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Auffahrunfall Kreuzungsbereich zwischen Rettungswagen und abrupt abbremsenden Pkw

Ein Martinshorn zerreißt die Stille, Blaulicht blitzt im Rückspiegel: Wenn ein Rettungswagen im Notfalleinsatz ist, scheint die Sachlage eindeutig. Doch was, wenn ein PKW plötzlich vor dem Einsatzfahrzeug bremst und es zur Kollision kommt? Ein Gericht musste nun klären, wer haftet, wenn Sonderrechte auf menschliches Fehlverhalten treffen – mit einem überraschend geteilten Ergebnis für beide Beteiligten.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 66/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
  • Datum: 18.11.2024
  • Aktenzeichen: 7 U 66/24
  • Verfahrensart: Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Haftungsrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Der Betreiber des Rettungswagens.
  • Beklagte: Die Fahrerin und Halterin des Pkw sowie deren Haftpflichtversicherung.

Worum ging es in dem Fall?

  • Sachverhalt: Ein Rettungswagen (RTW) im Notfalleinsatz fuhr auf den Pkw einer Fahrerin auf, die an einer Kreuzung plötzlich abbremste. Der Unfall ereignete sich, als beide Fahrzeuge im Kreuzungsbereich unterwegs waren und der RTW Sonderrechte in Anspruch nahm.
  • Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Klärung der Haftungsverteilung und des Schadensersatzanspruchs nach einem Auffahrunfall zwischen einem Rettungswagen im Notfalleinsatz und einem Pkw. Strittig war, welche Partei für den Unfall verantwortlich war und in welchem Umfang beide Seiten eine Mitschuld trugen, insbesondere unter Berücksichtigung der Sonderrechte des Rettungswagens.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Das Gericht beabsichtigt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Damit wird die bereits vom Landgericht festgestellte Mithaftung der Klägerin von 30 % am Unfallschaden bestätigt.
  • Begründung: Die Berufung der Klägerin wurde als unbegründet erachtet, da das Landgericht die Haftungsverteilung von 70% zulasten der Pkw-Fahrerin und 30% zulasten des Rettungswagens korrekt abgewogen hat. Die Pkw-Fahrerin hatte ihre Wartepflicht gegenüber dem Rettungswagen verletzt und grundlos abrupt gebremst, während der Rettungswagen-Fahrer seine Geschwindigkeit in einer unklaren Verkehrslage nicht ausreichend reduziert hatte.
  • Folgen: Die Klage der Klägerin auf vollständigen Schadensersatz wird abgewiesen, da sie selbst eine Mithaftung von 30% trägt. Die von der Gegenpartei eingelegte Anschlussberufung verliert durch diese Entscheidung ihre Wirkung.

Der Fall vor Gericht


Sirene und Blaulicht: Wer haftet, wenn ein Rettungswagen auffährt?

Jeder kennt die Situation: Ein Martinshorn ertönt, Blaulicht zuckt im Rückspiegel. Die klare Anweisung des Gesetzes und der Vernunft lautet: Platz machen, und zwar sofort. Doch was passiert, wenn die Situation unübersichtlich wird und es zu einem Unfall kommt, in den das Einsatzfahrzeug selbst verwickelt ist? Ein Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein beleuchtet genau solch einen Fall und zeigt, dass die Frage der Schuld nicht immer so eindeutig ist, wie man annehmen könnte.

Ein nächtlicher Einsatz mit unerwarteter Wendung

Verkehrsunfall bei Nacht: Rettungswagen prallt auf parkenden Pkw an städtischer Kreuzung
Pkw bremst abrupt vor Rettungswagen an städtischer Kreuzung – Gefahr durch plötzliche Bremsung, Unfall möglich. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

An einem Abend im Winter, es war bereits dunkel, kam es an einer Kreuzung zu einem folgenschweren Unfall. Beteiligt waren ein Rettungswagen (RTW), der sich im Notfalleinsatz befand, und ein Pkw, der von einer Autofahrerin, hier Frau F. genannt, gesteuert wurde. Frau F. wollte an einer grünen Ampel nach links abbiegen. Sie fuhr in die Kreuzung ein, verlangsamte ihr Fahrzeug dann aber. Ob sie dabei komplett zum Stehen kam, konnte später nicht mehr eindeutig geklärt werden.

Aus der entgegengesetzten Richtung näherte sich der Rettungswagen, gefahren von Herrn M. Er hatte Blaulicht und Einsatzhorn eingeschaltet und fuhr mit etwa 30 bis 35 km/h in die Kreuzung ein, um diese geradeaus zu überqueren. Sein Plan war es, an dem langsamen Auto von Frau F. vorbeizufahren. Doch dann geschah das Unerwartete.

Ein verhängnisvolles Manöver und die Kollision

Gerade als der Rettungswagen nur noch etwa 10 Meter entfernt war, setzte Frau F. ihren Abbiegevorgang fort und bog direkt in die Fahrspur des Einsatzfahrzeugs ein. Für einen kurzen Moment befanden sich beide Fahrzeuge nun hintereinander. Doch nur wenige Meter weiter, noch im Kreuzungsbereich, bremste Frau F. ihren Wagen plötzlich und ohne ersichtlichen Grund bis zum Stillstand ab. Herr M., der Fahrer des Rettungswagens, konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und fuhr von hinten auf den Pkw auf. Der Schaden war erheblich und belief sich auf über 22.000 Euro.

Streit vor Gericht: Wie wird die Schuld verteilt?

Die Betreiber des Rettungsdienstes, die als Kläger auftraten, sahen die alleinige Schuld bei Frau F. Sie habe zunächst den Eindruck erweckt, den Rettungswagen zu bemerken und zu warten, sei dann aber unvorhersehbar losgefahren und habe abrupt gebremst. Herr M. sei umsichtig gefahren und habe den Unfall nicht verhindern können. Daher forderten sie die vollständige Übernahme des Schadens durch Frau F. und ihre Versicherung.

Frau F. und ihre Versicherung, die Beklagten im Verfahren, sahen das anders. Sie argumentierten, der Rettungswagen sei viel zu schnell gewesen. In einer solchen Situation hätte er nur Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen. Man könne nicht einfach davon ausgehen, dass andere Verkehrsteilnehmer ein Einsatzfahrzeug immer sofort wahrnehmen. Frau F. selbst gab an, den Rettungswagen vor ihrem Abbiegevorgang nicht bemerkt zu haben. Sie waren bereit, höchstens 50 % des Schadens zu übernehmen.

Das erste Urteil: Eine 70/30-Aufteilung

Das zunächst zuständige Landgericht hörte beide Beteiligten an und kam zu einer differenzierten Entscheidung. Es verteilte die Haftung, also die Verantwortung für den entstandenen Schaden, in einem Verhältnis von 70 % zu Lasten von Frau F. und 30 % zu Lasten des Rettungsdienstes. Aber wie kam das Gericht zu dieser Aufteilung?

Das Gericht stellte fest, dass beide Seiten Fehler gemacht hatten. Frau F. wurde vorgeworfen, gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen zu haben. Konkret ging es um § 38 StVO, der besagt, dass alle Verkehrsteilnehmer für Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn „sofort freie Bahn“ zu schaffen haben. Das Gericht war überzeugt, dass Frau F. das seit mindestens zehn Sekunden hörbare Signal hätte wahrnehmen müssen. Indem sie trotzdem in die Kreuzung einfuhr, verletzte sie diese Pflicht. Zusätzlich habe sie gegen § 4 StVO verstoßen, der ein starkes Bremsen ohne zwingenden Grund verbietet.

Doch auch dem Fahrer des Rettungswagens, Herrn M., wurde ein Fehler angelastet. Zwar dürfen Fahrer im Notfalleinsatz von bestimmten Verkehrsregeln abweichen – man nennt dies Sonderrechte (§ 35 StVO). Diese Sonderrechte entbinden sie aber nicht von ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht. Die oberste Regel lautet: Die öffentliche Sicherheit darf nicht gefährdet werden. Das Gericht meinte, als Frau F. so unberechenbar handelte – erst langsam fahren, dann doch plötzlich abbiegen –, sei eine unklare Verkehrslage entstanden. In diesem Moment hätte Herr M. seine Geschwindigkeit auf Schritttempo reduzieren müssen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.

Die nächste Instanz: Warum das Oberlandesgericht die 30 % bestätigte

Dem Rettungsdienst waren die 30 % Mithaftung zu viel. Er legte Berufung ein, um doch noch eine 100%ige Haftung von Frau F. zu erreichen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein musste den Fall also erneut prüfen. Das Ergebnis: Die Berufung hatte keine Aussicht auf Erfolg. Das Gericht bestätigte die 70/30-Aufteilung und erklärte sehr detailliert, warum.

Fehler 1: Die klaren Pflichtverletzungen der Autofahrerin

Das Oberlandesgericht stimmte dem Landgericht voll und ganz zu, was die Fehler von Frau F. betrifft. Ihr erster und grundlegender Fehler war, überhaupt in den Weg des herannahenden Rettungswagens zu fahren. Die Pflicht, „sofort freie Bahn“ zu schaffen, bedeutet, an einer geeigneten Stelle anzuhalten und das Einsatzfahrzeug passieren zu lassen – nicht, dessen Weg zu kreuzen.

Ihr zweiter, noch schwerwiegenderer Fehler war das abrupte Bremsen. Was bedeutet es denn, „freie Bahn“ zu schaffen? Es bedeutet nicht, in Panik eine Vollbremsung mitten auf der Kreuzung hinzulegen. Vielmehr hätte sie, nachdem sie sich schon falsch verhalten hatte, die Kreuzung zügig verlassen und an einer sicheren Stelle anhalten sollen. Ihr plötzlicher Stopp war nicht nur unnötig, sondern schuf erst die unmittelbare Kollisionsgefahr.

Fehler 2: Der entscheidende Moment für den Rettungswagenfahrer

Nun kommt der entscheidende Punkt, der die 30%ige Mithaftung des Rettungswagens begründet. Das Gericht unterschied hier zwei Phasen. Zunächst, als Herr M. sich der Kreuzung näherte, war seine Geschwindigkeit von 30-35 km/h in Ordnung. Er konnte das langsame Fahrzeug von Frau F. sehen und durfte zunächst davon ausgehen, dass sie ihn wahrgenommen hatte und warten würde.

Doch dann änderte sich die Situation grundlegend. In dem Augenblick, als Frau F. ihr Auto direkt vor den nur noch 10 Meter entfernten Rettungswagen lenkte, hätte bei Herrn M. eine Alarmglocke schrillen müssen. Was bedeutet das konkret für einen Fahrer mit Sonderrechten? Ihm musste in diesem Moment klarwerden: „Diese Fahrerin hat mich offenbar weder gesehen noch gehört.“ Ab diesem Zeitpunkt war die Lage nicht mehr kontrollierbar, sondern unklar und hochgefährlich.

Genau hier greift die besondere Verantwortung aus § 35 StVO. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs muss bei einer unklaren Lage sofort vom Gas gehen und die Geschwindigkeit drastisch reduzieren. Er muss damit rechnen, dass der andere Verkehrsteilnehmer aus Schreck oder Unachtsamkeit weitere Fehler macht. Herr M. hätte also einen viel größeren Sicherheitsabstand herstellen müssen, anstatt so dicht aufzufahren. Er konnte das Auto ohnehin nicht überholen und hätte abwarten müssen, was als Nächstes passiert. Indem er dies nicht tat, hat er selbst zu dem Unfall beigetragen.

Die Abwägung: Warum eine Seite mehr Schuld trägt

Am Ende eines solchen Verfahrens wägt das Gericht die Fehler beider Seiten gegeneinander ab. Man nennt dies die Abwägung der Verursachungsbeiträge (§ 17 StVG). Man kann es sich wie eine Waage vorstellen: Auf die eine Schale legt das Gericht die Fehler des einen, auf die andere die des anderen.

Auf der Schale von Frau F. lag ihr Verstoß gegen die Wartepflicht und vor allem das extrem gefährliche und grundlose Bremsen. Dies war laut Gericht die wesentliche Ursache, die unmittelbar zur Kollision führte. Auf der Schale des Rettungsdienstes lag der Fehler von Herrn M., der auf die bereits entstandene, offensichtlich gefährliche Situation nicht mit der gebotenen extremen Vorsicht reagiert hatte. Hinzu kommt die sogenannte Betriebsgefahr – die Tatsache, dass ein Fahrzeug im Einsatz allein durch seine Geschwindigkeit und Fahrweise eine höhere Gefahr für andere darstellt.

Die Waage neigte sich deutlich zur Seite von Frau F. Ihre Fehler wogen schwerer. Dennoch war der Beitrag des Rettungswagenfahrers nicht so gering, dass er komplett vernachlässigt werden konnte. Daher hielt das Gericht die Aufteilung von 70 % zu 30 % für gerecht.



Die Schlüsselerkenntnisse

Das Urteil zeigt, dass auch Rettungsfahrzeuge bei Unfällen eine Teilschuld tragen können, obwohl sie Sonderrechte haben und andere Verkehrsteilnehmer für sie Platz machen müssen. Entscheidend ist, dass Fahrer von Einsatzfahrzeugen in unklaren oder gefährlichen Situationen ihre Geschwindigkeit drastisch reduzieren müssen, selbst wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer Fehler macht. Die 70/30-Haftungsverteilung macht deutlich, dass zwar die Autofahrerin die Hauptschuld trägt, weil sie trotz Martinshorn abbog und grundlos bremste, aber der Rettungswagenfahrer hätte bei ihrem unberechenbaren Verhalten vorsichtiger reagieren müssen. Für die Praxis bedeutet dies: Sowohl normale Autofahrer als auch Einsatzkräfte müssen auch in Stresssituationen besonnen handeln und mit Fehlern der anderen Seite rechnen.

Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Symbolbild für Rechtsfragen (FAQ): Allegorische Justitia mit Waage und Richterhammer.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was genau bedeutet es, einem Einsatzfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn freie Bahn zu schaffen?

Wenn ein Einsatzfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs ist, zeigt es an, dass es sogenannte Sonderrechte in Anspruch nimmt. Für alle anderen Verkehrsteilnehmer, also auch für Sie, bedeutet das die Pflicht, sofort freie Bahn zu schaffen. Dies ist in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) klar geregelt.

Was „freie Bahn schaffen“ konkret bedeutet

„Freie Bahn schaffen“ ist mehr als nur Anhalten. Es ist eine aktive Handlung, die sicherstellt, dass das Einsatzfahrzeug ungehindert und gefahrlos passieren kann, ohne dass dadurch neue Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer entstehen.

Typische Verhaltensweisen:

  • Geschwindigkeit reduzieren und anhalten: Sobald Sie ein Einsatzfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn bemerken, sollten Sie Ihre Geschwindigkeit verringern und unverzüglich anhalten, wenn dies gefahrlos möglich ist.
  • Zur Seite fahren: Bewegen Sie Ihr Fahrzeug an den äußersten rechten oder linken Fahrbahnrand oder auf den Seitenstreifen. Ziel ist es, dem Einsatzfahrzeug eine möglichst breite und freie Durchfahrt zu ermöglichen.
  • Rettungsgasse bilden: Im Stau oder bei stockendem Verkehr auf Autobahnen oder mehrspurigen Straßen müssen Sie eine Rettungsgasse bilden. Auf zweispurigen Fahrbahnen fahren die Fahrzeuge jeweils zum äußersten Fahrbahnrand. Auf dreispurigen Fahrbahnen fahren die Fahrzeuge auf der linken Spur nach links und die Fahrzeuge auf den mittleren und rechten Spuren nach rechts.
  • Kreuzungen und Einmündungen räumen: Sind Sie bereits in einer Kreuzung oder Einmündung, wenn sich ein Einsatzfahrzeug nähert, fahren Sie vorsichtig weiter, um den Weg für das Einsatzfahrzeug freizumachen. Bleiben Sie nicht stehen und blockieren Sie den Bereich. Sobald das Einsatzfahrzeug passieren kann, sollten Sie wieder sicher anhalten oder weiterfahren.

Was Sie vermeiden sollten

Es ist wichtig, dass Ihre Reaktion nicht zu einer neuen Gefahr führt. Vermeiden Sie:

  • Panikbremsungen: Bremsen Sie kontrolliert und sicher, um Auffahrunfälle zu verhindern.
  • Unüberlegte Manöver: Fahren Sie nicht plötzlich auf den Gehweg, über rote Ampeln oder in den Gegenverkehr, es sei denn, dies ist die einzige sichere Möglichkeit, um den Weg freizumachen, und Sie tun dies mit äußerster Vorsicht.
  • Blockieren: Halten Sie nicht so an, dass das Einsatzfahrzeug immer noch behindert wird, weil Sie beispielsweise mitten auf der Fahrbahn stehen bleiben.

Der Zweck der Regelung

Das Schaffen freier Bahn dient dem Schutz von Leben und Sachwerten. Einsatzfahrzeuge von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst oder Katastrophenschutz sind auf jede Sekunde angewiesen, um schnellstmöglich am Einsatzort zu sein. Ihre schnelle und sichere Reaktion trägt dazu bei, dass diese Fahrzeuge ihre wichtige Aufgabe erfüllen können. Es geht darum, eine sichere und schnelle Durchfahrt zu ermöglichen, ohne dabei andere zu gefährden.


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Welche besonderen Pflichten haben Fahrer von Einsatzfahrzeugen trotz ihrer Sonderrechte?

Die weit verbreitete Annahme, dass Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn immer „freie Fahrt“ haben und in jedem Fall Vorrang genießen, ist ein Missverständnis. Obwohl das Gesetz ihnen Sonderrechte und das sogenannte Wegerecht einräumt, tragen die Fahrer von Einsatzfahrzeugen wie Rettungswagen, Feuerwehr oder Polizei eine erheblich erhöhte Sorgfaltspflicht. Für Sie als Verkehrsteilnehmer bedeutet das, dass auch Fahrer dieser Fahrzeuge sich an klare Regeln halten müssen und nicht automatisch von jeder Schuld befreit sind, sollte es zu einem Unfall kommen.

Sonderrechte sind kein Freibrief

Einsatzfahrzeuge dürfen zwar von den allgemeinen Verkehrsregeln abweichen (Sonderrechte nach § 35 Straßenverkehrs-Ordnung – StVO) und erhalten bei Nutzung von Blaulicht und Martinshorn (Wegerecht nach § 38 StVO) Vorrang. Dies dient dazu, dass sie schnellstmöglich an ihren Einsatzort gelangen können. Diese Rechte sind jedoch an eine entscheidende Bedingung geknüpft:

  • Niemand darf gefährdet werden: Das wohl wichtigste Gebot ist, dass trotz aller Sonderrechte niemand geschädigt oder gefährdet werden darf. Dies ist in § 35 Absatz 8 StVO klar geregelt. Für den Fahrer eines Einsatzfahrzeugs bedeutet dies, dass er stets mit der größtmöglichen Vorsicht fahren muss.

Besondere Vorsicht in kritischen Situationen

Diese übergeordnete Pflicht zur Vorsicht äußert sich in verschiedenen Fahrsituationen:

  • Angepasste Geschwindigkeit: Auch bei Eile muss die Geschwindigkeit der Verkehrssituation angepasst werden. Besonders an unübersichtlichen Stellen wie Kreuzungen, Einmündungen, Kurven oder bei schlechten Sichtverhältnissen (Nebel, Regen, Dunkelheit) muss der Fahrer des Einsatzfahrzeugs seine Geschwindigkeit so reduzieren, dass er auf unerwartete Hindernisse oder Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer reagieren kann. Er muss dabei davon ausgehen, dass andere Verkehrsteilnehmer ihn möglicherweise noch nicht wahrgenommen haben oder falsch reagieren.
  • Sicherstellung der Wahrnehmung: Der Fahrer muss sich vergewissern, dass die anderen Verkehrsteilnehmer das Einsatzfahrzeug tatsächlich bemerkt und verstanden haben, wie sie reagieren sollen. Das bedeutet, dass er nicht einfach blind darauf vertrauen darf, dass die Fahrbahn freigegeben wird. Stellt er fest, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer unsicher ist oder das Fahrzeug nicht wahrnimmt, muss er seine Fahrweise entsprechend anpassen, notfalls bis zum Stillstand.
  • Vermeidung von unnötigen Risiken: Das Überfahren einer roten Ampel oder das Fahren entgegen der Fahrtrichtung ist zwar unter Nutzung der Sonderrechte erlaubt, muss aber extrem umsichtig erfolgen. Der Fahrer muss sicherstellen, dass er den Querverkehr überblicken kann und kein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wird.

Auswirkungen auf die Haftung bei einem Unfall

Gerade weil diese besonderen Pflichten so hoch sind, ist der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs im Falle eines Unfalls nicht automatisch schuldlos. Wenn festgestellt wird, dass er seine erhöhte Sorgfaltspflicht verletzt hat – zum Beispiel, weil er zu schnell war, die Situation nicht ausreichend überblickt oder sich nicht vergewissert hat, dass andere ihn wahrgenommen haben –, kann er und damit der Träger des Einsatzfahrzeugs (z.B. die Stadt, das Krankenhaus) für den Unfall mitverantwortlich gemacht werden. Das bedeutet, dass die Haftung zwischen allen Unfallbeteiligten aufgeteilt werden kann, je nachdem, welcher Grad der Pflichtverletzung vorliegt.

Für Sie als normaler Verkehrsteilnehmer ist es wichtig zu wissen, dass Sie zwar dem Einsatzfahrzeug Platz machen müssen, aber auch ein Einsatzfahrzeugfahrer seine Fahrweise so wählen muss, dass er Sie nicht in Gefahr bringt.


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Nach welchen Kriterien wird die Schuld bei einem Unfall mit einem Einsatzfahrzeug aufgeteilt?

Bei einem Unfall mit einem Einsatzfahrzeug, das mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs war, beurteilen Gerichte die Schuldverteilung sehr genau. Es geht darum, wie jeder Beteiligte zum Unfall beigetragen hat. Die Gerichte berücksichtigen dabei alle Umstände des Einzelfalls und wägen die Verursachungsbeiträge der beteiligten Personen und Fahrzeuge ab. Oft kommt es dabei zu einer Teilung der Haftung, also zum Beispiel 70/30 oder 50/50.

Betriebsgefahr und besondere Rechte der Einsatzfahrzeuge

Jedes Fahrzeug, das im Straßenverkehr bewegt wird, birgt eine sogenannte Betriebsgefahr. Das bedeutet, dass schon die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs im Verkehr ein gewisses Risiko darstellt, selbst wenn der Fahrer fehlerfrei fährt. Diese Betriebsgefahr ist ein grundlegendes Kriterium bei der Haftungsverteilung.

Einsatzfahrzeuge wie die der Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst haben unter bestimmten Voraussetzungen Sonderrechte. Wenn sie mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs sind und es die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend erfordert, dürfen sie von den allgemeinen Verkehrsregeln abweichen. Das bedeutet aber nicht, dass sie uneingeschränkt fahren dürfen. Auch für Einsatzfahrzeuge gilt eine besondere Sorgfaltspflicht. Der Fahrer muss alles tun, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Er muss also zum Beispiel besonders vorsichtig an Kreuzungen heranfahren und sicherstellen, dass er von anderen auch wahrgenommen wird.

Individuelles Verhalten und Verstöße gegen Verkehrsregeln

Das Gericht prüft genau, welches Verhalten jedes Unfallbeteiligten zum Unfall geführt hat. Hierbei spielen insbesondere folgende Fragen eine Rolle:

  • Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO): Hat der Fahrer des Einsatzfahrzeugs oder der andere Verkehrsteilnehmer gegen grundlegende Verkehrsregeln verstoßen? Das kann zum Beispiel zu schnelles Fahren, das Übersehen eines Rotlichts oder ein missglücktes Überholmanöver sein. Wenn ein Einsatzfahrzeug seine Sonderrechte nutzt, muss es trotzdem angemessen vorsichtig sein.
  • Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeugs: Konnte das Blaulicht und Martinshorn des Einsatzfahrzeugs rechtzeitig und deutlich wahrgenommen werden? Eine fehlende oder späte Wahrnehmung kann die Schuldverteilung beeinflussen, insbesondere wenn die Sicht oder das Gehör des anderen Verkehrsteilnehmers durch äußere Umstände eingeschränkt war.
  • Reaktion auf das Einsatzfahrzeug: Hat der andere Verkehrsteilnehmer sofort Platz gemacht, als er das Einsatzfahrzeug wahrgenommen hat? Ein Zögern oder eine fehlerhafte Reaktion kann als Mitverschulden gewertet werden. Umgekehrt muss auch der Fahrer des Einsatzfahrzeugs damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer unter Umständen nicht sofort richtig reagieren.
  • Besondere Umstände am Unfallort: Gab es schlechte Sichtverhältnisse, Regen, Nebel, Dunkelheit oder andere Bedingungen, die die Wahrnehmung und Reaktion der Fahrer erschwert haben? Auch die Gestaltung der Straße, etwa eine unübersichtliche Kreuzung, wird berücksichtigt.

Gerichte wägen all diese Punkte sorgfältig ab, um eine faire Verteilung der Schuldanteile zu ermitteln. Es ist eine Gesamtabwägung der Verantwortlichkeiten und der jeweiligen Verursachungsbeiträge zum Unfall.


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Was passiert, wenn ich ein herannahendes Einsatzfahrzeug nicht bemerke?

Im Straßenverkehr tragen alle Teilnehmer eine grundsätzliche Pflicht zur Aufmerksamkeit. Das bedeutet, Sie müssen die Verkehrssituation stets aufmerksam beobachten und sich so verhalten, dass Sie niemanden gefährden oder behindern. Diese allgemeine Pflicht ist besonders wichtig im Umgang mit Einsatzfahrzeugen.

Die Pflicht zur Wahrnehmung von Sondersignalen

Einsatzfahrzeuge wie Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienste, die mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs sind, führen sogenannte Sondersignale. Diese Signale zeigen an, dass das Fahrzeug „Wegerecht“ in Anspruch nimmt. Das bedeutet, andere Verkehrsteilnehmer müssen diesen Fahrzeugen sofort freie Bahn schaffen (§ 38 Abs. 1 StVO).

Die zentrale Frage ist hier nicht, ob Sie die Signale tatsächlich gehört oder gesehen haben, sondern ob Sie sie hätten wahrnehmen müssen. Das Gesetz geht davon aus, dass ein Martinshorn und Blaulicht, die unter normalen Umständen klar hör- oder sichtbar sind, auch bemerkt werden.

Stellen Sie sich vor, ein Martinshorn ist so laut, dass es in der Umgebung deutlich zu hören ist. Wenn Sie es dann zum Beispiel wegen lauter Musik im Auto nicht hören, geht die Rechtsprechung davon aus, dass Sie es trotzdem hätten wahrnehmen müssen. Ihre eigene mangelnde Aufmerksamkeit, etwa durch Ablenkung oder zu laute Musik, kann Ihnen zur Last gelegt werden.

Auswirkungen bei einem Unfall

Wenn es zu einem Unfall mit einem Einsatzfahrzeug kommt, weil Sie dessen Sondersignale nicht bemerkt haben, kann dies erhebliche Folgen für Ihre mögliche Mitverantwortung haben. Die Frage ist, ob der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn Sie die notwendige Aufmerksamkeit gezeigt und die Signale wahrgenommen hätten.

  • In der Regel wird davon ausgegangen, dass ein Einsatzfahrzeug mit Sondersignalen Vorrang hat und andere Verkehrsteilnehmer darauf reagieren müssen.
  • Wenn die Signale objektiv wahrnehmbar waren, spricht dies stark gegen die unaufmerksame Person und für eine eigene Verantwortung oder Mitverantwortung an dem Unfall.
  • Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, beispielsweise wenn die Signale aufgrund außergewöhnlicher Umstände (wie ein technischer Defekt am Sondersignal oder eine extrem ungewöhnliche und unvorhersehbare Verkehrssituation) tatsächlich absolut nicht wahrnehmbar waren, könnte die eigene Verantwortung gemindert oder aufgehoben sein. Solche Fälle sind jedoch die Ausnahme.

Für Sie bedeutet das, dass das Argument, „ich habe es nicht gehört/gesehen“, im Falle eines Unfalls mit einem Einsatzfahrzeug nur selten entlastend wirkt, wenn die Signale objektiv klar wahrnehmbar waren. Die allgemeine Pflicht zur Wachsamkeit im Straßenverkehr hat hier eine hohe Bedeutung.


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Welche Folgen hat ein plötzliches und grundloses Bremsen, wenn ein Einsatzfahrzeug naht?

Ein plötzliches und grundloses Bremsen auf der Straße ist grundsätzlich verboten und kann schwerwiegende Konsequenzen haben, insbesondere wenn sich ein Einsatzfahrzeug mit Sondersignalen (Blaulicht und Martinshorn) nähert. Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) schreibt vor, dass niemand ohne zwingenden Grund plötzlich bremsen darf. Dies gilt insbesondere dann, wenn der nachfolgende Verkehr dadurch gefährdet werden könnte. Diese Regelung behält auch dann Gültigkeit, wenn Sie einem Einsatzfahrzeug Platz machen möchten.

Plötzliches Bremsen: Eine untersagte Gefahrenquelle

Wenn ein Einsatzfahrzeug mit Sondersignalen naht, besteht die Pflicht, ihm sofort freie Bahn zu schaffen. Doch diese Pflicht muss sicher und vorausschauend erfüllt werden. Ein abruptes Abbremsen, ohne dass dafür ein triftiger Grund (wie ein plötzliches Hindernis oder ein drohender Auffahrunfall) vorliegt, kann die Verkehrssituation massiv verschärfen. Stellen Sie sich vor: Das Einsatzfahrzeug selbst muss schnell reagieren können, um den Einsatzort zu erreichen, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Wenn Sie unerwartet und grundlos bremsen, schaffen Sie eine neue, unvorhersehbare Gefahr für das Einsatzfahrzeug und auch für den restlichen nachfolgenden Verkehr. Ein solches Verhalten stellt einen Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr und gegen das Verbot des grundlosen, plötzlichen Bremsens dar.

Welche Folgen drohen?

Die rechtlichen Folgen eines plötzlichen und grundlosen Bremsens können vielfältig sein:

  • Ordnungswidrigkeit: Das plötzliche und grundlose Bremsen wird als Ordnungswidrigkeit geahndet. Ihnen kann ein Bußgeld auferlegt werden, und es können Punkte im Fahreignungsregister (Flensburg) eingetragen werden. Die genaue Höhe des Bußgeldes und die Anzahl der Punkte hängen von den konkreten Umständen und einer möglichen weiteren Gefährdung oder Behinderung ab.
  • Haftung bei Unfall: Kommt es aufgrund Ihres plötzlichen Bremsens zu einem Unfall, beispielsweise weil das Einsatzfahrzeug oder ein anderes nachfolgendes Fahrzeug auffährt, können Sie teilweise oder sogar vollständig für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden. Dies wird als „Mithaftung“ bezeichnet. Obwohl das Einsatzfahrzeug selbst eine besondere Sorgfaltspflicht hat, kann Ihnen eine erhebliche Mitschuld zugerechnet werden, da Sie eine unnötige Gefahrenquelle geschaffen haben.
  • Strafrechtliche Konsequenzen: In besonders schwerwiegenden Fällen, etwa wenn durch das grundlose Bremsen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsteht oder eine Person verletzt wird, könnten sogar strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. Dies kann beispielsweise wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr oder fahrlässiger Körperverletzung der Fall sein. Solche strafrechtlichen Folgen treten jedoch nur in extremen Ausnahmefällen ein.

Dies verdeutlicht, dass die Pflicht, einem Einsatzfahrzeug Platz zu machen, immer auch eine sichere und vorausschauende Fahrweise erfordert. Das Schaffen freier Bahn darf niemals dazu führen, dass durch eigenes, unerwartetes Verhalten eine neue Gefahr für den fließenden Verkehr entsteht.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Juristisches Glossar: Symbolbild der Justitia mit Waage und Richterhammer.

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Sonderrechte (§ 35 StVO)

Sonderrechte sind Ausnahmen von den allgemeinen Verkehrsregeln, die bestimmten Einsatzfahrzeugen wie Rettungswagen, Feuerwehr und Polizei im Einsatz gewährt werden. Das Gesetz (§ 35 Straßenverkehrs-Ordnung – StVO) erlaubt es diesen Fahrzeugen, Verkehrsregeln zu übertreten, etwa über rote Ampeln zu fahren oder Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten, wenn sie mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs sind. Diese Sonderrechte gelten jedoch nur unter der strengen Voraussetzung, dass dadurch niemand gefährdet wird und die besondere Sorgfaltspflicht eingehalten wird.

Beispiel: Ein Rettungswagen darf trotz roter Ampel in eine Kreuzung einfahren, muss aber sicherstellen, dass andere Verkehrsteilnehmer rechtzeitig anhalten und niemand gefährdet wird.


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Pflicht, freie Bahn zu schaffen (§ 38 StVO)

Die Pflicht, freie Bahn zu schaffen, ergibt sich aus § 38 StVO und bedeutet, dass alle Verkehrsteilnehmer bei Annäherung eines Einsatzfahrzeugs mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn sofort dafür sorgen müssen, dass das Einsatzfahrzeug ungehindert und sicher passieren kann. Dies umfasst nicht nur das Anhalten, sondern auch das frühzeitige und kontrollierte Zur-Seite-Fahren, das Bilden von Rettungsgassen oder das schnelle Verlassen von Kreuzungen. Die Pflicht gilt unabhängig davon, ob das Einsatzfahrzeug den Teilnehmer wahrgenommen hat; es wird grundsätzlich erwartet, dass man die Sondersignale wahrnehmen und entsprechend reagieren kann.

Beispiel: Wenn Sie ein Blaulicht hören und sehen, müssen Sie Ihren Wagen sicher an den Fahrbahnrand fahren und anhalten, damit der Rettungswagen vorbeikommen kann.


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Besondere Sorgfaltspflicht bei Einsatzfahrten

Auch wenn Einsatzfahrzeuge Sonderrechte haben, gelten für ihre Fahrer hohe Anforderungen an die Verkehrssicherheit. Die besondere Sorgfaltspflicht verlangt, dass Fahrer trotz Blaulicht und Martinshorn nur so fahren dürfen, dass niemand gefährdet wird. Dazu gehört, die Geschwindigkeit so zu wählen, dass sie auf unvorhersehbare Handlungen anderer Verkehrsteilnehmer reagieren können, insbesondere in unübersichtlichen Situationen wie Kreuzungen oder bei schlechter Sicht. Verletzt ein Fahrer diese Pflicht, kann er bei einem Unfall mitverantwortlich gemacht werden.

Beispiel: Ein Rettungsfahrer muss bei Unsicherheiten an einer Kreuzung langsam fahren oder anhalten, wenn andere Verkehrsteilnehmer unklar reagieren.


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Betriebsgefahr

Betriebsgefahr bezeichnet das Risiko, das von einem fahrenden oder stehenden Fahrzeug im Straßenverkehr ausgeht, selbst wenn der Fahrer keinen Fehler macht. Dieses Risiko resultiert aus der bloßen Beteiligung am Straßenverkehr und der Tatsache, dass Kraftfahrzeuge durch ihre Masse und Geschwindigkeit potenziell Gefahren verursachen können. Im Haftungsrecht führt Betriebsgefahr dazu, dass Fahrzeughalter und Fahrer bei Unfällen eine Mitverantwortung tragen können, auch wenn sie nicht direkt schuldhaft gehandelt haben.

Beispiel: Wenn ein Auto wegen plötzlich auftretender Glätte ins Schleudern gerät und einen anderen Wagen beschädigt, kann die Betriebsgefahr eine Rolle bei der Haftung spielen, weil Fahrzeuge generell eine Gefahrenquelle darstellen.


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Verursachungsbeitrag (§ 17 StVG)

Der Verursachungsbeitrag ist der Anteil, mit dem ein Verkehrsteilnehmer zur Entstehung eines Unfalls oder Schadens beiträgt. Nach § 17 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wird die Haftung bei Unfällen nach dem Grad der Verursachung zwischen den beteiligten Parteien aufgeteilt. Das bedeutet, jedem Beteiligten wird eine prozentuale Schuld zugewiesen, je nachdem, wie sehr sein Verhalten den Unfall beeinflusst hat. Diese Abwägung berücksichtigt Verstöße gegen Verkehrsregeln, Wahrnehmbarkeit, Verhalten und besondere Umstände.

Beispiel: Wenn bei einem Auffahrunfall der vordere Fahrer abrupt bremst und der hintere zu schnell fährt, kann eine Haftungsaufteilung von 70 % zu Lasten des Vordermanns und 30 % des Hintermanns erfolgen.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 38 StVO (Straßenverkehrs-Ordnung) – Verhalten bei Einsatzfahrzeugen: Dieser Paragraph verpflichtet alle Verkehrsteilnehmer, bei Annäherung von Fahrzeugen mit Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, also unverzüglich Platz zu machen und den Weg freizuhalten. Die Pflicht dient dem Schutz und der schnellen Durchfahrt von Einsatzfahrzeugen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Frau F. hat gegen diese Pflicht verstoßen, indem sie trotz erkennbarem Einsatzfahrzeug vorauskonnte und somit den Rettungswagen behindert hat.
  • § 4 StVO – Geschwindigkeit und Abstand: Hier wird geregelt, dass Fahrzeugführer ihre Geschwindigkeit und das Verhalten dem Verkehr, der Sicht und den Straßenverhältnissen anpassen müssen; insbesondere ist starkes oder plötzliches Bremsen ohne Grund unzulässig. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das abruptes Bremsen von Frau F. im Kreuzungsbereich ohne erkennbaren Anlass stellt einen Verstoß dar und war mitursächlich für die Unfallentstehung.
  • § 35 StVO – Sonderrechte für Einsatzfahrzeuge: Einsatzfahrzeuge im Notfalleinsatz dürfen von bestimmten Verkehrsregeln abweichen, müssen jedoch stets die öffentliche Sicherheit gewährleisten und besondere Sorgfalt walten lassen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Herr M. als Fahrer des Rettungswagens hätte in der unklaren Verkehrslage seine Geschwindigkeit deutlich reduzieren und vorsichtiger fahren müssen; das unterbliebene Anpassen seiner Fahrweise begründet einen Mithaftungsanteil.
  • § 17 StVG (Straßenverkehrsgesetz) – Abwägung der Verursachungsbeiträge: Bei Unfällen mit mehreren Beteiligten kann die Haftung nach den jeweiligen Verursachungsbeiträgen anteilig verteilt werden, um der Schuldaufteilung gerecht zu werden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht wog die Fehler von Frau F. und des Rettungswagenfahrers gegeneinander ab und kam so zu einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zugunsten des Rettungsdienstes.
  • Betriebsgefahr (gerichtlich entwickelte Risikozuweisung): Ein Fahrzeugführer trägt eine gewisse grundsätzliche Gefährdung, die von seinem Fahrzeug ausgeht, was bei Einsatzfahrzeugen aufgrund deren Geschwindigkeit und Einsatzart höher bewertet wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die durch den Rettungswagen erhöhte Betriebsgefahr trägt zur teilweisen Mithaftung bei, da das Fahrzeug trotz Sonderrechten besondere Vorsicht erfordert.
  • Verkehrssicherungspflicht und Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr: Alle Verkehrsteilnehmer müssen die Verkehrssicherheit beachten und dürfen keine Gefahr verursachen, insbesondere Einsatzfahrer müssen bei unklaren Verkehrssituationen umsichtig handeln. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Sowohl Frau F. als auch Herr M. haben gegen Sorgfaltspflichten verstoßen, was zu dem Unfall führte und deshalb eine geteilte Haftung begründet.

Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 66/24 – Beschluss vom 18.11.2024


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