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Baustelle – Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Verschließens einer Tür

OLG München – Az.: 3 U 2931/13 – Urteil vom 02.07.2014

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Traunstein vom 02.07.2013, Az. 8 O 337/12, wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 35% und die Beklagte 65%. Der Kläger trägt 35 % der Kosten der Nebenintervenienten auf Beklagtenseite. Die Beklagte hat 65 % der Kosten der Nebenintervenientin auf Klägerseite. Im Übrigen haben die Nebenintervenienten ihre Kosten selbst zu tragen.

3. Das Urteil ist für jede der Parteien vorläufig vollstreckbar. Jede der Parteien kann die Zwangsvollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis 29.10.2013 auf 72.235,00 € (15.000,00 € + 43.484,00 € + 13.751,00 €) und ab 30.10.2013 auf 36.117,50 € (50 % von 72.235,00 €) festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Unfall auf dem Bauvorhaben der Beklagten.

Hinsichtlich des unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 250/252 d.A.) verwiesen.

Baustelle - Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Verschließens einer Tür
Symbolfoto: Von Suti Stock Photo /Shutterstock.com

Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil (Bl. 249 d.A.) berichtigt durch Beschluss vom 20.08.2013 (Bl. 289/293 d.A.) die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet, aus dem Montageunfall vom 28.10.2010 gegen 7.15 Uhr (Unfallort: Bauvorhaben W.straße 16, … W.) an den Kläger ein Schmerzensgeld unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.01.2011 zu bezahlen (Urteil Ziffer I.). Die Beklagte wurde weiter dem Grunde nach verpflichtet, an den Kläger Schadensersatz unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % sowie entsprechende Rechtsanwaltskosten zu bezahlen, soweit derartige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind (Ziffer II.). Zudem wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Montageunfall vom 28.10.2010 gegen 7.15 Uhr (Unfallort: Bauvorhaben W.straße 16, … W.) zu erstatten, soweit derartige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind (Ziffer III.). Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen (Ziffer IV.) und die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten (Ziffer V.).

Das Landgericht hat wie folgt ausgeführt:

Die Beklagte habe ausdrücklich und rein bezogen auf das Verschließen der streitgegenständlichen Tür zum Technikschacht eine Verkehrssicherungspflicht übernommen. Davon sei das Gericht überzeugt aufgrund der Aussagen der Zeugen L., R. und B. Die Haftung der Beklagten sei auch nicht nach den Grundsätzen des sog. gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt. Eine Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII liege nicht vor, da sich der Unfall nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet habe. Der Kläger müsse sich allerdings ein Mitverschulden in Höhe von 50 % anrechnen lassen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils (Bl. 253/257 d.A.) verwiesen.

Gegen das Urteil haben der Kläger (Schriftsatz vom 05.08.2013 = Bl. 308/310 d.A.) und die Beklagte (Schriftsatz vom 05.08.2013 = Bl. 314/315 d.A.) Berufung eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 30.10.2013 (Bl. 387 d.A.) – eingegangen bei Gericht am selben Tag – hat der Kläger die Berufung zurückgenommen.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft ein Grundurteil hinsichtlich des Klageantrags Ziffer I erlassen. Ein Grundurteil hinsichtlich der vom Kläger mit Ziffer I erhobenen Teilschmerzensgeldklage setze voraus, dass diese zulässig sei. Daran fehle es. Das Erstgericht habe weiter rechtsirrig den Haftungsausschluss der Beklagten nach den Grundsätzen der sog. gestörten Gesamtschuld verneint. Eine Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII zugunsten der Beklagten greife nur, wenn das versicherte Unternehmen selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätig werde. Dies sei nicht der Fall gewesen. Insofern greife diese Haftungsprivilegierung zutreffend auch nicht. Allerdings kämen die Grundsätze der sog. gestörten Gesamtschuld zum Tragen, denn hinsichtlich des Zeugen B. greife die sozialrechtliche Haftungsprivilegierung. Die Tätigkeiten des Klägers und des Zeugen B. stellten sich als aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken dar. Darüber hinaus sei dem Kläger ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden am Unfall vorzuwerfen. Auch beruhe das Grund- und Teilurteil auf Tatsachenfeststellungen, die nicht ordnungsgemäß getroffen worden seien. Die vom Gericht getroffene Feststellung, der Zeuge B. habe im konkreten Fall ausdrücklich die Verkehrssicherungspflicht für die Beklagte übernommen, finde keinen Anklang in der Beweisaufnahme und den Erklärungen der Zeugen. Zudem habe die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht auf die Firma B. und N. GmbH übertragen. Auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 16.10.2013 (Bl. 370/382 d.A.) wird Bezug genommen.

Die Beklagte und die Nebenintervenienten auf Beklagtenseite beantragen:

Das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Traunstein vom 02.07.2013, Az: 8 O 337/12 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger und die Nebenintervenientin auf Klägerseite beantragen, die Berufung der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Traunstein zurückzuweisen.

Zum Vorbringen der Parteien und der Nebenintervenienten in zweiter Instanz wird ergänzend Bezug genommen auf die zwischen den Parteien und den Nebenintervenienten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen.

Des Weiteren wird verwiesen auf die Beschlüsse des Senats vom 15.10.2013 (Bl. 362/367 d.A.) und vom 19.05.2014 (438/440 d.A.) sowie das Sitzungsprotokoll vom 02.04.2014 (Bl. 134/136 d.A.).

Mit Beschluss vom 03.06.2014 hat der Senat Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet. Auf den Beschluss vom 03.06.2014 (Bl. 442/444 d.A.) wird Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, aus dem Montageunfall vom 28.10.2010 an den Kläger ein Schmerzensgeld unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.01.2011 zu bezahlen. Mit dem Landgericht ist weiter davon auszugehen, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % sowie entsprechende Rechtsanwaltskosten zu bezahlen, soweit derartige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Zu Recht wurde zudem festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50 % sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Montageunfall vom 28.10.2010 zu erstatten, soweit derartige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

1. Erlass des Grundurteils

Ein Grundurteil durfte ergehen. Denn der Hilfsantrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und der Antrag auf Zahlung von Schadensersatz waren nach Grund und Höhe streitig, alle Fragen, die zum Grund gehörten, waren erledigt und nach dem Sach- und Streitstand war zumindest wahrscheinlich, dass die Ansprüche in irgendeiner Höhe bestanden (BGH II ZR 54/99).

1.1. Grundurteil hinsichtlich des Antrags auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes

Soweit die Beklagte meint, das Erstgericht habe rechtfehlerhaft ein Grundurteil hinsichtlich des Klageantrages Ziffer 1 erlassen, da die mit Ziffer 1 erhobene Teilschmerzensgeldklage unzulässig sei (Berufungsbegründung, Seiten 3/4 = Bl. 372/373 d.A.), vermag dieser Einwand der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Kläger hatte nämlich mit Schriftsatz vom 12.09.2012 (Seite 9 = Bl. 129 d.A.) – neben seinem ursprünglichen Antrag auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes – den Hilfsantrag gestellt, die Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu verurteilen. Der Hilfsantrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes war indessen dem Grunde nach gerechtfertigt.

1.2. Keine Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII

a) Keine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 108 Abs. 2 SGB VII

Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 108 Abs. 2 SGB VII war nicht erforderlich. Denn es ging vorliegend nicht um die sozialversicherungsrechtlichen Vorfragen, ob ein Versicherungsfall vorlag, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen waren und ob der Unfallversicherungsträger zuständig war (vgl. § 108 Abs. 1 SGB VII). Hinsichtlich dieser Vorfragen wäre eine Bindung nach § 108 Abs. 1 SGB VII gegeben gewesen.

Zu entscheiden war vielmehr über die haftpflichtrechtliche Frage der gemeinsamen Betriebsstätte i. S. v. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII. Bezüglich dieser Frage ist jedoch keine Bindung i.S.v. § 108 Abs. 1 SGB VII – wie aus dem Wortlaut der Norm folgt – gegeben. Folglich kam auch eine Aussetzung nach § 108 Abs. 2 SGB VII nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 22.01.2013 – VI ZR 175/11; OLG Hamm, Urteil vom 22.03.1999 – 6 W 13/99).

b) Keine gemeinsame Betriebsstätte i.S.v. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII

Zu Recht hat das Landgericht das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.v. § 106 Abs. 3 Fall 3 verneint. Der Unfall, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, hat sich nämlich nicht bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit des Klägers (= Öffnen der streitgegenständlichen Tür und Betreten des Technikschachts) und des Zeugen B. auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH erfasst der Begriff der „gemeinsamen Betriebsstätte“ betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine „gemeinsame“ Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als „dieselbe“ Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen konkreten Arbeitsvorgängen in der konkreten Unfallsituation. Denn der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist nur im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (BGH, Urteile vom 30.04.2013 – ZR 155/12; vom 22. Januar 2013 – VI ZR 175/11; vom 11.10.2013 VI ZR 248/10 jeweils mwN).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken des Klägers mit dem Zeugen B. in der konkreten Unfallsituation war nicht gegeben. Es fehlte sowohl an einem bewussten Miteinander im Betriebsablauf als auch an dem erforderlichen wechselseitigen Bezug betrieblicher Aktivitäten. Nach den Feststellungen des Landgerichts ereignete sich der Unfall, als der Kläger – auf der Suche nach Toren und Material – die unverschlossene Tür zum Technikschacht öffnete und in den hinter der Tür liegenden Schacht trat. Selbst wenn in dem Öffnen der Tür und dem Betreten des Technikschachts eine betriebliche Tätigkeit des Klägers i. S. v. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zu sehen wäre, war diese in keiner Weise auf die Tätigkeit des Zeugen B. bezogen, mit ihr verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet. Es bestand im Unfallzeitpunkt zwischen dem Kläger und dem Zeugen B. auch nicht die für eine gemeinsame Betriebsstätte typische Gefahr, dass sich beide bei den versicherten Tätigkeiten „ablaufbedingt in die Quere“ kamen. Allein der Kläger war dem naheliegenden Risiko ausgesetzt, durch das Fehlverhalten des Zeugen B., d.h. das Nichtabschließen der streitgegenständlichen Tür, zu Schaden zu kommen. Die Gefahr, dass der Kläger beim Öffnen der Tür und Betreten des Technikschachts seinerseits dem Zeugen B. Schaden zufügen könnte, war aufgrund des fehlenden Miteinanders im Arbeitsablauf rein theoretischer Natur (vgl. auch BGH Urteil vom 30.04.2013 – ZR 155/12).

Eine andere rechtliche Bewertung der betrieblichen Aktivitäten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte würde dem Sinn des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII nicht ausreichend Rechnung tragen. Der dort vorgesehene Haftungsausschluss beruht nämlich (nur) auf dem Gedanken der sog. Gefahrengemeinschaft, die dadurch gekennzeichnet ist, dass typischerweise jeder der in enger Beziehung miteinander Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und zum Geschädigten werden kann. Nur demjenigen, der als Schädiger von der Haftungsbestimmung profitiert, kann als Geschädigtem zugemutet werden, den Nachteil hinzunehmen, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend machen kann (BGH, Urteil vom 16.12.2003 – VI ZR 103/03).

Andere Gesichtspunkte, die in den Fällen der §§ 104, 105 SGB VII eine Rolle spielen (Wahrung des Betriebsfriedens, Haftungsersetzung durch die an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Leistungen der Unfallversicherung, die vom Unternehmer finanziert wird), kommen dagegen nicht zum Tragen und können deshalb einen Haftungsausschluss nicht rechtfertigen (BGH, Urteil vom 16.12.2003 – VI ZR 103/03).

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Da zugunsten des Zeugen B. schon keine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung eingreift, scheidet auch eine Haftungsbefreiung der Beklagten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses aus (BGH, Urteil vom 30.04.2013 – VI ZR 155/12). Dahinstehen kann deshalb, ob dem Kläger überhaupt ein Anspruch gegen den Zeugen B. nach § 823 BGB zugestanden hätte, was neben der sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung Voraussetzung für das Vorliegen eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses gewesen wäre.

3. Haftung der Beklagten nach § 831 BGB

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 831 BGB zu.

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte hinsichtlich des Verschließens der streitgegenständlichen Tür zum Technikschacht die Verkehrssicherungspflicht übernommen hatte. Die Beklagte hatte – durch den sie handelnden Zeugen B. – hinsichtlich des Versperrens der streitgegenständlichen Tür die Verkehrssicherungspflicht übernommen, da in der Besprechung vom 19.10.2010 vereinbart worden war, dass die Beklagte die Tür zum Technikschacht verschließt.

Das Landgericht hat insoweit festgestellt, die Zeugen L. und R. hätten übereinstimmend angegeben, dass in der Besprechung vom 19.10.2010, an welcher der Zeuge B. für die Beklagte teilgenommen habe, besprochen und vereinbart worden sei, dass nach Entfernung der Schalungsbühne die Beklagte für das Verschließen der Tür verantwortlich sei. Das Gericht hat weiter festgestellt, es verkenne nicht, dass beide Zeugen in gewisser Weise ein Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben könnten. Nichtsdestotrotz halte das Gericht die Zeugen, auch nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck, für glaubwürdig.

An diese Feststellung ist der Senat gebunden. Denn nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und daher eine erneute Feststellung gebieten. Die grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts entfällt nur dann, wenn eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei einer Beweiserhebung die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellen wird (vgl. BT-Drs. 14/6036, S. 123 f; BGH NJW 2006, 153; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 33. Aufl. 2012, § 529 Rn. 3, 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 529 Rn. 6). Die lediglich abstrakte Möglichkeit, dass das Berufungsgericht bei einer erneuten Vernehmung zu einer abweichenden Beurteilung gelangt, reicht für die Wiederholung der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren nicht aus. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts erweckt keine Zweifel der vorgenannten Art.

Entgegen der Auffassung der Beklagten (Berufungsbegründung, Seite 9 = Bl. 378 d.A.) war auch eine wirksame Übernahme der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte gegeben. Denn nach der Feststellung des Landgerichts war in der Besprechung vom 19.10.2010 vereinbart worden, dass die Beklagte, die im Besitz des Schlüssels war, die Tür verschließt. Durch die Übernahme des Aufgabenkreises „Verschließen der Tür zum Technikschacht“ hatte die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Versperrens der streitgegenständlichen Tür durch Vertrag übernommen (vgl. auch Palandt/Sprau, BGB, 73. Auflage 2014, § 823 BGB Rn. 50, wonach die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten durch Vertrag zulässig ist und sich die Absprache selbst stillschweigend aus den Umständen ergeben kann, insbesondere der Übernahme eines entsprechenden Aufgabenkreises).

Zu Recht hat das Landgericht auch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angenommen, denn die Tür war – entgegen der Absprache vom 19.10.2010 – nicht verschlossen worden. Die Beklagte muss sich hierbei das Handeln ihrer Mitarbeiters B. nach § 831 BGB zurechnen lassen (so auch die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung, Seite 5 = Bl. 374 d.A.), denn dieser hatte im Verhältnis zur Beklagten die Verantwortung für das Verschließen der Tür übernommen.

Soweit die Beklagte weiter meint, sie habe die Verkehrssicherungspflicht auf die Firma B. und N. GmbH übertragen (Berufungsbegründung, Seiten 8/9 = Bl. 37/378 d.A.), kann dem insoweit nicht gefolgt werden. Die Beklagte war im Besitz des Schlüssels. Dass sie hinsichtlich des Verschließens der streitgegenständlichen Tür die Verkehrssicherungspflicht auf die B. und N. GmbH übertragen hatte, ist nicht ersichtlich und stellt sich vielmehr als eine bloße Behauptung ins Blaue dar. Selbst wenn man von einer Übertragung der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Verschließens der Tür auf die B. und N. GmbH ausgehen sollte, hätte diese Verkehrssicherungspflicht bei der Beklagten als sog. Organisationspflicht fortbestanden, die die Beklagte mangels Verschließens der Tür auch verletzt hätte.

4. Mitverschulden des Klägers in Höhe von 50 %

Den Kläger trifft ein Mitverschulden in Höhe von 50 %.

Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung meint, dem Kläger sei ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden vorzuwerfen (Berufungsbegründung, Seite 7 = Bl. 376 d.A.) kann dem nicht gefolgt werden. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Kläger ein Mitverschulden in Höhe von 50 % anrechnen lassen muss. Der Kläger hatte bei der Entstehung des Schadens in zurechenbarer Weise mitgewirkt, § 254 Abs. 1 BGB. Er hatte diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren, sog. Verschulden gegen sich selbst, und dabei die ihm in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt fahrlässig verletzt (Palandt/Grüneberg, aaO, § 254 Rn. 8 f.). Entscheidend insoweit ist, dass sich der Kläger auf einer Baustelle befunden hatte und der Raum hinter der Feuerschutztür dunkel gewesen war. Schon deshalb durfte der Kläger nicht ungeprüft in den hinter der Tür befindlichen Raum treten. Hinzu kommt, dass der Kläger Kenntnis von Technikschacht und Schalungsbühne hatte. Er durfte daher – angesichts der auf einer Baustelle ständig gegebenen Veränderungen – nicht damit rechnen, dass der Technikschacht am 28.10.2010 weiterhin mit einer Schalungsbühne gesichert war (vgl. den Beschluss des Senats vom 15.10.2013 = Bl. 362/367 d.A.).

Hat wie hier das schuldhafte Verhalten beider Teile, des Schädigers und des Geschädigten, bei der Entstehung des Schadens adäquat ursächlich mitgewirkt, hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, § 254 Abs. 1 BGB. Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile führt vorliegend im Ergebnis dazu, dass die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten und die für die Verletzungen mitursächliche fehlerhafte Verhaltensweise des Klägers mit jeweils 1/2 zu bewerten sind.

Das Landgericht hat daher insoweit zu Recht das Grundurteil erlassen. Über die Frage in welcher Höhe letztlich Ansprüche des Klägers bestehen, wird das Landgericht im Betragsverfahren zu entscheiden haben. Insoweit werden noch weitere Beweise zu erholen sein. Die Berufung führt daher hinsichtlich des Betragsverfahrens zur Rückgabe des Rechtsstreits an das Landgericht Traunstein. Ein ausdrücklicher Zurückverweisungsausspruch im Tenor des Berufungsurteils war insoweit entbehrlich (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Auflage 2012 § 538 Rn. 51).

5. Feststellungsurteil

Aus den dargelegten Gründen ergab sich auch ein Anspruch auf Feststellung der Haftung der Beklagten für die materiellen und immateriellen Zukunftsschäden des Klägers unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Klägers in Höhe von 1/2. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergab sich aus der Gefahr von Spätfolgen (BGH NZV 97, 476). Deren Möglichkeit ist durch den Arztbericht des Dr. med. J. vom 05.11.2010 (Anlage K 2) hinreichend belegt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 516 Abs. 3, 91, 92, 97 ZPO (vgl. auch Zöller/Vollkommer, aaO, § 304 Rn.26, wonach über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht erst im Schlussurteil über das Betragsverfahren zu entscheiden ist). Hiernach waren dem Kläger nur 35 % der Kosten aufzuerlegen, da er seine Berufung noch vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen hatte.

IV.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

V.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

 

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