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Austauschpfändung eines unpfändbaren Fahrzeugs

 BGH

Az: VII ZB 114/09

Beschluss vom 16.06.2011


Leitsatz:

Die Austauschpfändung eines unpfändbaren Kraftfahrzeuges (notwendig zur Ausübung der Erwerbstätigkeit) ist nur zulässig, wenn das Ersatzstück eine annähernd gleiche Haltbarkeit und Lebensdauer wie das gepfändete Fahrzeug aufweist. Das ist dann nicht der Fall, wenn das gepfändete Kraftfahrzeug neun Jahre alt mit einer Laufleistung von 50.000 km, das Ersatzstück dagegen 19 Jahre alt mit einer Laufleistung von 200.000 km ist.


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2011 beschlossen:

Auf die Rechtsmittel der Schuldnerin werden der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 28. Oktober 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Schlüchtern vom 2. April 2009 aufgehoben.

Der Antrag der Gläubigerin vom 13. März 2009, die Austauschpfändung des Pkw Audi TT 1,8 T Roadster/Cabrio der Schuldnerin mit dem amtlichen Kennzeichen M. gegen die Ersatzleistung Volkswagen Golf II 1,3 G-Kat mit der Fahrgestellnummer W. zuzulassen, wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Sache zur Entscheidung über den Hilfsantrag an das Amtsgericht Schlüchtern zurückverwiesen.

Die Gläubigerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Gegenstandswert: 11.750 €

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung von insgesamt 46.014,09 € gegen die Schuldnerin.

Die Schuldnerin ist im Besitz eines Audi TT 1,8 T Roadster/Cabrio, Baujahr 2000, mit einem Händlerverkaufswert von 12.300 €. Mit diesem Fahrzeug legt sie die Wegstrecke zwischen ihrem Wohnort und ihren Arbeitsstellen in den ……….zurück, wo sie als Krankenschwester im Schichtdienst arbeitet.

Die Gläubigerin hat das Fahrzeug am 8. Mai 2008 durch den Gerichtsvollzieher pfänden lassen. Mit Schreiben vom 13. März 2009 hat sie beantragt, eine Austauschpfändung mit der Maßgabe zuzulassen, dass der gepfändete Pkw auszutauschen ist gegen den Pkw Volkswagen Golf II 1,3 G-Kat, Baujahr 1990. Dieses Fahrzeug weist laut TÜV-Bericht vom April 2008 einen Kilometerstand von ca. 200.000 und oberflächliche Verrostungen an der Hinterachse auf und hat „überalterte“ Reifen.

Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht hat mit Beschluss vom 2. April 2009 die Austauschpfändung für zulässig erklärt. Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser begehrt die Schuldnerin die Aufhebung der Austauschpfändung.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1.

Das Beschwerdegericht führt aus, der Pkw der Schuldnerin sei nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar. Die Voraussetzungen für eine Austauschpfändung gemäß § 811a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 ZPO lägen vor, es sei zu erwarten, dass der Vollstreckungserlös den Wert des Ersatzstückes um ein Vielfaches übersteigen und daher ein erheblicher Beitrag zur Tilgung der titulierten Forderung geleistet werde. Das Ersatzstück Pkw VW Golf genüge auch dem geschützten Verwendungszweck, es sei nach Angaben des Zeugen V. und dem TÜV-Bericht vom April 2008 fahrtüchtig. Die Reifen seien zwar „überaltert“, der Zeuge V., bei dem sich der PKW befinde, habe sich jedoch bereit erklärt, neue Reifen aufzuziehen. Der Rost auf der Hinterachse sei nach Bekundung des Zeugen V. lediglich oberflächlich und habe keinen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit. Das unterschiedliche Alter der Fahrzeuge stehe der Austauschpfändung nicht entgegen. Auch der gepfändete Audi TT sei kein Neufahrzeug, sondern ein solches des Baujahrs 2000.

2.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a)

Zutreffend ist die Ansicht des Beschwerdegerichts, die Schuldnerin könne sich auf die Unpfändbarkeit des Kraftfahrzeuges Audi TT berufen, § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, weil sie das Fahrzeug für ihre Fahrten zur Arbeitsstelle benutze und hierauf zur Erzielung von Einkünften angewiesen sei. Das wird von der Rechtsbeschwerde hingenommen.

b)

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts genügt das Ersatzstück jedoch nicht dem geschützten Verwendungszweck der Fortführung der Erwerbstätigkeit, § 811a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO.

aa)

Die Pfändungsverbote des § 811 Abs. 1 ZPO dienen dem Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse und beschränken die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mit Hilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sie sind Ausfluss der in Art. 1 GG und Art. 2 GG garantierten Menschenwürde bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Dem Schuldner und seinen Familienangehörigen soll durch sie die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um – unabhängig von Sozialhilfe – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können (BGH, Beschluss vom 19. März 2004 – IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789).

Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens soll durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erreicht werden, dass der Schuldner seine Arbeitskraft für sich und seine Familienangehörigen einsetzen kann; er soll auch künftig den Unterhalt für sich und seine Familienangehörigen aus eigenen Kräften erwirtschaften können (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – VII ZB 16/09, NJW-RR 2010, 642).

bb)

Bei Fahrzeugen, die dem Schuldner das Erreichen seines Arbeitsplatzes am Dienstort ermöglichen, ist ein Austausch nach § 811a Abs. 1 ZPO grundsätzlich möglich. Ein höherwertiges Fahrzeug kann in der Regel gegen einen einfachen Pkw ausgetauscht werden. Er muss lediglich dem geschützten Verwendungszweck nach seiner Ausgestaltung genügen, er muss jedoch nicht von gleicher Art und Güte sein (MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 811a Rn. 3; Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl., § 811a Rn. 2; PG/Flury, ZPO, § 811a Rn. 3; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 811a Rn. 3; a.M. Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 811a Rn. 3).

cc)

Allerdings ist dem Schutzzweck des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nur dann genüge getan, wenn die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit auch zukünftig und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum gewährleistet ist. Der Schutz des Schuldners nach § 811 ZPO wäre unvollkommen, wenn das Ersatzstück nicht die annähernd gleiche Haltbarkeit und Lebensdauer wie der gepfändete Gegenstand aufweisen würde (Stein/Jonas/Münzberg, aaO Rn. 3; PG/Flury, aaO Rn. 3; Zöller/Stöber, aaO Rn. 3; Musielak/Becker, aaO Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Gruber, aaO Rn. 3).

dd)

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Haltbarkeit und die Lebensdauer des Ersatzstückes der des gepfändeten Gegenstandes annähernd gleich kommt. Der Audi der Schuldnerin war im Zeitpunkt der Austauschpfändung neun Jahre alt, das Ersatzstück VW Golf war 19 Jahre alt. Der Audi besaß eine Laufleistung von ca. 50.000 km, der Golf eine solche von 200.000 km. Zudem waren die Reifen des Golfs überaltert und die Hinterachse angerostet. Die Zusage des Zeugen V., neue Reifen aufzuziehen, muss mangels Rechtserheblichkeit außer Betracht bleiben, da der Zeuge am Zwangsvollstreckungsverfahren nicht beteiligt ist. Es liegt daher mangels vergleichbarer Haltbarkeit kein Ersatzstück vor, das geeignet wäre, den durch das Pfändungsverbot des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützten Verwendungszweck zu erfüllen.

Die angefochtenen Beschlüsse sind daher aufzuheben und der Antrag der Gläubigerin auf Zulassung der Austauschpfändung mit dem angebotenen Ersatzstück VW Golf II ist zurückzuweisen. Das Amtsgericht wird nunmehr über den hilfsweise gestellten Antrag auf Zulassung der Austauschpfändung nach § 811a Abs. 1 Satz 1 2. Alternative ZPO durch Überlassung des zur Beschaffung eines Ersatzstückes erforderlichen Geldbetrages entscheiden müssen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

 

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