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Aufhebungsvertrag und Drohung mit fristloser Kündigung

LAG Berlin-Brandenburg

Az: 6 Sa 1442/10

Urteil vom 05.11.2010


Die am …… 1953 geborene Klägerin stand seit dem 17. Dezember 1998 als Mitarbeiterin im Warenservice in den Diensten der Beklagten, die in ihrem Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Das Entgelt der Klägerin belief sich zuletzt auf 883,16 Euro brutto monatlich bei einer Arbeitszeit von 20 Wochenstunden.

Am 14. Dezember 2009 beobachtete ein Mitarbeiter der Hausdetektei der Beklagten auf einem Überwachungsmonitor, dass die Klägerin nach Ende ihrer Arbeitszeit einem Eimer im Pult der Kosmetikabteilung vier Päckchen Papiertaschentücher entnahm und davon zwei ihrer Nichte überreichte und zwei selbst einsteckte. Nachdem die Klägerin und ihre Nichte ihre Einkäufe bezahlt hatten, forderte der Detektiv sie auf, mit ins Büro zu kommen. In einer dort abgegebenen „Stellungnahme“ (Abl. Bl. 62 d.A. ) gab die Klägerin als Erklärung für ihr Verhalten an, ihre Nichte habe erzählt, Schnupfen zu haben.

Bei der am Nachmittag des folgenden Tages in Gegenwart der Betriebsratsvorsitzenden durchgeführten Anhörung der Klägerin wies der Geschäftsleiter des Warenhauses diese darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis entweder durch fristlose Kündigung oder durch Aufhebungsvertrag beendet werde. Obwohl die Betriebsratsvorsitzende der Klägerin zu erkennen gab, dass der Betriebsrat einer Kündigung wohl nicht zustimmen werde, diese gleichwohl ausgesprochen werden könne, unterzeichnete die Klägerin einen sodann aufgesetzten Vertrag über eine Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2009 ( Abl. Bl. 8 und 9 d.A.).

Mit Schreiben ihres späteren Prozessbevollmächtigten vom 17. Dezember 2009 an die Geschäftsführung der Beklagten (Abl. Bl. 10 und 11 d.A.) ließ die Klägerin ihre Vertragserklärung wegen Drohung mit einem empfindlichen Übel anfechten. In einem im Übrigen inhaltsgleichen Schreiben vom selben Tag an deren örtlichen Geschäftsleiter (Abl. Bl. 23 und 24 d.A.) widerrief sie außerdem vorsorglich ihre Vertragserklärung und forderte die Geschäftsführung zur Erklärung über eine Genehmigung vollmachtlosen Handelns auf.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 31. Dezember 2009 hinaus fortbestanden habe, und die Beklagte zugleich verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar entfalle die Widerrechtlichkeit einer Drohung bereits dann, wenn ein Unterliegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess möglich sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen. Der Klägerin sei zwar aus einer Dienstanweisung bekannt gewesen, dass abgeschriebene Ware zu vernichten sei. Eine solche Weisung entspreche auch grundsätzlich billigem Ermessen, um übermäßigen oder von den Mitarbeitern durch „Unachtsamkeit“ initiierten Bruch zu verhindern. Da nach aller Lebenserfahrung die Mitarbeiter ihre Taschentuchpäckchen nicht gemeinsam in einem Eimer verwahrten und Kunden nicht vollständige Packungen gerade in Supermärkten gehäuft verlören, könne auch ein (Übergangs- )Eigentum der Beklagten unterstellt werden. Die unerlaubte Aneignung einer solchen Sache sei ohne Rücksicht auf deren materiellen Wert grundsätzlich geeignet eine außerordentliche Kündigung „an sich“ zu rechtfertigen.

Die von einem verständigen Arbeitgeber erwogene außerordentliche Kündigung erweise sich jedoch mangels Abmahnung der Klägerin als unverhältnismäßig, wie auch aus der abschließenden Interessenabwägung folge. Angesichts dessen, dass es sich um Bruchware gehandelt habe, sei keine rechtsfeindliche Gesinnung der Klägerin erkennbar, bewusst den Interessen der Beklagten zuwider zu handeln. Offenbar habe niemand mit Leitungsfunktion überprüft, ob die Weisung zum Umgang mit Bruchware, die ohnehin konkreter hätte gefasst werden können, auch gänzlich umgesetzt werde. Die Klägerin als Mitarbeiterin im Warenservice bekleide keine Vertrauensstellung. Es sei um die Aneignung einer Sache gegangen, die für die Beklagte überhaupt keinen wirtschaftlichen Wert mehr gehabt habe. Eine Aufweichung der betrieblichen Disziplin durch Mitnahme nicht mehr verkaufsfähiger Taschentuchpäckchen habe die Beklagte nicht vorgetragen. Von besonderem Gewicht sei schließlich auch gewesen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits über 20 Jahre störungsfrei bestanden habe.

Über den Beendigungstermin hinaus stehe der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses aus dem vertraglichen Beschäftigungsanspruch ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu, ohne dass dem ein überwiegendes schutzwertes Interesse der Beklagten entgegenstehe.

Gegen dieses ihr am 22. Juni 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. Juli 2010 eingelegte und am 2. August 2010 begründete Berufung der Beklagten. Sie bemängelt, dass das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung fälschlich den Prüfungsmaßstab für eine tatsächlich ausgesprochene fristlose Kündigung angelegt habe und dabei auch noch von einer falschen Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin ausgegangen sei. Zur damaligen Zeit sei vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gerade ausdrücklich bestätigt worden, dass auch ein Diebstahl geringwertiger Sachen grundsätzlich geeignet sei, ein Arbeitsverhältnis auch nach langer Betriebszugehörigkeit zu beenden. Die angebliche Drohung ihres Betriebsleiters habe darin bestanden, dass dieser erklärt habe, in ähnlich gelagerten Fällen sei das Arbeitsverhältnis gekündigt oder durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden. Als wirtschaftliche Schädigung sei zu berücksichtigen, dass die Nichte der Klägerin ohne die beiden ihr überreichten Päckchen Taschentücher wegen ihres angeblichen Schnupfens wohl eine entsprechende Packung aus der Warenauslage genommen und an der Kasse bezahlt hätte. Eine Vertrauensstellung hätten im Einzelhandel alle Arbeitnehmer, die unmittelbar und ohne Überwachung auch außerhalb sog. Kontrollzonen mit Waren in Berührung kämen, wie dies bei der Klägerin bei der Abholung von Ware im Lager der Fall gewesen sei.

Zur Vertretungsmacht ihres örtlichen Geschäftsleiters verweist die Beklagte auf einen Aushang vom 1. Juli 2009 nebst Anlage (Abl. Bl. 60 f d.A.) und behauptet, dass sich dieser auch seinerzeit schon im Original am Schwarzen Brett befunden habe.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, es liege bereits keine hinreichende Berufungsbegründung vor. Dabei habe die Beklagte übersehen, dass sich der Lebenssachverhalt, der ursprünglich der Drohung zugrunde gelegt worden sei, gar nicht ereignet habe, wie von der Beklagten erstinstanzlich unstreitig gestellt worden sei. Obwohl dem Geschäftsleiter die durch den Aufhebungsvertrag bewirkte deutliche Verschlechterung ihrer Rechtsposition aufgrund seiner langjährigen Erfahrung bekannt gewesen sei, habe er diesen Aspekt trotz einer entsprechenden Offenbarungspflicht absichtlich nicht angesprochen. Daraus ergebe sich für sie zugleich ein Schadenersatzanspruch, aufgrund dessen sich die Beklagte so behandeln lassen müsse, als habe sie eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist zulässig.

Die Beklagte hat ihre fristgemäß und formgerecht eingelegte Berufung den Anforderungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entsprechend begründet, indem sie den Prüfungsmaßstab des Arbeitsgerichts beanstandet und dessen Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung dargelegt hat. Dass sich die Beklagte nicht mit ihrer Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin befasst hat, war unschädlich, weil es sich dabei um einen von der Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin abhängigen Folgeanspruch handelt (dazu BAG, Urteil vom 02.04.1987 – 2 AZR 418/86 – AP BGB § 626 Nr. 96 zu B I 1 der Gründe).

2. Die Berufung ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 15. Dezember 2009 am Ende dieses Jahres geendet, weshalb die Beklagte auch nicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet ist.

2.1 Der Aufhebungsvertrag vom 15. Dezember 2009 mit den Unterschriften des örtlichen Geschäftsleiters der Beklagten und der Klägerin erfüllte das Schriftformerfordernis gemäß §§ 125 Satz 1, 126 Abs. 1 und 2 Satz 1, 623 BGB.

2.2 Der Aufhebungsvertrag war nicht aufgrund Widerrufs der Klägerin mit Schreiben ihres späteren Prozessbevollmächtigten vom 17. Dezember 2009, der gemäß § 178 Satz 2 BGB gegenüber dem Vertreter erklärt werden konnte, unwirksam. Der Klägerin stand nämlich kein Widerrufsrecht nach § 178 Satz 1 BGB zu, weil kein Mangel der Vertretungsmacht vorgelegen hatte. Es war vielmehr davon auszugehen, dass der Geschäftsleiter von der Beklagten für den Abschluss von Aufhebungsverträgen mit den Mitarbeitern seines Marktes bevollmächtigt war (§ 167 Abs. 1 BGB).

Hierzu hat die Beklagte die Ablichtung eines entsprechenden zweiseitigen Aushangs vom 1. Juli 2009 zur Akte gereicht. Ihr erstinstanzliches schriftsätzliches Bestreiten einer Vollmachtserteilung und der Existenz eines Aushangs hat die Klägerin bei ihrer Anhörung in der Berufungsverhandlung dahin abgeschwächt, nicht sagen zu können, ob sich ein solcher Aushang damals am Schwarzen Brett befunden habe. Ob darin mit Rücksicht auf den Zweck eines Schwarzen Brettes als Medium zur Unterrichtung der Mitarbeiter (dazu BAG, Urteil vom 22.05.1980 – 2 AZR 577/78 – zu B III 1 b der Gründe) überhaupt eine zulässige Erklärung mit Nichtwissen i.S.d. § 138 Abs. 4 ZPO zu sehen war, konnte letztlich dahinstehen. Jedenfalls enthält die Übertragung von Aufgaben, deren ordnungsgemäße Erfüllung eine entsprechende Vollmacht erfordert, stillschweigend zugleich deren konkludente Erteilung (BAG, Urteil vom 15.03.1995 – 7 AZR 737/94 – BAGE 79, 275 = AP BAT § 2 SR 2y Nr. 10 zu II 2 der Gründe). So verhält es sich beim Leiter eines größeren SB-Warenhauses mit zahlreichen Mitarbeitern, der seine Aufgabe nur dann effektiv erfüllen kann, wenn er kurzfristig selbst personelle Einzelmaßnahmen zu treffen vermag.

2.3 Der Aufhebungsvertrag ist nicht dadurch in Wegfall gekommen, dass die Klägerin ihre Vertragserklärung mit Rückwirkung gemäß § 142 Abs. 1 BGB angefochten hat, weil sie keinen Grund zur Anfechtung hatte. Denn die Klägerin ist nicht widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe ihrer Vertragserklärung bestimmt worden (§ 123 Abs. 1 Alt.2 BGB).

2.3.1 Allerdings war vom Vorliegen einer Drohung auszugehen. Zwar soll der Geschäftsleiter nach der Darstellung der Beklagten in Klagerwiderung und Berufungsbegründung die Klägerin lediglich darauf hingewiesen haben, dass in ähnlich gelagerten Fällen der Wegnahme von Waren das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet worden sei. Nach der nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 Abs. 1 ZPO angegriffenen und auch mit der Berufungsbegründung nicht beanstandeten Darstellung im angefochtenen Urteil ging der Hinweis des Geschäftsleiters dagegen dahin, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin entweder durch fristlose Kündigung oder durch Aufhebungsvertrag beendet werde. Jedenfalls darin kam der für eine Drohung erforderliche Nötigungswille zum Ausdruck und handelte es sich nicht um einen schichten Hinweis auf verschiedene rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten (zu dieser Unterscheidung BAG, Urteil vom 28.02.1980 – 2 AZR 330/78 – zu III 2b der Gründe).

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2.3.2 Die Drohung der Beklagten war nicht widerrechtlich.

2.3.2.1 Widerrechtlich i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist, dass sich die angedrohte Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von dem Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft“. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (BAG, Urteil vom 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 – BAGE 125, 70 = AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 36 R 48). Die Drohung mit einer Kündigung wird dementsprechend nur dann für widerrechtlich gehalten, wenn der Drohende selbst nicht an seine Berechtigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist (BGH, Urteil vom 19.04.2005 – X ZR 15/04 – NJW 2005, 2766 zu II 6a der Gründe).

2.3.2.2 Dieser Beurteilungsmaßstab war entgegen der Ansicht der Klägerin im vorliegenden Fall nicht etwa deshalb nicht anzulegen, weil sich die Beklagte wegen Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB schadenersatzpflichtig gemacht hätte und sich deshalb hätte so behandeln lassen müssen, als habe sie eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers mag im Falle des Angebots eines Aufhebungsvertrages noch einen Hinweis auf eine drohende Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 144 SGB III umfassen. Nicht dagegen braucht der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darüber zu belehren, dass es schwieriger ist, sich von einem Aufhebungsvertrag zu lösen, als gegen eine fristlose Kündigung vorzugehen. Dies ginge über eine bloße Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitnehmers hinaus, sondern machte den Arbeitgeber zu dessen Sachwalter unter Aufgabe seiner eigenen Interessen. Eine Aufklärungspflicht kann sich nur auf die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen eines Aufhebungsvertrags beziehen (dazu BAG, Urteil vom 13.11.1996 – 10 AZR 340/96 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 4 zu II 1 c der Gründe), nicht dagegen auf die Möglichkeit, sich von diesem wieder zu lösen (ähnlich Thüsing RdA 2005, 257, 268; Kaiser, Anm. BAG EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 13 zu IV). Deshalb kam es auf die ohnehin erkennbar ins Blaue aufgestellte Behauptung der Klägerin nicht an, der Geschäftsleiter habe die Verschlechterung ihrer Rechtsposition absichtlich nicht angesprochen.

2.3.2.3 Die Beklagte hatte nicht davon ausgehen müssen, dass eine außerordentliche Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten würde. Vielmehr war die Annahme vertretbar, dass die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorlagen. Danach kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

2.3.2.3.1 Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers oder auch nur ein dahingehender Versuch sind stets, auch wenn die Sachen nur einen geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet (BAG, Urteil vom 11.12.2003 – 2 AZR 36/03 – AP BGB § 626 Nr. 179 zu II 1 c der Gründe). Auch wenn es sich um Sachen handelt, die als sog. Bruchware nicht mehr in den Verkauf gebracht werden sollen, ändert dies nichts daran, dass es allein Sache des Arbeitgebers bleibt, darüber zu bestimmen, wie damit verfahren werden soll.

2.3.2.3.2 Es war davon auszugehen, dass die von der Klägerin dem Eimer im Pult der Kosmetikabteilung entnommenen Taschentuchpäckchen im Eigentum der Beklagten standen. Denn es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass die Mitarbeiter der Beklagten ihre eigenen Taschentuchpäckchen gemeinsam in einem Eimer verwahrten oder dieser mit von Kunden verlorenen vollständigen Päckchen gefüllt war, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Soweit die Klägerin vorgebracht hat, Inhalt des Eimers seien neben Bruchware wohl auch private Restbestände anderer Mitarbeiter gewesen, handelte es sich um eine durch nichts belegte Vermutung. Jedenfalls hat die für die Voraussetzungen eines Anfechtungsrechts darlegungs- und beweisbelastete Klägerin damit nicht schlüssig behauptet, alle vier dem Eimer entnommenen Päckchen hätten im Eigentum ihrer Kollegen gestanden, ohne dass es auf die Frage ankam, ob die Beklagte aufgrund der Vermischung gemäß §§ 947 Abs. 2, 948 Abs. 1 BGB Alleineigentum oder gemäß § 947 Abs. 1 BGB bloß Miteigentum erworben hatte. Hinzu kam, dass die Klägerin ausweislich des von ihr zur Akte gereichten und inhaltlich in Bezug genommenen Gedächtnisprotokolls ihrer Nichte (Abl. Bl. 99 f. d.A.) selbst davon gesprochen hat, dass es sich um „abgeschriebene Ware von kaputten Paketen Taschentüchern“ handele.

2.3.2.3.3 Die Beklagte brauchte nicht zu erwarten, dass die im Falle einer außerordentlichen Kündigung gebotene Interessenabwägung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu ihren Lasten ausgegangen wäre.

2.3.2.3.3.1 Dafür kam es entgegen deren Ansicht nicht darauf an, dass der Geschäftsleiter hinsichtlich des Verstoßes gegen die betriebliche Anweisung über den Umgang mit Bruchware von einem falschen Lebenssachverhalt ausgegangen war. Ob ein verständiger Arbeitgeber eine fristlose Kündigung ernsthaft erwogen hätte, richtet sich nicht nach dem tatsächlich subjektiven Wissensstand des konkreten Arbeitgebers oder seines Vertreters. Maßgeblich ist vielmehr der objektiv mögliche und damit hypothetische Wissensstand (BAG, Urteil vom 16.11.1979 – 2 AZR 1041/77 – BAGE 32, 194 = AP BGB § 123 Nr. 21 zu I. 3 a der Gründe).

2.3.2.3.3.2 Danach war zugunsten der Klägerin zunächst zu berücksichtigen, dass der wirtschaftliche Schaden der Beklagten äußerst gering war und dass es bei der Verwendung von Papierküchenrollen und Papiertaschentüchern in der Abteilung offenbar seit längerer Zeit zu einem Verstoß gegen die Anweisung über den Umgang mit Bruchware gekommen war, ohne dass hiergegen durch Vorgesetzte eingeschritten wurde. Dieser Verstoß beschränkte sich jedoch darauf, die Papiertücher zur Beseitigung von Verschmutzungen in den Regalen und die Taschentücher bei Bedarf im Betrieb zu benutzen. Dies war der Klägerin auch durchaus bewusst, wie sich ihrer entsprechenden Äußerung gemäß dem Gedächtnisprotokoll ihrer Nichte entnehmen lässt. Über diese Praxis, die hinsichtlich des Gebrauchs der Wischtücher aus Sicht der Mitarbeiter sogar noch dem Interesse der Beklagten entsprochen haben mag und sich hinsichtlich der Taschentücher gleichsam spiegelbildlich auf die Befriedigung eines spontanen Bedarfs beschränkte, ging es jedoch deutlich hinaus, wenn die Klägerin auf Bekundung ihrer Nichte, sehr erkältet zu sein, dieser nicht nur ein Päckchen Taschentücher aushändigte, sondern sogleich deren zwei und sie sich bei dieser Gelegenheit selbst zwei weitere Päckchen einsteckte. Mit dieser auf Verschaffung eines privaten Vorrats gerichteten Verhaltensweise hat die Klägerin einen solchen Grad an Eigennutz und Unzuverlässigkeit offenbart, dass es einem verständigen Arbeitgeber nicht verdacht werden konnte, das Arbeitsverhältnis zu ihr fristlos beenden zu wollen. Dabei hat die Klägerin auch bei ihrer Anhörung vor der Berufungskammer nicht einmal zu sagen vermocht, ob ihre Nichte überhaupt dringend auf die Taschentücher angewiesen war, weil dieser die Nase lief und sie keine eigenen Taschentücher mehr besaß. Auch war die Versorgung der Nichte mit zwei Päckchen Taschentüchern durchaus geeignet, diese davon abzuhalten, bei der Beklagten eine ganze Packung davon zu erwerben, womit deren Interessen zusätzlich berührt waren.

2.3.2.3.3.3 Das Fehlverhalten der Klägerin betraf auch den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgabe einer Mitarbeiterin im Warenservice. Daran änderte der Umstand, dass ihre Arbeitszeit gerade beendet war, nichts. Zwar waren damit Schlechtleistungen ausgeschlossen, nicht jedoch Verstöße gegen ihre Pflicht, das Eigentum der Beklagten zu respektieren und nicht interessewidrig darüber zu verfügen.

2.3.2.3.3.4 Da die Klägerin als Mitarbeiterin im Warenservice Zugang zum Lager hatte, wo sie anders als im Verkaufsbereich ohne Kontrolle mit den Waren in Berührung kam, befand sie sich auch in einer Stellung, für die Vertrauenswürdigkeit unverzichtbare Voraussetzung ist. Dabei war das von der Klägerin bis dahin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung keinesfalls so groß wie vom Arbeitsgericht angenommen, weil ihr Arbeitsverhältnis nicht bereits mehr als 20 Jahre, sondern lediglich 11 Jahre unbeanstandet bestanden hatte (zu diesem Aspekt BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – juris R 46 ff.).

2.3.2.3.3.5 Schließlich brauchte ein verständiger Arbeitgeber nicht eine Abmahnung für eine ausreichende Reaktion zu halten. Zwar kann eine Abmahnung auch bei Störungen im Vertrauensbereich erforderlich sein, wenn es um steuerbares Verhalten geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95 = AP BGB § 626 Nr. 137 zu II 1 d der Gründe). Dies ist jedoch nicht der Fall bei einem Verhalten, dessen Pflichtwidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und dessen Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Beschluss vom 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – BAGE 91, 30 = AP KSchG Nr. 1969 § 15 Nr. 42 zu B II 5 der Gründe). So verhielt es sich im vorliegenden Fall, wo der Klägerin klar sein musste, dass sie mit der Herausgabe von zwei Päckchen Taschentüchern an eine betriebsfremde Person und das Einstecken einer entsprechenden Menge für den Eigengebrauch nach Dienstschluss deutlich über die auf innerbetriebliche Vorgänge beschränkte Praxis der Mitarbeiter ihrer Abteilung hinausging.

2.3.2.3.3.6 Die Beklagte brauchte auch nicht deshalb eine Abmahnung für ausreichend zu halten, weil der Detektiv die Klägerin nicht bereits vor der Kasse abgefangen hat, was diese beanstandet hat. Abgesehen davon, dass die Klägerin durch das Einstecken der beiden Päckchen bereits deutlich gemacht hatte, diese keinesfalls bezahlen zu wollen und einzelne Päckchen bei der Beklagten ohnehin nicht verkäuflich sind, hatte der Detektiv damit keine sog. Verführungssituation geschaffen, die im Rahmen der Interessenabwägung dergestalt Berücksichtigung soll finden können, eine Abmahnung als mildere Maßnahme gegenüber einer außerordentlichen Kündigung ausreichen zu lassen (dazu BAG, Urteil vom 18.11.1999 – 2 AZR 743/98 – BAGE 93, 1 = AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 32 zu II 1 c aa der Gründe).

3. Nebenentscheidungen

3.1 Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.2 Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt. Weder war eine Divergenz erkennbar (Nr. 1), noch waren entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beantworten (Nr. 2). Zu einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Nr. 3), die als Grund für eine Zulassung durch das Landesarbeitsgericht selbst ohnehin seltsam anmutet, ist es nach Ansicht der Kammer nicht gekommen. Soweit der Klägervertreter unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 21.12.2004 – XI ZR 17/03 – juris zu II 1 a der Gründe) von der Kammer eine Offenlegung ihrer Rechtsauffassung begehrt hat, brauchte dem nicht entsprochen zu werden. Es genügte vielmehr, in Erfüllung der Prozessförderungspflicht nach § 139 Abs. 1 BGB das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern, Fragen zu stellen und den Parteien bzw. ihren Vertretern Gelegenheit zu geben, sich zu allen erheblichen Tatsachen zu erklären. Auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte, hat die Kammer ihre Entscheidung nicht gestellt. Zu einer Offenlegung ihrer ohnehin erst aufgrund der mündlichen Verhandlung gebildeten Rechtsauffassung bestand deshalb keine Veranlassung (vgl. BAG, Beschluss vom 31.08.2005 – 5 AZN 187/05 – AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 zu II 1 der Gründe; ebenso BVerwG, Beschluss vom 24.07.2008 – 6 PB 18/08 – NZA-RR 2009, 37 R 3; BVerfG, Beschluss vom 05.11.1986 – 1 BvR 706/85 – BVerfGE 74, 1 zu II 1 b der Gründe).

3.3 Die Ausführungen im nachgereichten Schriftsatz der Klägerin vom 26. Oktober 2010 sind von der Kammer bei ihren Erwägungen zu 3.2 berücksichtigt worden und haben keinen Anlass gegeben, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG wieder zu eröffnen.

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