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Auffahrunfall wegen Bremsmanövers vor Ampel nach Spurwechsel

LG Bonn – Az.: 1 O 181/16 – Urteil vom 27.01.2017

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt,

a) an den Kläger 3.352,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2016 zu zahlen

und

b) an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2016 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 01.10.2015 gegen 10:30 Uhr in … C2 auf der T Straße an der Kreuzung zur C-Straße ereignete.

Am Unfalltag befuhr der Kläger mit seinem Pkw O … $ Roadster, amtliches Kennzeichen $$ – && …, die T Straße in Fahrtrichtung C2. Vor dem Kläger fuhr der Beklagte zu 1. mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Lkw Q, amtliches Kennzeichen $$ – && …. Nachdem die T Straße wieder zweispurig wurde, wechselten sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1. von der von ihnen jeweils befahrenen rechten auf die linke Fahrspur. Die weiteren Einzelheiten dieses Fahrspurwechsels im Einzelnen sind zwischen den Parteien streitig. Nach dem Fahrspurwechsel schlug die Verkehrssignalanlage in Fahrtrichtung der Parteien auf Gelblicht um. Daraufhin bremste der sich mit seinem Fahrzeug vor dem Kläger befindende Beklagte zu 1. den Lkw ab. Auch der Kläger leitete ein Notbremsmanöver ein und fuhr mit seinem Fahrzeug auf das Heck des Lkw auf. Der Kollisionshergang und dessen Ursache im Einzelnen ist zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger behauptet, als er auf linke Fahrspur gewechselt sei habe auch der Beklagte zu 1. plötzlich und unerwartet ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen kurz vor der Ampel auf die linke Spur gewechselt. Dabei sei der Beklagte zu 1. über die durchgezogene Linie zwischen den Fahrbahnen, die sich unstreitig vor der Ampel befindet, gefahren.

Der Kläger behauptet ferner, er habe die Kollision trotz des Notbremsmanövers nicht vermeiden können. Durch den Unfall seien ihm die in dem Gutachten des Sachverständigenbüros F vom 29.12.2015 (Anlage 3 = Bl. … – … d.A.) ausgewiesenen Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer von 5.772,58 EUR, Sachverständigenkosten gemäß Rechnung vom 29.12.2015 (Anlage 4 = Bl. … d.A.), eine Auslagenpauschale von 25,00 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten gemäß der Berechnung auf Seite 3 der Klageschrift entstanden.

Auffahrunfall wegen Bremsmanövers vor Ampel nach Spurwechsel
(Symbolfoto: Von Siarhei Kuranets/Shutterstock.com)

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 6.705,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2016 zu zahlen;

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2016 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklage zu 1. habe nach Betätigung des linken Blinkers auf den nunmehr beginnenden linken Fahrstreifen gewechselt, als die Fahrbahn wieder zweispurig wurde. Der Beklagte zu 1. habe seinen Fahrstreifenwechsel bereits vollständig abgeschlossen gehabt, als der Kläger seinen Fahrstreifenwechsel vorgenommen habe. Die durchgezogene Trennungslinie habe der Beklagte zu 1. schon deshalb nicht überfahren können, weil diese erst unmittelbar vor der Verkehrssignalanlage beginne. Der Lkw des Beklagten zu 1. habe ausweislich der polizeilichen Lichtbildmappe vollständig auf der rechten Fahrspur neben der durchgezogenen Linie gestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen und Lichtbilder Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Unfallakte des Polizeipräsidiums C3 – …-…-…/… – beziehungsweise ……. ……. und die Parteien ergänzend gemäß § 141 ZPO mündlich angehört. Wegen des Inhaltes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Ausdruck der eingescannten Beiakten sowie das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2016 (Bl. … – … d. A.) nebst der dort gefertigten Skizze (Bl. … d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 3.352,60 EUR nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR aus den §§ 18 Abs.1 Satz 1, 7 Abs.1 StVG in Verbindung mit den §§ 249 Abs.1 und Abs.2 Satz 1, 251 Abs.1 BGB und § 115 Abs.1 Satz 1 Ziffer 1. VVG. Hierfür haften die Beklagten gemäß § 115 Abs.1 Satz 4 VVG gesamtschuldnerisch.

Weitergehende Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten bestehen nicht.

1. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall ist bei dem Betrieb der Fahrzeuge der Parteien entstanden (§ 7 Abs.1 StVG) und war weder für den Kläger noch für den Beklagten zu 1. unabwendbar im Sinne von § 17 Abs.3 StVG.

Denn ein Unfallereignis gilt nur dann als unabwendbar, wenn der jeweilige Halter und/oder Führer des beteiligten Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet hat (§ 17 Abs.3 Satz 2 StVG), der Unfall mithin auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies setzt im Hinblick auf den Kläger und den Beklagten zu 1. als Fahrer der beteiligten Fahrzeuge voraus, dass sich diese am Unfalltage über den gewöhnlichen und subjektiven Maßstab hinaus in jeder Hinsicht sachgemäß und geistesgegenwärtig verhalten haben und damit den durchschnittlichen Fähigkeiten eines sogenannten „Idealfahrers“ gerecht geworden sind (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.08.2014 – 4 U 68/13 = juris Rd. 28; OLG Oldenburg NJW-RR 2012, 927, 928; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013 – 18 O 354/10 = juris Rd.20). Die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Unabwendbarkeit sind von dem jeweils beteiligten Halter beziehungsweise Fahrzeugführer im Zivilprozess darzulegen und zu beweisen (vgl. OLG Oldenburg, aaO.; LG Bonn, aaO., juris Rd.22).

a) Gemessen an diesen Anforderungen war der Unfall für den Beklagten zu 1. schon deshalb kein unabwendbares Ereignis, weil dieser im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung beschrieben hat, sein Fahrzeug abrupt und stark abgebremst zu haben (vgl. S.4 des Sitzungsprotokolls: „voll in die Eisen gegangen“), obwohl ein „Idealfahrer“ in dem vorbezeichneten Sinne von einem derartigen Bremsmanöver abgesehen hätte. Dies folgt daraus, dass der Beklagte zu 1. nach seiner eigenen Einschätzung trotz der unstreitig auf „orange“ umgeschlagenen Lichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung (vgl. S.2 des Sitzungsprotokolls) „wohl noch über die Kreuzung hätte rüber fahren“ können (S.4, ebenda). Die Vollbremsung des Beklagten zu 1. bei Gelblicht entsprach in dieser konkreten Verkehrslage nicht der Sorgfalt eines umsichtigen Idealfahrers (arg. § 4 Abs.1 Satz 2 StVO sowie § 1 Abs.1 und Abs.2 StVO; vgl. Burmann/ Heß/ Hühnermann/ Jahnke/ Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 37 StVO Rd. 14 m.w.N. und Beispielen). Dies gilt erst Recht in Anbetracht der Erläuterung des Beklagten zu 1. für dieses Bremsmanöver, wonach er sich durch einen Hupton von hinten erschrocken habe und ihn im Übrigen die tief stehende Sonne geblendet haben könne (S.4, ebenda).

Auch der diesem Bremsmanöver nach seiner eigenen Schilderung in der mündlichen Verhandlung vorangegangene Spurwechsel des Beklagten zu 1. unterstreicht diese Würdigung. Denn ein Fahrstreifenwechsel darf nur unter Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vorgenommen werden (§ 7 Abs.5 Satz 1 StVO). Deshalb ist dieser Wechsel rechtzeitig und durch Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers anzukündigen (§ 7 Abs.5 Satz 2 StVO). Für die tatsächliche Umsetzung dieser Sorgfaltsanforderungen sind die Beklagten beweisfällig geblieben.

b) Anschließend an diese Erwägungen war der Unfall auch für den Kläger nicht unabwendbar, denn der Kläger hat vor der Kollision der Fahrzeuge einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen und unterlag deshalb den eingangs beschriebenen Sorgfaltspflichten.

Konkrete Anknüpfungstatsachen dafür, dass dieser Fahrstreifenwechsel des Klägers vollständig abgeschlossen gewesen ist und ihm der Beklagte zu 1. unter verkehrswidriger Missachtung einer durchgezogenen Fahrstreifenbegrenzungslinie (vgl. § 41 Abs.1 StVO in Verbindung mit Zeichen 295 der Anlage 2 zur StVO) geradezu unmittelbar vor sein Fahrzeug gefahren ist, liegen nicht vor. Schon die Endstellung der beteiligten Fahrzeuge ist nicht verlässlich dokumentiert. Die von dem Gericht beigezogene Unfallakte enthält entgegen dem Vortrag der Beklagten (S.2 der Klageerwiderung = Bl…. d.A.) keine Lichtbilder von den verunfallten Fahrzeugen in ihrer Endstellung, sondern augenscheinlich (vgl. Bilder 1 bis 3 der dortigen Lichtbildmappe) und von den Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt nach dem Versetzen der Fahrzeuge. Der Kläger und der Beklagte zu 1. haben die Endstellung in der mündlichen Verhandlung unterschiedlich dargestellt (vgl. S.5 des Sitzungsprotokolls nebst Anlagenskizze).

Hinzu kommt die Überlegung, dass der nach der Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung unstreitige Umstand, dass der Kläger vor der Kollision die Hupe betätigt hat, eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Kläger voraussetzt. Diese Reaktionsaufforderung ist in Ermangelung anderer Umstände allein durch das Fahrverhalten des Beklagten zu 1. ausgelöst worden. Ausgehend von dem Zweck des Betätigens der Hupe als Warnsignal (§ 16 Abs.1 StVO) erscheint es bei lebensnaher Würdigung des streitigen Vorbringens beider Parteien nicht ganz unwahrscheinlich, dass diese Reaktion des Klägers durch eine Ankündigung des Spurwechsels durch den Beklagten zu 1. ausgelöst worden ist und ein im weiteren Verlauf nicht hinreichend gewahrter Sicherheitsabstand (§ 4 Abs.1 Satz 1 StVO) des Klägers und/oder eine den konkreten Verkehrsverhältnissen nicht angepasste Geschwindigkeit des Klägers (§ 3 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 StVO) mit zu der Kollision beigetragen hat (vgl. dazu LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013, aaO. = juris Rd.25).

2. Wegen der damit ursächlichen Beteiligung beider Fahrzeuge an dem streitgegenständliche Verkehrsunfall waren die Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten gegeneinander abzuwägen (§ 17 Abs.1 und Abs.2 StVG). Diese Abwägung führt zu jeweils hälftigen Verursachungsanteilen des Klägers und der Beklagtenseite.

a) Bei der hier im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Parteien dürfen nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die unstreitig oder nach § 286 ZPO bewiesen sind (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05 = juris Rd.15 = NJW 2006, 896; BGH NJW 2000, 3069, 3071; OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.08.2014 – 4 U 68/13 = juris, Rd.28). Nur vermutete Ursachenbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund einer bestehenden Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (BGH, aaO.; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013, aaO. = juris Rd.23).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ergeben sich folgende in diese Abwägung einzustellende Umstände:

  • Der Kläger ist nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien mit der Front seines Fahrzeuges auf das Heck des Fahrzeuges des Beklagten zu 1. aufgefahren.
  • Die in der polizeilichen Lichtbildmappe dokumentierten Kollisionsspuren an beiden Fahrzeugen (Bilder 1 bis 3) und dementsprechend auch die Schadensfotos des Sachverständigenbüros F von dem Klägerfahrzeug (dort S.13ff. = Bl….ff. d.A.) zeigen, dass das Fahrzeug des Klägers rechts von der Mitte der Fahrzeugfront durch die mittig angeordnete Anhängerkupplung des Beklagtenfahrzeuges beschädigt worden ist. Die Kollision der Fahrzeuges erfolgte deshalb augenscheinlich – wie von den Parteien auch anhand der Skizze zum Sitzungsprotokoll übereinstimmend vorgetragen – in einer zueinander seitlich versetzten Lage, und zwar das Klägerfahrzeug nach links und das Beklagtenfahrzeug nach rechts versetzt.
  • Der Beklagte zu 1. hat sein Fahrzeug vor der Kollision abrupt und stark abgebremst (oben unter 1.a)).
  • Der Kläger hat nach dem Abbremsen des Fahrzeuges des Beklagten zu 1. ebenfalls sein Fahrzeug mit einem Notbremsmanöver abgebremst. Der entsprechenden konkreten Schilderung auf Seite 2 der Klageschrift sind die Beklagten nicht entgegen getreten (§ 138 Abs.3 ZPO).
  • Vor der Einleitung dieser Bremsmanöver sind sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1. von der von ihnen jeweils zunächst rechts befahrenen Fahrspur auf die linke Fahrspur gewechselt.

Diesen Fahrspurwechsel seines Fahrzeuges hat der Kläger schon in der Klageschrift und der dortigen Schilderung entsprechend in der mündlichen Verhandlung vorgetragen.

Der Vortrag in der Klageerwiderung (dort S.3), wonach der Beklagte zu 1. seinen Fahrstreifenwechsel vor der Kollision bereits vollständig abgeschlossen gehabt habe, ist indes unrichtig. Denn der Beklagte zu 1. hat die Endstellung beider Fahrzeuge in der mündlichen Verhandlung dergestalt skizziert, dass die Fahrzeuge versetzt gestanden haben, sein Fahrzeug dabei nach rechts über die Mittellinie ragend (vgl. Skizze, ebenda). Dem entspricht die diese Skizze vorangegangene Schilderung des Beklagten zu 1., dass er vor der Kollision „schon mit 80% meines Autos auf der linken Spur“ gewesen sei (S.4 des Sitzungsprotokolls). Die Unrichtigkeit der Darstellung in der Klageerwiderung folgt erst Recht aus der weiteren Schilderung des Beklagten zu 1. nach Anfertigung der Skizze. Denn der Beklagte zu 1. erklärte auf den Hinweis, dass das Klägerfahrzeug auf der Skizze vollständig auf der linken Spur stehe, er meine, dass der Kläger „noch auf der Mittellinie teilweise gestanden hätte“ (S.5, ebenda). Diese Erklärung ergäbe aber wegen des oben unter dem zweiten Spiegelstrich beschriebenen Schadensbildes eine noch weiter zur rechten Fahrspur hin versetzte Endstellung des Beklagtenfahrzeuges.

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c) Nicht in die Abwägung nach § 17 Abs.1 und Abs.2 StVG einzustellen waren folgende streitige und nicht bewiesene Umstände:

aa) Für einen verkehrswidrigen Spurwechsel des Beklagten zu 1. über die durchgezogene Mittellinie ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers nachdem sich der Kläger bereits vollständig auf der linken Spur befunden habe, liegen keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens vor. Es wurden, wie eingangs bereits dargelegt (oben 1.b) und 2.b)), weder Spuren am Unfallort sichergestellt, die den exakten Kollisionspunkt und die Endlage der Fahrzeuge exakt definieren, noch entsprechende Fotografien angefertigt. Die auf die Erörterung dieses Aspektes in der mündlichen Verhandlung (S.6 des Sitzungsprotokolls) klägerseits angekündigte Benennung weiterer Unfallzeugen ist nicht erfolgt.

bb) Auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises begründen weder die Bejahung eines verkehrswidrigen Spurwechsels des Beklagten zu 1. (vgl. oben unter 1.a)) noch die Annahme einer (Mit-) Verursachung des Unfalles durch einen Verstoß des Klägers gegen die sich aus den §§ 3 Abs.1 und 4 Abs.1 StVO (vgl. oben unter 1.b)) ergebenden Sorgfaltspflichten.

Der Beweis des ersten Anscheins setzt hier nämlich einen Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Dabei muss es sich um einen Tatbestand handeln, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Deshalb spricht zwar bei Auffahrunfällen grundsätzlich der erste Anschein für ein unfallursächliches Verschulden des Auffahrenden (BGH NJW 2012, 608; BGH NJW-RR 1987, 1233; KG NJW-RR 2014, 809, 810; OLG München, Urt. v. 25.10.2013 – 10 U 964/13 = juris Rd.6 und Rd.18). Dabei reicht aber allein das Kerngeschehen einer Kollision als „Auffahrunfall“ prima facie nicht aus, wenn weitere Umstände vorliegen, die gegen eine bestimmte Typizität des Geschehensablaufes sprechen. Eine derartige Typizität verneint die Rechtsprechung etwa bei Auffahrunfällen auf der Autobahn nach einem Spurwechsel des Vorausfahrenden, wenn nicht (mehr) aufzuklären ist, ob der Vorausfahrende den Fahrstreifenwechsel unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO (vgl. oben 1.a)) durchgeführt hat oder der Unfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers zurückzuführen ist (vgl. BGH NJW 2012, 608 Rd.7ff.; BGH NVZ 2011, 177 Rd.7 f.; OLG Hamm, Beschl. v. 07.11.2016 – 6 U 79/16 = juris Rd.2; OLG Koblenz, Urt. v. 26.10.2015 – 12 U 325/13 = juris Rd.19; KG, aaO.; OLG Frankfurt, Urt. v. 29.04.2014 – 16 U 203/13 = juris, Rd.20 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 04.06.2012 – 5 U 1/12 = BeckRS 2013, 01555).

Die damit vergleichbare Situation des vorliegendes Falles (vgl. OLG Frankfurt, aaO. = juris Rd.20ff.) steht der Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises entgegen. Denn der Beklagte zu 1. hatte nach eigenen Angaben seinen Spurwechsel vor der Kollision des Klägers noch nicht beendet (oben 2.b)). Weitere Einzelheiten des Unfallherganges sind nicht (mehr) aufklärbar. Zugleich besteht die Möglichkeit eines für den Unfall (mit-) ursächlichen Fehlverhaltens beider Parteien. Dies gilt erst Recht in Anbetracht des nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht fernliegenden Umstandes, dass es nach baustellenbedingten Straßenverengungen und anschließenden mehrspurigen Straßenkreuzungen der hier lichtbildlich dokumentierten Art (vgl. Bilder 4 bis 6 der polizeilichen Lichtbildmappe) zu unbedachten gefährlichen Spurwechseln sowohl der vorausfahrenden als auch der nachfolgenden Fahrzeuge kommen kann.

Die eingangs beschriebene Teilüberdeckung der Fahrzeugschäden rechtfertigt gleichsam keine abweichende Entscheidung, da aus diesem Schadensbild allein keine hinreichenden Informationen über die Weg-Zeit-Zusammenhänge des Unfallgeschehens abgeleitet werden können. Ein den Anscheinsbeweis begründender brauchbarer Erfahrungssatz kann darauf nicht gestützt werden (vgl. auch BGH NVZ 2011, 177 Rd.8; OLG Frankfurt, Urt. v. 29.04.2014, aaO. = juris, Rd.23; LG Aachen, Urt. v. 08.01.2010 – 6 S 168/09 = juris Rd.20).

Ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Beklagte zu 1. betreffend einen Verstoß gegen § 7 Abs.5 StVO scheitert im Übrigen schon daran, dass diese Beweisregel zwingend voraussetzt, dass die kollidierenden Fahrzeuge vor dem Fahrstreifenwechsel unterschiedliche Spuren befahren haben (vgl. LG Saarbrücken, Urt. v. 21.03.2013 – 9 O 344/12 = BeckRS 2014, 18158; LG Berlin, Urt. v. 20.02.2013 – 42 O 262/12 = BeckRS 2014, 08587). Für entsprechende Anknüpfungstatsachen ist der Kläger beweisfällig geblieben (vgl. zur Beweislast: OLG München, Urt. v. 25.10.2013 – 10 U 964/13 = juris Rd.5).

cc) Eine Mitverursachung des Unfalles durch eine pflichtwidrige Vollbremsung des Beklagten zu 1. (oben unter 1.a)) kann hier auch unter Berücksichtigung der auf diese Möglichkeit gestützten Verneinung der Unabwendbarkeit (§ 17 Abs.3 StVG) nicht bejaht werden. Denn es kann gerade nicht positiv festgestellt werden, dass die Vollbremsung des Beklagten zu 1. ohne zwingenden Grund im Sinne von § 4 Abs.1 Satz 2 StVO erfolgt ist, was aber Voraussetzung für die Berücksichtigung dieses Aspektes in die Abwägung zu Lasten des Beklagten wäre (oben unter 2.a)). So kann gleichsam nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 1. das Bremsmanöver wegen eines von ihm behaupteten verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers, wegen einem sich abzeichnenden Rotlicht der Lichtzeichenanlage und / oder wegen einer unüberschaubaren gefahrträchtigen Verkehrssituation eingeleitet hat.

Die bestehenden Unklarheiten gehen insoweit zu Lasten des darlegungs- und beweislastbelasteten Klägers (vgl. KG NJW-RR 2014, 809, 810; OLG Köln r+s 1996, 17f.).

c) In Anbetracht des nach alledem nicht näher aufklärbaren Unfallgeschehens erscheint gemäß § 17 Abs.1 und Abs.2 StVG im vorliegenden Fall eine hälftige Schadensteilung zwischen Kläger und Beklagtenseite geboten (vgl. auch BGH NZV 2011, 177 Rd.9; LG Aachen, Urt. v. 08.01.2010 – 6 S 168/09 = juris Rd.17f.).

Für eine erhöhte Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten zu 1. besteht keine Grundlage. Denn bei diesem Fahrzeug handelt es sich um einen Kleintransporter, der nach seiner Größe, seiner Länge und seinem Gewicht keine gegenüber dem klägerischen Pkw gefahrerhöhenden Merkmale aufweist (vgl. dazu auch OLG Frankfurt, Urt. v. 29.04.2014 – 16 U 203/13 = juris Rd.25).

3. Der Höhe nach schätzt das Gericht die dem Kläger aus dem Unfallgeschehen entstandenen und gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ersatzfähigen fiktiven Netto-Reparaturkosten für sein verunfalltes Fahrzeug in Anlehnung an die ausführliche und sorgfältige Darstellung in dem Gutachten des Sachverständigenbüros F vom 29.12.2015 auf 5.772,58 EUR (§ 287 Abs.1 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit dieser Kostenkalkulation begründen könnten, sind weder ersichtlich noch von den Beklagten dargetan worden.

Hinzu kommen die gleichsam aus den §§ 249 Abs.1, 251 Abs.1 BGB als Kosten der Rechtsverfolgung ersatzfähigen Sachverständigenkosten (vgl. LG Bonn, Urt. v. 22.02. 2013 – 18 O 354/10 = juris Rd.29). Diese betragen ausweislich der zu den Akten gereichten Rechnung des Sachverständigenbüros F vom 29.12.2015 insgesamt 907,61 EUR.

Zuzüglich einer angemessenen Auslagenpauschale von 25,00 EUR ergibt sich daraus bei der hier festgesetzten Haftungsquote von 50% eine begründete Klageforderung in Höhe von 3.352,60 EUR.

Dieser Betrag war gemäß den §§ 288 Abs.1, 286 Abs.1 BGB antragsgemäß zu verzinsen.

4. Die dem Kläger entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind dem Grunde nach ersatzfähig, weil die Inanspruchnahme der anwaltlichen Beratung in Anbetracht der hier zweifelhaften Verursachungs- und Verschuldensfragen zweckmäßig und erforderlich im Sinne der §§ 249f. BGB war (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 02.12.2014 – 22 U 171/13 = juris Rd.26 ff.; LG Bonn, Urt. v. 22.02.2013 – 18 O 354/10 = juris Rd.33).

Der Höhe nach waren die angefallenen Rechtsanwaltskosten von einer 1,3 Geschäftsgebühr gemäß…2016; Ziff. 2300 des VV zum RVG auf den hier zugesprochenen Gegenstandswert von 3.352,60 EUR zu reduzieren (vgl. BGH NJW 2008, 1888 Rd.10ff.; LG Bonn, aaO.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, aaO., § 249 BGB Rd.382 und Rd.392). Daraus ergeben sich folgende ersatzfähige vorgerichtliche Anwaltskosten:

1,3 Geschäftsgebühr 327,60 EUR

Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

zuzüglich 19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

Endsumme 413,64 EUR.

Diese waren gemäß den §§ 288 Abs.1, 286 Abs.1 BGB antragsgemäß zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Streitwert: 6.705,19 EUR.

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