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Steuerberater – Einholung von Auskünften bei dem Finanzamt

BUNDESGERICHTSHOF

AZ.: IX ZR 188/05

Urteil vom 08.02.2007

Vorinstanzen:

LG Freiburg, Az.: 1 O 66/03, Entscheidung vom 06.11.2003

OLG Karlsruhe, Az.: 13 U 138/03, Entscheidung vom 26.10.2005


Leitsätze:

1. Nach dem Gebot des sichersten Weges kann der Steuerberater gehalten sein, die Einholung einer Auskunft des Finanzamtes zu empfehlen, wenn die Rechtslage nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten ungeklärt ist und die Beratung eine einschneidende, dauerhafte, später praktisch nicht mehr korrigierbare rechtliche Gestaltung betrifft.

2. Zur einkommensteuerrechtlichen Beurteilung des Verkaufs sämtlicher Anteile an einer Kommanditgesellschaft nach einem „Tranchenmodell“.


In dem Rechtsstreit hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2007 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 13. Zivilsenat in Freiburg – vom 26. Oktober 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerinnen waren alleinige Gesellschafterinnen einer Kommanditgesellschaft.

Anfang 1999 beabsichtigten sie, ihre Gesellschaftsanteile zu veräußern.

Sie beauftragten die beklagte, auch aus Steuerberatern und Rechtsanwälten bestehende Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sie sowohl steuerlich als auch rechtlich bei der Vertragsgestaltung zu beraten.

Dem zunächst mit dem späteren Erwerber ausgehandelten Vertragsentwurf vom 26. August 1999, den die Beklagte am 30. August 1999 erhalten hatte, lag das so genannte Tranchenmodell zugrunde. Die KG sollte in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden, der Käufer in einem ersten Schritt 50 % der Gesellschaftsanteile (mit 51 % der Stimmen) übernehmen, der Kaufpreis von 7 Mio. DM sollte in Teilbeträgen gezahlt werden, davon die erste Hälfte im zweiten Halbjahr 1999 bei gleichzeitigem Ausgleich des negativen Kapitalkontos, die zweite Hälfte in fünf Teilbeträgen jährlich jeweils gegen Übertragung von 10 % der Kommanditanteile. Entsprechende Kauf- und Verkaufsverpflichtungen waren vorgesehen. Nachdem der Rechtsberater des Käufers auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, dass die Klägerinnen bereits im Veranlagungszeitraum 1999 den gesamten Veräußerungsgewinn zu versteuern haben würden, brachte der vom Ehemann der Klägerin zu 1 ebenfalls eingeschaltete Steuerberater B. ein Optionsmodell ins Gespräch. Das wurde von der Beklagten in zwei Schreiben an den Käufer aufgegriffen. Unter Beifügung des ursprünglichen Vertragsentwurfs stellte Steuerberater B. am 21. September 1999 einen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft an das Finanzamt. Am 27. September 1999 – dem ursprünglich ins Auge gefassten Termin – wurde zwischen den Klägerinnen und dem Erwerber ein Anteilskauf- und Optionsvertrag geschlossen. Am 13. Oktober 1999 bestätigte das Finanzamt die Steuerunschädlichkeit des ursprünglichen Vertragsentwurfs.

In der Folge lehnte es der Erwerber ab, die Kaufoption auszuüben; die Klägerinnen konnten die restlichen Kommanditanteile am 16. August 2000 nur noch zu einem Kaufpreis von 1 Mio. DM an den Erwerber veräußern. Am 1. Juni 2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH & Co. KG eröffnet.

Das Landgericht hat der Klage auf Ersatz der Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten und dem nach dem Tranchenmodell zu erlangenden Kaufpreis im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer beschränkt auf den Grund zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagte hafte auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung. Sie habe die steuerlichen Risiken des Unternehmensverkaufs nicht rechtzeitig vor dem Abschluss des notariellen Vertrags einer Klärung zugeführt. Zwar habe die Beklagte von Anfang an den schließlich auch vom Finanzamt eingenommenen Standpunkt vertreten.

Gleichwohl sei die Rechtslage zunächst nicht geklärt gewesen. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, die von ihr für richtig gehaltene Auffassung zu belegen und hierzu eine verbindliche Auskunft des Finanzamts rechtzeitig einzuholen.

Ohne die Pflichtverletzung wäre es zu einem Abschluss des Vertrags nach dem Tranchenmodell gekommen, und dieses hätte auch die Billigung der Finanzbehörden gefunden.

II.

Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1.

Die Klägerinnen hatten der Beklagten das Mandat erteilt, sie umfassend sowohl in steuerrechtlicher als auch allgemein in rechtlicher Hinsicht bei dem von ihnen beabsichtigten Unternehmensverkauf zu beraten. Gegenstand der Beratungspflichten der Beklagten war ein steuer- und zivilrechtlich möglichst günstiger Verkauf. Dazu gehörte insbesondere die Aufgabe, eine Versteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns im Jahr des Vertragsschlusses zu vermeiden, weil dies für die Klägerinnen finanziell nicht tragbar gewesen wäre. Dabei hatte die Beklagte kraft des erhaltenen Auftrags ihre Mandantinnen umfassend steuerlich zu beraten, ihnen insbesondere den relativ sichersten Weg aufzuzeigen und sie möglichst vor Schaden zu bewahren (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 1993 – IX ZR 173/92, NJW 1993, 2799, 2800).

2.

Zweck der Steuerberatung ist es, die dem Auftraggeber fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem Gebiet zu ersetzen. Die pflichtgemäße Steuerberatung verlangt daher sachgerechte Hinweise über die Art, die Größe und die mögliche Höhe eines Steuerrisikos, um den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung zu vermeiden (BGHZ 129, 386, 396; BGH, Urt. v. 4. Juni 1996 – IX ZR 246/95, WM 1996, 1841, 1843; v. 20. Oktober 2005 – IX ZR 127/04, WM 2005, 2345, 2346). Dies kann die Verpflichtung des Steuerberaters einschließen, den Mandanten auf die Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts hinzuweisen und diese gegebenenfalls auch zu beantragen (OLG Hamburg GI 1986, 41 [Ls]; OLG Düsseldorf GI 2005, 92, 97 f). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 73, 813, 818 ff; 159, 114, 118 f; BFH/NV 2004, 758 f) waren die Finanzbehörden schon vor Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Regelung in § 89 Abs. 2 AO, eingefügt durch Art. 18 Nr. 1 des Förderalismusreform-Begleitgesetzes vom 5. September 2006 (BGBl. I 2006 S. 2098, 2106), ermächtigt, auch außerhalb der §§ 204 ff AO verbindliche Zusagen zu erteilen. Dies stand zwar im Ermessen der Finanzbehörden.

Wie sich jedoch aus den Schreiben des zuständigen Finanzamts vom 13. Oktober 1999 und vom 5. November 2002 ergibt, war dieses bereit, unverzüglich die erbetene Auskunft zu erteilen.

a) Allerdings bedarf die Pflicht, die Einholung einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts zu empfehlen, der Eingrenzung. Hauptaufgabe der steuerberatenden Berufe ist die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen (§ 33 StBerG; vgl. Gehre/von Borstel, StBerG 5. Aufl. § 33 Rn. 5). Es ist daher Sache des Steuerberaters, selbst den ihm vorgetragenen Sachverhalt daraufhin zu prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen (BGH, Urt. v. 13. März 1997 – IX ZR 81/96, WM 1997, 1392, 1393).

Rechtsprüfung und Rechtsberatung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen Rechtsnormen voraus. Notfalls muss sich der steuerliche Berater die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse, soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, ungesäumt verschaffen und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten (BGH, Urt. v. 22. September 2005 – IX ZR 23/04, WM 2005, 2197, 2198). Regelmäßig braucht der steuerliche Berater daher die Einholung einer Auskunft des Finanzamts auch dann nicht zu empfehlen, wenn er bei der rechtlichen Durchdringung des ihm unterbreiteten Sachverhalts auf eine Kontroverse in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der steuerrechtlichen Literatur trifft.

b) Nach dem Gebot des sichersten Weges (vgl. BGH, Urt. v. 21. September 2000 – IX ZR 127/99, WM 2000, 2431, 2435) kann es sich jedoch anders verhalten, wenn die Rechtslage nach Ausschöpfung der eigenen Erkenntnismöglichkeiten ungeklärt und die Angelegenheit von schwer wiegender Bedeutung für die Entscheidung des Mandanten ist. Betrifft die Beratung in einem solchen Fall eine einschneidende, dauerhafte und später praktisch nicht mehr rückgängig zu machende rechtliche Gestaltung, hat der Steuerberater die Einholung einer Auskunft des Finanzamtes zu empfehlen.

3.

Die Beklagte trifft der Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung. Sie hätte den Klägerinnen nahe legen müssen, eine verbindliche Auskunft so rechtzeitig einzuholen, dass diese noch vor dem Notartermin erteilt werden konnte.

a) Nach § 16 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die erzielt werden bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder des Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu dem insoweit gleich gelagerten § 17 Abs. 1 EStG wird der Tatbestand der Veräußerung in dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem die bürgerlich-rechtliche oder die wirtschaftliche Inhaberschaft auf den Erwerber übergeht (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 28. Februar 1990 – I R 43/86, BStBl II 1990, 615, 616; siehe auch Schmidt/Wacker, EStG 25. Aufl. § 16 Rn. 121, 440 ff).

Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob das zunächst ins Auge gefasste Tranchenmodell eine Versteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns im Jahr des Zuflusses der ersten Kaufpreisrate zur Folge hat, lag im Jahre 1999 nicht vor; auf das von der Revisionserwiderung zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. Juli 2006 (VIII R 32/04) kann nicht abgestellt werden (vgl. BGHZ 145, 256, 261 ff). Die von der Revision angeführte Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 29. April 1993 (BStBl. II 1993, 666) verhält sich nicht zu der genannten Frage. Aufgrund verschiedener Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur war aber davon auszugehen, dass diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht kam. Es entsprach schon damals der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass dem Käufer eines Anteils an Gesellschaften das wirtschaftliche Eigentum im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen ist, wenn er bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hatte, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden konnte, und auch die mit den Anteilen verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen waren (BFHE 141, 509, 513). Mit Urteil vom 10. März 1988 (BStBl. II 1988, 832, 834 f) hat der Bundesfinanzhof daher den sofortigen Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums mit Abschluss des notariellen Vertrags auch dann bejaht, wenn der Übergang der Anteile mit einer Befristung versehen war. In einem Aufsatz über die schrittweise Unternehmens- oder Anteilsveräußerung aus Anlass einer zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Neufassung des § 34 EStG hat Blumers (DB 1988, 2317) darauf hingewiesen, dass ungeachtet des Teilverkaufs eines Unternehmens der volle Veräußerungsgewinn schon im Jahr des ersten Verkaufs anfallen kann. In dem aus demselben Anlass verfassten Aufsatz von Weber (DStZ 1989, 118, 119 f, 121) wird ebenfalls die Schwierigkeit der steuerrechtlichen Beurteilung aufgezeigt. Soweit Weber (aaO S. 121) ein wirtschaftlich einheitliches Rechtsgeschäft auch dann verneinen will, wenn der Neugesellschafter sich verpflichtet, die noch nicht übertragenen Gesellschaftsanteile zu erwerben, betrifft dies den hier nicht gegebenen Fall, dass dem Altgesellschafter unter anderem das Stimmrecht entsprechend seiner Beteiligung weiterhin zusteht.

b) Die Entscheidung über die Gestaltung des Unternehmensverkaufs war von schwer wiegender Bedeutung für die Klägerinnen. Das zu veräußernde Unternehmen bildete bis dahin ihre Existenzgrundlage; der Erlös aus dem Verkauf sollte ihrer Alterssicherung dienen. Die Versteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns im Veranlagungszeitraum 1999 oder 2000 war für sie finanziell nicht zu verkraften und musste daher „unbedingt“ vermieden werden. Die von der Beklagten geschuldete Beratung betraf daher eine einschneidende, dauerhafte und später praktisch nicht mehr rückgängig zu machende Vertragsgestaltung.

c) Die Heranziehung von Steuerberater B. durch den Ehemann der Klägerin zu 1 entband die Beklagte nicht von ihrer Pflicht, rechtzeitig die Einholung einer verbindlichen Auskunft zu empfehlen. Beauftragt ein Mandant nebeneinander zwei voneinander unabhängig tätige rechtliche Berater, so haben beide einen eigenständigen Pflichten- und Verantwortungsbereich. Keiner ist in seinem Pflichtenkreis als Erfüllungsgehilfe des anderen im Sinne des § 278 BGB tätig (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987 – IX ZR 41/86, NJW 1988, 1079, 1082; v. 24. März 1988 – IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3014). Selbst wenn die Berater voneinander wissen, darf keiner seine eigenen Pflichten im Vertrauen darauf vernachlässigen, der andere werde die seinen erfüllen (BGH, Urt. v. 8. Juli 1993 – IX ZR 242/92, NJW 1993, 2676, 2677). Die Ansicht der Revision, die Einholung der verbindlichen Auskunft sei allein Sache des Steuerberaters B. gewesen, kann sich nicht auf entsprechende Feststellungen stützen.

Aus dem von ihr angeführten Schreiben dieses Steuerberaters vom 26. August 1999 ergibt sich das keineswegs. Die gegenteilige Wertung der Revision verstößt auch gegen die tatrichterlichen Feststellungen zum Umfang des Mandats der Beklagten. Im Übrigen würde sie die Annahme einer in erster Linie den Steuerberater B. treffenden Pflicht, die verbindliche Auskunft zu beantragen, nicht entlasten. Denn dann hätte das Ausbleiben einer rechtzeitigen Antragstellung sie veranlassen müssen, selbst einzugreifen (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juli 2001 – IX ZR 246/00, NJW 2001, 3477, 3478).

d) Das von Steuerberater B. im Schreiben vom 30. August 1999 an die Beklagte erwähnte und von dieser mit Schreiben vom 15. und 21. September 1999 an die Käuferseite weitergetragene Optionsmodell mag zwar geeignet gewesen sein, das beschriebene steuerliche Risiko zu vermeiden. Es verschaffte dem Käufer jedoch eine ungleich stärkere zivilrechtliche Stellung, die schließlich dazu führte, dass die zunächst in der Hand der Klägerinnen verbliebenen Gesellschaftsanteile nur zu einem erheblich geringeren Kaufpreis veräußert werden konnten.

e) Ob und in welcher Weise sich die durch Art. 10 Nr. 9 des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006 S. 2878, 2902) eingeführte Gebührenlast (vgl. § 89 Abs. 3 bis 5 AO) auf die Pflicht des Steuerberaters auswirkt, gegebenenfalls die Einholung einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts zu empfehlen, bedarf hier keiner Entscheidung.

f) Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht „rein spekulativ“, ob die Beklagte noch vor dem Notartermin am 27. September 1999 eine Auskunft des zuständigen Finanzamts hätte herbeiführen können. Das Berufungsgericht hat diese Möglichkeit in tatrichterlicher Würdigung bejaht; Rechtsfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Der Vertragsentwurf lag der Beklagten, die bereits mit den steuerrechtlichen Fragen des beabsichtigten Unternehmensverkaufs befasst war, seit Ende August 1999 vor; der Entwurf wies keine für die Beurteilung der steuerrechtlichen Fragen erheblichen Lücken auf. Spätestens von diesem Zeitpunkt an konnte die Beklagte auch die formellen Anforderungen, die nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 24. Juni 1987 (BStBl 1987 I, 474) an einen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft zu stellen waren, erfüllen.

4.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerinnen einer Empfehlung, eine verbindliche Auskunft des Finanzamts einzuholen, gefolgt wären und dass diese – inhaltsgleich mit der später erteilten Auskunft vom 13. Oktober 1999 – rechtzeitig vor Abschluss des notariellen Vertrages am 27. September 1999 eingegangen wäre (zur Maßgeblichkeit der mutmaßlichen Behördenentscheidung insoweit vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 1993 – IX ZR 173/92, NJW 1993, 2799, 2801 f; v. 28. September 1995 – IX ZR 158/94, NJW 1995, 3248, 3249).

Die Vorinstanz hat sich ferner die Gewissheit verschafft, dass auch die Käuferseite nach einer rechtzeitigen positiven Auskunft des Finanzamts an dem zunächst ausgehandelten Tranchenmodell festgehalten hätte. Soweit die Revision dies in Zweifel zieht, versucht sie lediglich, ihre Würdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen; damit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts sind auch nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Der in der Berufungsbegründung unter Beweis gestellten Behauptung der Beklagten, der Käufer sei nicht mehr bereit gewesen, von der Optionslösung abzuweichen, brauchte das Berufungsgericht nicht nachzugehen. Es hat mit Recht darauf abgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, rechtzeitig die steuerliche Seite des geplanten Unternehmensverkaufs zu klären und das weitere Vorgehen – auch gegenüber der Käuferseite – danach auszurichten. Die durch die verspätete Einholung der verbindlichen Auskunft des Finanzamts nicht rechtzeitig beseitigte Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung führte dazu, dass die Vertragsparteien das Optionsmodell vereinbarten.

Wenn dieses dem Käufer wirtschaftlich so attraktiv erschien, dass er nicht mehr bereit war, davon abzugehen, ist dies der Beklagten zuzurechnen, weil diese dem Käufer kurz vor dem Notartermin das Optionsmodell schriftlich angetragen hatte. Damit hat sie die vom Berufungsgericht festgestellte Fehlberatung fortgesetzt.

5.

Der entstandene Schaden ist der Beklagten zuzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass der den Klägerinnen entgangene Gewinn Folge der zivilrechtlichen Gestaltung des Anteilskauf- und Optionsvertrags vom 27. September 1999 war. Die Beklagte war nach den Feststellungen der Vorinstanzen verpflichtet, die Klägerinnen auch in (zivil-)rechtlicher Hinsicht zu beraten. Selbst wenn sich aber das Mandat auf die steuerrechtliche Seite des Unternehmensverkaufs beschränkt hätte, stünde die Zurechnung des Schadens nicht infrage.

Denn die richtige Beratung über die steuerlichen Fragen war Voraussetzung für den angestrebten möglichst günstigen Unternehmensverkauf. Der durch dessen zivilrechtliche Gestaltung entstandene Schaden wird daher vom Schutzzweck der verletzten Beratungspflicht umfasst (vgl. BGH, Urt. v. 18. Januar 2007 – IX ZR 122/04, z.V.b.).

Zwar steht es im Ermessen des Finanzamts, eine verbindliche Auskunft zu erteilen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei Verwaltungsentscheidungen danach zu unterscheiden, ob der Behörde ein Ermessen eingeräumt war. Ist dies zu bejahen, hat der Regressrichter festzustellen, welche Entscheidung die Behörde tatsächlich getroffen hätte (BGH, Urt. v. 23. November 1995 – IX ZR 225/94, NJW 1996, 842, 843). Hier haben die Vorinstanzen festgestellt, dass das Finanzamt die erbetene Auskunft, so wie später geschehen, fristgerecht erteilt hätte. Entschloss sich das zuständige Finanzamt jedoch, die begehrte Auskunft zu erteilen, war es inhaltlich an Gesetz und Recht gebunden.

Daher ist insoweit grundsätzlich darauf abzustellen, wie die Behörde richtigerweise hätte entscheiden müssen (BGHZ 145, 256, 260; Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1067). Ob hier im Blick auf den Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht eine Ausnahme von den Regeln des normativen Schadensbegriffs zu machen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn die später erteilte Auskunft war richtig. Auch nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist für die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums im Rahmen einer Gesamtbildbetrachtung darauf abzustellen, ob der Käufer bereits eine rechtlich geschützte Erwerbsposition, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, erlangt hat, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (BFH DB 2006, 2665).

Der dem Tranchenmodell folgende Entwurf eines Anteilskauf- und Übertragungsvertrags sah in § 17 einen variablen Kaufpreisteil vor. Danach sollte sich der Preis im Falle einer Steigerung der Umsatzerlöse, des Rohertrags und des Betriebsergebnisses um jeweils festgesetzte Prozentsätze erhöhen. Folglich sollte die Chance einer Wertsteigerung noch in wesentlichem Umfang bei den Klägerinnen als Verkäuferinnen verbleiben. Des Weiteren war in dem Entwurf eines Gesellschaftsvertrags vorgesehen, dass in erheblichem Umfang die Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen entscheidet. Das sollte etwa für die Erhöhung des Kommanditkapitals (§ 3 Abs. 4), die weitere Änderung des Gesellschaftsvertrags, die Änderung der Konten, den Jahresabschluss und die Ergebnisverwendung (§ 8) gelten.

Schließlich verblieb nach § 12 das Gewinnbezugsrecht im Umfang der zunächst zurückbehaltenen Gesellschaftsanteile bei den Klägerinnen. Insgesamt kann nach dem Gesamtbild nicht von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den zunächst bei den Klägerinnen verbliebenen Anteilen gesprochen werden.

6.

Die Frage, ob die nur zum Grunde zugelassene Revision der Beklagten sich darauf berufen kann, den Klägerinnen sei kein Schaden entstanden, bedarf keiner Klärung (vgl. dazu Musielak, ZPO 5. Aufl. § 304 Rn. 16 ff). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der umgewandelten Gesellschaft führt nicht zu einem Wegfall des Kaufpreisanspruchs der Klägerinnen.

Zwar folgt hieraus ein nachträgliches Leistungshindernis, wenn im Insolvenzzeitpunkt nach dem Tranchenmodell noch nicht alle Kommanditanteile an den Erwerber übertragen worden waren (vgl. RGZ 143, 20, 21 ff; BGHZ 24, 279, 297). Das Berufungsgericht hat aber in tatrichterlicher Auslegung der hier gegebenen Vertragsgestaltung angenommen, dass dieses Risiko vom Käufer der Gesellschaftsanteile übernommen worden war. Nach § 324 Abs. 1, § 440 Abs. 1 BGB a.F. behält der Verkäufer den Anspruch auf den Kaufpreis, wenn der Käufer das Risiko eines Leistungshindernisses übernommen hat. Ob dies der Fall ist, ist mangels einer ausdrücklichen vertraglichen Risikoübernahme im Wege der Auslegung des Vertrages zu erforschen (vgl. BGHZ 74, 370, 377 f; BGH, Urt. v. 16. Februar 1956 – II ZR 141/54, LM § 324 BGB Nr. 1; v. 7. Februar 1969 – V ZR 112/65, NJW 1969, 837, 838; v. 25. März 1998 – VIII ZR 244/97, NJW 1998, 2284, 2286). Die hierfür erforderlichen Anhaltspunkte (MünchKomm-BGB/Emmerich, 4. Aufl. § 324 Rn. 14, 15, 18; RGRK/Ballhaus, BGB 12. Aufl. § 324 Rn. 9; Palandt/Heinrichs, BGB 61. Aufl. § 324 Rn. 6) hat das Berufungsgericht in § 17 des dem Tranchenmodell folgenden Vertragsentwurfs vom 26. August 1999 gefunden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung liegt hierin nicht.

7.

Da sich die allein zum Grund zugelassene Revision als unbegründet erweist, sind die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Schadenshöhe einer revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO 26. Aufl. § 543 Rn. 23). Die gegen die Nichtzulassung der Revision zur Höhe des zuerkannten Anspruchs gerichtete Beschwerde der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 6. Juli 2006 zurückgewiesen.


BUNDESGERICHTSHOF

Az.: IX ZR 188/05

Beschluss vom 06.07.2006


 

In dem Rechtsstreit hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 6. Juli 2006 beschlossen:

 

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zur Höhe des zuerkannten Anspruchs in dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 13. Zivilsenat in Freiburg – vom 26. Oktober 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 1.278.229,70 €.

 

 

Gründe:

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

 

Sie ist jedoch unbegründet; weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

Das Berufungsgericht hat Art. 103 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, dass es die von den Klägerinnen in zweiter Instanz vorgetragene „völlig neue Schadensberechnung“ (NZBB 2) als unstreitig behandelt hat. Die Frage, ob ein späteres Vorbringen einer Partei bereits durch vorangegangenes gegenteiliges Vorbringen des Gegners als bestritten zu gelten hat, ist eine Frage des Einzelfalls (BVerfG NJW 1992, 679, 680; BGH, Urt. v. 15. Mai 2001 – VI ZR 55/00, NJW-RR 2001, 1294). Diese Maßstäbe hat das Berufungsgericht ersichtlich nicht verkannt und das von ihm festgestellte prozessuale Verhalten der Beklagten auf den entsprechenden Vortrag im Schriftsatz der Klägerinnen vom 21. April 2004 unter § 138 Abs. 3 ZPO subsumiert. Dagegen schützt Art. 103 Abs. 1 GG nicht.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass § 324 Abs. 1 BGB a.F. auch dann anzuwenden ist, wenn der Käufer das Risiko eines Leistungshindernisses übernommen hat (BGH, Urt. v. 16. Februar 1956 – II ZR 141/54, LM § 324 BGB Nr. 1; v. 7. Februar 1969 – V ZR 112/65, NJW 1969, 837, 838; v. 1. Juni 1979 – V ZR 80/77, NJW 1979, 1818, 1820; v. 25. März 1998 – VIII ZR 244/97, NJW 1998, 2284, 2286). Die Frage, ob der hier geschlossene Vertrag in diesem Sinne auszulegen ist, betrifft ausschließlich den zu beurteilenden Einzelfall und weist keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung auf.
Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

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