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Beamter – Mindestanforderungen an ärztliches Gutachten im Zwangspensionierungsverfahren

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 6 B 19.1570 – Urteil vom 28.11.2019

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. November 2018 – M 21 K 17.5797 – geändert.

Der Bescheid des Deutschen Patent– und Markenamtes vom 20. Juli 2017 und der Widerspruchsbescheid des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 8. November 2017 werden aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1963 geborene Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.

Er steht nach einer Laufbahn als Richter im Landesdienst und einer mehrjährigen Abordnung an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) seit dem 1. November 2010 als Regierungsdirektor (BesGr. A15) im Dienst der Beklagten und war auf dem Dienstposten eines Referatsleiters beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) beschäftigt. Seit Mitte Januar 2015 ist der Kläger dienstunfähig erkrankt. Ein Arbeitsversuch mit einer Arbeitszeit von vier Stunden täglich wurde im April 2015 nach zwei Wochen abgebrochen. Anschließend wurde der Kläger auf den Dienstposten eines Erinnerungsprüfers umgesetzt. In der Folgezeit war er erneut krankgeschrieben. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 21. Mai 2015 wurde er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Am 5. August 2015 ordnete das DPMA die amtsärztliche Untersuchung des Klägers auf seine Dienstfähigkeit an und beauftragte damit das Gesundheitsamt beim Landratsamt M. In dem Gutachten vom 4. November 2015 kommt die Amtsärztin zu dem Ergebnis, der Kläger sei vorübergehend dienstunfähig; es bestehe aber Aussicht auf volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate. Die Angaben zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen schließen mit der Bemerkung: „Bis auf weiteres dienstunfähig im Patentamt, einschließlich Außenstellen“. Zur verbliebenen Leistungsfähigkeit wurde mitgeteilt, der Kläger sei zur Prüfung juristischer Sachverhalte, zu Tätigkeiten ohne Termindruck, mehrsprachigem Arbeiten, auch zu Vorträgen vor großem Publikum, zu wissenschaftlichem Arbeiten, z.B. Tätigkeiten bei Amts-, Verwaltungs- oder Arbeitsgerichten, weiterhin in der Lage.

Nachdem der Kläger weiterhin ununterbrochen krankgeschrieben war, wurde das Gesundheitsamt unter dem 23. März 2016 erneut mit der amtsärztlichen Begutachtung des Klägers beauftragt. In dem – nach erneuter ambulanter Untersuchung erstellten – Gutachten vom 10. Mai 2016 wird mitgeteilt, der Kläger sei aus medizinischer Sicht „am jetzigen Arbeitsplatz“ aus gesundheitlichen Gründen dauernd dienstunfähig. Auch das nachfolgend beschriebene negative Leistungsbild bezieht sich ausdrücklich auf den jetzigen Arbeitsplatz. Auf Rückfrage bei der Amtsärztin wurde erläutert, dass mit dieser Formulierung jeder Arbeitsplatz im DPMA gemeint sei. Die Beschreibung der verbliebenen Leistungsfähigkeit deckt sich mit der im vorgehenden Gutachten.

Daraufhin hörte das DPMA den Kläger zur beabsichtigten Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand an. Dieser machte in geltend, das Gutachten trage eine solche Maßnahme nicht, da es nicht feststelle, dass er zur Ausübung seines abstrakt-funktionellen Amtes außerstande sei; es beschränke sich ausschließlich auf die Verhältnisse am „jetzigen Arbeitsplatz“. Im Übrigen fehlten die das Untersuchungsergebnis tragenden Feststellungen und Gründe. Eine entsprechende Nachfrage der Beschäftigungsbehörde ergab, dass das positive Leistungsbild sich auf eine Tätigkeit des Klägers außerhalb des DPMA bezog. Die Erstellung eines fachärztlichen Zusatzgutachtens wurde anheimgestellt.

Unter dem 16. Dezember 2016 ordnete das DPMA eine erneute Untersuchung des Klägers an und beauftragte diesmal den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) Bayern mit deren Durchführung. In dem an das DPMA übersandten, mit Hilfe des vorgegebenen Formblatts erstellten (Kurz-)Gutachten vom 19. Januar 2017 kommt der damit betraute Arzt Dr. S. aufgrund einer Begutachtung am 11. Januar 2017 zu dem Ergebnis, der Kläger sei aus medizinischer Sicht dienstunfähig. Es liege derzeit eine massiv reduzierte geistig-psychische Belastbarkeit mit Störungen des Konzentrationsvermögens, des Reaktionsvermögens, des Umstellungs- und Anpassungsvermögens, der Eignung für Publikumsverkehr und des Überwachungs- und Steuerungsvermögens für komplizierte Arbeitsvorgänge vor. Ferner werden gesundheitliche Beeinträchtigungen im Hinblick auf die Bildschirmtauglichkeit, Arbeiten unter Termindruck sowie bei stehenden Tätigkeiten und beim Heben und Tragen genannt (negatives Leistungsbild). Zur verbliebenen Leistungsfähigkeit wird ausgeführt, dass kein positives Leistungsbild am letzten Arbeitsplatz bestehe. Mit einer Dienstaufnahme innerhalb der nächsten sechs Monate sei aus gutachterlicher Sicht nicht zu rechnen. Abschließend ist vermerkt, dass das ausführliche ärztliche Gutachten aus datenschutzrechtlichen Gründen beim MDK verbleibe.

Der Kläger wandte auch gegen dieses Gutachten ein, es genüge nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an eine hinreichend plausible Begründung; so enthalte es weder die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt noch die das Ergebnis tragenden Gründe. Im Übrigen sei erneut wiederum ausdrücklich lediglich seine Einsatzfähigkeit „am jetzigen Arbeitsplatz“ betroffen. Daraufhin forderte das DPMA den Gutachter unter Hinweis auf § 48 Abs. 2 BBG auf, das erwähnte ausführliche Gutachten zu übersenden und bat ihn u.a. um Erläuterung, was unter dem Zusatz „am letzten Arbeitsplatz“ bei der Beschreibung der verbleibenden Leistungsfähigkeit zu verstehen sei. Der MDK teilte daraufhin telefonisch mit, ein ausführliches ärztliches Gutachten gebe es nicht; der entsprechende Textbaustein sei lediglich versehentlich nicht gelöscht worden. Ferner führte der Gutachter Dr. S. unter dem 13. April 2017 schriftlich aus, dass beim Kläger kein positives Leistungsbild bestehe, und zwar nicht nur am letzten Arbeitsplatz, sondern für jegliche Art von Tätigkeit; der Zusatz „am letzten Arbeitsplatz“ sei damit missverständlich zu verstehen. Die im Gutachten beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen beruhten auf Angaben und Einschätzungen des Klägers. Aus gutachterlicher Sicht bestehe kein Restleistungsvermögen.

In ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2017 führte die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im DPMA aus, es bestehe der Eindruck, die Annahme einer dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers beruhe nicht auf hinreichenden Anhaltspunkten. Die hohe psychische Belastung des Klägers sei durch das DPMA mitverursacht worden, weil er seit Jahren grundlos mit Disziplinarverfahren schikaniert werde, die dann entweder in die Länge gezogen oder ohne Ergebnis wieder eingestellt würden. Die derzeitige Arbeitssituation im DPMA sei für den Kläger nicht mehr tragbar. Für die Ausübung seines abstrakt-funktionellen Amtes außerhalb des DPMA sei er jedoch uneingeschränkt dienstfähig.

Mit Bescheid des DPMA vom 20. Juli 2017 wurde der Kläger gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des Monats der Bekanntgabe des Bescheides in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Aufgrund der medizinischen Feststellungen im Gutachten des MDK vom 19. Januar/13. April 2017 sei er mit Blick auf sein Amt im abstrakt-funktionellen Sinn dienstunfähig im Sinn dieser Vorschrift. Da nach der ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 13. April 2017 aus medizinischer Sicht ein Restleistungsvermögen nicht bestehe und der Kläger demnach krankheitsbedingt voraussichtlich keinerlei Dienst mehr leisten könne, gebe es auch keine Möglichkeit, ihn gemäß § 44 Abs. 2 und 3 BBG anderweitig oder gemäß § 45 BBG begrenzt zu beschäftigen. Der Widerspruch des Klägers wurde vom BMJV mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2017 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage macht der Kläger insbesondere geltend, das Gutachten des MDK sei in keiner Hinsicht hinreichend und nachvollziehbar begründet. Die Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme stellten ersichtlich ein „Gefälligkeitsgutachten“ für das DPMA dar. Diese Behörde schikaniere den Kläger seit über fünf Jahren mit disziplinarischen Vorermittlungen aus nichtigen Anlässen und wolle ihn als potentiellen Mitwisser politischer Vorgänge im Zusammenhang mit den von ihm im Rahmen seiner Tätigkeit untersuchten Vorgängen aus dem Bundesdienst „entsorgen“.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Zurruhesetzung mit Urteil vom 16. November 2018 abgewiesen. Das ärztliche Gutachten des als amtlicher medizinischer Sachverständiger im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 BBG zugelassenen Arztes des MDK vom 19. Januar 2017 und seine ergänzende Stellungnahme vom 13. April 2017 genügten den Anforderungen. Das darin enthaltene ärztliche Urteil, der Kläger sei weder an seinem angestammten Dienstposten noch an jedem anderen Arbeitsplatz im Geschäftsbereich des Dienstherrn einsetzbar, erscheine nachvollziehbar. Das gelte insbesondere auch hinsichtlich der Aussage über das Fehlen eines Restleistungsvermögens. Die früheren Gutachten der Amtsärztin seien hingegen unbrauchbar und ohne jeden Beweiswert.

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen unter Vorlage des in Langtext verfassten Teils des sozialmedizinischen Gutachtens vom 19. Januar 2017, der ihm auf Anforderung vom MDK übermittelt worden war.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 16. November 2018 – M 21 K 17.5797 – den Bescheid des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 20. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des BMJV vom 8. November 2017 aufzuheben.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hebt insbesondere hervor, dass in dem vom Kläger vorgelegten ausführlichen sozialmedizinischen Gutachten des MDK im Rahmen der Diagnose eine eindeutige Klassifizierung der Erkrankung des Klägers nach ICD-10 (Gliederungsnummer F43.2) erfolgt sei, die in der dem DPMA übermittelten knappen ärztlichen Beurteilung mit den Worten „massiv reduzierte geistig-psychische Belastbarkeit mit Störungen des Konzentrationsvermögens, des Reaktionsvermögens, des Umstellungs- und Anpassungsvermögens, der Eignung für Publikumsverkehr und des Überwachungs- und Steuerungsvermögens für komplizierte Arbeitsvorgänge“ umschrieben worden sei. Eine Pflicht zur Testung des Klägers oder zur Anforderung von Vorbefunden könne den gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 48 BBG, nicht entnommen werden; der sachverständige Gutachter müsse selbst beurteilen, welche Untersuchungen und Unterlagen für eine hinreichende Tatsachengrundlage erforderlich seien. Die nun vom Kläger vorgelegten Berichte seien nicht geeignet, die Ergebnisse des MDK-Gutachtens zu erschüttern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten, auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die Zurruhesetzungsverfügung vom 20. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die zugrunde liegende Annahme, der Kläger sei dienstunfähig im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG und könne mangels Restleistungsvermögens auch nicht anderweitig verwendet werden, ist auf ein ärztliche Gutachten gestützt, das den Mindestanforderungen des § 44 Abs. 1, § 48 Abs. 1 und 2 BBG nicht genügt. Jedenfalls aber ist der Dienstherr seiner Suchpflicht nach anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BBG nicht nachgekommen. Die angefochtenen Bescheide sind daher unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils aufzuheben.

1. Die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG setzt voraus, dass der Beamte in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 6 ZB 16.249 – juris Rn. 21) zur Erfüllung der Dienstpflichten wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen dauernd unfähig ist. Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde, hier bei dem DPMA, kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2004 – 2 C 27.03 – BVerwGE 122, 53/55; U.v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – BVerwGE 133, 297/300 Rn. 14). Hierfür trägt im Zweifel der Dienstherr die materielle Beweislast.

Grundlage für die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit ist die ärztliche Untersuchung nach Maßgabe des § 48 BBG, die nur einer Amtsärztin oder einem Amtsarzt übertragen werden kann oder einer Ärztin oder einem Arzt, die oder der als Gutachterin oder Gutachter zugelassen ist (Abs. 1 Satz 1). Der Arzt teilt der Behörde auf Anforderung im Einzelfall die tragenden Gründe des Gutachtens mit, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist (Abs. 2 Satz 1 BBG). Die Verantwortung zur Feststellung der Dienstunfähigkeit hat freilich die Behörde, nicht der Arzt. Sie muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen inhaltlich nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.2007 – 2 A 6.06 – juris Rn. 23; B.v. 6.3.2012 – 2 A 5.10 – juris Rn. 2).

Insoweit räumt das Gesetz der Behörde aber keinen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum ein. So unterliegt nicht nur der vollen gerichtlichen Kontrolle, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung auch die Frage, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Das schließt etwaige Feststellungen oder Schlussfolgerungen im ärztlichen Gutachten grundsätzlich mit ein. Auch diese sind vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 20; OVG NW, U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211.07 – juris Rn. 35 ff.).

Das setzt voraus, dass ärztliche Gutachten zur Frage der Dienstunfähigkeit hinreichend und nachvollziehbar begründet sind. Das Gutachten muss sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben. Wie detailliert die Ausführungen sein müssen, ist im Hinblick auf die Funktion des Gutachtens zu beantworten. Eine (amts-)ärztliche Stellungnahme im Zwangspensionierungsverfahren soll dem Dienstherrn die Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (§ 44 Abs. 1 BBG) und gegebenenfalls welche Folgerungen aus einer bestehenden Dienstunfähigkeit zu ziehen sind. Zugleich muss das Gutachten es dem Beamten ermöglichen, sich mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Arztes und mit der darauf beruhenden Entscheidung des Dienstherrn auseinanderzusetzen und sie gegebenenfalls substantiiert anzugreifen. Deshalb darf sich das Gutachten nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlags beschränken, sondern muss die für die Meinungsbildung des Arztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BVerwG, B.v. 20.1.2011 – 2 B 2.10 – juris Rn. 5). Es müssen aber jedenfalls die für die Meinungsbildung wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennbar sein (BayVGH, U.v. 28.2.2018 – 3 B 16.1996 – juris Rn. 57; U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 21; OVG NW, B.v. 3.2.2012 – 1 B 1490.11 – juris Rn. 8).

2. Diesen Mindestanforderungen an ein ärztliches Gutachten im Zwangspensionierungsverfahren genügt das – aus zwei Teilen bestehende – Gutachten des MDK vom 19. Januar 2017 einschließlich seiner Ergänzung vom 13. April 2017 nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger seit Mitte Januar 2015 durchgehend dienstunfähig erkrankt war. Es kann deshalb von vornherein keine geeignete Grundlage für die Zurruhesetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG sein. Das gilt unabhängig davon, dass dem DPMA im Zeitpunkt seiner Entscheidung nur der zusammengefasste Teil des Gutachtens bekannt war, nicht aber die erst später vom MDK an den Kläger herausgegebene Langfassung. Dass der Gutachter dem Dienstherrn auf Anfrage – unzutreffend – mitgeteilt hat, es gebe das in der Zusammenfassung erwähnte „ausführliche ärztliche Gutachten“ nicht, muss sich der Dienstherr zurechnen lassen.

Die Tragfähigkeit der medizinischen Schlussfolgerung auf eine „sicherlich weiterhin“ bestehende Dienstunfähigkeit aufgrund einer „massiv reduzierte(n) geistig-psychische(n) Belastbarkeit“ erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil sie lediglich auf einer einzigen – ambulanten – Untersuchung beruht, nicht auf die vorangegangenen amtsärztlichen Gutachten zurückgreift, keine Fremdbefunde der vom Kläger benannten behandelnden Ärzte (Psychologin Dr. U., Hausarzt Dr. M.) verwertet und auf konsiliarische Hinzuziehung von Fachärzten oder weitere Zusatzuntersuchungen verzichtet. Zudem enthält es keinerlei Angaben zur Diagnostik und gibt zum Punkt „Gesundheitliche Beeinträchtigungen“, wie der Gutachter in seiner Ergänzung vom 13. April 2017 selbst ausführt, lediglich die – teilweise widersprüchlichen – Angaben und Selbsteinschätzungen des Klägers wieder, ohne eigene ärztliche Aussagen zu treffen. Eine solche Vorgehensweise mag in offenkundigen Fallgestaltungen ausreichen, dürfte aber im Fall des Klägers, in dem der Gutachter selbst die gesundheitlichen Einschränkungen auf einen „Arbeitsplatzkonflikt mit Mobbing und Burnout“ zurückführt, von vornherein kaum ausreichen.

Hinzu kommen Widersprüche zwischen dem ausführlicheren Gutachtensteil und der Zusammenfassung gegenüber der Beschäftigungsbehörde, welche die Schwere der psychischen Beeinträchtigung betreffen und damit die zentrale Aussage des Gutachtens entwerten. Während ersterer insoweit zusammenfassend „Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion, gemischt“ (ICD-10: F43.2) ohne Angaben zur Schwere benennt, wird in letzterer eine „massiv“ reduzierte geistig-psychische Belastbarkeit attestiert, ohne dass dieser Schweregrad und erst recht die Schlussfolgerung auf eine dauernde Dienstunfähigkeit ohne Restleistungsvermögen nachvollziehbar erläutert wird. Beides lässt sich weder aus der im ausführlichen Gutachten wiedergegebenen Vorgeschichte/Anamnese herleiten noch auf den psychopathologische Befund stützen. Danach erschien der Kläger dem Gutachter wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Antrieb (nur) leicht gemindert, affektiv niedergedrückt wirkend, jedoch schwingungsfähig. Inhaltliche Denkstörungen, Wahn, Halluzinationen oder Ich-Störungen hat der Gutachter verneint und auch keinen Anhalt für akute Eigen- oder Fremdgefährdung oder für Zwang festgestellt. Weshalb dennoch eine „massive“, zur Dienstunfähigkeit führende Reduzierung der geistig-psychischen Belastbarkeit diagnostiziert wird, erschließt sich nicht.

Diese Beurteilung steht schließlich in deutlichem Widerspruch zur gutachterlichen Empfehlung, die im ausführlichen Gutachten enthalten ist. Danach soll es genügen, dass der Kläger die damals (im Januar 2017) seit einem halben Jahr einmal im Monat durchgeführte ambulante Psychotherapie weiterführt. Weitere Maßnahmen hält der Gutachter ausdrücklich nicht für erforderlich. Das deutet auf einen leichteren Grad der Anpassungsstörung hin, nicht aber eine derart massive psychische Beeinträchtigung, die jedes positive Leistungsbild ausschließt.

3. Selbst wenn das Gutachten ungeachtet dieser Mängel den Mindestanforderungen für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit im Sinn des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG entsprechen sollte, so lässt sich ihm jedenfalls nicht entnehmen, dass dem Kläger das Restleistungsvermögen fehlt, um einer amtsangemessenen Tätigkeit außerhalb des DPMA nachzugehen. Daher ist die angefochtene Zurruhesetzungsverfügung auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte ihrer dann gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BBG bestehenden Suchpflicht nach anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten rechtsfehlerhaft nicht nachgekommen ist.

a) Die Dienstunfähigkeit des Beamten ist zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Von einer Versetzung in den Ruhestand ist nach § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG ist abzusehen, wenn der – dienstunfähige – Beamte anderweitig verwendbar ist. Damit hat der Gesetzgeber dem Dienstherrn die Verpflichtung auferlegt, für dienstunfähige Beamte nach anderweitigen, ihnen gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendungen zu suchen (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 73.08 – juris Rn. 25 ff.). Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung im Sinn von § 44 Abs. 2 BBG ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn, das heißt auch außerhalb der Beschäftigungsbehörde, zu erstrecken (BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 33; U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 – juris Rn. 17). Die Verpflichtung zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten entfällt nur dann, wenn ihr Zweck im konkreten Einzelfall von vornherein nicht erreicht werden kann. Das kann dann der Fall sein, wenn der Beamte auf absehbare Zeit oder auf Dauer keinerlei Dienst mehr leisten kann. Eine solche generelle Dienstunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Erkrankung des Beamten von solcher Art oder Schwere ist, dass er für sämtliche Dienstposten der betreffenden oder einer anderen Laufbahn, in die er wechseln könnte, ersichtlich gesundheitlich ungeeignet ist (vgl. BVerwG, U. v. 30.10.2013 – 2 C 16.12 – juris Rn. 40) oder wenn bei dem Beamten keinerlei Restleistungsvermögen mehr festzustellen ist (BVerwG, B.v. 6.11.204 – 2 B 97.13 – juris Rn. 13; U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 34).

b) Das Gutachten des MDK vom 19. Januar 2017 liefert auch unter Einbeziehung der ergänzenden Stellungnahme vom 13. April 2017 keine nachvollziehbare Grundlage für die Annahme, beim Kläger sei keinerlei Restleistungsvermögen mehr festzustellen.

In dem zusammengefassten Teil des Gutachtens vom 19. Januar 2017 hat der Gutachter gegenüber dem DPMA die nicht weiter erläuterte Einschätzung vertreten, es bestehe „kein positives Leistungsbild am letzten Arbeitsplatz“. Dieser Zusatz „am letzten Arbeitsplatz“, der sich offenkundig nicht auf den zuletzt ausgeübten Dienstposten bezieht, sondern auf jede Tätigkeit bei dem DPMA als Beschäftigungsbehörde, ist dabei unter Berücksichtigung des ausführlichen Gutachtenteils für sich betrachtet ohne weiteres nachvollziehbar. Denn dort führt der Gutachter aus, es bestehe als Auslöser für die diagnostizierte Anpassungsstörung ein „unlösbarer Arbeitsplatzkonflikt mit Mobbing und Burnout“. Weiter heißt es: „Ein nochmaliger Arbeitsversuch würde zu einer Exazerbation der psychischen Symptomatik führen und dies ist aus psychiatrischer Sicht nicht vertretbar. Es besteht eine dauerhafte Dienstunfähigkeit am zuletzt ausgeübten Arbeitsplatz“. Damit werden der vom Kläger erlebte Arbeitsplatzkonflikt und die befürchtete Verstärkung der Anpassungsstörung bei einem erneuten Arbeitsversuch „am letzten Arbeitsplatz“, und nur dort, unmissverständlich verknüpft.

In deutlichem Widerspruch hierzu antwortet der Gutachter auf Nachfrage des DPMA in der ergänzenden Stellungnahme vom 13. April 2017 ohne weitere Erklärung, es bestehe beim Kläger (überhaupt) kein positives Leistungsbild, und zwar nicht nur am letzten Arbeitsplatz, sondern für jegliche Art von Tätigkeit, der genannte Zusatz im ursprünglichen Gutachten sei „damit missverständlich zu verstehen“. Damit werden die ursprünglich festgestellten Ursachenzusammenhänge negiert und nicht nur die Tragfähigkeit des Gutachtens insgesamt in Frage gestellt, sondern der Aussagegehalt zum Restleistungsvermögen umgedreht. Das gilt umso mehr, als das amtsärztliche Gutachten vom 10. Mai 2016 ebenfalls (nur) von einer Dienstunfähigkeit des Klägers „am jetzigen Arbeitsplatz“ (im DPMA) ausgegangen war und ausdrücklich eine verbliebene uneingeschränkte Leistungsfähigkeit für die „Prüfung juristischer Sachverhalte, mehrsprachiges Arbeiten, wissenschaftliches Arbeiten, z.B. auch Tätigkeiten bei Amtsgerichten, Verwaltungs- oder Arbeitsgerichten“ festgestellt hatte. Für eine fundierte Aussage zum Umfang der gesundheitsbedingten Einschränkungen und der verbliebenen Leistungsfähigkeit hätte es – spätestens zu diesem Zeitpunkt – einer Auseinandersetzung mit diesen Feststellungen jedenfalls schon deshalb bedurft, weil der medizinischen Beurteilung durch einen Amtsarzt ein Vorrang auch gegenüber Stellungnahmen eines von der Behörde ausgewählten Gutachters eingeräumt werden kann; denn auch wenn dieser Arzt gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 BGG als Gutachter zugelassen ist, fehlt es insoweit sowohl an Rechtsnormen, die die Neutralität und Unabhängigkeit dieser Ärzte begründen und gewährleisten, als auch an der für die Annahme einer unabhängigen Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Distanz zu den Beteiligten (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 20). Zumindest wären Ausführungen dazu angezeigt gewesen, weshalb die Einschätzung der Amtsärztin nicht geteilt wird bzw. weshalb sich die Beeinträchtigungen des Klägers derartig verschlimmert haben sollen.

4. Wegen dieser Unzulänglichkeiten und Widersprüche bietet das sozialmedizinische Gutachten des MDK keine hinreichend verlässliche Grundlage, um im Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG überhaupt eine Entscheidung zu treffen, jedenfalls nicht ohne vorhergehende Suche nach einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit. Das führt zur Aufhebung der angefochtenen Zurruhesetzung. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für den Dienstherrn (erstmals) herbeizuführen, zumal es auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung und nicht auf den der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz ankommt (vgl. BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 26; U.v. 28.2.2018 – 3 B 16.1996 – juris Rn. 70 m.w.N.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 78.719,88 € festgesetzt (§ 47‚ § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG).

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