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Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes bei großer Flugverspätung

AG Bremen, Az.: 5 C 148/16, Urteil vom 15.12.2016

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. und 2. jeweils € 300,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.02.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach §§ 313a, 511 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes bei großer Flugverspätung
Symbolfoto: champlifezy/Bigstock

Das Amtsgericht Bremen ist als Ankunftsort gemäß Art. 5 Nr. 1 b) 2. Spiegelstrich der VO (EG) Nr. 44/2001 örtlich zuständig, denn als Ankunftsort war am 10.06.2014 der Flughafen in Bremen vorgesehen. Danach kann das beklagte Flugunternehmen außer an seinem Unternehmenssitz auch in Bremen verklagt werden, wenn es sich um einen Anspruch aus einem Vertrag handelt und der Erfüllungsort der Verpflichtung in Bremen anzusiedeln ist. Das ist nach der – wohl – überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung auch dann der Fall, wenn der Flug aus mehreren Teilstrecken mit Zwischenlandungen besteht, insbesondere, wenn – wie hier – alle Flüge ausschließlich mit der Fluggesellschaft durchgeführt werden, mit der der Vertrag geschlossen worden ist (vgl. nur Vorlagebeschluss des BGH v. 18.08.2015, AZ.: X ZR 2/15 in BeckRS 2015, 14817). Danach ist als Ankunftsort der Ort des Endziels Bremen und nicht Paris als Zwischenziel mit Landung zu verstehen, weil nach der vertraglichen Vereinbarung die Kläger zusammen mit ihrem Gepäck, um dessen Beförderung sich die ganze Zeit vereinbarungsgemäß die Beklagte zu kümmern hatte, in Bremen ankommen sollten. Für die Kläger stellte die Zwischenlandung in Paris nur eine Notwendigkeit dar, um nach Bremen weiterfliegen zu können.

Die Klage ist jedoch nur zum Teil begründet.

Den Klägern können gemäß Art. 7 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 c) der VO (EG) 261/2004 (nachfolgend FluggastrechteVO) lediglich jeweils € 300,00 als Ausgleichszahlung zugesprochen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist auch im Falle einer großen Verspätung von mehr als 3 Stunden grundsätzlich eine Ausgleichszahlung zu leisten, weil die Verspätung dann mit einer Annullierung des Flugs gleichzusetzen ist (vgl. nur EuGH NJW 2010, 43; 2013, 671). Unstreitig war hier eine Verspätung von über 3 Stunden gegeben, auch wenn streitig ist, wie hoch diese denn tatsächlich ausgefallen ist.

Die Beklagte kann sich nicht exkulpieren. Zwar besteht ein Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste dann nicht, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (vgl. Art 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO), also auf Umständen, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH a.a.O.).

An dieser Stelle wird zugunsten der Beklagten, obwohl klägerseits bestritten, unterstellt, dass auf dem Vorflug die Maschine kurz nach dem Start in Paris von einem Blitz getroffen wurde. Der Blitzeinschlag an sich ist von dem Flugunternehmen auch nicht beherrschbar. Nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) stellt ein Vorkommnis aber nur dann einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn es zum einen nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist und zum anderen aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Beide Merkmale müssen kumulativ vorliegen.

Da Blitzeinschläge in Fluggeräte jedoch kein seltenes Phänomen sind, sondern mit einer gewissen Häufigkeit zu verzeichnen sind, realisiert sich in einem Blitzeinschlag lediglich ein typisches Risiko beim Betrieb eines Luftfahrtunternehmens. Dementsprechend haben Luftfahrtunternehmen die übliche Zeit für ein Durchchecken eines Fluggeräts auf Fehler und Schäden nach einem Blitzeinschlag in ihren Wendezeiten einzuplanen. Hier ist es so, dass dann, wenn die Beklagte in ihrer Kalkulation der Wendezeit der Maschine in Atlanta die vom Hersteller angegebenen Arbeiten für eine – wie oben ausgeführt nicht selten erforderliche – Blitzschlaginspektion mit eingerechnet hätte, es nicht zu einer Verspätung gekommen wäre. Denn dass das Flugzeug tatsächlich hat repariert werden müssen, hat sie weder vorgetragen noch ist dies ersichtlich, da die Maschine ja trotz Blitzschlags in Paris die lange Strecke nach Atlanta ohne weitere Vorkommnisse hat absolvieren können.

Aber selbst wenn man einen außergewöhnlichen Umstand in der Blitzinspektion nach Blitzschlag sehen wollte, dann verlangt die FluggastrechteVO als nächstes von dem Flugunternehmen (Art. 5 Abs. 3 der VO), dass das Luftfahrtunternehmen darlegt, alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben, um die Folgen des außergewöhnlichen Umstands zu vermeiden. Hier hat die Beklagte bereits nicht hinreichend dazu vorgetragen, wie lange mit wie vielen Inspekteuren die vorliegend durchgeführte Blitzschlaginspektion gedauert hat und wann mit ihr begonnen wurde. Der bloße Vortrag, welche Arbeitsschritte zu erfolgen haben, ersetzt den Vortrag zur zeitlichen Dimension nicht. Zumal eine schnellere Abarbeitung des Prüfkatalogs durch Einsatz mehrerer Techniker auf der Hand liegt und in diesem Fall eine Wendezeit von mehr als 3 Stunden gegeben war. Schließlich trägt die Beklagte vor, sie habe auch kein Ersatzflugzeug des Typs Boeing 747-400 beschaffen können. Hierzu gibt sie an, die einzige Fluggesellschaft, die Flugzeuge dieses Typs in Atlanta vorhalte, sei die … gewesen und die habe alle ihre Flugzeuge im Einsatz gehabt. Da aber für das Chartern oder Subchartern einer Maschine nahezu die gesamte Flugzeit von Paris nach Atlanta, also ca. 7 Stunden tagsüber zur Verfügung standen, ist der Beklagten auch abzuverlangen, von anderen Städten der USA gegebenenfalls eine Maschine nach Atlanta verbringen zu lassen. Im Übrigen bleibt offen, warum nicht auch mit einem anderen Flugzeugtyp, z.B. Airbus in der erforderlichen Größe, ein Rückflug hat organisiert werden können, wohlgemerkt wochentags, nämlich einem Freitag, zu üblichen Arbeitszeiten.

Mangels hinreichender Exkulpation ist den Klägern daher eine Ausgleichsentschädigung zuzusprechen. Da die Flugentfernung zwischen Atlanta und dem letzten Zielort (Bremen) 7688 Kilometer beträgt, besteht grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in Höhe von € 600 für jede Person (vgl. Art. 7 Abs. 1 c der FluggastrechteVO). Der Anspruch ist jedoch nach Art. 7 Abs. 2 der VO um 50 % zu kürzen, weil im vorliegenden Rechtsstreit den Klägern ein Ersatzflug angeboten wurde und sie nur eine Verspätung von 3 Stunden und 13 Minuten hatten, worauf sich die Beklagte beruft. Hiervon ist auch auszugehen, weil die Kläger nicht mehr auf das substantiierte Vorbringen der Beklagten trotz Fristsetzung erwidert haben, nämlich dass sie auf den Flug AF 1524, ankommend in Bremen um 17:48 Uhr umgebucht worden seien. Die Beklagte hat hierzu hingegen, ihren Vortrag untermauernd Computeraufzeichnungen und Aufzeichnungen auf www.flightstats.com eingereicht.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB. Verzug trat mit dem Ablauf der Zahlungsfrist am 13.02.2016 ein. In der Zahlungsaufforderung vom 29.01.2016 liegt eine Mahnung.

Die prozessuale Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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