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Aufsichtspflichten eines Bademeisters


OLG Hamm

Az.:13 U 76/99

Verkündet am 20. Oktober 1999

Vorinstanz: LG Münster Az.: 10 O 545/98


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 1999 für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das am 14. April 1999 verkündete Grundurteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor des angefochtenen Urteils, soweit es die Beklagte zu 1) betrifft, wie folgt neu gefaßt wird:

Das Schmerzensgeldbegehren des Klägers ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus Anlaß des Badeunfalls vom 27. Mai 1994 in zu ersetzen hat, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 1) .

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagte zu 1) in Höhe von 12.000,00 DM.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Badeunfall, der sich am 27. Mai 1994 im Freibad der Beklagten zu 1) ereignete. Der damals 15-jährige Kläger suchte das Freibad gegen 18.00 Uhr auf, um zu schwimmen und zu tauchen. Nach etwa einer Stünde waren nur noch vier weitere Badegäste anwesend, nämlich die Zeugin mit ihrer seinerzeit etwa 17-jährigen Tochter und zwei weiteren damals acht und 12 alten Kindern. Der (frühere) Beklagte zu 2) war an diesem Tag allein Aufsichtführender Bademeister. Außer ihm war kein weiteres Personal mehr im Bad. Die Kassiererin war schon gegangen. Nach einem Sprung vom Startblock wurde der Kläger beim Durchtauchen des ungefähr 33 m langen Schwimmbeckens ohnmächtig. Die Zeugin entdeckte ihn gegen 19.15 Uhr auf dem Boden des Beckens, etwa 2 m von dem – dem Startblock gegenüberliegenden – Rand entfernt. Der Beklagte zu 2) war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe. Die Zeugin verständigte ihre Tochter . Diese lief los, um den Beklagten zu 2) verständigen. Sie fand ihn auf der ungefähr 80 m entfernten Toilette. Der Beklagte zu 2) lief zum Becken, sprang hinein und barg – gemeinsam mit- der Zeugin – den bewußtlosen Kläger über den Beckenrand aus dem Wasser. Dies erwies sich als schwierig, weil der Wasserspiegel unter dem Beckenrand lag. Eine Treppe war nicht vorhanden. Für den Ein- und Ausstieg gab es seinerzeit nur eine steile Leiter. Nachdem es gelungen war, den Kläger aus dem Becken bergen, begann der Beklagte zu 2) sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Diese hatten Erfolg. Die Zeugin hatte in der Zwischenzeit den Notarzt und den Rettungswagen alarmiert, die nach 10 bis 15 Minuten eintrafen. Der Kläger wurde ins in eingeliefert.

Der Sachverständigen Dr. untersuchte den Kläger am 20. Januar 1997. Er attestierte einen Zustand nach hypoxischer Hirnschädigung mit noch verbliebenen subjektiven Beschwerden wie gelegentlichem Schwindel und Kopfschmerzen, einer hirnorganischen Leistungsminderung mit vermehrter Erschöpfbarkeit mit einem erhöhten Erholungsbedürfnis sowie unter Belastung auftretenden Konzentrationsstörungen und einer vermehrten Reizbarkeit sowie einer latenten Beinparese links. In seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 6. Februar 1997 heißt es, die unfallbedingte Minderung der Arbeitsfähigkeit werde auf 30 % geschätzt; eine wesentliche Änderung in diesen Unfallfolgen sei nicht mehr zu erwarten; es sei von einem Endzustand auszugehen.

Der Kläger verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld, dessenHöhe er zur Streitwertfestsetzung mit 10.000 DM angegeben hat. Er macht geltend, der Beklagte zu 2) habe seine Aufsichtspflicht verletzt; er sei für einen Zeitraum von acht bis zehn Minuten nicht. am Schwimmbecken gewesen. Die Beklagte zu 1) hafte auch deshalb, weil das Becken nicht mit einer Treppe ausgerüstet gewesen sei. Deren Fehlen habe die Rettung verzögert.

Die Beklagten haben bestritten, daß der Beklagte zu 2) sich für länger als drei bis vier Minuten entfernt gehabt habe. Das sei vertretbar, weil ihm alle noch anwesenden Besucher als gute Schwimmer bekannt gewesen seien.

Das Landgericht hat den Kläger und den Beklagten zu 2) persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen – und . Mit dem angefochtenen Grund- und Teilurteil hat es die gegenüber der Beklagten zu 1) gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte zu 2) hafte gem. Art. 34 GG nicht persönlich; die Benutzung des Freibades sei öffentlich-rechtlich organisiert.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte zu 1)-Berufung eingelegt. Sie behauptet, der Beklagte zu 2) habe auf seinem Weg zur Toilette uneingeschränkte Sicht auf das Schwimmbecken gehabt; er habe das Bad hin und wieder beobachtet und sich dazu zwei bis dreimal umgedreht. Der Kläger habe sich nur etwa zwei Minuten unter Wasser befunden. Da der Beklagte nur etwa vier. Minuten abwesend gewesen sei, habe sich die Rettung nur um maximal zwei Minuten verzögert. Auch wenn der Beklagte zu 2) die Rettung ein bis zwei Minuten früher eingeleitet hätte, wäre die Sauerstoffunterversorgung des Klägers eingetreten. Die baulichen Einrichtungen des Schwimmbades hätten dem damals geltenden Sicherheitsstandard entsprochen. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden. Er hätte mit dem Tauchen warten müssen, weil erkennbar gewesen sei, daß sich der Beklagte zu 2) kurzfristig von dem Schwimmbecken entfernen wollte.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, der Beklagte zu 2) sei nicht nur zur Toilette gegangen, sondern habe einen Spaziergang auf der Anlage unternommen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezog genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben und durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

I.

Das angefochtene Urteil beruht, soweit mit ihm über Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) entschieden worden ist, auf einem Verfahrensfehler.

Das Landgericht hat über den Grund der gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage insgesamt vorab entschieden. Das war unzulässig. Für den Erlaß eines Grundurteils ist nach § 304 Abs. 1 ZPO erforderlich, daß ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist. Voraussetzung dafür ist ein bezifferter Anspruch, wobei es genügt, die Bezifferung zulässigerweise in das gerichtliche Ermessen zu stellen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl.., § 304 Rdn. 3 m.w.N.). Bei einer nicht bezifferten Feststellungsklage scheidet ein Grundurteil wesensmäßig aus (BGH NJW 1991, 1896).

Der Kläger hat neben dem Schmerzensgeldbegehren einen Feststellungsantrag gestellt. Über einen solchen Antrag kann nicht durch Grundurteil entschieden werden, weil insoweit eine Trennung in Grund- und Betragsverfahren nicht möglich ist.

Ob sich die angefochtene Entscheidung – bezüglich des Feststellungsbegehrens – in ein stattgebendes (Teil-) Feststellungsurteil umdeuten läßt, kann offenbleiben. Eine Auslegung in diesem Sinne setzt voraus, daß die Entscheidungsgründe oder der Gesamtinhalt des Urteils Anhaltspunkte für einen solchen Willen des Gerichts ergeben (vgl. BGHZ 7, 333). Dafür könnte hier sprechen, daß das Landgericht von einer vollen Haftung der Beklagten zu 1) ausgeht. Andererseits hat es aber auch ausgeführt, es seien weitere Beweiserhebungen erforderlich, weil die Beklagte zu 1) bestreite, daß heute noch unfallbedingt Beschwerden vorlägen. Fehlt es daran, kann sich das Feststellungsbegehren als unbegründet erweisen. Hat sich das Landgericht aber eine weitere Aufklärung auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens vorbehalten, schließt dies ein Verständnis der Entscheidung als (Teil-)Feststellungsurteil aus.

Der Verfahrensmangel ist jedenfalls in der Berufungsinstanz geheilt worden. Der Kläger hat auf entsprechenden Hinweis des Senats gebeten, das angefochtene Urteil bezüglich des Feststellungsantrags zur Klarstellung als Feststellungsurteil aufrechtzuerhalten. Ein solcher Antrag ist als nachträgliche Klageerweiterung im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig (BGH NJW 1990, 1366, 1368). II.

Das Schmerzensgeldbegehren des Klägers ist dem Grunde nach gerechtfertigt (§§ 839, 847 BGB i.V.m. Art 34 GG).

1. Zutreffend hat das Landgericht entschieden, daß sich die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB) richten. Die Beklagte zu 1) hat die Benutzung ihres Freibades öffentlich-rechtlich-ausgestaltet. Das ergibt sich insbesondere aus der in der Form einer Satzung erlassenen Entgeltordnung in der Fassung der zweiten Änderung vom 25. Oktober 1993.

2. Der Beklagte zu 2) hat die ihm – gerade auch dem Kläger gegen= über – obliegende Aufsichtspflicht verletzt.

Als allein diensthabender Bademeister traf ihn die Pflicht, das Schwimmbecken zu überblicken, die Einhaltung der zum Schutz der Gäste und der notwendigen Ordnung erlassenen Vorschriften zu gewährleisten und in Notfällen helfend einzugreifen. Dabei hatte er seinen Standort so zu wählen und gegebenenfalls gelegentlich zu wechseln, daß er fortwährend in der Lage war, das ganze Schwimmbad im Auge zu behalten und das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu verfolgen. Seine Aufgabe bestand darin, nicht nur die Vorgänge um das Schwimmbecken zu beobachten, Sondern insbesondere auch ins Wasser zu blicken (vgl. OLG Hamm, Senatsurteil vom 14. Dezember 1994, VersR 1996, 727 ff. m.w.N.).

Dieser speziellen Wasserbeobachtungspflicht hat er nicht genügt, als er die etwa 80 m entfernte Toilette aufsuchte. Wenn einem Bademeister andere Aufsichtskräfte oder geeignetes Hilfspersonal nicht zur Verfügung stehen, muß er im Falle einer unvermeidbaren Abwesenheit grundsätzlich andere Schutzmaßnahmen treffen. Ob er die Badegäste in jedem Fall aus dem Wasser verweisen muß oder. ob es im Einzelfall genügen kann, sie auf die bevorstehende Aufsichtslücke hinzuweisen, ist hier nicht zu entscheiden. Der Bademeister darf sich -jedenfalls nicht entfernen, wenn er für die Zeit seiner Abwesenheit keinerlei Vorkehrungen zum Schutz der im Wasser befindlichen Badegäste getroffen hat. Das gilt auch dann, wenn er die im Schwimmbecken befindlichen Gäste als gute Schwimmer kennt. Auch geübte und erfahrene Schwimmer sind vor Badeunfällen nicht geschützt. Das gilt insbesondere, wenn es sich, wie hier – um Jugendliche handelt. Abgesehen von anderen Risiken ist es gerade bei Jugendlichen z.B. möglich, daß sie einen plötzlichen Herzstillstand erleiden. Dieser wirkt sich, wenn der Betreffende über Wasser ist, nicht weiter aus. Tritt die Herzstörung aber unter Wasser auf, kann es zum Ertrinkungstod kommen, weil Wasser in die Lunge gerät. Diese Sachkunde, über die der Senat aus dem vorangegangenen, bereits erwähnten Verfahren verfügt (OLG Hamm, aa0) muß bei dem Beklagten zu 2), einem ausgebildeten Schwimmeister, vorausgesetzt werden. Er durfte das Becken deshalb nicht gänzlich unbeobachtet lassen. Ob er sich auf dem Weg zur Toilette hin und wieder umgeschaut hat, kann offenbleiben. Ein solches Verhalten hätte zur Erfüllung der ihm obliegenden Wasserbeobachtungspflicht nicht genügt.

3. Ob die Beklagte zu 1) auch ein (eigenes) Verschulden trifft, kann dahinstehen. In Betracht kommt insbesondere ein Organisationsverschulden im Hinblick darauf, daß der Beklagte zu 2) die einzige Aufsichtsperson war und keinerlei Hilfskräfte erreichbar waren, nachdem die Kassiererin schon gegangen war. Darüber hinaus könnte das Bad in einem ordnungswidrigen Zustand gewesen sein, weil eine Treppe, deren Vorhandensein die Rettung vermutlich beschleunigt hätte, fehlte. Auf diese Fragen kommt es nicht an, weil die Haftung der Beklagten zu 1) zumindest wegen des Verschulden des Beklagten zu 2) gegeben ist.

4.

Die Verletzung der Aufsichtspflicht hat zu der Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers geführt. Die vorübergehende Abwesenheit des Beklagten zu 2) ist kausal für die Verletzung des Klägers. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten zu 1) hätte der Beklagte zu 2) den Kläger etwa zwei Minuten eher retten können, wenn er in der Nähe des Schwimmbeckens gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Sauerstoffunterversorgung folgenlos geblieben. Die Sauerstoffzufuhr wäre nicht mehr als drei Minuten lang unterbrochen gewesen. Wie der Sachverständige Dr. dargelegt hat, übersteht das menschliche Gehirn eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr von etwa zwei Minuten völlig unbeschädigt.

Diese Aussage deckt sich mit ,den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.. Dieser hat in dem erwähnten Vorprozeß erklärt, irreversible Schädigungen der Hirnzellen träten erst nach drei bis vier Minuten ein. Da solche irreversiblen Schädigungen, wie der Sachverständige Dr. dargelegt hat, beim Kläger eingetreten sind, steht fest, daß die Sauerstoff zufuhr mehr als drei Minuten unterbrochen gewesen ist. Mithin hat die infolge der vorübergehenden Abwesenheit des Beklagten zu 2) verzögerte Rettung die Gesundheitsbeeinträchtigung herbeigeführt.

5. Die Haftung der Beklagten zu 1) ist nicht gem. § 254 BGB gemindert. Den Kläger trifft kein Mitverschulden. Er brauchte sich zu Beginn des Tauchvorgangs nicht zu vergewissern, ob der Beklagte zu 2) in der Nähe war- Es ist nicht Aufgabe des Badegastes, den Bademeister zu beobachten oder gar zu überwachen, sondern die Pflicht des Bademeisters, fortwährend für die Sicherheit der Badegäste Sorge zu tragen.

6.

Daß die von dem Sachverständigen Dr. festgestellten Gesundheitsschäden auf den Badeunfall zurückzuführen sind, ist unstreitig, Ob sich der Zustand des Klägers seitdem geändert hat, ist für die Entscheidung zum Grund des Schmerzensgeldanspruchs nicht von Bedeutung.

III.

Das Feststellungsbegehren ist zulässig und begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist von einem Dauerschaden auszugehen. Im Hinblick darauf sind weitere zukünftige Schäden nicht auszuschließen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

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