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Unfall: Ausweichen vor einem Tier – Ausweichen geboten?

BGH

Az: IV ZR 276/02

Urteil vom: 25.06.2003


Leitsatz:

Wenn ein Dritter eine Rettungshandlung auf Kosten des Versicherungsnehmers vorgenommen hat, ist bei der Beurteilung, ob die Aufwendungen für geboten gehalten werden durften, auf die Person des Dritten abzustellen, auch wenn er nicht Repräsentant des Versicherungsnehmers war.


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2003 für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 3. Juli 2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der für einen PKW bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung unterhält, verlangt Ersatz eines Fahrzeugschadens, der durch das Ausweichen vor einem Fuchs entstanden sein soll.

Der Fahrer des vom Kläger versicherten PKW Renault Clio befuhr am 29. Dezember 1999 gegen 20.00 Uhr die Bundesstraße … zwischen H. und K.. Der Kläger gibt an, die Geschwindigkeit habe 80 km/h betragen, als plötzlich ein Fuchs von rechts ins Scheinwerferlicht getreten sei, der die Fahrbahn habe überqueren wollen. Der Fahrer habe gebremst und versucht, nach rechts auszuweichen. Dabei habe er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Der PKW kollidierte mit der rechten und der linken Leitplanke und erlitt hierbei Schäden, die der Kläger abzüglich seines Selbstbehaltes mit 14.000 DM beziffert.

Der Kläger ist der Auffassung, daß die Beklagte ihn für die zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit dem Fuchs unternommene Rettungshandlung des Fahrers gemäß §§ 62, 63 VVG entschädigen müsse.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Rettungskostenerstattung weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Wenn das Ausweichen vor einem Tier zu einem Unfall mit Fahrzeugschaden geführt habe, komme zwar grundsätzlich ein Anspruch des teilkaskoversicherten Versicherungsnehmers auf Rettungskostenersatz in Betracht. Ein solcher Anspruch setze aber voraus, daß die Rettungshandlung zur Abwendung des drohenden Schadens objektiv geboten war oder doch vom Versicherungsnehmer bzw. dem handelnden Dritten, der kein Repräsentant des Versicherungsnehmers gewesen sein müsse, ohne grobe Fahrlässigkeit für geboten gehalten werden durfte. Im vorliegenden Fall sei der Rettungsversuch des Fahrers auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen. Das Ausweichen vor einem Tier zur Vermeidung eines Kraftfahrzeugschadens sei objektiv nicht geboten, wenn der Schaden, der vermieden werden solle, in keinem Verhältnis zum Schadensrisiko des Rettungsversuches stehe. Ein Ausweichmanöver, insbesondere bei gleichzeitiger Bremsung, sei mit einem hohen Risiko sowohl für die Insassen des ausweichenden PKW, für Personen außerhalb und für das versicherte Fahrzeug verbunden. Deshalb sei das Ausweichen nur vor größeren Tieren wie beispielsweise Wildschwein oder Reh geboten, nicht aber vor kleineren Tieren wie z.B. einem Hasen. Bei kleineren Tieren sei die irrtümliche Annahme, daß ein Ausweichen geboten sei, grob fahrlässig. Dies gelte auch für einen Fuchs.

II. Die Revision hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen Aufwendungsersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 62 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1 VVG verneint.

1. Wenn ein Fahrer bei dem Versuch, einem Tier auszuweichen, ohne Zusammenstoß mit dem Tier die Gewalt über sein Fahrzeug verliert und dadurch einen Unfall verursacht, kann dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf Erstattung seines Fahrzeugschadens als „Rettungskosten“ nach § 63 Abs. 1 Satz 1 VVG zustehen. Da die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach Möglichkeit für die Abwendung des versicherten Schadens zu sorgen (§ 62 Abs. 1 Satz 1 VVG), nicht voraussetzt, daß der Versicherungsfall bereits eingetreten ist, sondern auch schon besteht, wenn der Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht (BGHZ 113, 359, 360 f.), kann das Ausweichen vor einem Tier eine Schadensabwehrmaßnahme im Sinne des § 62 Abs. 1 Satz 1 VVG darstellen. Das hat dann zur Folge hat, daß die vom Versicherungsnehmer gemachten Aufwendungen dem Versicherer zur Last fallen, „soweit der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte“ (§ 63 Abs. 1 Satz 1 VVG).

2. Bei der Beurteilung, ob der Versicherungsnehmer die Aufwendungen für geboten halten durfte, ist, wenn ein Dritter die Rettungshandlung auf Kosten des Versicherungsnehmers vorgenommen hat, auf die Person dieses Dritten abzustellen, auch wenn er nicht Repräsentant des Versicherungsnehmers war. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß es für die Erstattung von Rettungskosten zur Vermeidung eines Zusammenstoßes eines Kraftfahrzeugs mit Haarwild nicht darauf ankommt, ob der Versicherungsnehmer selbst oder ein berechtigter Fahrer die Rettungstätigkeit ausgeübt hat. Es ist kein Grund dafür erkennbar, den Versicherer von dem Schaden zu entlasten und den Versicherungsnehmer damit zu belasten, wenn statt des Versicherungsnehmers für ihn der berechtigte Fahrer dessen Vermögen schädigt (BGHZ aaO S. 361). Besteht aber bei einer objektiv gebotenen Rettungshandlung der Kostenerstattungsanspruch des Versicherungsnehmers unabhängig davon, ob ein Dritter gehandelt hat und ob dieser ein Repräsentant des Versicherungsnehmers war, so muß auch für die Frage, ob ein Irrtum über die objektive Gebotenheit dem Anspruch entgegensteht oder nicht, auf die Person des Handelnden abgestellt werden, ohne daß es darauf ankommt, ob er der Versicherungsnehmer oder dessen Repräsentant ist.

3. Im vorliegenden Fall scheitert der Anspruch daran, daß der Fahrer das Ausweichmanöver nicht den Umständen nach für geboten halten durfte.

a) Objektiv war das Brems- und Ausweichmanöver nicht geboten.

(1) Zur Rettung geboten ist eine Handlung nur, wenn die damit verbundenen Aufwendungen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen, nicht aber, wenn sie unverhältnismäßige Kosten verursachen (Palandt/Sprau, BGB 62. Aufl. § 670 Rdn. 4; Stange, Rettungsobliegenheiten und Rettungskosten im Versicherungsrecht S. 63). Geht es um die freiwillige Inkaufnahme eines Schadensrisikos, so darf dieses jedenfalls nicht größer sein als der ohne die Rettungshandlung drohende Schaden.

(2) Droht ein Fahrzeugschaden durch den Zusammenstoß mit einem Tier, so ist dieser versicherte Sachschaden gegen die durch ein Brems- und Ausweichmanöver drohenden möglicherweise mehrfachen Fahrzeug- und Personenschäden abzuwägen, die der Versicherer erstatten muß, falls das Ausweichen geboten war. Bei der Abwägung kommt es auch auf die Größe des Tieres an. Für einen Hasen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, daß die Gefahr, die von einem so kleinen Tier ausgeht, dermaßen gering ist, daß es jedenfalls unverhältnismäßig ist, das hohe Risiko eines ungleich größeren Schadens durch eine plötzliche Fahrtrichtungsänderung in Kauf zu nehmen (Urteil vom 18. Dezember 1996 – IV ZR 321/95 – VersR 1997, 351 unter 2 a).

(3) Ob das gleiche für einen Fuchs gilt, ist keine Rechtsfrage, die vom Bundesgerichtshof unabhängig von den Umständen des Einzelfalles – beispielsweise Größe des Fahrzeugs, Fahrgeschwindigkeit und Straßenverhältnisse – geklärt werden kann. Bei der Entscheidung des Berufungsgerichts, das Ausweichen des Fahrers des Klägers vor dem Fuchs sei objektiv nicht erforderlich gewesen, handelt es sich vielmehr um eine tatrichterliche Würdigung im Einzelfall. Sie bindet das Revisionsgericht, weil sie einen Rechtsfehler nicht erkennen läßt. Die Revisionsrüge, daß das Berufungsgericht wesentliche Umstände nicht berücksichtigt habe, nämlich das Gewicht eines Fuchses von rund 10 kg, das beim Aufprall zu erheblichen Zerstörungen am Fahrzeug geführt hätte, und die mit der Tieferlegung des Fahrzeugs verbundene Gefahr, daß der Fuchs in die Luft geschleudert worden und gegen die Windschutzscheibe geprallt wäre, ist nicht begründet. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das Berufungsgericht diese Umstände nicht erwogen hat. Entgegen der Ansicht der Revision durfte das Berufungsgericht die Gefahrenlage auch aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung, also ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens, beurteilen (BGH, aaO).

b) War die Rettungsmaßnahme objektiv nicht geboten, so gewährt § 63 Abs. 1 Satz 1 VVG Ersatz der Aufwendungen auch dann, wenn der Versicherungsnehmer – hier sein Fahrer – die Aufwendungen nach den Umständen für geboten halten durfte. Hierzu wird überwiegend angenommen, daß dem Versicherungsnehmer bei einem Irrtum über die Gebotenheit nur grobe Fahrlässigkeit schadet. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1996 die Frage, welcher Verschuldensgrad im Rahmen des § 63 VVG allgemein gelte, offengelassen. Gegen jede Einbeziehung von Verschuldenskategorien hat sich dagegen mit beachtlichen Erwägungen Dörner (JR 1997, 501 f.) gewandt; seiner Ansicht nach ist entscheidend, ob ein verständiger Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände der konkreten Situation die mit einem plötzlichen Ausweichmanöver verbundenen Gefahren auf sich nehmen durfte.

Der vorliegende Fall nötigt weder zur Klärung der im Urteil vom 18. Dezember 1996 offengelassenen Frage nach dem Verschuldensgrad noch zu einer Entscheidung, ob der Auffassung von Dörner zu folgen ist. Denn das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß den Fahrer der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft. Damit steht ebenso fest, daß ein verständiger Versicherungsnehmer die mit einem Ausweichmanöver verbundenen Gefahren nicht hätte auf sich nehmen dürfen.

Auch die Bewertung des Berufungsgerichts, der Irrtum des Fahrers über die Gebotenheit des Ausweichens vor einem Fuchs sei grob fahrlässig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Diese tatrichterliche Würdigung ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Nachgeprüft werden kann nur, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder ob beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 – IV ZR 173/01 – VersR 2003, 364 unter II 3 c). Haben die Tatsachengerichte hiergegen nicht verstoßen, sind etwaige unterschiedliche Beurteilungen ähnlich liegender Sachverhalte hinzunehmen. Im vorliegenden Fall läßt die Wertung des Berufungsgerichts, der Fahrer habe grob fahrlässig gehandelt, keinen Rechtsfehler erkennen.


 

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