Fluggast gewinnt Klage gegen Luftfahrtunternehmen wegen großer Verspätung.
Keine Verjährung bei Flügen im Rahmen einer Pauschalreise. Ein Luftfahrtunternehmen muss einem Fluggast Ausgleichszahlungen wegen großer Verspätung zahlen, auch wenn der Flug Bestandteil einer Pauschalreise war. Das hat das Gericht entschieden und eine Verjährung des Anspruchs abgelehnt. Die Klägerin hatte die Ansprüche der Fluggäste, die den Flug von Hamburg nach Hurghada gebucht hatten, übertragen bekommen. Der Flug erreichte das Ziel mehr als drei Stunden verspätet. Die Beklagte argumentierte, dass sich die Fluggäste nicht rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden hätten und Entschädigungsleistungen des Pauschalreiseveranstalters an die Fluggäste auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen seien. Das Gericht sah das anders und stellte klar, dass ein Ausgleichsanspruch auch dann bestehe, wenn der Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist. Zudem sei die spezielle Verjährungsvorschrift des § 651j BGB für Pauschalreiseverträge auf einen Anspruch nach der Fluggastrechteverordnung nicht anwendbar. Die Klägerin muss sich keine Zahlungen eines Reiseveranstalters gemäß §§ 404, 407 Abs. 1 BGB analog anrechnen lassen. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
AG Hamburg – Az.: 48 C 46/22 – Urteil vom 29.07.2022
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.400,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.02.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
4. Der Streitwert wird auf 2.400,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht Ausgleichszahlung wegen Annullierung eines von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen zu verantwortenden Fluges.
Frau …, Frau …, Frau … und Herr … waren im Rahmen einer Pauschalreise als Fluggäste von Hamburg nach Hurghada auf den Flug … am 10.02.2019 gebucht. Der Flug sollte planmäßig um 7:15 Uhr Ortszeit starten und am selben Tag um 13:00 Uhr Ortszeit landen. Der Flug erreichte Hurghada um mehr als drei Stunden verspätet am 11.02.2019 in den frühen Morgenstunden. Die Distanz zwischen Abflug- und Ankunftsort beträgt 3.530 km.
Die Fluggäste traten die ihnen gegen die Beklagte zustehenden Ausgleichsansprüche an die Klägerin ab, welche dies mit Schreiben vom 20.01.2022 der Beklagten anzeigte und diese zur Zahlung bis zum 03.02.2022 aufforderte.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf Verjährung. Anwendbar seien insoweit die Vorschriften des nationalen Pauschalreiserechts. Die Fluggäste hätten sich nicht rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden. Zudem seien Entschädigungsleistungen des Pauschalreiseveranstalters an die Fluggäste auf den Ausgleichsanspruch anzurechnen.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin stehen Ausgleichsansprüche aus der Fluggastrechteverordnung EGV 261/2004 Art 5 Abs 1 Buchst c und Art 7 Abs 1 Buchst a wegen großer Verspätung in Verbindung mit § 398 BGB zu.
Ein Ausgleichsanspruch besteht auch dann, wenn der Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist. Jedem Fluggast steht ein Ausgleichsanspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zu, wobei es nach der Begriffsbestimmung des EGV 261/2004 Art 2 Buchst b und Buchst g auf eine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen Fluggast und ausführendem Luftfahrtunternehmen nicht ankommt (BeckOGK/Steinrötter, 1.4.2022, Fluggastrechte-VO Art. 3 Rn. 9).
Es kann offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt sich die Fluggäste im Sinne des EGV 261/2004 Art 3 Abs 2 Buchst a zur Abfertigung einfanden.
Die Fluggastrechteverordnung ist im Grundsatz anwendbar, wenn der Fluggast den Flug antritt und sich rechtzeitig zur Abfertigung einfindet. Dies geschieht regelmäßig durch Check-In des Fluggastes (BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 22. Ed. 1.4.2022, Fluggastrechte-VO Art. 3 Rn. 45).
Für das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs wegen großer Verspätung ist es indessen nicht erforderlich, dass sich der Fluggast im Sinne des EGV 261/2004 Art 3 Abs 2 Buchst a zur Abfertigung einfindet, wenn der Fluggast tatsächlich befördert wird.
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Verordnung, nach dem das Erfordernis rechtzeitigen Einfindens in Fällen einer Annullierung des Fluges nicht gilt. Der Anspruch des Fluggastes auf Ausgleichszahlung bei großer Verspätung gründet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gerade auf einer Gleichstellung mit Fluggästen annullierter Flüge (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 – C-402/07 und C-432/07 -, juris Rn. 69). Dementsprechend ist das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs wegen großer Verspätung nicht an Voraussetzungen zu knüpfen, welche über diejenigen hinausgehen, die für einen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung nötig wären. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Fluggast – wenn auch verspätet – tatsächlich befördert wurde.
Auch Sinn und Zweck des Erfordernisses, sich rechtzeitig zur Abfertigung einzufinden, sind im Falle einer Beförderung mit großer Verspätung nicht einschlägig.
Der Fluggast hat sich rechtzeitig einzufinden, damit das Luftfahrtunternehmen den Flug pünktlich durchführen kann, was der übergeordneten Zielrichtung der Fluggastrechteverordnung entspricht, Unannehmlichkeiten für die Passagiere zu vermeiden (BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 22. Ed. 1.4.2022, Fluggastrechte-VO Art. 3 Rn. 41).
Hingegen würde dieses Ziel in vielen Fällen konterkariert, wenn der Fluggast sich auch bei großer Verspätung den zeitlichen Vorgaben des EGV 261/2004 Art 3 Abs 2 Buchst a entsprechend zur Abfertigung einfinden müsste. Denn dies zöge vielfach unnötige zusätzliche Wartezeiten des Fluggastes nach sich, der sich zur Wahrung seiner Rechte zur vorgegebenen, schriftlich angegebenen Zeit oder 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit einzufinden hätte, selbst wenn sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine große Verspätung am Zielort abzeichnete. Ein solches Normverständnis stünde nicht nur in offensichtlichem Widerspruch zu den Zielen der Fluggastrechteverordnung, sondern ginge auch mit unzumutbaren Belastungen für den Fluggast einher.
Auch soweit in dem Erfordernis rechtzeitigen Einfindens der Zweck gesehen wird, es dem Luftfahrtunternehmen zu ermöglichen, festzustellen, welche Passagiere tatsächlich an dem Flug teilnehmen werden, so dass gebuchte Plätze für Passagiere, die gleichwohl nicht mitfliegen möchten oder können, gegebenenfalls anderen Passagieren auf der Warteliste zugeteilt werden können (BGH, Urteil vom 28. August 2012 – X ZR 128/11 -, juris Rn. 17), ist dieser Zweck für das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs wegen großer Verspätung ebenfalls nicht von Relevanz, wenn der betroffene Fluggast tatsächlich befördert wird. Selbiges gilt für den Zweck, das Reisegepäck des Fluggastes rechtzeitig in Empfang nehmen zu können (BGH, Urteil vom 28. August 2012 – X ZR 128/11 -, juris Rn. 17).
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Leistung gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu verweigern.
Denn der Anspruch auf Ausgleichszahlung ist nicht verjährt.
Der Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung verjährt auch dann gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB nach den allgemeinen Regeln, wenn der Flug Bestandteil einer Pauschalreise war. Die spezielle Verjährungsvorschrift des § 651j BGB für Pauschalreiseverträge ist nicht anzuwenden.
Die Frage der Verjährung richtet sich nach dem international anwendbaren nationalen Recht – hier dem deutschen – da die Fluggastrechteverordnung insoweit keine Regelung enthält (EuGH, Urteil vom 22. November 2012 – C-139/11 -, juris).
§ 651j BGB ist auf einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung nicht anwendbar.
Dies folgt bereits klar aus dem Wortlaut. Die Norm bezieht sich auf die in § 651i Abs. 3 BGB aufgezählten Ansprüche des Reisenden. Die in Bezug genommene Vorschrift zählt die Gewährleistungsrechte des Reisenden bei mangelhafter Pauschalreise einzeln auf. Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung sind darin nicht genannt.
Eine analoge Anwendung des § 651j BGB auf Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung scheidet aus.
Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor.
Dass insoweit eine unbeabsichtigte Lücke bestünde, ist nicht anzunehmen, zumal die in Bezug genommene Aufzählung des § 651i BGB nicht nur spezielle Rechte nach Pauschalreisevertragsrecht, sondern auch den Aufwendungsersatz nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht enthält. Als spezielle Verjährungsvorschrift, welche eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln darstellt, ist deren Anwendungsbereich am Wortlaut orientiert eng zu umgrenzen. Der Wortlaut des § 651j S. 1 BGB bezieht sich klar und eindeutig auf die in § 651i Abs. 3 BGB bezeichneten Ansprüche. Eine erweiternde Anwendung wäre angesichts der Rechtstatsache, dass im Zusammenhang mit der Durchführung einer Pauschalreise vielgestaltige Ansprüche aus unterschiedlichen Rechtsgründen entstehen können, sachlich nicht mehr abzugrenzen. Eine analoge Anwendung wird deshalb im Allgemeinen nicht befürwortet (BeckOGK/Sorge, 1.4.2022, BGB § 651j Rn. 23; MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651j Rn. 2 ff.).
Einer Analogie steht des Weiteren entgegen, dass die Verjährungsvorschrift des § 651j BGB auf Harmonisierungsvorgaben der Pauschalreise-Richtlinie zurückgeht, welche in keinerlei Zusammenhang mit Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung stehen.
Der Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung selbst verbietet eine Verkürzung der Verjährung aus dem Grunde, dass der Flug Teil einer Pauschalreise war. Denn ausweislich des Erwägungsgrundes 5 soll der Schutz der Verordnung unterschiedslos auf Flüge im Rahmen von Pauschalreisen erstreckt sein. Fluggästen nur deswegen eine schlechtere Rechtsposition einzuräumen, weil der betroffene Flug im Zusammenhang mit einer Pauschalreise stand, bedeutete eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung durch das nationale Recht, welche mit dem Gebot effektiver und einheitlicher Durchsetzung europäischen Rechts nicht zu vereinbaren wäre.
Die Klägerin muss sich keine Zahlungen eines Reiseveranstalters nach § 651p Abs. 3 S. 2 BGB gemäß §§ 404, 407 Abs. 1 BGB analog anrechnen lassen. Es ist nicht vorgetragen, dass überhaupt Zahlungen an die Zedenten geleistet wurden. Die Klägerin hingegen hat ihrer sekundären Darlegungslast genügt und angegeben, dass an keinen der Zedenten Entschädigungszahlungen des Pauschalreiseanbieters erfolgt sind.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.