 2 StVO. Dass der Zeuge L… den Unfall bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit, des erforderlichen Sicherheitsabstandes sowie der gebotenen Sorgfalt hätte verhindern können, zeigt sich daran, dass auch die zwischen ihm und dem Beklagten zu 2) fahrenden Fahrzeuge eine Kollision verhindern konnten. Der Zeuge L… hat zudem eine Vermeidbarkeit in seiner Vernehmung eingeräumt.

Auffahrunfall bei plötzlichem Abbremsen
(Symbolfoto: Von Southworks/Shutterstock.com)

Den Beklagten zu 2) trifft aber ein Mitverschulden an dem Unfall. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO darf, wer vorausfährt, nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Ein Abbiegevorhaben stellt keinen zwingenden Grund für ein starkes Abbremsen dar (Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 4. Aufl. 2017, § 4 Rn 15 m. Rspr.-Nachw.). Darüber hinaus muss, wer abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen, § 9 Abs. 1 StVO. Die Vorschriften dienen nicht allein dem Schutz des unmittelbar nachfolgenden Fahrzeugs, sondern auch dem Schutz der diesem nachfolgenden Fahrzeuge.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 2) ohne Grund übermäßig stark abgebremst und damit gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen hat. Zwar hat der Beklagte zu 2) dies in Abrede gestellt und angegeben, er habe in angemessener Weise abgebremst. Die Zeugen T… und Y… V…, M… und L… haben dagegen übereinstimmend bekundet, dass der Beklagte zu 2) eine „Vollbremsung aus dem Nichts“ gemacht und damit die hinter ihm fahrenden Fahrzeuge jeweils zu einer Vollbremsung gezwungen habe. Das Gericht ist von der Richtigkeit der Angaben der Zeugen überzeugt. Das Gericht hat keine Bedenken hinsichtlich der Wahrnehmungsfähigkeit der an 2. und 3. Stelle in der Kolonne fahrenden Zeugen M… und L…. Die Zeugen haben glaubhaft geschildert, dass sie Wahrnehmungen hinsichtlich des Fahrverhaltens des Beklagten zu 2. gemacht haben. Diesen Bekundungen steht auch kein Erfahrungssatz entgegen; vielmehr entspricht es der Alltagserfahrung, dass man nicht nur das unmittelbar vor sich fahrende Fahrzeug, sondern je nach den Umständen auch deutlich weiter vorausfahrende Fahrzeuge wahrnehmen kann. Die Aussagen der Zeugen entsprechen im Übrigen den Angaben, die sie unmittelbar nach dem Unfallereignis gegenüber der Polizei gemacht haben. Die Zeugen waren auch vor Gericht erkennbar darum bemüht, wahrheitsgemäße Angaben zu machen und räumten Erinnerungslücken bereitwillig ein. Schließlich gibt es in Anbetracht des geringen Abstandes von jeweils 1-2 Fahrzeuglängen zwischen den in der Kolonne fahrenden Fahrzeugen auch keine Anhaltspunkte, dass die an 2. oder 3. Stelle fahrenden Fahrzeugführer verspätet reagiert hätten, da sie in diesem Fall unmittelbar auf das Fahrzeug ihres jeweiligen Vordermanns aufgefahren wären.

Den Beklagten trifft zudem ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO. Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme überzeugt, dass der Beklagte zu 2) sein Abbiegevorhaben nicht durch rechtzeitiges Blinken angekündigt hat. Zwar hat der Beklagte zu 2) angegeben, er habe 30-50 m vor der Hofeinfahrt geblinkt. Dagegen haben die Zeugen T… V…, M… und L… ein Blinken nicht wahrgenommen. Der Zeuge Y… V… hat angegeben, der Beklagte zu 2) habe den Blinker erst gesetzt, nachdem das Beklagtenfahrzeug bereits stand. Das Gericht ist aufgrund der glaubhaften Bekundungen der Zeugen überzeugt, dass ein etwaiges Blinken jedenfalls verspätet erfolgte und von diesem eine Warnfunktion für den Nachfolgeverkehr nicht mehr ausgehen konnte.

Das von den Zeugen beschriebene Fahrverhalten des Beklagten zu 2) lässt sich im Übrigen mit dem Vorgeschehen zwanglos in Einklang bringen. Danach fühlte sich der Beklagte zu 2) durch den Überholversuch des Zeugen V… offenbar provoziert, suchte diesen durch Beschleunigen seines Fahrzeugs zu verhindern, reduzierte sodann wieder seine Geschwindigkeit und betätigte mehrfach und anhaltend die Scheibenwischanlage. In Anbetracht dieser dem Unfallgeschehen vorangegangenen Fahrweise erschien sämtlichen Zeugen das plötzliche Bremsmanöver des Beklagten zu 2) nachvollziehbar als eine abschließende Maßregelung des nachfolgenden Fahrzeugs, bevor der Beklagte zu 2) in sein Grundstück abbog. Gleichwohl ist nicht anzunehmen, dass der Beklagte zu 2) damit einen Unfall bewusst provozieren wollte, zumal sich in seinem Fahrzeug ein Kleinkind befand.

Die Verursachungs- und Verschuldensanteile sind mit 2/3 zu Lasten der Klägerin und 1/3 zu Lasten der Beklagten zu gewichten. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2) die unfallursächliche Kausalkette durch sein verkehrswidriges Verhalten zwar ausgelöst hat, der Zeuge L… den Unfall aber seinerseits durch verkehrsgerechtes Verhalten hätte vermeiden können, wie die Reaktion der vor ihm fahrenden Zeugen V… und M… zeigt. Ein nachfolgender Fahrer muss damit rechnen, dass ein Vorausfahrender sein Fahrzeug aus Gründen, die dieser nicht zu vertreten hat, plötzlich zum Stillstand bringt. Dies fordert von ihm besondere Aufmerksamkeit, um auch zufällige Gefahren unfallvermeidend abwenden zu können (vgl. KG, NZV 2003, 41 m.w.N.). Es war daher maßgeblich Aufgabe des Zeugen L…, durch angepasste Fahrweise auch auf ein plötzliches Abbremsen eines vor ihm fahrenden Fahrzeugs, das z.B. durch ein plötzlich auf die Straße fahrendes Kind angezeigt sein kann, reagieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist der Verursachungsbeitrag des Zeugen L… im Ergebnis doppelt so hoch zu gewichten wie derjenige des Beklagten zu 2).

Danach ergibt sich ein Regressanspruch der Klägerin gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten in Höhe von 3.617,93 €. Die Klägerin hat infolge des streitgegenständlichen Unfalls im Rahmen der Vollkaskoversicherung an den Zeugen M… Schadensersatzzahlungen in Höhe von 3.330,35 € und im Rahmen der Haftpflichtversicherung an die Zeugin M… Schadensersatzzahlungen in Höhe von 7.523,44 € geleistet. Die Berechtigung der Schadensersatzleistungen steht außer Streit. Nach einer Quote von 1/3 haben die Beklagten der Klägerin hiervon einen Betrag von 3.617,93 € zu erstatten.

2. Der Zinsausspruch folgt aus Verzug, § 291 BGB.

3. Die Kostenentscheidung war nach dem Anteil des jeweiligen Unterliegens der Parteien zu treffen, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

4. Der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 23.10.2017 lag bei Urteilsabfassung vor. Er gab zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlass, § 156 ZPO.

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