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Baugenehmigung – fehlende gesicherte Erschließung Hinterliegergrundstück – Notleitungsrecht

VG München – Az.: M 1 K 18.3848 – Urteil vom 12.11.2019

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Anbau an eine bereits bestehende Doppelhaushälfte.

Unter dem 1. Mai 2017 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Anbau an die südöstliche Seite der bereits bestehenden Doppelhaushälfte auf der FlNr. 1047/4 Gemarkung … (die in der Folge genannten Flurnummern beziehen sich alle auf die genannte Gemarkung), das in seinem Miteigentum steht. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Baulinienplans, der durch die Regierung von Oberbayern am 10. Februar 1928 genehmigt wurde. Das damalige Grundstück FlNr. 1047 wurde im Jahr 1967 mit einer Doppelhaushälfte bebaut. Es grenzte damals unmittelbar an die öffentliche Straße an. In der Folge wurde das Grundstück geteilt und die jetzige FlNr. 1047/4 liegt nun nicht mehr an einer öffentlichen Straße. Das Grundstück grenzt im Südwesten an die Grundstücke FlNrn. 1046/1 und 1046/11, im Nordwesten an das Grundstück FlNr. 1047, im Nordosten an das Grundstück FlNr. 1048/1 und im Südosten an das Grundstück FlNr. 1047/5. An das Grundstück 1047/5 grenzen die FlNrn. 1046/12 und 1053/5, die als Zufahrt zur öffentlichen Straße genutzt werden. An den Grundstücken FlNrn. 1047/5 und 1053/5 ist der Kläger Miteigentümer. Auf dem Grundstück FlNr. 1046/12 besteht ein im Grundbuch eingetragenes „Einfahrtsrecht“. Weitere dingliche Sicherungen erfolgten im Zusammenhang mit den Grundstücksteilungen nicht.

Mit Schreiben vom … Oktober 2017 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass der geplante Anbau ausschließlich als Wohnraum genutzt werden solle. Ferner wurde angegeben, dass Teile des bestehenden Wohnraums in ein Büro und ein Lager für ein von ihm betriebenes Gewerbe (selbständiger Bauleiter) umgenutzt werden sollten. Der Antrag auf Nutzungsänderung des bestehenden Gebäudes wurde nach einem in der Folge ergangenen Hinweis durch die Beklagte mit weiterem Schreiben des Klägers vom 22. Januar 2018 wieder zurückgezogen.

Mit Schreiben vom 1. März 2018 wurde der Kläger um Vorlage eines Nachweises über die Sicherung der Erschließung gebeten. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, dass er für den Fall der Nichtvorlage eines Nachweises gleichzeitig zur Ablehnung seines Bauantrags angehört werde.

In der Folge teilte der Kläger mit, dass er seinen Bauantrag nicht zurückziehen werde.

Mit Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2018 wurde der Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Grundstück grenze nicht an eine öffentliche Straße an. Es sei keine gesicherte Erschließung hinsichtlich der zur Ver- und Entsorgung notwendigen Leitungen vorhanden. Erforderliche dinglich gesicherte Leitungsrechte seien nicht nachgewiesen. Ein Notleitungsrecht reiche nicht zur gesicherten bauplanungsrechtlichen Erschließung aus.

Mit Schriftsatz vom …. August 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, erhob der Kläger durch seine Verfahrensbevollmächtigte Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 25. Juli 2018 aufzuheben und die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, die erforderlichen Versorgungsleitungen seien bereits vorhanden. Die Baugenehmigung für die Doppelhaushälfte sei schon im Jahr 1967 erteilt worden. Der Verlauf der Leitungen folge dem Entwässerungsplan aus dem Jahr 1967. Bereits damals seien die Leitungen über die Grundstücke FlNrn. 1053/5 und 1046/12 verlaufen. Es habe sich schon immer um ein sog. Hinterliegergrundstück gehandelt. Die Teilung der Grundstücke habe dazu geführt, dass die Eigentümer nicht mehr identisch gewesen seien. Das Leitungsrecht sei zwar nie dinglich abgesichert worden. Die wegemäßige Erschließung sei jedoch von vorneherein über FlNr. 1053/5 vorgesehen gewesen. Durch den Anbau entstehe keine rechtlich relevante Intensivierung des bereits vorhandenen Notleitungsrechts. Ein bestehendes Notleitungsrecht könne auch eine Nutzungserweiterung oder -änderung umfassen.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen entgegen und beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid.

Am 12. November 2019 wurde zur Sache mündlich verhandelt; hierzu wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Eine Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Vorhaben des Klägers widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde im vorliegend einschlägigen vereinfachten Verfahren unter anderem die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB.

Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da die Erschließung nicht gesichert ist.

Das Vorhaben liegt unstreitig im Innenbereich im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans, der ausschließlich Regelungen zu den Baulinien enthält, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit diesbezüglich nach § 30 Abs. 3 BauGB und ergänzend nach § 34 Abs. 1 BauGB richtet. Gem. § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

Die Erschließung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB muss mindestens den Anschluss des Baugrundstücks an das öffentliche Straßennetz, die Versorgung mit Elektrizität und Wasser sowie die Abwasserbeseitigung umfassen. Das Baugesetzbuch enthält keine Regelungen darüber, wann die Erschließung gesichert ist; insoweit sind landesrechtliche Bestimmungen und örtliche Gegebenheiten maßgebend und ferner das, was an ortsüblicher Erschließung erwartet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 18.12.2001 – 15 N 97.2906 – juris Rn. 26). Die Erschließung muss gesichert sein, das heißt, ihre dauerhafte Benutzbarkeit muss spätestens ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der geplanten baulichen Anlage sichergestellt sein (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 30 BauGB, Rn. 38 ff.; VG Ansbach, U.v. 23.3.2007 – AN 3 K 06.01837 – juris Rn. 44).

Ein Grundstück ist hinsichtlich der Versorgung mit Wasser und der Abwasserbeseitigung in der Regel dann erschlossen, wenn es an einer öffentlichen Verkehrsfläche liegt, in der ein zur Einrichtung gehörender Kanal verläuft. Bei einem Hinterliegergrundstück muss die Möglichkeit bestehen, nach Durchquerung eines Zwischengrundstücks einen Anschluss herzustellen, und dieser muss rechtlich und tatsächlich auf Dauer gesichert sein (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.1997 – 23 B 95.3277 – juris Rn. 33). Dies setzt voraus, dass zulasten des Vorderliegergrundstücks und zugunsten des Hinterliegergrundstücks entsprechende Grunddienstbarkeiten bestellt sind (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.1999 – 23 ZS 99.1327 – juris Rn. 2).

Das streitgegenständliche Grundstück liegt vorliegend aufgrund der vollzogenen Grundstücksteilungen nicht mehr an einer öffentlichen Verkehrsfläche. Die bestehenden Leitungen laufen über die FlNrn. 1047/5, 1046/12 und 1053/5. Zwar hat der Kläger Miteigentum an den Grundstücken FlNrn. 1047/5 und 1053/5. Das Grundstück FlNr. 1046/12 steht jedoch weder im Alleigentum noch im Miteigentum des Klägers, so dass es für die Gewährleistung der dauerhaften Benutzung dieser Leitung einer dinglichen Sicherung bedürfte. Es besteht jedoch keine im Grundbuch eingetragene dingliche Sicherung der Ver- und Entsorgungsleitungen über die FlNr. 1046/12 oder die angrenzenden Nachbargrundstücke. Auch ein evt. entstehendes Notleitungsrecht genügt nicht für das Vorliegen einer gesicherten Erschließung. In Bayern fehlt es für ein Notleitungsrecht an besonderen landesrechtlichen Vorschriften, so dass für die Geltendmachung eines Notleitungsrechts § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB bzw. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB analog zur Anwendung kommen (vgl. Brückner, in Münchener Kommentar zum BGB, § 917 Rn. 57; BGH, U.v. 22.6.1990 – V ZR 59.89 – NJW 1991, S. 176). Gem. § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB hat infolge der Veräußerung eines Grundstücksteils der Eigentümer desjenigen Grundstücksteils, über welchen die Verbindung bisher stattgefunden hat, den Notweg zu dulden. Die Regelung wird ebenso wie die Neubegründung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend auf Notleitungsrechte angewandt. Ein Notleitungsrecht sichert jedoch gerade nicht eine allgemeine Benutzbarkeit der bestehenden Leitungen für jedermann, was für eine gesicherte Erschließung erforderlich wäre, da notwegberechtigt nur der Eigentümer des abgeschnittenen Grundstücks ist (vgl. zum Notwegerecht BayVGH, B.v. 2.12.2005 – 6 CS 05.1522 – juris Rn. 16). Eine Notleitung stellt gerade nur eine vorübergehende Lösung dar, die nur im Notfall greifen, jedoch nicht als dauerhafte Erschließung dienen kann (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 24.10.1996 – 2 B 94.3416 – BeckRS 1997, 22030). Das kraft Gesetzes entstehende Notleitungsrecht will sicherstellen, dass ein Grundstück, bei dem bisher über das nunmehr veräußerte Grundstück eine Verbindung mit dem öffentlichen Weg tatsächlich und rechtlich möglich war, nicht verbindungslos wird und eine ordnungsgemäße Benutzung nicht mehr möglich wäre. Dies kann nur für bereits bestehende Missstände in Folge einer Grundstücksteilung gelten, nicht jedoch hinsichtlich der Bewertung neuer baulicher Anlagen. Würde man den Eigentümern der Nachbargrundstücke die Duldung des Notleitungsrechts für den beantragten Anbau aufzwingen, so würde dies eine Beeinträchtigung des Eigentums darstellen, die nicht mehr nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB zu rechtfertigen wäre. Daran ändert nach Auffassung der Kammer auch die Tatsache nichts, dass die bereits bestehenden Leitungen durch den Anbau möglicherweise nicht verstärkt genutzt würden. Der Anbau ist als neue bauliche Anlage gesondert von dem bereits bestehenden Gebäude zu betrachten und die Zulässigkeit ist anhand der aktuellen gesetzlichen Vorschriften zu bewerten.

Nur ergänzend weist die erkennende Kammer darauf hin, dass die Erteilung einer Ausnahme oder einer Befreiung vom Vorliegen einer gesicherten Erschließung nicht möglich ist (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 34 BauGB, Rn. 65), da diese für die Bebauung schlechterdings unverzichtbar ist und schon aus diesem Grund nicht zu den Festsetzungen i.S. des § 31 BauGB gehört, von denen Ausnahmen oder Befreiungen erteilt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 21.2.1986 – 4 C 10.83 juris Rn. 18).

Ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung besteht demnach nicht.

II. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG).

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