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Erwerbstätigkeit nach der Scheidung darf nicht bedarfsmindernd angerechnet werden!

BVerfG

Az.: 1 BvR 105/95

Urteil vom 5.2.2002


Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat grundsätzliche Feststellungen zur Berechnung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs getroffen. Ebenso wie der BGH in seiner neuen Unterhaltsrechtsprechung bewertet das Bundesverfassungsgericht die sog. „Anrechnungsmethode“ als verfassungswidrig.

Dem Bundesverfassungsgericht lagen drei Verfassungsbeschwerden geschiedener Ehefrauen vor, die sich während ihrer Ehen zumindest zeitweilig ausschließlich der Kinderbetreuung und Haushaltsführung gewidmet hatten. Soweit sie nach der Scheidung eine Berufstätigkeit begonnen oder eine bereits während der Ehe ausgeübte Teilzeittätigkeit ausgeweitet hatten, rechneten die Familiengerichte das daraus erzielte Einkommen im Wege der „Anrechnungsmethode“ bedarfsmindernd (= wurde abgezogen vom Unterhaltsanspruch) auf den Unterhaltsanspruch gegen die jeweiligen Ex-Ehemänner an. Zur Begründung stellten die Gerichte im Wesentlichen darauf ab, die Berufstätigkeit und das Einkommen der Beschwerdeführerinnen habe die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Frauen lediglich aus trennungsbedingten Gründen (wieder) berufstätig geworden seien. Das erzielte Einkommen sei dementsprechend anspruchsmindernd nach der „Anrechnungsmethode“ zu errechnen.

 

Erläuterungen zur Berechnung etc.: Besteht zwischen geschiedenen Ehegatten ein Unterhaltsanspruch, so sind für dessen Berechnung die ehelichen Lebensverhältnisse maßgeblich. Grundsätzlich steht jedem Ehegatten rund die Hälfte des Einkommens zu, welches die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat. Die Gerichte haben dabei Einkommensveränderungen nach der Scheidung berücksichtigt, sofern diese sich als Fortführung der die Ehe bereits prägenden Verhältnisse darstellten (z.B. Gehaltserhöhung). Waren beide Ehegatten während der Ehe berufstätig, ist in der Rechtssprechung stets die sog. „Differenzmethode“ gewählt worden. Nach dieser erhält der geringer verdienende Ehegatte die Hälfte der Differenz seines Einkommens zu dem des höher verdienenden Ehegatten. Uneinigkeit herrschte jedoch über die Frage, wie das Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen ist, wenn dieser erst nach der Scheidung eine Berufstätigkeit (wieder) aufgenommen oder etwa eine Teilzeitarbeit aufgestockt hatte. Die Befürworter der sog. „Anrechnungsmethode“ gingen davon aus, dass derartiges Einkommen die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt hat und deshalb bei der Errechnung des Familieneinkommens nicht zu berücksichtigen ist. Es wurde vielmehr allein auf den nach dem Familieneinkommen errechneten Unterhaltsanspruch bedarfsmindernd angerechnet. Im Juni 2001 hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgegeben.

Entscheidungsgründe des BVerfG: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat nun festgestellt, dass die angefochtenen Gerichtsentscheidungen die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG verletzen. Zur Begründung führten die Richter aus, dass durch die „Anrechnungsmethode“ der Unterhaltsverpflichtete einseitig entlastet werde. Er dürfe mehr behalten als ihm während der Ehe zur Verfügung stand. Die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten minderten allein dessen Bedürftigkeit und kämen somit im Ergebnis allein dem Unterhaltsverpflichteten zugute. Dieses Ergebnis entspreche nicht der Gleichwertigkeit der Leistung während der Ehe. Auch die nicht vergütete Leistung durch Haushaltsführung und Kindererziehung habe, so das Verfassungsgericht, das eheliche Leben geprägt. Werde diese durch eine vergütete Tätigkeit abgelöst und die Vergütung nicht der ehelichen Einkommenssituation zugerechnet, führe dies im nachhinein zur Missachtung des Wertes der Familienarbeit.

Die noch in den fünfziger und sechziger Jahren dominierende Hausfrauenehe sei einem nunmehr vorherrschenden Ehebild gewichen, das auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie setze, bei dem nur noch in der Phase aktiver Elternschaft der Typus der Versorgerehe weitgehend erhalten geblieben sei. Deshalb sei davon auszugehen, dass der zeitweilige Verzicht eines Ehegatten auf Erwerbstätigkeit, um die Aufgabe der Kindererziehung zu übernehmen, ebenso die ehelichen Verhältnisse präge, wie die vorher ausgeübte Berufstätigkeit und die danach wieder aufgenommene oder angestrebte Erwerbstätigkeit.

 

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat grundsätzliche Feststellungen zur Berechnung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs getroffen. Ebenso wie der BGH in seiner neuen Unterhaltsrechtsprechung bewertet das Bundesverfassungs-gericht die sog. „Anrechnungsmethode“ als verfassungswidrig.


L e i t s a t z

zum Beschluss des Ersten Senats vom 5. Februar 2002

– 1 BvR 105/95 –

– 1 BvR 559/95 –

– 1 BvR 457/96 –

Zur Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit bei der Bemessung

nachehelichen Unterhalts.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

– 1 BvR 105/95 –

– 1 BvR 559/95 –

– 1 BvR 457/96 –

 

In den Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht – Erster Senat am 5. Februar 2002 beschlossen:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 30. November 1994 – 16 UF 201/93 – verletzt die Beschwerdeführerin zu 1 in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.

 

Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 31. Januar 1995 – 18 UF 361/94 – verletzt die Beschwerdeführerin zu 2 in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen.

 

Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Januar 1996 – 20 UF 8/95 – verletzt die Beschwerdeführerin zu 3 in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Das Land Baden-Württemberg hat den Beschwerdeführerinnen ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

      Gründe:

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden

richten sich dagegen, wie in den angegriffenen Gerichtsentscheidungen der

Wert der während der Ehe geleisteten Haushaltsführung und Kindererziehung

bei der Bemessung nachehelichen Unterhalts berücksichtigt worden ist.

I.

Das Maß des nachehelichen Unterhalts bestimmt sich gemäß § 1578 Abs. 1 BGB

nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Wie die vom Gesetz nicht näher

definierten ehelichen Lebensverhältnisse zu ermitteln und wie insbesondere

die nachehelichen Einkünfte des unterhaltsberechtigten Ehegatten dabei zu

berücksichtigen sind, der während der Ehe überhaupt nicht oder nur in

Teilzeit berufstätig war, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

1. a) Der Bundesgerichtshof hat seit In-Kraft-Treten des geltenden

Unterhaltsrechts am 1. Juli 1977 (Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und

Familienrechts vom 14. Juni 1976, BGBl I S. 1421) den Begriff der

ehelichen Lebensverhältnisse durch eine Vielzahl von Entscheidungen

konkretisiert. Nach seiner ständigen Rechtsprechung werden die ehelichen

Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 BGB von den Einkommens- und

Vermögensverhältnissen bestimmt, die während der Ehe oder auch der

Trennungszeit der Ehegatten den Lebensstandard beider Ehegatten nachhaltig

geprägt haben. Maßgebend sollen deshalb regelmäßig die Einkommens- und

Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung sein, es sei denn, das

Einkommen eines Ehegatten hat während des Getrenntlebens bis zur Scheidung

eine unerwartete, vom Normalverlauf erheblich abweichende Entwicklung

genommen (vgl. BGH, FamRZ 1982, S. 576 <577 f.>). Demgegenüber konnten bis

zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2001 (FamRZ 2001, S. 986)

Veränderungen, die erst nach der Ehescheidung eintreten, nur dann

berücksichtigt werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Scheidung mit hoher

Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sind und wenn diese Erwartung die

ehelichen Lebensverhältnisse bereits geprägt oder sich in engem zeitlichen

Zusammenhang mit der Scheidung verwirklicht hat (vgl. BGH, FamRZ 1986, S.

148 f.). Entsprechend hat der Bundesgerichtshof zwischen der

Erwerbstätigkeit während der geführten Ehe, der Aufnahme einer

Erwerbstätigkeit während der Trennungszeit sowie einer solchen nach der

Ehescheidung unterschieden.

aa) Im Gegensatz zu Einkünften, die schon zu Zeiten des Zusammenlebens der

Eheleute erzielt wurden, haben sich Einkünfte des unterhaltsberechtigten

Ehegatten aus einer zwischen Trennung und Scheidung aufgenommenen

Erwerbstätigkeit auf das Maß des Unterhalts nur auswirken sollen, wenn

diese Erwerbstätigkeit in der Ehe angelegt gewesen ist und damit auch ohne

die Trennung erfolgt wäre. Lasse sich dies nicht feststellen, so müssten

die daraus erzielten Einkünfte bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs

außer Betracht bleiben, da der Unterhaltskläger die Beweislast für die

Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse trage (BGHZ 89, 108 <112> =

FamRZ 1984, S. 149 f.).

bb) Einkünfte aus einer erst nach der Scheidung aufgenommenen

Erwerbstätigkeit hat der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der

ehelichen Lebensverhältnisse regelmäßig außer Betracht gelassen (BGH,

FamRZ 1985, S. 161 f. unter Hinweis auf BGH, FamRZ 1981, S. 539 <541> und

FamRZ 1982, S. 255 <257>), und zwar auch im Umfang der Ausweitung einer

während der Ehe ausgeübten Halbtagsbeschäftigung zu einer

Vollerwerbstätigkeit (BGH, FamRZ 1985, S. 161 f.). Den wirtschaftlichen

Wert der Haushaltsführung und Kinderbetreuung durch den nicht

erwerbstätigen Ehegatten hat der Bundesgerichtshof als nicht die ehelichen

Verhältnisse prägend angesehen. Zwar seien diese Leistungen der

Erwerbstätigkeit des anderen Ehegatten grundsätzlich gleichwertig. An

Barmitteln stünden der Familie zum Lebensunterhalt jedoch nur die

Einkünfte des erwerbstätigen Ehegatten zur Verfügung. Diese vorhandenen

Einkünfte und nicht der wirtschaftliche Wert der von beiden Ehegatten

erbrachten Leistungen prägten entscheidend die ehelichen

Lebensverhältnisse (BGH, FamRZ 1985, S. 161 <163>).

cc) Nicht die ehelichen Lebensverhältnisse prägendes Einkommen des

Unterhaltsberechtigten ist dann unter Anwendung der so genannten

Anrechnungsmethode bei der Berechnung der Unterhaltshöhe allein

bedürftigkeitsmindernd berücksichtigt worden, während prägende Einkünfte

im Wege der so genannten Differenzmethode auch dem der Bedarfsermittlung

zu Grunde zu legenden Einkommen zugerechnet worden sind (BGH, FamRZ 1981,

S. 539 <541>; 1981, S. 752 <754 f.>; 1982, S. 255 <257>; 1983, S. 146

<150>; 1988, S. 265 <267>). Bei der Anrechnungsmethode wird das bereinigte

Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen entsprechend der maßgeblichen

Unterhaltsquote aufgeteilt; auf den sich dabei ergebenden Betrag wird das

bereinigte Nettoeinkommen des Unterhaltsberechtigten angerechnet.

Demgegenüber wird bei der Differenzmethode zunächst die Differenz zwischen

den bereinigten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen und des

Unterhaltsberechtigten gebildet und sodann diese nach Maßgabe der

Unterhaltsquote aufgeteilt.

b) Mit Urteil vom 13. Juni 2001 hat der Bundesgerichtshof seine bisherige

Rechtsprechung zur Anrechnungsmethode geändert (FamRZ 2001, S. 986). Die

Anrechnungsmethode werde der Gleichwertigkeit von Kinderbetreuung und

Haushaltsführung nicht gerecht und trage auch dem gewandelten Ehebild in

der Mehrzahl der Fälle nicht mehr angemessen Rechnung. Ohne dass es einer

abschließenden Entscheidung zur Frage der Notwendigkeit einer

Monetarisierung der Haushaltstätigkeit bedürfe, sei das Einkommen, das ein

unterhaltsberechtigter Ehegatte nach der Scheidung erziele oder erzielen

könne und das gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner

bisherigen Tätigkeit anzusehen sei, in die Unterhaltsberechnung nach der

Differenzmethode einzubeziehen. Die während der Ehe erbrachte

Familienarbeit habe den ehelichen Lebensstandard geprägt und auch

wirtschaftlich verbessert. Sie sei als eine der Erwerbstätigkeit

gleichwertige Leistung anzusehen. Der durch die jeweilige Arbeit von

beiden Ehegatten erreichte Lebensstandard solle ihnen auch nach der

Scheidung zu gleichen Teilen zustehen. Nehme der bisher haushaltsführende

Ehegatte nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf oder erweitere er

sie über den bisherigen Umfang hinaus, spiegele sich, von Ausnahmen einer

ungewöhnlichen, vom Normalverlauf erheblich abweichenden

Karriereentwicklung abgesehen, der Wert seiner Haushaltsleistungen in dem

aus der Erwerbstätigkeit erzielten oder erzielbaren Einkommen wider. Die

Einbeziehung dieses Einkommens in die Bedarfsbemessung mit Hilfe der

Differenzrechnung gewährleiste, dass, ebenso wie früher die Familienarbeit

beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zugute gekommen sei, nunmehr das

beiderseitige Einkommen zwischen ihnen nach dem Grundsatz der

gleichmäßigen Teilhabe geteilt werde.

2. In der Literatur hat die bisherige Rechtsprechung des

Bundesgerichtshofs teilweise Zustimmung (vgl. Luthin, FamRZ 1983, S. 1236;

1986, S. 786), vielfach aber auch Kritik erfahren (vgl. Hampel, FamRZ

1981, S. 851; Büttner, FamRZ 1984, S. 534; Rupsch, FamRZ 1990, S. 172;

Fricke, FamRZ 1991, S. 941; Driest, Streit 1991, S. 60; Laier, FamRZ 1993,

S. 392). Es ist einerseits die Auffassung vertreten worden, auch bei der

Aufnahme einer Erwerbstätigkeit des bisher haushaltsführenden (Gerhardt,

FamRZ 2000, S. 134 <136>) oder kinderbetreuenden (Büttner, FamRZ 1999, S.

893 <895>) Ehegatten müsse die Differenzmethode angewendet werden, und

zwar unabhängig davon, ob die Erwerbstätigkeit während der Trennungszeit

oder erst nach der Scheidung aufgenommen werde. Nach anderer Ansicht muss

der Hausfrauenbeitrag zu den ehelichen Lebensverhältnissen geldwert in

Ansatz gebracht und zumindest in den Fällen berücksichtigt werden, in

denen ein Einkommen etwa aus Vermögen oder aus einer nach Trennung

aufgenommenen oder ausgeweiteten Erwerbstätigkeit als Ersatz für die

Haushaltsleistungen zur Verfügung stehe (Graba, FamRZ 1999, S. 1115 <1118,

1121>; zum Meinungsstand Born, FamRZ 1999, S. 541 ff.; Kleffmann, FuR

2000, S. 202 <205 f.>).

II.

Den Verfassungsbeschwerden liegen folgende Sachverhalte zu Grunde:

1. Verfahren 1 BvR 105/95

Die Beschwerdeführerin, die 1969 heiratete und im selben Jahr eine Tochter

gebar, nahm 1972 wieder halbtägig ihre Berufstätigkeit auf. Im Juni 1991

trennten sich die Eheleute. Während des Ehescheidungsverfahrens erweiterte

die Beschwerdeführerin im Januar 1992 ihre Beschäftigung zu einer

Vollbeschäftigung. Die Ehe ist seit dem 29. Oktober 1992 rechtskräftig

geschieden.

Während das Amtsgericht der Beschwerdeführerin auf ihre Klage hin

Unterhalt unter Berechnung nach der Differenzmethode zusprach, wies das

Oberlandesgericht ihre Klage unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils

ab. Eine erst nach der Trennung erfolgte Erweiterung einer

Teilzeittätigkeit zu einer Vollzeitbeschäftigung durch den Unterhalt

fordernden Ehegatten könne die ehelichen Lebensverhältnisse nur dann noch

prägen, wenn sie auch ohne die Trennung erfolgt wäre. Im Falle der

Beschwerdeführerin könne aufgrund der Ausführungen ihres Ehemannes nicht

ausgeschlossen werden, dass sie allein trennungsbedingt wieder voll

berufstätig geworden sei.

2. Verfahren 1 BvR 559/95

Die Beschwerdeführerin schloss 1983 die Ehe, aus der 1984 eine Tochter

hervorging. Anfang 1988 trennten sich die Eheleute. Die Ehe wurde im

Oktober 1992 rechtskräftig geschieden. Die elterliche Sorge für die

Tochter wurde dem geschiedenen Ehemann übertragen.

Zu ihrem beruflichen Werdegang trug die Beschwerdeführerin im

Ausgangsverfahren vor, sie sei vor der Entbindung der Tochter als

Reisebürokauffrau berufstätig gewesen. Nach der Geburt habe sie sich der

Kindererziehung gewidmet. Ab 1989 habe sie sich dann wieder in das

Berufsleben eingliedern wollen und im Januar 1990 eine Umschulung zur

Industriekauffrau begonnen. Nach dem Aufenthalt in einer

Rehabilitationsklinik von Dezember 1992 bis März 1993 habe sie sich

erfolglos auf Arbeitsstellen beworben. Seit Juli 1994 erhalte sie eine

Erwerbsunfähigkeitsrente.

Das Oberlandesgericht sprach ihr mit dem angegriffenen Urteil in

Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung einen niedrigeren

Unterhaltsanspruch zu und erkannte im Übrigen, die Beschwerdeführerin habe

nur noch bis zum 16. Januar 1995 einen Unterhaltsanspruch gegen den

Ehemann, da die ihr bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente ihre

Unterhaltsbedürftigkeit zum Wegfall gebracht habe. Die ehelichen

Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin seien durch das Erwerbseinkommen

des Ehemannes, nicht auch durch ihre Erwerbs- oder Renteneinkünfte geprägt

worden. Die Beschwerdeführerin habe nur trennungsbedingt wieder mit einer

Erwerbstätigkeit beginnen wollen. Dafür, dass sie auch ohne die Trennung

erwerbstätig geworden wäre, lägen keine Anhaltspunkte vor. Ihren

Unterhaltsbedarf könne sie seit Dezember 1994 durch eigene Renteneinkünfte

decken, die sie sich gemäß § 1577 Abs. 1 BGB anrechnen lassen müsse.

3. Verfahren 1 BvR 457/96

Aus der 1968 geschlossenen Ehe der Beschwerdeführerin gingen zwei 1972 und

1973 geborene Kinder hervor. Nach eigenen Angaben war die

Beschwerdeführerin nach der Geburt ihrer Kinder als Hausfrau und Mutter

tätig, gab daneben zeitweise Malkurse für Kinder und bemühte sich um

Anstellung als Architektin. Nach Trennung der Eheleute im Jahre 1982

arbeitete sie eine Zeit lang halbtags als Praktikantin bei einem

Architekten. Ihre Ehe wurde im August 1986 rechtskräftig geschieden. 1987

begann die Beschwerdeführerin ein Referendariat für den beruflichen

Schuldienst, in den sie später übernommen wurde. Nach einer zwischen den

Ehegatten geschlossenen gerichtlichen Vereinbarung sollte sich ein über

den August 1993 hinausgehender Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin

nach den dann geltenden gesetzlichen Vorschriften richten.

Das Amtsgericht wies die Unterhaltsklage der Beschwerdeführerin, mit der

sie Unterhalt ab Januar 1995 begehrte, ab. Auch die Berufung der

Beschwerdeführerin blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht entschied,

zugunsten der Beschwerdeführerin lasse sich kein Unterhaltsbetrag

errechnen. Grundlage eines Unterhaltsanspruchs der Beschwerdeführerin

seien allein die die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden

Gehaltseinkünfte ihres geschiedenen Ehemannes. Eigene Erwerbseinkünfte der

Beschwerdeführerin hätten außer Betracht zu bleiben. Mögliche Einkünfte

aus durchgeführten Malkursen seien auch nach ihrem Vorbringen bereits im

Jahre 1981 zum Wegfall gekommen. Eine Erwerbstätigkeit der

Beschwerdeführerin habe somit erst nach der Scheidung eingesetzt, so dass

der Unterhalt nicht im Wege der Differenzmethode zu berechnen sei. Er

bemesse sich durch Anrechnung ihres Einkommens auf die allein vom

Einkommen des geschiedenen Ehemannes abgeleitete Unterhaltsquote. Dabei

errechne sich zugunsten der Beschwerdeführerin kein Unterhaltsanspruch.

 

III.

Mit ihren jeweils gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts

gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen

insbesondere die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und 2 sowie von Art. 6 GG.

Zur Begründung verweisen sie auf die Gleichwertigkeit von Haushaltsführung

und Erwerbstätigkeit in der Ehe. Der Schutz der Ehe umfasse auch die

Familienleistung. Insbesondere kindererziehende Elternteile dürften

unterhaltsrechtlich nicht benachteiligt werden, wenn sie im Interesse der

Familie ihre Berufstätigkeit einschränkten oder aufgäben. Die Lasten der

gemeinsamen Entscheidung der Eheleute über ihre Aufgabenverteilung dürften

nicht einseitig demjenigen aufgebürdet werden, der die Familienarbeit

übernommen habe. Im Übrigen hänge es nach der ihren Verfahren zu Grunde

gelegten Rechtsprechung vom Zufall ab, in welchen Fällen Erwerbseinkommen

des haushaltsführenden Ehegatten als eheprägend eingestuft würde. Erfolge

die Scheidung zu einem Zeitpunkt, in dem die Kinder noch klein seien, so

dass der die Kinder Betreuende keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, werde

späteres Einkommen nicht berücksichtigt. Erfolge sie zu einer Zeit, in der

die Kinder älter seien, hätten die Kinder Betreuenden oft schon wieder

eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, die dann in die Bedarfsberechnung

Eingang fände. Um dem Schutz der Ehe und der Gleichberechtigung der

Ehepartner gerecht zu werden, dürfe es unterhaltsrechtlich nicht darauf

ankommen, zu welchem Zeitpunkt der betreuende Elternteil wieder ins

Erwerbsleben zurückgekehrt sei.

IV.

Zu den Verfahren haben sich das Bundesministerium der Justiz namens der

Bundesregierung, der Bundesgerichtshof, die Wissenschaftliche Vereinigung

für Familienrecht, der Deutsche Juristinnenbund und der Interessenverband

Unterhalt und Familienrecht geäußert.

1. Aus der Sicht der Bundesregierung ist bei der Berechnung der Höhe der

nachehelichen Unterhaltsansprüche sicherzustellen, dass nicht zufällige

oder der Lebensplanung der Ehepartner widersprechende Ergebnisse zustande

kommen. Die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit der

Ehegatten, teilweise oder zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit

zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch

Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden, dürfe

nicht beeinträchtigt werden.

2. Der Bundesgerichtshof hat eine Stellungnahme des Vorsitzenden des XII.

Zivilsenates übermittelt, in der dieser auf die vom Bundesgerichtshof

bislang vertretene Rechtsprechung und darauf hingewiesen hat, dass die in

den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Rechtsfragen Gegenstand weiterer

anhängiger Revisionsverfahren seien.

3. Nach Auffassung der Wissenschaftlichen Vereinigung für Familienrecht

weckt die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedenken mit

Blick auf das Benachteiligungsverbot nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Sie

beruhe auf dem Leitbild der so genannten Haushaltsführungsehe, der

unterstellt werde, dass der kinderbetreuende Elternteil auch bei

Beendigung der Kinderbetreuung die Haushaltstätigkeit fortführen werde.

Dieses Ehebild habe sich aber zwischenzeitlich gewandelt. Üblich sei heute

die Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Aussetzung der Berufstätigkeit

wegen Kinderbetreuung. Die Anwendung der Anrechnungsmethode benachteilige

den kinderbetreuenden Elternteil, weil ihm im Ergebnis nur die Hälfte des

Einkommens gegenüber dem erwerbstätigen Ehegatten verbleibe. In der Regel

führe dies zum sozialen Abstieg des haushaltsführenden und

kinderbetreuenden Elternteils. Dies habe der Gesetzgeber mit der

Anknüpfung des Unterhalts an die ehelichen Lebensverhältnisse gerade

vermeiden wollen. Um diese Benachteiligung bei Trennung und Scheidung zu

verhindern, sei daher davon auszugehen, dass entsprechend der heute

üblichen Form der Ehegestaltung eine Rückkehr in das Berufsleben

beabsichtigt gewesen sei. Damit sei auch erst nach Trennung oder Scheidung

erzieltes Einkommen als eheprägend anzusehen.

4. Der Deutsche Juristinnenbund vertritt die Ansicht, die Anwendung der

Anrechungsmethode führe zu einem Ergebnis, das Art. 3 Abs. 1 und 2 sowie

Art. 6 GG verletze. Die Anrechnungsmethode benachteilige die Ehefrau, die

während der Ehe in Absprache mit dem Ehemann den Haushalt geführt, ihren

Kindern zuliebe auf die Ausübung ihres Berufs verzichtet und dadurch

wirtschaftliche Nachteile für den Fall der Ehescheidung zu erwarten habe.

Verfassungsgemäß könne nur eine Unterhaltsberechnung sein, die als

Unterhaltsleistungen in der Ehe nicht nur den Barunterhalt, sondern auch

die Leistungen der Ehefrau in Form der Haushaltsführung und

Kinderbetreuung anerkenne.

5. Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht teilt die Auffassung,

dass die Anrechnungsmethode den betreuenden Elternteil benachteiligt, der

erst nach Trennung und Scheidung entsprechend seiner Erwerbsverpflichtung

eine Erwerbstätigkeit aufnehme. Art. 6 Abs. 1 GG differenziere nicht

zwischen einem erwerbstätigen und einem haushaltstätigen Elternteil. Die

ehelichen Lebensverhältnisse seien deshalb nicht nur durch Einkünfte aus

Erwerbstätigkeit und Vermögen, sondern auch durch Haushalts- und

Betreuungstätigkeit geprägt.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die angegriffenen gerichtlichen

Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten

aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG.

I.

1. a) Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG schützt die Ehe als

eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl. BVerfGE 35, 382

<408>; 103, 89 <101>), in der die Ehegatten ihre persönliche und

wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen (vgl.

BVerfGE 57, 361 <390>; 61, 319 <347>). Zur selbstverantwortlichen

Lebensgestaltung gehören neben der Entscheidung, ob die Ehegatten Kinder

haben wollen, insbesondere auch die Vereinbarung über die innerfamiliäre

Arbeitsteilung und die Entscheidung, wie das gemeinsame Familieneinkommen

durch Erwerbsarbeit gesichert werden soll (vgl. BVerfGE 61, 319 <347>; 66,

84 <94>; 68, 256 <268>). Dabei steht es den Ehepartnern frei, ihre Ehe so

zu führen, dass ein Ehepartner allein einer Berufstätigkeit nachgeht und

der andere sich der Familienarbeit widmet, ebenso wie sie sich dafür

entscheiden können, beide einen Beruf ganz oder teilweise auszuüben und

sich die Hausarbeit und Kinderbetreuung zu teilen oder diese durch Dritte

durchführen zu lassen (vgl. BVerfGE 39, 169 <183>; 48, 327 <338>; 99, 216

<231>).

b) Kommen den Ehegatten gleiches Recht und gleiche Verantwortung bei der

Ausgestaltung ihres Ehe- und Familienlebens zu, so sind auch die

Leistungen, die sie jeweils im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer

Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisung erbringen, als

gleichwertig anzusehen (vgl. BVerfGE 37, 217 <251>; 47, 1 <24>; 53, 257

<296>; 66, 84 <94>; 79, 106 <126>). Haushaltsführung und Kinderbetreuung

haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als

Einkünfte, die dem Haushalt zur Verfügung stehen. Gleichermaßen prägen sie

die ehelichen Lebensverhältnisse und tragen zum Unterhalt der Familie

bei.

Allerdings bemisst sich die Gleichwertigkeit der familiären

Unterhaltsbeiträge von Ehegatten nicht an der Höhe des Erwerbseinkommens,

das einer oder beide Ehegatten erzielen, oder am wirtschaftlichen Wert der

Familienarbeit und an deren Umfang. Sie drückt vielmehr aus, dass die von

den Ehegatten für die eheliche Gemeinschaft jeweils erbrachten Leistungen

gerade unabhängig von ihrer ökonomischen Bewertung gleichgewichtig sind

und deshalb kein Beitrag eines Ehegatten höher oder niedriger bewertet

werden darf als der des anderen. Dem tragen auch die Regelungen der §§

1360 Satz 2 und 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB Rechnung, die die Gleichwertigkeit

der Unterhaltsbeiträge von Ehegatten einfach-rechtlich normieren und einen

rechnerischen Leistungsausgleich zwischen den Ehegatten ausschließen.30

c) Sind die Leistungen, die Ehegatten im gemeinsamen Unterhaltsverband

erbringen, gleichwertig, haben beide Ehegatten grundsätzlich auch Anspruch

auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten, das ihnen zu gleichen

Teilen zuzuordnen ist. Dies gilt nicht nur für die Zeit des Bestehens der

Ehe, sondern entfaltet seine Wirkung auch nach Trennung und Scheidung der

Ehegatten auf deren Beziehung hinsichtlich Unterhalt, Versorgung und

Aufteilung des gemeinsamen Vermögens (vgl. BVerfGE 47, 85 <100>; 63, 88

<109>). Dem entsprechen die gesetzlichen Regelungen über den

Versorgungsausgleich (vgl. BVerfGE 53, 257 <296>) und den

Zugewinnausgleich (vgl. BVerfGE 71, 364 <386>) bei Scheidung. Insbesondere

aber bestimmt der Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erarbeiteten

auch die unterhaltsrechtliche Beziehung der geschiedenen Eheleute (vgl.

BVerfGE 63, 88 <109>). Bei der Unterhaltsberechnung ist das Einkommen, das

den Lebensstandard der Ehe geprägt hat, den Ehegatten grundsätzlich

hälftig zuzuordnen. Seine Höhe ergibt sich regelmäßig aus der Summe der

Einkünfte, die den Eheleuten zur gemeinsamen Lebensführung zur Verfügung

gestanden hat, gleichgültig, ob sie nur von einem oder beiden Ehegatten

erzielt worden sind. Im Allgemeinen stellt die Hälfte dieses gemeinsamen

Gesamteinkommens den Teil dar, den es – sofern die sonstigen gesetzlichen

Voraussetzungen vorliegen – unterhaltsrechtlich für denjenigen Ehegatten

zu sichern gilt, der nach der Scheidung nicht über ein eigenes Einkommen

in entsprechender Höhe verfügt.

2. Die ständige Rechtsprechung der Zivilgerichte berücksichtigt bei der

Unterhaltsberechnung auch Einkommenszuwächse, die von einem oder beiden

Ehegatten erst nach der Ehescheidung erzielt werden, sofern diese Zuwächse

einer normalen Entwicklung von Einkommen und beruflichem Verlauf

entsprechen (vgl. oben A I 1 a). Eine solche Auslegung des Begriffs der

ehelichen Lebensverhältnisse, nach denen sich gemäß § 1578 Abs. 1 BGB die

Höhe des nachehelichen Unterhalts bestimmt, ist dann verfassungsrechtlich

nicht zu beanstanden, wenn dabei der aus der Gleichwertigkeit der

ehelichen Unterhaltsbeiträge erwachsene Anspruch beider Ehegatten auf

Sicherung eines gleichen Lebensstandards auch nach der Ehe bei der

Berechnung des nachehelichen Unterhalts im Prinzip gewahrt bleibt.

3. Dem werden die angegriffenen Entscheidungen, die sich auf die frühere

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen, nicht gerecht, wenn sie als

Bestandteile des den ehelichen Verhältnissen entsprechenden

Gesamteinkommens zwar die Einkommenszuwächse bei der Unterhaltsberechnung

berücksichtigen, die der Ehegatte nach der Scheidung erzielt, der schon

während der Ehezeit einer Vollerwerbstätigkeit nachgegangen ist, nicht

aber diejenigen, die dem in der Ehe nicht oder nur teilweise

erwerbstätigen Ehegatten dadurch zufließen, dass er nach der Scheidung

eine Teil- oder Vollerwerbstätigkeit wieder aufnimmt. Sie verstoßen damit

gegen Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG.

a) Die Nichtberücksichtigung von nachehelichen Einkommenszuwächsen aus der

Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit beim Gesamteinkommen, das der

Unterhaltsberechnung zu Grunde gelegt wird, führt dazu, dass, gemessen an

der ehelichen Einkommenssituation, die auf der Leistung beider Ehegatten

beruht, der schon während der Ehezeit erwerbstätige Ehegatte durch die

Arbeitsaufnahme des anderen einseitig eine finanzielle Entlastung bei

seiner Unterhaltsverpflichtung erfährt. Ihm wird dadurch ein höherer

Anteil seines Einkommens belassen als der, der ihm während der Ehe zur

Verfügung gestanden hat. Demgegenüber reduziert das zusätzliche Einkommen

des in der Ehe nicht oder nur teilweise erwerbstätigen Ehegatten in Höhe

dieses Einkommens seinen Unterhaltsanspruch. Es wirkt sich nicht auf

seinen Unterhaltsbedarf aus, sondern mindert allein seine Bedürftigkeit.

Der von ihm erlangte Einkommenszuwachs kommt damit nicht ihm, sondern

lediglich dem anderen geschiedenen Ehepartner zugute. Dieses Ergebnis

trägt der Gleichwertigkeit der Leistung, die der nicht erwerbstätige

Ehegatte während der Ehezeit erbracht hat, nicht Rechnung. Diese Leistung

hat zusätzlich zum Einkommen des anderen Ehegatten in gleicher Weise das

eheliche Leben geprägt. Wird diese sich nicht in Geldwert ausdrückende, in

der Ehe erbrachte Leistung abgelöst von einer, die entlohnt wird, führt

die Nichtberücksichtigung des hierdurch erzielten Einkommens bei der

Bestimmung der ehelichen Einkommenssituation im Nachhinein zur Missachtung

des Wertes der geleisteten Familienarbeit zu Lasten dessen, der sie in der

Ehe erbracht hat.

b) Wenn in den angegriffenen Entscheidungen für die Einbeziehung von

derartigen Einkommenszuwächsen in das der Unterhaltsberechnung zu Grunde

zu legende, die Einkommenssituation der Eheleute bestimmende

Gesamteinkommen gefordert wird, eine wieder aufgenommene Erwerbstätigkeit

müsse zumindest auf einem gemeinsamen Lebensplan der Ehegatten beruhen,

der schon vor der Scheidung wenigstens teilweise verwirklicht worden ist,

verkennt dies den Schutz, den Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs.

2 GG jedem Ehegatten gewährt. Die Ehegatten können ihre eheliche Beziehung

frei und in gemeinsamer gleichberechtigter Entscheidung gestalten. Die

Entscheidung über ihre jeweiligen Aufgaben innerhalb der Ehe prägt ihre

ehelichen Verhältnisse. Übernimmt dabei einer der Ehegatten die

Familienarbeit, verzichtet er auch zugunsten des anderen auf ein eigenes

Einkommen. Die Begründung dieses Verzichts liegt in der Ehe. Endet sie

durch Scheidung, wird damit der ehelichen Vereinbarung der Grund entzogen.

Den während der Ehe auf eigenes Einkommen verzichtenden Ehegatten hieran

nach Beendigung der Ehe unterhaltsrechtlich festzuhalten, bedeutet,

nunmehr allein ihm die daraus erwachsenden finanziellen Nachteile

zuzuweisen, die aufgrund der gemeinsamen Entscheidung in der Ehe beide

Ehegatten zu tragen hatten. Dies führt zur Schlechterstellung des die

Familienarbeit übernehmenden Ehegatten gegenüber dem, der kontinuierlich

einer Erwerbsarbeit auch in der Ehe hat nachgehen können.

c) Im Übrigen entspricht die von den Gerichten mit dieser Rechtsauffassung

unterstellte Endgültigkeit einer einmal gemeinsam von den Ehegatten

getroffenen Arbeitsteilung nicht mehr der Ehewirklichkeit. Seit den

siebziger Jahren hat sich das Ausbildungs-, Erwerbs- und

Familiengründungsverhalten von Frauen kontinuierlich gewandelt. Während

das durchschnittliche Heiratsalter lediger Frauen 1975 noch bei 22,7

Jahren lag, heirateten ledige Frauen 1998 durchschnittlich erst im Alter

von 28 Jahren (Statistisches Jahrbuch 1985, S. 72 und Statistisches

Jahrbuch 2000, S. 69). Dies lässt den Schluss zu, dass Frauen heute erst

nach Abschluss einer Berufsausbildung und nach einigen Berufsjahren eine

Ehe eingehen (vgl. Büttner, FamRZ 1999, S. 894). Viele Frauen bleiben auch

während der Kinderbetreuung berufstätig (Statistisches Jahrbuch 2000, S.

108) oder nehmen nach dem Ende der Kinderbetreuungsphase wieder eine

Berufstätigkeit auf. So gingen im Mai 2000 74 % der Frauen, deren jüngstes

Kind 15 bis 18 Jahre alt war, einer Erwerbstätigkeit nach (Ergebnis des

Mikrozensus 2000, vgl. Statistisches Bundesamt, Zentralblatt für

Jugendrecht 2001, S. 278). Dementsprechend ist die Erwerbsquote

verheirateter Frauen in der Altersgruppe der 40- bis 45-Jährigen, das

heißt in einem Alter, in dem die Kinderbetreuung weitgehend abgeschlossen

ist, mit 78 % am höchsten (Statistisches Jahrbuch 2000, S. 101). 61 % der

Frauen mit mindestens einem minderjährigen Kind arbeiteten im Mai 2000 in

einer Teilzeitbeschäftigung (Ergebnis des Mikrozensus 2000, a.a.O.). So

zeichnet sich ab, dass inzwischen die noch in den fünfziger und sechziger

Jahren dominierende Hausfrauenehe einem nunmehr vorherrschenden Ehebild

gewichen ist, das auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt, bei dem

nur noch in der Phase aktiver Elternschaft der Typus der Versorgerehe

weitgehend erhalten geblieben ist. Dabei strebt die Mehrheit der Frauen

eine Verbindung von privater Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit auf der

Basis von temporärer Teilzeitarbeit an (vgl. Pfau-Effinger, Kultur und

Frauenerwerbstätigkeit in Europa 2000, S. 144 f.). Insoweit wird auch von

einer typischen Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Aussetzung der

Berufstätigkeit wegen der Kinderbetreuung (Gerhardt, FamRZ 2000, S. 134)

oder von einer Aneinanderreihung der Ehetypen gesprochen (Büttner, FamRZ

1999, S. 893 <894>). Deshalb ist davon auszugehen, dass der zeitweilige

Verzicht eines Ehegatten auf Erwerbstätigkeit, um die Aufgabe der

Kindererziehung zu übernehmen, ebenso die ehelichen Verhältnisse prägt wie

die vorher ausgeübte Berufstätigkeit und die danach wieder aufgenommene

oder angestrebte Erwerbstätigkeit. Dies verkennen die angegriffenen

Entscheidungen, wenn sie allein auf den Zeitpunkt der Scheidung abstellen,

vor dem eine Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen werden muss, um bei der

unterhaltsrechtlichen Bestimmung des die ehelichen Verhältnisse prägenden

Gesamteinkommens Berücksichtigung zu finden.

4. Wie die von Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG gebotene

Gleichwertigkeit von geleisteter Familienarbeit und ehelichen Einkünften

in Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse nach § 1578

Abs. 1 BGB bei der nachehelichen Unterhaltsbemessung zur Geltung zu

bringen und wie der Unterhalt zu berechnen ist, haben die Fachgerichte zu

beurteilen. Mit seiner Entscheidung vom 13. Juni 2001 (FamRZ 2001, S. 986)

hat der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung geändert und

nunmehr eine Unterhaltsbemessung vorgenommen, die der Gleichwertigkeit der

Unterhaltsbeiträge beider Ehegatten Rechnung trägt. Damit, dass er die

neue Berufstätigkeit des vorher nicht erwerbstätigen Ehegatten als

„Surrogat“ der bisher geleisteten Haushaltsführung und Kinderbetreuung

angesehen hat, hat der Bundesgerichtshof einen möglichen,

verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weg aufgezeigt, den Wert, der

der Ehe aus der Familienarbeit erwächst, unterhaltsrechtlich zum Tragen zu

bringen.

II.

Die Gerichte haben in ihren angegriffenen Entscheidungen die

Gleichwertigkeit der ehelichen Unterhaltsleistungen nicht beachtet und der

nachehelichen Unterhaltsbemessung in nicht verfassungsgemäßer Auslegung

des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse eine Berechnung zu Grunde

gelegt, die dem Wert der in der Ehe geleisteten Familienarbeit nicht

gerecht wird. In allen drei Verfahren hat sich die Wiederaufnahme einer

Erwerbstätigkeit kurz vor oder nach der Scheidung durch die

Beschwerdeführerinnen nur leistungsmindernd auf ihren Unterhaltsanspruch

ausgewirkt, ohne dass ihre in der Ehe geleistete Familienarbeit bei der

Bemessung ihres Unterhaltsbedarfs entsprechend Berücksichtigung gefunden

hätte. Die Entscheidungen sind deshalb aufzuheben und die Sachen an die

Oberlandesgerichte zurückzuverweisen.

C.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Damit

erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin zu 2 auf Bewilligung von

Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 62,

392 <397>; 71, 122 <136 f.>).


    Beschluss

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf jeweils

40.000 € (in Worten: vierzigtausend Euro) festgesetzt (§ 113 Abs. 2 Satz 3

BRAGO).

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