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Auffahrunfall – Anscheinsbeweis für Verschulden des Auffahrenden

Oberlandesgericht Hamm

Az: 6 U 205/09

Urteil vom 15.04.2010


Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.10.2009 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Kläger 635,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2007 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 7/8 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 1/8.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)

I.

Die Berufung ist teilweise begründet.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus §§ 7, 17 StVG i.V.m. § 3 PflichtVersG a.F. auf Schadensersatz in Höhe von 635,27 Euro.

a)

Zwischen dem von der Klägerin gefahrenen Fahrzeug Porsche und dem vom Beklagten zu 1) gefahrenen, bei der Beklagten zu versicherten Fahrzeug Mercedes A-Klasse, ist es am 11.10.2007 auf der I-Straße in C an der Ampel vor der Einmündung der X-Straße zu einem Verkehrsunfall gekommen, bei dem das Fahrzeug der Klägerin beschädigt wurde. Davon ist der Senat aufgrund folgender Umstände überzeugt: Unstreitig standen beide Fahrzeuge an der besagten Unfallstelle Stoßstange an Stoßstange. Wenige Tage nach dem Vorfall wurde am Fahrzeug der Klägerin in einer Werkstatt ein Frontschaden festgestellt. Dieser Frontschaden kann, so der erstinstanzlich vernommene Sachverständige, dessen Sachkunde dem Senat bekannt ist und gegen dessen Ausführungen von den Parteien keine durchgreifenden Einwände erhoben wurden, von einem Unfall – sowohl wie er von der Klägerin behauptet wird (Zurücksetzen des vor ihr stehenden Beklagtenfahrzeugs), als auch wie er vom Beklagten behauptet wird (wenn, dann ist Klägerin aufgefahren) – stammen. Hinzu kommt, dass, wenn es keinen Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge gegeben hätte (von wem auch immer verursacht), die Klägerin keinen Anlass gehabt hätte, ihr Fahrzeug zu verlassen und die Polizei sowie weitere Personen telefonisch zu verständigen. All dies lässt letztlich keinen anderen Schluss zu, als dass die Schädigung des klägerischen Fahrzeugs bei der genannten Kollision eintrat.

b)

Der Umfang der Haftung bestimmt sich nach § 17 Abs. 1 StVG danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Insoweit konnte die Klägerin einen höheren Verursachungsanteil des Beklagten aufgrund pflichtwidrigen Zurücksetzens (Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO) nicht beweisen; auch umgekehrt ist dem Beklagten ein Nachweis eines höheren Verursachungsanteils durch die Klägerin (z.B.: Verstoß gegen § 4 StVO) nicht gelungen. Die Haftungsquote bei ungeklärter Unfallursache beträgt dann 50 : 50.

Auf etwaige Widersprüche in den Angaben des Beklagten im Ermittlungsverfahren und im Zivilverfahren kommt es dabei nicht an, da diese noch nicht den Beweis des Gegenteils ergeben.

Wesentlich ist, dass der erstinstanzlich gehörte Sachverständige aus technischer Sicht nicht feststellen konnte, wer die Bewegungsenergie in das schädigende Ereignis eingebracht hat, ob dies durch ein Vorwärtsfahren der Klägerin oder ein Rückwärtssetzen des Beklagten geschah. Das Schadensbild würde zu beiden Varianten passen.

Auch aufgrund der Aussage des vom Senat noch einmal vernommenen Zeugen I vermochte sich der Senat keine Überzeugung von einem Zurücksetzen des Beklagten zu bilden. Ein Zurücksetzen, also eine Rückwärtsbewegung selbst, konnte der Zeuge nicht bekunden. Er konnte lediglich davon berichten, dass er die Rückfahrscheinwerfer des Fahrzeugs des Beklagten gesehen habe. Das könnte zwar ein starkes Indiz für die Behauptung der Klägerin sein, der Beklagte habe zurückgesetzt. Indes vermag der Senat der Aussage des Zeugen insgesamt keinen hinreichenden Glauben zu schenken. Der Zeuge hat ausgesagt, dass er dem Fahrzeug der Klägerin, einem Porsche Boxster, als im Autogeschäft tätige Person, bei der Vorbeifahrt besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, weil das Fahrzeug einige Sonderumbauten (Sportauspuffanlage, andere Felgen) gehabt habe. Dann müsste sein Blick indes auf andere Stellen gelenkt gewesen sein als auf die Rückfahrscheinwerfer des Beklagtenfahrzeugs. Der Zeuge hat weiter bekundet, er habe die Situation als brenzlig empfunden und seinem kurz danach besuchten Freund davon berichtet. Es ist aber wenig nachvollziehbar, dass eine Situation, bei der der Zeuge noch nicht einmal eine Rückwärtsbewegung, geschweige denn eine Kollision wahrgenommen hat, als so gravierend erlebt wird, dass sie berichtenswert erscheint. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass dem Dritten, dem davon berichtet wurde, diese „Geschichte“ noch ein bis zwei Wochen so im Gedächtnis bleibt, dass dieser – so der Zeuge – auf eine Zeitungsanzeige zur Zeugensuche aufmerksam wird und sich deswegen an den Zeugen wendet. Zudem hat sich in diesem Punkt auch ein Widerspruch zur Aussage des Zeugen im Verfahren 64 Js 1267/07 (Bl. 23) ergeben. Dort hatte der Zeuge angegeben, er habe die Zeitung mit der Suchanzeige der Klägerin zufällig bei diesem auf dem Tisch liegen sehen.

Andererseits gab es auch keine Anhaltspunkte für eine überwiegende Unfallverursachung durch die Klägerin. Es streitet kein Anscheinsbeweis gegen sie. Für einen Anscheinsbeweis des Verschuldens des Auffahrenden ist erforderlich, dass überhaupt ein Auffahren gegeben ist, denn nur dann kann ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO durch Nichtwahrung eines genügenden Sicherheitsabstandes gegeben sein. Die Anknüpfungstatsachen, welche den Anscheinsbeweis entstehen lassen, müssen von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft, hier als vom Kläger. Ist gerade streitig und nicht bewiesen, dass ein Auffahren gegeben ist, so greift der Anscheinsbeweis nicht (OLG Hamm r+s 2001, 503; LG Detmold Urt. v. 19.04.2000 – 2 S 19/00 – juris; AG Bremen Urt. v. 20.02.2004 – 9 C 542/03 – juris). Der Beklagte konnte ein Auffahren der Klägerin (welches er primär auch bestreitet) nicht beweisen. Auf die oben geschilderten Ausführungen des Sachverständigen wird verwiesen.

Bei der ungeklärten Unfallursache musste es daher bei einer hälftigen Schadensteilung bleiben.

c)

Die Klägerin kann demnach die Hälfte der von ihr geltend gemachten Nettoreparaturkosten (557,15 Euro), des Kostenvoranschlags (65,62 Euro) und die Hälfte einer Unkostenpauschale von 25 Euro (12,50 Euro) beanspruchen. Dass der geltend gemachte Reparaturaufwand angemessen ist, hat das erstinstanzliche Sachverständigengutachten ergeben. Statt Gutachterkosten können auch – wenn dies (wie hier) zur Vermeidung der Einschaltung eines (teureren) Sachverständigen führt – die Kosten des Kostenvoranschlags in Rechnung gestellt werden (vgl. Palandt-Grüneberg BGB 69. Aufl. § 249 Rdn. 58). Das ergibt sich aus dem dem § 254 Abs. 2 BGB zu Grunde liegenden Rechtsgedanken und muss jedenfalls dann gelten, wenn der Kostenvoranschlag sich – wie hier – als vollkommen zutreffend erwiesen hat. Hinsichtlich der Unkostenpauschale legt der Senat regelmäßig einen Betrag von 25 Euro zu Grunde.

Ein weitergehender Schadensersatzanspruch (auf Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung des Haushaltsführungsschadens) steht der Klägerin nicht (auch nicht anteilig zu), da nicht bewiesen ist, dass sie bei der Kollision verletzt wurde. Nach den Ausführungen des erstinanzlich vernommenen Sachverständigen betrug die Geschwindigkeitsänderung maximal 6 km/h bei frontalem Aufstoß. Aus der langjährigen Zusammenarbeit mit medizinischen Experten könne technisch die Aussage getroffen werden, dass eine derartige biomechanische Belastung nicht geeignet gewesen sei, Verletzungen der Halswirbelsäule hervorzurufen, wenn nicht besondere individuelle Dispositionen bestanden. Der Senat hält dies für überzeugend. Die Einwirkung einer so geringen Energie, wie sie nachgerade alltäglich ist, kann die behaupteten Verletzungen nicht hervorgerufen haben. Zu einer besonderen individuellen Disposition der Klägerin wird von ihr nichts vorgetragen. Insoweit war ihre Klage ab- und ihre Berufung ebenfalls zurückzuweisen.

2.

Der Zinsanspruch aus § 288, 286 BGB besteht erst ab dem 02.12.2007 (Zahlungsaufforderung vom 30.03.2007 – Zugang am 02.11.2007 zzgl. 30 Tage gem. § 286 Abs. 3 BGB). Ein Zahlungsverzug bereits seit dem 15.11.2007 ist nicht dargelegt.

3.

Vorgerichtliche Anwaltskosten konnten nicht zugesprochen werden, da diese bereits von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin beglichen und damit erfüllt wurden.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

 

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