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Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach Brandschaden

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: V ZR 47/07

Urteil vom 01.02.2008

Vorinstanzen:

LG Ulm, Az.: 4 O 151/06, Entscheidung vom 18.09.2006

OLG Stuttgart, Az.: 10 U 226/06, Entscheidung vom 23.02.2007


Leitsätze:

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB umfasst auch Vermögenseinbußen, die der Eigentümer oder Besitzer des beeinträchtigten Grundstücks infolge der Beschädigung sich auf dem Grundstück befindlicher beweglicher Sachen erleidet (Abgrenzung zu BGHZ 92, 143).


In dem Rechtsstreit hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2007 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Februar 2007 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Im Juni 2004 geriet eine im Eigentum des Beklagten stehende und von ihm genutzte Wohnung infolge eines defekten Küchengeräts in Brand. Dadurch wurde auch das angrenzende Gebäude beschädigt, in dem der Geschädigte in angemieteten Räumen ein Lederwarengeschäft betreibt. Dieser hatte seine Betriebseinrichtung und die Warenvorräte bei der Klägerin versichert; ferner bestand Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungsschäden.

Die Klägerin zahlte wegen der an den Warenvorräten durch Rauch, Ruß und Löschwasser entstandenen Schäden 118.510 € an den Geschädigten sowie 17.000 € zum Ausgleich seines Betriebsunterbrechungsschadens. Diese Beträge verlangt sie aus übergegangenem Recht des Geschädigten von dem Beklagten ersetzt.

Die Klage ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit zur Feststellung der Anspruchshöhe an das Landgericht zurückverwiesen.

Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält die Voraussetzungen eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für gegeben. Die durch den Brand in die Geschäftsräume des Geschädigten eingedrungenen Rauch- und Rußpartikel stellten rechtswidrige Immissionen dar. Der Ausgleichsanspruch umfasse den unmittelbar an den Warenvorräten eingetretenen Schaden. Denn er diene als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche, die nach § 862 Abs. 1 BGB auch dem Besitzer des Nachbargrundstücks und damit dem Geschädigten als Mieter zustünden. Hätte dieser seinen Abwehranspruch gegen die von dem Brandereignis ausgehenden Immissionen durchsetzen können, wäre der Schaden an seinen Warenvorräten nicht eingetreten. Das rechtfertige es, sie in den Schutzbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs einzubeziehen. Entsprechendes gelte für den Betriebsausfallschaden, soweit er nicht durch die Reinigungs- und Sanierungsarbeiten am Gebäude, sondern möglicherweise auch durch die Dauer der Wiederbeschaffung des Warenbestands bedingt gewesen sei.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Klägerin aus übergegangenem Recht des Geschädigten (§ 67 VVG) ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zusteht.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein solcher Anspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (vgl. Senat, BGHZ 155, 99, 102 m.w.N.). Hiervon ist auszugehen, wenn ein Brand auf ein fremdes Grundstück übergreift, da der Nachbar die Gefahr in aller Regel – und so auch hier – nicht erkennen und die Einwirkungen auf sein Grundstück daher nicht rechtzeitig abwehren kann.

b) Das Berufungsgericht verkennt auch nicht, dass sich der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur gegen einen Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB richten kann (vgl. Senat, Urt. v. 27. Januar 2006, V ZR 26/05, NJW 2006, 992). Der Senat hat bereits entschieden, dass der Eigentümer eines Hauses, welches infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in Brand gerät, Störer ist (BGHZ 142, 66). Für den Beklagten als Eigentümer einer selbstgenutzten Wohnung gilt nichts anderes (vgl. aber auch Senat, Urt. v. 27. Januar 2006, V ZR 26/05, NJW 2006, 992 für den Fall einer vermieteten Wohnung).

2.

Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht ferner an, dass sich Inhalt und Umfang des Anspruchs nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung bestimmen (vgl. Senat, BGHZ 142, 66, 70 ff.) und dass diese Entschädigung auch die Nachteile erfasst, die der hier Geschädigte infolge der Beeinträchtigung seiner Warenvorräte durch Rauch, Ruß und Löschwasser erlitten hat.

a) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dient als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB (Senat, BGHZ 155, 99, 106), schützt also wie diese das Eigentum und den Besitz an einem Nachbargrundstück.

Die Ausgleichsleistung knüpft an diese Rechtspositionen an; bei einer Besitzstörung richtet sie sich nach dem Vermögenswert, der auf dem Recht beruht, den Besitz innezuhaben. Folgt das Besitzrecht, wie hier, aus einem Mietvertrag über Gewerberäume, ist dies vor allem die Möglichkeit, den Besitz zur Unterhaltung eines Gewerbebetriebes zu nutzen. Daher sind die vermögenswerten Betriebsnachteile auszugleichen, die ihre Ursache in der Besitzstörung haben (vgl. Senat, BGHZ 147, 45, 52 f.).

Zu diesen Nachteilen zählen die für eine ungestörte Fortführung des Gewerbebetriebs erforderlichen Aufwendungen. Das umfasst Aufwendungen für den Ersatz von Inventar, von Warenvorräten und ähnlichen Betriebsmitteln, die durch die Besitzstörung beschädigt worden sind (vgl. Senat, aaO, S. 55 für unbrauchbar gewordenes Inventar sowie Senat, BGHZ 155, 99, 106 für eine beschädigte Betriebseinrichtung).

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die sich auf dem Grundstück befindlichen Betriebsmittel, hier also die Warenvorräte des Geschädigten, infolge einer Beeinträchtigung der Grundstücks- oder Gebäudesubstanz (vgl. Senat, BGHZ 147, 45, 54 f.: Inventar wird durch den Gebäudeeinsturz zerstört) oder unmittelbar durch die auf das Grundstück einwirkenden Immissionen beschädigt werden (hier: Schaden unmittelbar an den Waren durch Rauch, Ruß oder

Löschwasser). Denn auch der primäre Abwehranspruch gemäß §§ 1004, 862 Abs. 1 BGB, dessen faktischer Ausschluss durch die Entschädigung kompensiert werden soll, besteht unabhängig davon, welches Schadensbild infolge der drohenden unzulässigen Störung im Einzelnen zu erwarten ist. Entscheidend ist, dass der Schaden an den beweglichen Sachen nicht eingetreten wäre, wenn der Besitzer seinen Unterlassungsanspruch hätte durchsetzen können, und sich damit als Teil der diesem durch die Besitzstörung abverlangten Vermögenseinbuße darstellt.

Ebenso wenig ist maßgeblich, ob durch die Besitzstörung hervorgerufene Ertragseinbußen, welche grundsätzlich ebenfalls auszugleichen sind (vgl. Senat, aaO, S. 54) und hier infolge der Notwendigkeit, neue Lederwaren zu beschaffen, eingetreten sein sollen, auf eine Beschädigung des Grundstücks oder darauf befindlicher beweglicher Sachen zurückzuführen sind.

b) Eine andere Beurteilung folgt entgegen der Auffassung der Revision nicht aus dem sog. Kupolofen-Fall (BGHZ 92, 143), in dem auf einem Betriebsparkplatz abgestellte Fahrzeuge von Arbeitnehmern durch Staubauswürfe einer benachbarten Schmelzanlage beschädigt worden waren. Die Begründung, mit der der Bundesgerichtshof einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch der Arbeitnehmer gegen den Betreiber des Schmelzofens verneint hat – es fehle an dem erforderlichen Bezug der Schäden zu dem von den Immissionen betroffenen Grundstück – verweist auf die notwendige, im Kupolofen-Fall aber fehlende Haftungsgrundlage für einen solchen Anspruch. Da die klagenden Arbeitnehmer bloße Benutzer des Betriebsparkplatzes waren (aaO, S. 146), stand ihnen ein Abwehranspruch gegen die Immissionen aus §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nicht aufgrund eines Rechts an dem betroffenen Grundstück, sondern nur als Eigentümer oder Besitzer der abgestellten Fahrzeuge zu. Rechte an beweglichen Sachen können – für sich genommen – aber keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen. Als Teil des Interessenausgleichs für eine sachgerechte Nutzung benachbarter Grundstücke setzt ein solcher Anspruch auf Seiten des Anspruchstellers stets eine Störung seines Eigentums oder Besitzes an einem Grundstück voraus (vgl. Senat, BGHZ 157, 188, 193). Nichts anderes wird in der Kupolofen-Entscheidung angesprochen, wenn es dort heißt,

der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch erfasse Folgeschäden nur, wenn und soweit diese sich aus der Beeinträchtigung der Substanz oder Nutzung des betroffenen Grundstücks entwickelten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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