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Betriebliche Übung und Ersatz krankheitsbedingter Aufwendungen

Arbeitsgericht Frankfurt am Main

Az.: 5/6 Ca 10019/01

Verkündet am 15.10.2002


In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main Kammer 5 auf die mündliche Verhandlung vom 15.10.2002 für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 251,81 netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2001 zuzahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 251,81 festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage ist begründet, denn der klägerischen Partei steht der streitbefangene Anspruch unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung zu.

Unstreitig hat der Beklagte in der Zeit von Mai 1993 bis August 2000 stets die von der Krankenkasse nicht getragenen krankheitsbedingten Aufwendungen, wie etwa Kosten für Brillen, Zahnbehandlungen u.a., zu 50 % ersetzt. Dabei erfolgte ebenfalls unstreitig im jeweiligen Einzelfall die 50%ige Kostenübernahme durch den Beklagten ohne jeglichen Vorbehalt, vielmehr war die Handhabung dergestalt, dass die jeweils von den Arbeitnehmern eingereichten Rechnungen (Optiker, Zahnarzt u.a.) von der Geschäftsführung mit dem Vermerk „wie üblich“ oder „die übliche Regelung“ versehen und zur Anweisung an die Buchhaltung gegeben wurden.

Damit ist ein Anspruch der Arbeitnehmer des Beklagten, so auch der klägerischen Partei, auf Übernahme der hälftigen oben genannten krankheitsbedingten Auslagen, die von der Krankenkasse nicht getragen werden, durch den Beklagten entstanden, denn wenn der Arbeitgeber mehrere Jahre – mindestens drei Jahre – eine Leistung vorbehaltlos gewährt, entsteht auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung aus diesem als Willenserklärung zu wertenden Verhalten, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird, ein Anspruch in den Folgejahren (vgl. Erfurter Kommentar, 2. Aufl., Preis, Rn 277 zu § 611 BGB).

Dem steht entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht entgegen, dass es sich bei den gewährten Zuschüssen zu den krankheitsbedingten Aufwendungen nur um geringfügige Leistungen gehandelt habe. Bei der Vornahme seiner Durchschnittsberechnung, mit der der Beklagte den in diesem Zusammenhang von ihm aufgewendeten Betrag pro Arbeitnehmer und pro Monat für den Zeitraum von 1997 bis 2000 errechnet, verkennt der Beklagte, dass im Einzelfall an die betroffenen Arbeitnehmer durchaus mehrere 100 Mark auf die entsprechenden Arzt-/Zahnarztrechnungen etc. erstattet worden sind, wie sich dies aus den zu den Akten gereichten Rechnungen mit Genehmigungsvermerk des Beklagten ergibt.

Damit sind die von dem Beklagten den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit den nicht von der Krankenkasse übernommenen krankheitsbedingten Aufwendungen gewährten Leistungen mehr als eine bloße Annehmlichkeit, sondern vielmehr geeignet, die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmer unmittelbar zu beeinflussen. Damit ist der vorliegende Fall nach Auffassung der Kammer nicht vergleichbar mit den von dem Beklagten zitierten, in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, die zum Beispiel die Gewährung eines freien Nachmittags am Wäldches Tag oder Annehmlichkeiten im Wert von DM 50,– betreffen.

Die Bildung einer betrieblichen Übung ist auch nicht durch einen arbeitgeberseitigen Vorbehalt verhindert worden. Zwar ist es zutreffend, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 19,05.1993, mit dem den Mitarbeitern des Beklagten mitgeteilt wurde, dass künftig nicht mehr 100 % der streitbefangenen krankheitsbedingten Auslagen ersetzt werden, sondern nur noch 50 %, die Formulierung „künftig generell höchstens noch die Hälfte“ verwendet hat und dass der Ausdruck „höchstens“ mit „maximal“ gleichzusetzen ist, so dass sich daraus eine auf einen maximalen Betrag eingeschränkte Leistungszusage ergibt.

Der Beklagte hat von diesem Einschränkungsvorbehalt jedoch über sieben Jahre lang keinerlei Gebrauch gemacht, sondern in jedem Einzelfall stets 50 % der fraglichen Kosten mit dem Vermerk „wie üblich“ bzw. „die übliche Regelung“ übernommen, ohne diese Leistungsgewährung unter irgendeinen Vorbehalt zu stellen.

Auf Grund dieser siebenjährigen gleichförmigen und vorbehaltlosen Leistungsgewährung ist eine entsprechende betriebliche Übung dahingehend entstanden, dass stets 50 % der entsprechenden Auslagen durch den Beklagten ersetzt werden und nicht „höchstens“ 50 %.

Der aus betrieblicher Übung entstandene vertragliche Anspruch der klägerischen Partei ist auch weder durch die an alle Mitarbeiter gerichtete Erklärung des Beklagten vom 31.08.2000, dass die streitbefangenen Leistungen künftig vollständig eingestellt werden, noch durch eine nachteilige betriebliche Übung beseitigt worden.

Durch die Erklärung des Beklagten vom 31.08.2000, dass die Leistungen künftig vollständig eingestellt werden, ist der Anspruch der klägerischen Partei nicht beseitigt worden, denn der aus einer betrieblichen Übung entstandene Anspruch kann nicht mehr durch einseitigen Widerruf abgeändert und aufgehoben werden (vgl. Erfurter Kommentar, a.a.O., Rn 281 zu § 611 BGB). Es gelten hier keine erleichterten Voraussetzungen gegenüber anderen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen.

Der Anspruch der klägerischen Partei ist auch entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch eine so genannte nachteilige betriebliche Übung beseitigt worden, denn die Voraussetzungen für eine derartige nachteilige betriebliche Übung sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Eine Betriebsübung zu Ungunsten der Arbeitnehmer ist denkbar, wenn zum Beispiel eine sonst regelmäßig gewährte Weihnachtsgratifikation mehrere Jahre hintereinander widerspruchslos nicht mehr gezahlt wird, wobei einmalige Nichterfüllung nicht genügt. Ferner kann eine alte betriebliche Übung dann einvernehmlich geändert werden, wenn der Arbeitnehmer einer geänderten Handhabung über einen Zeitraum von drei Jahren nicht widerspricht (vgl. Erfurter Kommentar, a.a.O., m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, denn die klägerische Partei hat angesichts der erstmaligen Nichterfüllung nach der Ankündigung der Leistungseinstellung mit Rundschreiben vom 31.08.2000 bereits Klage erhoben und hat damit auch nicht etwa einer geänderten Handhabung innerhalb des Dreijahreszeitraumes nicht widersprochen.

Die Klage ist nach alledem begründet.

Der Zinsanspruch ergibt sich in gesetzlicher Höhe unter dem Gesichtspunkt der Prozesszinsen gemäß §§ 288, 291 BGB.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Beklagte als unterliegende Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO im Urteil in Höhe des eingeklagten Betrages festzusetzen.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, denn Gründe für eine Zulassung der Berufung i. S. d. § 64 Abs. 3 ArbGG liegen nicht vor.

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