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Außervollzugsetzung des coronabedingten Verbots – Betrieb von Kosmetikstudios/Massage-Praxen

Oberverwaltungsgericht Saarland – Az.: 2 B 340/20 – Beschluss vom 16.11.2020

Der § 7 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) wird vorläufig außer Vollzug gesetzt, soweit er ein uneingeschränktes und generelles Verbot des Betriebs von Kosmetikstudios und Massage-Praxen unabhängig von der Frage der Erstellung und Einhaltung eines speziellen Hygienekonzepts enthält.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin betreibt unter dem Namen „E.“ ein Kosmetikstudio sowie eine Massage-Praxis. Hierbei bietet sie neben Kosmetikbehandlungen und Massagen auch medizinische Fußpflege und Maniküre an. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb eine Mitarbeiterin.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die ihre Einrichtung betreffende Betriebsuntersagung in der aktuellen, nach ihrem § 13 Abs. 2 VO-CP bis zum 29.11.2020 befristeten Verordnung des Antragsgegners zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 13.11.20201.

Die einschlägige Regelung in § 7 Abs. 4 VO-CP lautet: „Die Erbringung körpernaher Dienstleistungen, wie sie in Kosmetikstudios, Massage-Praxen und ähnlichen Betrieben erfolgt, ist untersagt. Heilmittelerbringer und Gesundheitsberufe sind von den Betriebsuntersagungen ausgenommen. Der Betrieb von Friseursalons und Tattoo- bzw. Piercing-Studios ist im Rahmen der bestehenden Hygienekonzepte weiterhin zulässig.“

Außervollzugsetzung des coronabedingten Verbots - Betrieb von Kosmetikstudios/Massage-Praxen
Symbolfoto: Von hedgehog94/Shutterstock.com

Im vorliegenden Eilverfahren beantragt die Antragstellerin, diese Regelung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit darin ein Betriebsverbot für Kosmetikstudios und Massage-Praxen angeordnet ist. Die Antragstellerin macht geltend, sie sei in existenzgefährdender Weise in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Darüber hinaus sei ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gegeben, da Friseurbetriebe von der Betriebsuntersagung ausgenommen würden und weiter geöffnet bleiben dürften. Kosmetikstudios und Massage-Praxen seien nicht als Treiber des Infektionsgeschehens in Erscheinung getreten. Darüber hinaus sei die Betriebsuntersagung für Kosmetikstudios und Massage-Praxen nicht erforderlich. Die geltenden Hygieneanforderungen stellten ein milderes, gleichermaß geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens dar. Die Maßnahme sei auch nicht angemessen. Bereits in der Vergangenheit habe sie auf der Grundlage des von dem Verband Cosmetic Professionell e.V. erlassenen SARS-CoV-2-Schutzmaßnahmenkonzepts im Hygienebereich besondere Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus getroffen. Die Tür zu ihrem Geschäft sei dauerhaft verschlossen. Zutritt erhielten nur die Kunden, die einen Termin vereinbart hätten. Diese müssten einzeln eintreten und eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Ferner müsse sich jeder Kunde vor dem Betreten die Hände desinfizieren und einen Bogen zur Kontakterfassung ausfüllen. Nach dem Betreten der Geschäftsräume begäben sich die Kunden unmittelbar in die jeweiligen Behandlungsräume. Ein Kontakt von Kunden untereinander sei dadurch ausgeschlossen. Für ihre Geschäftsräume würde zudem eine „Einbahnstraßenregelung“ gelten. Die Bezahlung erfolge nach Abschluss der Behandlung ausschließlich kontaktlos mittels Karte an der Anmeldung, die zusätzlich durch Plexiglasscheiben abgesichert sei. Nachfolgende Kunden müssten zudem außerhalb der Geschäftsräume in ihrem Fahrzeug warten. Die Räumlichkeiten und Gerätschaften würden vor und nach jeder Behandlung desinfiziert und gelüftet. Zudem trügen die Behandlerinnen während der Behandlungen eine FFP2-Maske und Einmalhandschuhe, die jeweils nach der Behandlung gewechselt würden. Während der Kosmetikbehandlung befänden sich die Kunden mit der Kosmetikerin allein im Behandlungsraum. Nur im Falle einer Gesichtsbehandlung sei es dem Kunden erlaubt, seine Mund-Nasen-Bedeckung abzunehmen. In diesen Fällen trügen die Behandlerinnen zusätzlich ein Gesichtsvisier. Eine zusätzliche Barriere zwischen Kunden und Behandler böte zudem auch die bei den Behandlungen verwendete Lupenlampe. Auch bei den Massagen befänden sich ausschließlich der Kunde und die Behandlerin im Behandlungsraum. Auch hier trügen beide Personen dauerhaft eine Mund-Nasen-Bedeckung. Der Kunde mache den Oberkörper frei und breite ein von ihm mitgebrachtes Handtuch auf der zuvor desinfizierten Liege aus. Alle Massagen würden mit Handschuhen durchgeführt, die nach jedem Kunden gewechselt würden. Auch im Rahmen der medizinischen Fußpflege befänden sich lediglich der Kunde und der Behandler im Raum. Auch hier würden die zuvor dargelegten Hygieneregeln und Schutzvorkehrungen gelten. Fußbäder würden ebenso wenig durchgeführt wie kosmetische Behandlungen. Der Behandlungsraum werde regelmäßig desinfiziert, zudem würden die für die Fußpflege vorgesehen Arbeitsmaterialien sterilisiert. Bei der Maniküre befinde sich außer den dargelegten Hygiene- und Schutzvorkehrungen zwischen Behandlerin und Kundin eine Plexiglasscheibe, so dass die Kundin lediglich ihre Hände darunter hindurchschieben könne. Durch die Beachtung der im Einzelnen dargelegten Hygieneregeln würde die Möglichkeit einer Infektion im Geschäft der Antragstellerin soweit wie möglich reduziert. Darüber hinaus sei vorliegend eine Ungleichbehandlung zwischen den einzelnen Dienstleistern gegeben. Die Privilegierung von Friseursalons im Verhältnis zum vollständigen Verbot im Hinblick auf ihr Gewerbe sei nicht gerechtfertigt. Auch die Unterscheidung von Betreibern von Tattoos- und Piercing-Studios sei eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung, da die Arbeitsabläufe in Kosmetikstudios und Massage-Praxen ebenso wie in Tattoo-Studios strengen Hygienevorgaben unterliegen würden. Der Antragstellerin drohten im Falle der weiteren Schließung ihres Betriebes existenzgefährdende Nachteile, da sie weiterhin erhebliche laufende Kosten zu tragen habe und die Verluste, die sie während der ersten Betriebsschließung erlitten habe, bis dato nicht habe abfedern können.

II.

Der Antrag auf eine vorläufige Außervollzugsetzung der generellen Betriebsuntersagung für Kosmetikstudios und Massage-Praxen im § 7 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung des Antragsgegners zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 13.11.20202 im Wege einer einstweiligen Anordnung ist nach Maßgabe des § 47 Abs. 6 VwGO zulässig (A.) und begründet (B.).

A.

Der nach den §§ 47 Abs. 6 und Abs. 1 Nr. 2 VwGO, 18 AGVwGO Saar auf teilweise vorläufige Außervollzugsetzung des § 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP3 im Vorgriff auf die Entscheidung in einem Normenkontrollverfahren gerichtete Antrag des Antragstellers ist bereits vor Stellung des Normenkontrollantrags statthaft.4

Die Antragstellerin ist als unmittelbar betroffene Betreiberin der von der Verbotsnorm erfassten Kosmetikstudios und Massage-Praxen antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 VwGO. Sie ist ferner nach ihrem Vortrag bei Fortdauer der Schließung in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG bzw. in der Freiheit zur unternehmerischen Betätigung (Art. 12 GG) betroffen. Daraus ergibt sich auch ihr Rechtsschutzbedürfnis und das darüber hinausgehende besondere Regelungsinteresse des § 47 Abs. 6 VwGO5 im Sinne gesteigerter „Dringlichkeit“.

B.

Dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass der begehrten Vorabregelung ist auch in der Sache zu entsprechen. Die teilweise vorläufige Außervollzugsetzung des § 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP ist bezogen auf ihren Betrieb mit Blick auf die eigene Betroffenheit im Rechtssinne zur Abwendung schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen „dringend geboten“ (§ 47 Abs. 6 VwGO). Anordnungen auf dieser Grundlage dienen ungeachtet des objektiven Charakters des in der Hauptsache durchzuführenden Normenkontrollverfahrens vor allem dem Individualrechtsschutz beziehungsweise der Sicherstellung seiner Effektivität (Art. 19 Abs. 4 GG).

Bei der Entscheidung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO ist in erster Linie eine prognostische Beurteilung der Erfolgsaussichten des – hier künftigen – Rechtsbehelfs in der Hauptsache, also eines entsprechenden Normenkontrollantrags, vorzunehmen.6 Das im konkreten Regelungszusammenhang bestehende sehr enge zeitliche „Fenster“ für diese prognostische Vorausbeurteilung und der durch Zeitablauf alsbald drohende endgültige Rechts-, in Einzelfällen möglicherweise auch Existenzverlust gebieten in diesen Fällen – soweit möglich – eine über die sonst anzustellende „summarische“ Betrachtung hinausgehende Grundrechtsprüfung. Mit Blick auf diese Grundrechtsbetroffenheit ist erst dann wie bei verfassungsgerichtlichen Vorabentscheidungen eine Folgenabwägung7 anzustellen wenn sich die Erfolgsaussichten nicht verlässlich abschätzen lassen. Hier spricht bei der im zur Verfügung stehenden Zeitfenster allein möglichen überschlägigen Abschätzung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf die Überprüfung der Wirksamkeit des § 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP beschränkter Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein wird.

1.

Der Frage, ob die von der Antragstellerin angegriffene Norm der Rechtsverordnung aus gegenwärtiger Sicht trotz der zum Teil über Monate dauernden Betriebsverbote noch eine ausreichende Grundlage in dem § 32 Satz 1 IfSG8 findet, obwohl in diesem gesamten Zeitraum nie eine zumindest bestätigende oder die zahlreichen erheblichen Eingriffe in Grundrechte der saarländischen Bürgerinnen und Bürger „billigende“ Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers erwirkt wurde, braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden.9

2.

Bei der im vorliegenden Verfahren möglichen Überprüfung lässt sich zumindest unter materiell-rechtlich inhaltlichen Gesichtspunkten ein voraussichtlicher Verstoß der angegriffenen Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP gegen höherrangiges Recht feststellen. Die sich daraus ergebende generelle Betriebsuntersagung unterliegt im Fall der Antragstellerin am Maßstab der Grundrechtsgewährleistungen ernsthaften und im Rahmen der vorliegenden Entscheidung durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt sowohl hinsichtlich des bei der Einschränkung von Freiheitsgrundrechten, hier insbesondere der Berufsfreiheit (Art. 12 GG), durch hoheitliche Maßnahmen immer zu beachtenden Übermaßverbots (dazu unter b.), vor allem aber bezüglich der Nichtbeachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG, dazu im Folgenden zu a.).

Vorab ist klarzustellen, dass es sowohl bei der Betrachtung der Relation zwischen dem vom Normgeber verfolgten Ziel und dem gewählten Mittel, hier den Grundrechtseinschränkungen, an den Maßstäben der Geeignetheit und der Erforderlichkeit, sowie bezogen auf die Auswirkungen (Ziel-Ergebnis-Relation, Verhältnismäßigkeit) im Rahmen des bei den Eingriffen in die beziehungsweise bei Einschränkungen der Freiheitsgrundrechte zu beachtenden Übermaßverbots, als auch bei der Ermittlung der Gleichheits- oder Ungleichheitskriterien im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG nur auf seuchenrechtlich relevante Tatbestände, Umstände und Gesichtspunkte am Maßstab des Ziels ankommt, mit den streitgegenständlichen – befristeten – Betriebsverboten eine weitere Ausbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) beziehungsweise der dadurch hervorgerufenen Erkrankung Covid-19 einen Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie eine Erhaltung einer funktionsfähigen Gesundheitsversorgung im stationären Bereich zu gewährleisten. Demgegenüber geht es nicht um eine inhaltliche Abstufung nach einer „Wertigkeit“ der jeweils zur Rede stehenden, sehr unterschiedlichen grundsätzlich erlaubten Betätigungen der Rechtsschutz Suchenden, hier des Antragstellers oder auch – bezogen auf das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG – der „Vergleichsgruppe“.

a. Die im Grundgesetz gewährleisteten allgemeinen und besonderen Gleichheitsrechte dienen nicht dem Ziel, den von der Anwendung von – hier – Rechtsnormen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern einen „Freiraum“ gegenüber staatlichen Maßnahmen zu gewährleisten. Bei den Gleichheitsrechten, insbesondere auch beim allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG, soll vielmehr verhindert werden, dass einzelne oder auch ganze Gruppen von Grundrechtsinhabern im Vergleich zu anderen „ungleich“ behandelt werden. Nach diesem theoretischen Ansatz kommt es in dem Rahmen nicht primär auf die – bei der Anordnung zur Betriebsschließung sicher hoch anzusiedelnde – Intensität der Auswirkungen für die Betroffenen, sondern darauf an, wie andere, sich in der „gleichen“ Situation befindende Gewerbetreibende im konkreten normativen Kontext oder in „vergleichbarem“ Lebenssachverhalt behandelt werden. Insoweit bestimmt im Ergebnis der Normgeber selbst den Beurteilungsrahmen.

Vor dem Hintergrund reklamiert die Antragstellerin für ihren Betrieb unter Berücksichtigung des von ihr dargelegten umfangreichen Hygienekonzeptes im Ergebnis – bezogen auf ein Hauptsacheverfahren – in der Prognose voraussichtlich zu Recht eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen „körpernahen Dienstleistern“ durch das sie betreffende umfassende Verbot durch den § 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP.

Dass sowohl die Kosmetikbehandlungen als auch die Körpermassagen mit Blick auf die notwendigen engen körperlichen Kontakte zwischen der die Leistungen erbringenden Person und dem Kunden beziehungsweise der Kundin – wie jede Begegnung von Menschen – wegen der körperlichen Nähe grundsätzlich ein Infektionspotenzial besitzen, wird auch von der Antragstellerin nicht bestritten. Das belegen letztlich die in ihrem Schutz- und Hygienekonzept enthaltenen detaillierten Vorgaben, um Gesundheitsrisiken soweit als möglich zu minimieren. Wegen der Einzelheiten kann darauf Bezug genommen werden. Das Infektionsrisiko ist bei deren Beachtung jedenfalls auch im Hinblick auf die vom Antragsgegner angestrebte Vermeidung „unnötiger“ physisch-sozialer Kontakte (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VO-CP) nicht deutlich erhöht gegenüber anderen, in § 7 Abs. 4 Satz 3 VO-CP zugelassenen körpernahen Dienstleistern wie Frisörbetrieben und Tattoostudios.

Auch den Angaben des Robert-Koch-Instituts zu den Infektionsgeschehen lässt sich keine Relevanz des Betriebs von Kosmetik-Studios und/oder Massage-Praxen für die Weiterverbreitung des Corona-Virus entnehmen. Eine wissenschaftliche Bestätigung für die Annahme, dass von der Durchführung einer Massage oder einer kosmetischen Behandlung eine nennenswerte oder besondere Infektionsgefahr ausgeht, ist nicht ersichtlich. So heißt es in dem Abschnitt „Zusammenfassung der aktuellen Lage“ im täglichen Lagebericht des RKI zu Krankheit Covid-19 (Stand: 15.11.2020, dort Seite 1 f.), dass es sich in den meisten Regionen Deutschlands zumeist um ein diffuses Geschehen mit zahlreichen Häufungen in Zusammenhang mit privaten Feiern im Familien- und Freundeskreis, aber zunehmend auch in Gemeinschaftseinrichtungen und Alten- und Pflegeheimen handele. Zum Anstieg der Inzidenzwerte trügen ferner nach wie vor auch viele kleinere Ausbrüche in Krankenhäusern, Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, verschiedenen beruflichen Settings sowie im Zusammenhang mit religiösen Veranstaltungen bei. Die beigefügte Aufstellung der häufigeren Infektionsumfelder weist keine spezifische Kategorie auf, der der Betrieb des Antragstellers zugeordnet werden könnte.

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Besonders evident und sachlich auch aus Sicht des Senats nicht zu rechtfertigen ist die in dem § 7 Abs. 4 Satz 3 VO-CP enthaltene Privilegierung des Weiterbetriebs von „Friseursalons“ im Verhältnis zu dem einem vollständigen Verbot unterworfenen Gewerbe der Antragstellerin.10 Bei den Friseuren geht der Antragsgegner offensichtlich davon aus, dass das Risiko einer Infektion in dem Bereich seuchenrechtlich hinnehmbar sei. Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung ist nicht ersichtlich. Vergleicht man die von der Antragstellerin geschilderten, unter Einhaltung der Hygienevorgaben unterliegenden Arbeits- und Betriebsabläufe in ihrem Kosmetik-Studio mit den durch einen deutlich höheren Kundendurchlauf und zudem viel eher beziehungsweise nahezu ausschließlich durch eine „körpernahe“ Behandlung im Kopfbereich der Kundinnen und Kunden geprägten Friseursalons, ist es nicht nachvollziehbar, warum unter dem hier maßgeblichen Kriterium der Pandemiebekämpfung das Studio der Antragstellerin vollständig geschlossen werden muss, wohingegen die zahlenmäßig wohl immer noch viel häufiger anzutreffenden Friseurgeschäfte aus Sicht des Antragsgegners hinnehmbar erscheinen. Infolge der vorbehaltlos erlaubten Erbringung von Friseurdienstleistungen sind unter anderem auch zeitaufwändige Tätigkeiten wie Haarfärben und Haarverlängerungen sowie „kosmetische“ Dienstleistungen wie etwa Permanent-Makeup-Behandlungen zulässig. Von daher ist auch das Argument der vergleichsweise höheren „Systemrelevanz“ des Friseurgewerbes nicht überzeugend. Das gilt auch für den Hinweis, dass Dienstleistungen im Friseurgewerbe „schwerpunktmäßig der Grundversorgung der Bevölkerung“ dienten. Vor dem Hintergrund dürfte die Ungleichbehandlung der Antragstellerin im Vergleich zu anderen nach wie vor erlaubten körpernahen Dienstleistungen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich unter dem allein relevanten Aspekt der seuchenrechtlichen Ziele der Verordnung aus heutiger Sicht auch unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums des Verordnungsgebers im Hauptsacheverfahren am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen sein.

b. Insbesondere vor dem Hintergrund der Angaben der Antragstellerin zu ihren Arbeitsabläufen und dem von ihr erstellten Hygienekonzept ist es darüber hinaus naheliegend, dass auf den Normenkontrollantrag hin nach gegenwärtigem Stand in der Hauptsache auch eine Verletzung der Freiheitsgrundrechte der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und des Art. 14 GG (Eigentum, Gewerbebetrieb) anzunehmen wäre.

Beide Grundrechte unterliegen zwar einem Schranken- beziehungsweise Ausgestaltungsvorbehalt durch den Gesetzgeber, bei dessen Aktivierung diesem ebenfalls ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich des beim Erlass einschränkender Normen in erster Linie zu beachtenden Übermaßverbots zukommt. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei dem vom Antragsgegner verfolgten Regelungsziel des Gesundheitsschutzes um gewichtige Belange handelt,11 erscheint es vor dem Hintergrund der in mehrfacher Hinsicht bei den Betrieben der Antragsteller allenfalls sehr eingeschränkten Infektionsrisiken zumindest zweifelhaft, ob sich die zur Verhinderung der Weitergabe des SARS-CoV-2 Virus angeordnete umfassende Betriebsuntersagung (§ 7 Abs. 4 Satz 1 VO-CP) auch bei Berücksichtigung der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen als eine insgesamt erforderliche und verhältnismäßige Maßnahme darstellt. Um eine Vermeidung von „Menschenansammlungen“ beziehungsweise in der Anzahl „unnötiger“ physisch-sozialer Kontakte geht es dabei erkennbar nicht. In dem Zusammenhang rechtfertigt die aktuelle Situation zumindest aus Sicht des Antragsgegners, anders als bei dem Betrieb der Antragstellerin, jedenfalls noch eine Offenhaltung des gesamten Einzelhandels.12

C.

Die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO in Form eines der Antragstellerin drohenden „schweren Nachteils“ unterliegt mit Blick auf die ungeachtet der aktuellen Geltungsdauer der Verordnung zeitlich nicht absehbaren wirtschaftlichen Folgen der Schließung ihres Studios keinen Bedenken. Der bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt nach der aktuellen Fassung der Verordnung nur noch verbleibende vergleichsweise kurze Restzeitraum der – allerdings nach allen öffentlichen Verlautbarungen zum sogenannten „Shutdown Light“ zu verlängernden – Geltungsdauer der Verordnung bis 29.11.2020 rechtfertigt es nicht, einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin zu verneinen. Daher war ihrem Antrag zu entsprechen. Der Senat weist die Antragstellerin abschließend ausdrücklich darauf hin, dass die Wiederaufnahme und Führung ihres Betriebs angesichts der nach wie vor nicht unerheblichen Bedrohung der Saarländerinnen und Saarländer durch die derzeit wieder stark beschleunigte Ausbreitung von Infektionen mit dem Coronavirus13 im eigenen Interesse mit einer strikten Einhaltung der in der Antragsschrift zugesicherten Hygienemaßnahmen verbunden sein muss. Dass andererseits insbesondere die Öffnung des Studios der Antragstellerin und vergleichbarer Studios dann einen wesentlichen Beitrag zur Verschärfung des Infektionsgeschehens leisten wird, ist nicht auszuschließen, aber auch nicht zu erwarten.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Festsetzung von 15.000,- € orientiert sich an der Praxis des Senats für vergleichbare Einrichtungen. Da der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt, ist die Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht veranlasst.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Fußnoten

1)

vgl. die Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 13.11.2020, Amtsblatt 2020 I vom 14.11.2020, S. 1113 ff.

2)

vgl. die Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, Artikel 2 der Verordnung zur Änderung infektionsschutzrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 13.11.2020, Amtsblatt 2020 I, 1113 ff. vom 14.11.2020

3)

vgl. zur Unbedenklichkeit der inhaltlichen Begrenzung des Normenkontrollantrags auf einzelne Vorschriften unter dem Aspekt einer „Teilbarkeit“ der auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche mit einer jeweils eigenen Betroffenheit zielenden Vorschriften der Verordnung etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23.6.2020 – 2 B 222/20 –, Juris, dort zu § 4 Abs. 4 VO-CP OVG <Sisha-Café>, ständige Rechtsprechung

4)

vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.9.2011 – 2 B 307/11 -, juris, zuletzt etwa Beschluss vom 6.8.2020 – 2 B 255/20 –, zu Beschränkungen des Besuchsrechts in Alten- und Pflegeheimen <Corona>, PflR 2020, 651, und auf der Homepage des Gerichts

5)

vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.11.2016 – 2 B 283/16 –, SKZ 2017, 70, Leitsatz Nr. 33, wonach die Anforderungen an eine vorläufige Regelung auf der Grundlage des § 47 Abs. 6 VwGO mit Blick auf die grundsätzliche Legitimation des staatlichen Normgebers über das hinausgehen, was der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO voraussetzt

6)

vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 25.2.2015 – 4 VR 5.14 –, BRS 83 Nr. 190, wonach Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO jedenfalls bei Bebauungsplänen zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags sind, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes absehen lassen

7)

vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 5.2.2014 – 2 B 468/13 –, SKZ 2014, 200, Leitsatz Nr. 28, und vom 11.10.2012 – 2 B 272/12 -, SKZ 2013, 44, wonach insoweit für die gebotene Abwägung der beteiligten Interessen auf die Vor- und Nachteile abzustellen ist, die eintreten, wenn die Anordnung antragsgemäß ergeht, die Norm sich später aber als gültig erweist, denen die Folgen gegenüberzustellen sind, die sich ergeben, wenn die Norm vollzogen wird, sich später jedoch deren Ungültigkeit herausstellt

8)

vgl. das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz –, vom 20.7.2000, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 27.3.2020, BGBl. I, Seite 587

9)

vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschluss vom 13.11.2020 – 2 B 320/20 – (Gastronomie)

10)

vgl. bereits Beschlüsse des Senats vom 6.11.2020 – 2 B 306/20 und 2 B 323/20 – (Tattoo- und Piercingstudios)

11)

vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 22.4.2020 – 2 B 128/20 und 2 B 130/20 –, beide bei Juris

12)

vgl. die Vorlage an den Ministerrat zum Verordnungsentwurf, Seite 3 mitte

13)

vgl. etwa den täglichen Lagebericht des Krisenstabs am MSGFuF zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 5.11.2020 – aktualisierter Stand für das Saarland

 

 

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