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Ausschlussfrist beim Versicherungsvertrag – Teuwidrigkeit der Berufung hierauf

BGH

Az: IV ZR 225/04

Urteil vom 08.06.2005


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2005 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. September 2004 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei ihr genommenen Hausratversicherung in Anspruch, der die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen 1992 (VHB 92) der Beklagten zugrunde liegen.

Zwischen den Parteien bestand seit dem 1. Juli 1994 ein Vertrag über eine Hausratversicherung für die Wohnung des Klägers mit einer Versicherungssumme von 96.000 DM (49.084,02 ¤). Am 16. Juli 1994 kam es in der vom Kläger und seiner damaligen Ehefrau bewohnten Dachgeschoßwohnung in einem Wohn- und Geschäftshaus zu explosionsartigen Verpuffungen, die die gesamte Wohnung in Brand setzten und das Gebäude erheblich beschädigten. Der vom Sachverständigen der Beklagten festgestellte Schaden betrug 81.660 DM (41.752,10 ¤).

Mit Schreiben vom 24. Januar 1996 lehnte die Beklagte gegenüber den Bevollmächtigten des Klägers eine Eintrittspflicht wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles ab. Eine Belehrung über die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG war in diesem Schreiben nicht enthalten, jedoch der Hinweis darauf, daß der Kläger persönlich eine Abschrift des den Bevollmächtigten übersandten Schreibens erhalten habe. Diese Abschrift erhielt der Kläger mit Schreiben der Beklagten vom gleichen Tage gegen Einschreiben/Rückschein. Es ging dem Kläger am 27. Januar 1996 zu. Ob sich in diesem Brief an den Kläger zusätzlich noch ein Anschreiben an diesen persönlich mit einer Belehrung über die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG befand, war zwischen den Parteien in den Vorinstanzen streitig. Die vom Kläger am 13. September 1996 eingereichte Klage wurde der Beklagten am 6. November 1996 zugestellt.

Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus der Hausratversicherung abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. 1. Das Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß die dem Kläger am 27. Januar 1996 zugegangene Postsendung der Beklagten nicht nur eine Ablichtung des Schreibens der Beklagten an die Bevollmächtigten des Klägers enthielt, sondern auch eine an den Kläger persönlich gerichtete Belehrung über die Folgen nicht fristgerechter Geltendmachung des Leistungsanspruchs. Das nimmt die Revision als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung hin. Damit ist die Frist des § 12 Abs. 3 VVG in Lauf gesetzt worden. Der Kläger hat seinen Anspruch erst etwa eineinhalb Monate nach Ablauf dieser Frist durch Klageerhebung geltend gemacht.

2. Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagten sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG zu berufen.

Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf könne in Einzelfällen gemäß § 242 BGB rechtsmißbräuchlich sein, etwa dann, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer hinsichtlich des Laufs der Frist durch sein Verhalten verwirrt habe. Die Bevollmächtigten des Klägers hätten im vorliegenden Fall mangels ausdrücklichen Hinweises zunächst nicht davon ausgehen können, daß der Kläger neben einer Ablichtung des an sie gerichteten Schreibens auch ein gesondertes Schreiben mit der Belehrung nach § 12 Abs. 3 VVG erhalten habe. Gleichermaßen habe es für den Kläger als verständigen Versicherungsnehmer nahegelegen, daß seine Bevollmächtigten dieselbe Nachricht erhalten hätten wie er. Von einem treuwidrigen Verhalten der Beklagten könne jedoch nicht gesprochen werden. Zu einer Versäumung der Frist habe es aus ihrer Sicht nur kommen können, wenn der Kläger seine Bevollmächtigten weder bei Erhalt des Schreibens noch später während des Laufs der Frist auf die erfolgte Belehrung nach § 12 Abs. 3 VVG und die Notwendigkeit einer fristgerechten Klageerhebung hingewiesen hätte. Damit habe auch die Beklagte nicht zwingend rechnen müssen. Sie habe vielmehr davon ausgehen können, daß der Kläger seine Bevollmächtigten bei Erhalt des Schreibens, welches ihm durch Einschreiben/Rückschein zugestellt worden sei, auf die Fristenfrage hinweisen oder diese zumindest fragen würde, ob sie eine Abschrift des an ihn gerichteten Schreibens erhalten hätten. Dem Kläger hätte im übrigen während des Laufs der Frist auffallen müssen, daß seine Bevollmächtigten keine Anstalten unternahmen, nunmehr Klage zu erheben. Deshalb hätte sich der Kläger noch vor Ablauf der Frist Ende Juli 1996 bei seinen Bevollmächtigten erkundigen müssen, was angesichts der laufenden Frist im Hinblick auf die Klageerhebung in die Wege geleitet worden sei. Das habe die Beklagte berechtigterweise erwarten dürfen.

Für ein arglistiges Vorgehen der Beklagten mit dem Ziel, eine Versäumung der Frist herbeizuführen, bestünden keine Anhaltspunkte. Die Fristsetzung gerade gegenüber dem Kläger persönlich habe ihren Grund in dem Umstand gehabt, daß der Kläger sich trotz Bevollmächtigung einer Rechtsanwältin mehrfach persönlich mit der Beklagten in Verbindung gesetzt habe, so daß diese nicht mehr sicher gewesen sei, ob der Kläger seine Rechte selbst habe wahrnehmen oder sich weiter anwaltlich habe vertreten lassen wollen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar hat der Kläger die wirksam in Lauf gesetzte Frist des § 12 Abs. 3 VVG unstreitig nicht eingehalten. Die Beklagte ist jedoch nicht von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden. Ihre Berufung auf die Versäumung der Frist ist im vorliegenden Fall eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB).

1. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung (Palandt/Heinrichs, BGB 64. Aufl. § 242 Rdn. 38 m.w.N.). Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtsmißbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden. Diese tatrichterliche Würdigung kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 – IV ZR 18/04 – VersR 2005, 629 unter II 2 a m.w.N.).

2. Gemessen daran begegnet die Würdigung des Berufungsgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie trägt den Besonderheiten des von der Beklagten gewählten Vorgehens gegenüber dem Kläger und seinen Bevollmächtigten nicht hinreichend Rechnung.

a) Daß die Berufung des Versicherers auf Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann, ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (BGH aaO unter II 2 b). Treuwidrigkeit kommt etwa in Betracht, wenn der Versicherer durch sein Verhalten gegenüber dem Versicherungsnehmer den Eindruck erweckt, er werde sich auf den Ablauf der Frist nicht berufen (BGH, Urteil vom 22. Juni 1988 – IVa ZR 25/87 – VersR 1988, 1013 unter I), aber auch dann, wenn er ihn in anderer Weise davon abhält, seine Ansprüche fristgerecht gerichtlich zu verfolgen oder wenn er den Versicherungsnehmer hinsichtlich des Laufs der Frist verwirrt hat.

b) So liegt der Fall hier: Zwar ist der Versicherer auch dann, wenn der Versicherungsnehmer – wie der Kläger – zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten eingeschaltet und dies dem Versicherer angezeigt hat, nicht gehindert, sein mit der Belehrung über die Rechtsfolgen der Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG verbundenes Ablehnungsschreiben dem Versicherungsnehmer persönlich zu übersenden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1966 – II ZR 131/64 – VersR 1967, 149 unter I 3; Römer/Langheid, aaO Rdn. 53; BK/Gruber, VVG § 12 Rdn. 64). Dabei hat es die Beklagte aber nicht bewenden lassen. Sie hat vielmehr gleichzeitig den Bevollmächtigten des Klägers zwar die Leistungsablehnung mitgeteilt, die gegenüber dem Kläger in Lauf gesetzte Frist aber unerwähnt gelassen. Der Kläger und seine Bevollmächtigten waren daher zu Beginn des Laufs der Sechsmonatsfrist durch ein der Beklagten zurechenbares Verhalten nicht auf gleichem Kenntnisstand: Der Kläger hatte zwar Kenntnis von der Frist des § 12 Abs. 3 VVG, die mit dem ihm selbst zugegangenen Schreiben in Lauf gesetzt worden ist. Er mußte aber nicht davon ausgehen, daß gerade diese Kenntnis seinen Bevollmächtigten fehlen und diese deshalb die notwendigen Schritte zur Fristwahrung unterlassen könnten. Wenngleich das ihm in Ablichtung mitgeteilte Schreiben der Beklagten an seine Bevollmächtigten eine Fristsetzung gemäß § 12 Abs. 3 VVG nicht enthielt, schloß das nicht aus, daß den Bevollmächtigten ebenso in Ablichtung das an ihn gerichtete Schreiben mit Fristsetzung übermittelt worden war. Letzteres lag vielmehr besonders nahe, weil mit Ablauf der Frist der endgültige Verlust seines Anspruchs zu besorgen war und für den Kläger kein Anlaß bestand anzunehmen, die Beklagte werde seine Bevollmächtigten gerade über diese einschneidende, mit der in Lauf gesetzten Frist unmittelbar drohende Rechtsfolge in Unkenntnis lassen. Aus eben diesen Gründen aber konnten auch die Bevollmächtigten des Klägers nicht davon ausgehen, daß über die ihnen mit Schreiben vom 24. Januar 1996 mitgeteilte Leistungsablehnung hinaus gegenüber dem Kläger persönlich die Frist gemäß § 12 Abs. 3 VVG in Lauf gesetzt worden sein könnte. Das gilt schon deshalb, weil sie darin ausdrücklich darauf hingewiesen worden sind, daß eine Kopie „dieses“ Schreibens auch dem Kläger persönlich übersandt worden sei.

c) Infolge dieses Vorgehens der Beklagten hat diese beim Kläger einerseits und bei dessen Bevollmächtigten andererseits Unklarheiten darüber geschaffen, was zur Wahrung der Rechte des Klägers erforderlich war. Während der Kläger davon ausgehen durfte, daß seine Bevollmächtigten in vermeintlicher Kenntnis der in Lauf gesetzten Frist den allein durch Zeitablauf eintretenden Rechtsverlust verhindern würden, konnten die Bevollmächtigten annehmen, die Beklagte habe von einem Vorgehen gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 VVG gerade abgesehen. Schon diese von der Beklagten verursachte irrtümliche Einschätzung der Rechtslage – die sie durch vollständige Information der Bevollmächtigten hätte ausschließen können – hindert sie, sich auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG zu berufen (§ 242 BGB). Daß die Beklagte insoweit einen Arglistvorwurf nicht trifft, ist unbeachtlich.

III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Die Beklagte hat sich auch noch aus anderen Gründen auf Leistungsfreiheit berufen.

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