Im zahnärztlichen Behandlungsfehlerprozess führte die Rüge gegen den Gutachter zu einer unzulässigen Verspätung Ablehnungsgesuch durch den beklagten Arzt. Der Ablehnungsantrag wurde nicht wegen der inhaltlichen Mängel abgewiesen, sondern weil die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen massiv überschritten war.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Wann ist ein Gutachter befangen – und wann ist es zu spät, das zu rügen?
- Was war der Auslöser des Streits?
- Nach welchen Regeln wird die Befangenheit eines Sachverständigen beurteilt?
- Warum scheiterte der Zahnarzt mit seinem Ablehnungsgesuch?
- Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt ein Gerichtsgutachter als befangen und welche Gründe zählen dafür?
- Reicht ein inhaltlich falsches oder mangelhaftes Gutachten für die Ablehnung aus?
- Wie lange ist die Frist für das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen?
- Was tun, wenn der Sachverständige meine Argumente unsachlich oder persönlich herabwürdigt?
- Kann ich ein Ablehnungsgesuch später einreichen und wie begründe ich eine Fristversäumnis?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: I-5 W 28/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Köln
- Datum: 09.10.2025
- Aktenzeichen: I-5 W 28/25
- Verfahren: Beschwerdeverfahren (Ablehnung Sachverständiger)
- Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht, Arzthaftung
- Das Problem: Ein Zahnarzt wollte einen gerichtlich bestellten Gutachter ablehnen. Er meinte, der Gutachter sei befangen und habe seinen Auftrag überschritten. Als weiteren Grund führte er an, der Sachverständige habe eine Frage mit dem Wort „Unsinn“ beantwortet.
- Die Rechtsfrage: Durfte der Zahnarzt den Gutachter wegen Befangenheit ablehnen? Oder hat er die Ablehnung zu spät beantragt?
- Die Antwort: Nein, der Antrag wurde endgültig zurückgewiesen. Das Gericht hielt den Antrag für unzulässig verspätet. Mängel im Gutachten begründen in der Regel keine Befangenheit des Sachverständigen.
- Die Bedeutung: Wer einen Sachverständigen ablehnen will, muss dies sofort tun, sobald die Gründe bekannt werden. Allgemeine Kritik an der fachlichen Qualität eines Gutachtens ist allein kein Beweis für Parteilichkeit.
Wann ist ein Gutachter befangen – und wann ist es zu spät, das zu rügen?
In einem Gerichtsprozess hängt oft alles von der Einschätzung eines einzigen Experten ab. Doch was passiert, wenn eine Partei das Gefühl hat, dieser Sachverständige sei nicht neutral, sondern voreingenommen? Ein Zahnarzt befand sich genau in dieser Lage und versuchte, den vom Gericht bestellten Gutachter abzulehnen.

Sein Vorwurf gipfelte in einem einzigen Wort, das der Experte ihm in der mündlichen Verhandlung entgegengeschleudert haben soll: „Unsinn“. Der Fall landete schließlich vor dem Oberlandesgericht Köln, das am 9. Oktober 2025 unter dem Aktenzeichen I-5 W 28/25 eine Entscheidung traf, die eine klare Lektion in prozessualer Disziplin erteilt. Sie zeigt, dass der Vorwurf der Befangenheit nicht nur gut begründet, sondern vor allem rechtzeitig vorgebracht werden muss.
Was war der Auslöser des Streits?
Die Geschichte beginnt mit einem zahnärztlichen Behandlungsfehlerprozess. Ein Patient verklagte seinen Zahnarzt wegen angeblicher Probleme, die nach einer Behandlung aufgetreten waren. Um die medizinischen Fakten zu klären, leitete das Landgericht Aachen ein sogenanntes Selbständiges Beweisverfahren ein. Das ist ein juristisches Instrument, um schnell und noch vor dem eigentlichen Hauptprozess wichtige Beweise zu sichern – in diesem Fall durch das Gutachten eines neutralen Experten.
Das Gericht bestellte den Sachverständigen Dr. L., der am 20. Januar 2024 sein Gutachten vorlegte. Der beklagte Zahnarzt erhielt eine Frist bis zum 28. April 2024, um zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen. Monate später, am 14. August 2024, kam es zur mündlichen Anhörung des Gutachters vor Gericht. Hier stellte der Anwalt des Zahnarztes eine Frage, die er bereits im März schriftlich angekündigt hatte: Könnten die Probleme des Patienten mit seiner Aufbissschiene nicht einfach daran liegen, dass er sie lange nicht getragen habe? Laut Sitzungsprotokoll fiel hier die knappe Antwort des Gutachters: „Unsinn“.
Der eigentliche Paukenschlag erfolgte jedoch erst viele Monate später. In seiner Klageerwiderung vom 9. April 2025, also fast ein Jahr nach der Anhörung, stellte der Zahnarzt erstmals einen offiziellen Ablehnungsantrag gegen den Gutachter Dr. L. Seine Begründung: Der Experte sei befangen. Er habe seinen Gutachtenauftrag überschritten und sich zu Aufklärungsplichten über Bruxismus (Zähneknirschen) geäußert, was gar nicht seine Aufgabe gewesen sei.
Damit nicht genug: Nachdem der Zahnarzt ein eigenes Privatgutachten eingeholt hatte, legte er im Mai und Juli 2025 mit weiteren Schriftsätzen nach. Nun warf er dem Gerichtsgutachter mangelnde Sachkunde, ein unbrauchbares Gutachten und die Anwendung falscher Bewertungsmaßstäbe vor. Das Landgericht Aachen wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Dagegen legte der Zahnarzt sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Köln ein – und scheiterte erneut.
Nach welchen Regeln wird die Befangenheit eines Sachverständigen beurteilt?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man sich die rechtlichen Spielregeln ansehen, die für die Ablehnung eines Sachverständigen gelten. Das Gesetz will ein faires Verfahren sicherstellen, aber auch verhindern, dass Prozesse durch unbegründete oder verspätete Anträge verschleppt werden.
Die zentrale Vorschrift findet sich in der Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter. Entscheidend ist die sogenannte Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO). Es muss ein Grund vorliegen, der aus Sicht einer vernünftigen und verständigen Prozesspartei geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Experten zu rechtfertigen. Reine subjektive Gefühle oder eine bloße Unzufriedenheit mit dem Ergebnis des Gutachtens reichen dafür nicht aus.
Noch wichtiger im Kölner Fall war jedoch die prozessuale Hürde der Frist, die in § 406 Abs. 2 ZPO geregelt ist. Ein Ablehnungsantrag muss grundsätzlich gestellt werden, bevor der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Kennt eine Partei den Ablehnungsgrund erst später, muss sie ihn unverzüglich geltend machen. Versäumt sie dies, verliert sie ihr Recht, sich auf diesen Grund zu berufen. Eine spätere Geltendmachung ist nur dann zulässig, wenn die Partei glaubhaft machen kann, dass sie den Antrag ohne eigenes Verschulden nicht früher stellen konnte.
Warum scheiterte der Zahnarzt mit seinem Ablehnungsgesuch?
Das Oberlandesgericht Köln zerlegte die Argumentation des Zahnarztes Punkt für Punkt und kam zu dem Schluss, dass die Beschwerde unbegründet war. Die Richter stützten ihre Entscheidung auf mehrere, voneinander unabhängige Überlegungen.
Das entscheidende Versäumnis: Die Frist zur Rüge war abgelaufen
Der Hauptgrund für das Scheitern war rein prozessualer Natur: Der Antrag kam zu spät. Das Gericht stellte fest, dass die Fakten, auf die der Zahnarzt seinen Hauptvorwurf – die Überschreitung des Gutachtenauftrags – stützte, ihm seit Monaten bekannt waren. Spätestens mit dem Eingang des Gutachtens am 20. Januar 2024 und der gesetzten Frist zur Stellungnahme bis April 2024 hätte er diese Rüge vorbringen müssen.
Indem er stattdessen bis April 2025 wartete, hatte er die Frist des § 406 Abs. 2 ZPO bei Weitem überschritten. Das Gericht sah auch keinen Entschuldigungsgrund. Der Zahnarzt konnte nicht glaubhaft machen, warum es ihm unverschuldet unmöglich gewesen sein sollte, die angebliche Befangenheit früher zu erkennen und zu rügen. Allein diese Verspätung machte den Antrag bereits unzulässig.
Ein Wort als Beweis? Warum „Unsinn“ nicht für eine Befangenheit ausreichte
Obwohl der Antrag bereits unzulässig war, prüfte das Gericht die Vorwürfe auch inhaltlich. Besonderes Augenmerk legte es auf die angebliche Äußerung „Unsinn“. Die Richter werteten diesen Ausspruch jedoch nicht als Beweis für eine Voreingenommenheit. Sie argumentierten, dass eine einmalige, umgangssprachliche und pointierte Äußerung in der Hitze einer mündlichen Verhandlung anders zu bewerten sei als eine formulierte Passage in einem schriftlichen Gutachten.
Ein verständig urteilender Prozessbeteiligter, so das Gericht, würde dies als eine sehr deutliche Zurückweisung einer bestimmten fachlichen These verstehen, nicht aber als persönliche Herabwürdigung oder als Zeichen genereller Parteilichkeit. Zudem hatte der Zahnarzt während der Verhandlung selbst keine prozessualen Konsequenzen aus der Äußerung gezogen, was aus Sicht des Gerichts ihre geringe Bedeutung unterstrich.
Inhaltliche Fehler vs. Parteilichkeit: Eine entscheidende juristische Unterscheidung
Den Kern der späteren Argumentation des Zahnarztes bildete der Vorwurf, das Gutachten sei fachlich mangelhaft, unbrauchbar und der Sachverständige nicht kompetent genug. Hier zog das Gericht eine klare juristische Trennlinie, die in der Praxis von enormer Bedeutung ist. Es verwies auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach inhaltliche Fehler, Unzulänglichkeiten oder eine vermeintlich fehlende Sachkunde eines Gutachters für sich allein nicht ausreichen, um eine Befangenheit zu begründen.
Die Begründung dahinter ist einfach: Ein Gutachten kann falsch sein, ohne dass der Gutachter parteiisch ist. Er kann sich irren, eine andere wissenschaftliche Meinung vertreten oder schlicht Fehler machen. Solche Mängel sind im Hauptverfahren zu diskutieren. Das Gericht muss dann entscheiden, ob es dem Gutachten folgt, es durch Nachfragen ergänzt oder sogar ein neues Gutachten einholt.
Eine Befangenheit liegt erst dann vor, wenn zusätzliche Umstände darauf hindeuten, dass die Fehler nicht auf einem Versehen, sondern auf einer unsachlichen, voreingenommenen Haltung beruhen. Solche Umstände hatte der Zahnarzt aber nicht dargelegt. Seine Kritik zielte ausschließlich auf die fachliche Qualität – und war damit das falsche Instrument, um die Neutralität des Experten anzugreifen.
Der falsche Maßstab? Auch die Kritik an den Bewertungsrichtlinien griff nicht
Ähnlich bewertete das Gericht den ergänzenden Vorwurf, der Sachverständige habe die Behandlung fälschlicherweise nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) statt nach dem allgemeinen zahnmedizinischen Standard beurteilt. Auch hierbei handelte es sich um eine rein inhaltliche Auseinandersetzung über den korrekten Bewertungsmaßstab. Dieser Einwand gehört in die fachliche Debatte über die Beweiskraft des Gutachtens, ist aber ungeeignet, eine parteiische Gesinnung zu belegen.
Was bedeutet das Urteil jetzt für Sie?
Die Entscheidung des OLG Köln ist eine wichtige Erinnerung daran, dass im Zivilprozess nicht nur gute Argumente, sondern auch das richtige Timing entscheidend sind. Wer einen gerichtlich bestellten Sachverständigen für befangen hält, muss schnell und strategisch klug handeln.
Checkliste: So gehen Sie vor, wenn Sie einen Gutachter für befangen halten
- Handeln Sie sofort: Die wichtigste Lehre aus dem Fall ist die Einhaltung der strengen Fristen des § 406 Abs. 2 ZPO. Sobald Sie einen Grund für die Besorgnis der Befangenheit erkennen, müssen Sie unverzüglich einen Ablehnungsantrag stellen. Zögern Sie nicht und warten Sie nicht auf ein für Sie günstigeres taktisches Moment.
- Unterscheiden Sie die Angriffsziele: Fragen Sie sich kritisch: Stört mich das Ergebnis des Gutachtens oder habe ich konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Neutralität des Gutachters?
- Inhaltliche Mängel: Wenn Sie das Gutachten für fachlich falsch, lückenhaft oder nicht überzeugend halten, ist der Ablehnungsantrag der falsche Weg. Diese Punkte müssen Sie im weiteren Verfahren durch Schriftsätze, Fragen an den Gutachter oder die Vorlage eines Privatgutachtens angreifen.
- Besorgnis der Befangenheit: Nur wenn Sie konkrete Tatsachen haben, die auf eine Voreingenommenheit schließen lassen (z. B. persönliche Beziehungen zu einer Partei, unsachliche oder herabwürdigende Äußerungen, offensichtlich willkürliche Methodik), ist ein Ablehnungsgesuch sinnvoll.
- Dokumentieren Sie alles: Halten Sie jeden Vorfall, der Misstrauen begründen könnte, schriftlich fest – mit Datum, Ort und genauer Beschreibung. Eine flapsige Bemerkung in einer mündlichen Verhandlung kann schnell in Vergessenheit geraten. Ein Protokoll hilft, später präzise zu argumentieren.
- Begründen Sie eine Verspätung lückenlos: Falls Sie eine Frist versäumen, müssen Sie dem Gericht absolut glaubhaft machen, warum Sie den Ablehnungsgrund nicht früher erkennen konnten und Sie kein Verschulden trifft. Der Verweis darauf, dass erst ein von Ihnen beauftragter Privatgutachter die Mängel aufgedeckt hat, wird – wie dieser Fall zeigt – in der Regel nicht ausreichen.
Die Urteilslogik
Die prozessuale Disziplin bei der Ablehnung eines Sachverständigen wirkt in der juristischen Praxis oft strenger als die inhaltliche Kritik am Gutachten selbst.
- Die Frist zur Rüge bestimmt die Zulässigkeit: Erkennt eine Prozesspartei einen Ablehnungsgrund, muss sie diesen unverzüglich geltend machen; jegliches taktisches Zögern oder eine unentschuldigte Verspätung macht das Gesuch unzulässig, selbst wenn der Befangenheitsgrund objektiv besteht.
- Inhaltliche Mängel beweisen keine Voreingenommenheit: Fachliche Fehler, mangelnde Sachkunde oder die Anwendung eines falschen Bewertungsmaßstabes reichen für sich allein nicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, da solche Kritikpunkte in der Beweisaufnahme des Hauptverfahrens zu klären sind.
- Spontane Schärfe ist keine Parteilichkeit: Eine einmalige, umgangssprachliche oder pointierte Zurückweisung einer fachlichen These durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung begründet keine Besorgnis der Befangenheit, solange diese Äußerung nicht auf eine persönliche oder unsachliche Voreingenommenheit hindeutet.
Wer einen gerichtlich bestellten Sachverständigen erfolgreich ablehnen will, muss zwingend Fristen wahre und konkrete Indizien für eine parteiische Gesinnung liefern.
Benötigen Sie Hilfe?
Droht Ihrem Ablehnungsgesuch gegen einen Sachverständigen ebenfalls die Verspätung? Kontaktieren Sie uns rechtzeitig, um eine professionelle Ersteinschätzung Ihres Falles zu erhalten.
Experten Kommentar
Wenn ein Gutachten schlecht ausfällt, ist die Versuchung groß, den Experten einfach abzulehnen, um die Beweislage zu retten. Doch das OLG Köln zieht eine klare rote Linie: Die prozessuale Ablehnung eines Sachverständigen muss unverzüglich erfolgen, denn wer monatelang zögert, hat sein Recht verwirkt. Inhaltliche Fehler oder angebliche Inkompetenz sind ohnehin keine Gründe für eine Befangenheit, sondern müssen im Hauptverfahren durch schlüssige Gegengutachten angegriffen werden. Das Urteil zeigt: Wer den Gutachter wirklich wegen Voreingenommenheit angreifen will, muss nicht nur wasserdichte Beweise haben, sondern vor allem sofort handeln.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt ein Gerichtsgutachter als befangen und welche Gründe zählen dafür?
Die Ablehnung eines Gerichtsgutachters erfordert juristisch die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn aus der Perspektive einer vernünftigen Prozesspartei objektive Gründe für Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen vorliegen. Subjektive Unzufriedenheit mit dem Gutachtenergebnis genügt dabei grundsätzlich nicht als Begründung. Der Antragsteller muss konkrete Tatsachen darlegen, die auf eine persönliche Voreingenommenheit hindeuten.
Gerichte legen einen strengen Maßstab an, um Verfahren nicht durch bloße inhaltliche Auseinandersetzungen zu blockieren. Wirksame Gründe müssen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit aufzeigen. Dazu gehören etwa direkte persönliche Angriffe, beleidigende Bemerkungen gegenüber einer Partei oder der Nachweis einer offensichtlich willkürlichen Methodik ohne sachliche Grundlage. Reine fachliche Irrtümer oder eine vermeintlich unzureichende Sachkunde des Gutachters sind hingegen keine Gründe für eine Befangenheit.
Ein Gutachten kann inhaltlich falsch oder mangelhaft sein, ohne dass der Ersteller parteiisch ist – der Sachverständige kann irren, ohne voreingenommen zu sein. Diese fachlichen Mängel müssen Sie im Hauptverfahren durch Schriftsätze oder ein Gegengutachten angreifen. Ein Ablehnungsantrag ist nur dann erfolgreich, wenn Sie beweisen, dass die Fehler auf einer unsachlichen, parteiischen Gesinnung beruhen, etwa bei einer unbegründeten Auftragsüberschreitung.
Um den Antrag zu untermauern, listen Sie sofort alle konkreten Handlungen oder Äußerungen des Gutachters, die eine persönliche Voreingenommenheit belegen, präzise auf.
Reicht ein inhaltlich falsches oder mangelhaftes Gutachten für die Ablehnung aus?
Die klare Antwort lautet Nein. Ein Ablehnungsgesuch gegen einen Sachverständigen ist nicht erfolgreich, wenn es sich lediglich auf inhaltliche Fehler, mangelnde Sachkunde oder Unzulänglichkeiten im Gutachten stützt. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zieht hier eine scharfe Trennlinie. Ein gerichtlich bestellter Gutachter kann fachliche Fehler machen, ohne dabei voreingenommen oder parteiisch zu sein.
Die juristische Trennlinie ist entscheidend: Inhaltliche Mängel begründen allein keine Besorgnis der Befangenheit. Ein Sachverständiger kann irren, eine abweichende wissenschaftliche Meinung vertreten oder schlicht ein Versehen begehen. Solche fachlichen Irrtümer müssen Sie im Hauptverfahren klären. Hierfür nutzen Sie Schriftsätze, stellen konkrete Fragen an den Sachverständigen oder legen ein Privatgutachten vor.
Auch der Vorwurf, der Gutachter habe den falschen Bewertungsmaßstab angewandt, ist eine rein inhaltliche Auseinandersetzung. Dies gilt nicht als Beweis für eine unsachliche oder voreingenommene Haltung des Experten. Eine Befangenheit liegt erst dann vor, wenn die Mängel auf zusätzlichen Umständen beruhen, die klar auf eine Parteilichkeit hindeuten – nicht nur auf einen fachlichen Irrtum oder ein fachliches Missverständnis.
Analysieren Sie alle fachlichen Mängel und stellen Sie dem Gericht den Antrag auf Einholung eines Ergänzungs- oder Zweitgutachtens, anstatt primär die Befangenheit zu rügen.
Wie lange ist die Frist für das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen?
Die Frist für das Ablehnungsgesuch ist prozessual extrem kurz gehalten. Sie müssen das Gesuch grundsätzlich einreichen, bevor der Sachverständige sein Gutachten mündlich vor Gericht erläutert hat. Wurde der Ablehnungsgrund erst später bekannt, sieht das Gesetz in § 406 Abs. 2 ZPO eine strikte Pflicht zur Unverzüglichkeit vor. Das bedeutet, dass Sie den Grund sofort, also ohne schuldhaftes Zögern, geltend machen müssen.
Der Gesetzgeber verhindert damit, dass Parteien taktisch abwarten, um zu sehen, wie sich das Gutachten entwickelt, bevor sie den Gutachter ablehnen. Unverzüglichkeit bedeutet in der Praxis oft, dass nur wenige Tage Zeit bleiben, um den Antrag zu stellen. Wer zögert, um alle möglichen inhaltlichen Mängel im Gutachten zu sammeln, verliert sein Recht auf Ablehnung, selbst wenn die Befangenheitsgründe objektiv richtig gewesen wären.
Die Konsequenz eines solchen Zögerns ist fatal: Ein verspäteter Antrag wird vom Gericht als unzulässig abgewiesen. War der Ablehnungsgrund (etwa eine klare Auftragsüberschreitung) bereits bei Eingang des Gutachtens erkennbar, muss sofort gehandelt werden. Wartet eine Partei – wie der beklagte Zahnarzt im Fall vor dem OLG Köln – fast ein Jahr, ist die prozessuale Frist bei Weitem überschritten. Allein diese Verspätung macht den Antrag hinfällig.
Wenn Sie einen Ablehnungsgrund erkennen, senden Sie unverzüglich eine dokumentierte Mitteilung an Ihren Anwalt, damit dieser sofort das Gesuch einreichen kann.
Was tun, wenn der Sachverständige meine Argumente unsachlich oder persönlich herabwürdigt?
Wenn ein Sachverständiger Ihre Argumente als unsachlich oder herabwürdigend zurückweist, ist die emotionale Reaktion darauf verständlich. Juristisch gesehen stellt eine einzelne, umgangssprachliche Äußerung im Gerichtssaal aber meist keinen ausreichenden Beweis für eine Voreingenommenheit dar. Gerichte bewerten solche Aussprüche oft als deutliche, pointierte Zurückweisung einer fachlichen These. Nur wenn die Äußerung klar auf eine persönliche Herabwürdigung abzielt, kann sie eine Befangenheit begründen.
Die Hürde für die sogenannte Besorgnis der Befangenheit ist sehr hoch. Ein Ablehnungsgesuch gelingt nur, wenn ein verständig urteilender Prozessbeteiligter die Äußerung als Zeichen genereller Parteilichkeit interpretieren kann. Gerichte trennen strikt zwischen einer scharfen, aber fachlichen Kritik und einem Ausdruck persönlicher Feindseligkeit. Die bloße Unzufriedenheit mit der Art der Kommunikation des Gutachters oder einer pointierten fachlichen Rüge reicht dafür in der Regel nicht aus.
Stützen Sie Ihren Antrag nicht ausschließlich auf eine subjektiv als beleidigend empfundene umgangssprachliche Äußerung, wie beispielsweise das Wort „Unsinn“. Richter werteten einen solchen Ausspruch als eine sehr deutliche Abweisung der These des Klägers, jedoch nicht als persönlichen Angriff. Wenn Sie während der Verhandlung selbst keine prozessualen Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen, schwächt dies zusätzlich die nachträgliche Bedeutung des Ereignisses in den Augen des Gerichts.
Fällt eine unsachliche Bemerkung, bitten Sie Ihren Anwalt sofort, die exakte Formulierung und den Kontext präzise ins Sitzungsprotokoll aufnehmen zu lassen, um Beweise zu sichern.
Kann ich ein Ablehnungsgesuch später einreichen und wie begründe ich eine Fristversäumnis?
Die Regel ist streng: Ein Ablehnungsgesuch muss unverzüglich gestellt werden, sobald der Befangenheitsgrund bekannt wird. Eine nachträgliche Geltendmachung ist zwar möglich, stellt aber eine extrem hohe prozessuale Hürde dar. Sie müssen dem Gericht absolut glaubhaft machen, dass Sie den Ablehnungsgrund ohne eigenes Verschulden nicht früher erkennen konnten (§ 406 Abs. 2 ZPO).
Diese hohe Anforderung dient dazu, die unnötige Verschleppung von Gerichtsverfahren zu verhindern. Es genügt nicht, dass Sie subjektiv unsicher waren oder erst nach aufwändiger Recherche Klarheit erlangten. Sie müssen nachweisen, dass die Kenntnisnahme des Ablehnungsgrundes trotz Anwendung aller notwendigen Sorgfalt objektiv unmöglich war. War der Ablehnungsgrund, zum Beispiel eine klare Überschreitung des Gutachtenauftrags, bereits beim Erhalt des schriftlichen Gutachtens objektiv erkennbar, gilt die spätere Rüge als unzulässig verspätet.
Ein häufiger Fehler liegt in der Argumentation, dass erst ein von Ihnen beauftragtes Privatgutachten die Mängel des Originalgutachtens aufgedeckt habe. Diese Begründung wird von Gerichten in der Regel zurückgewiesen. Die richterliche Sichtweise besagt, dass die objektiven Fakten, welche die Besorgnis der Befangenheit begründen, bereits im Originaldokument vorhanden waren. Wenn die Verspätung ausschließlich auf die Beauftragung eines Gegengutachters zurückzuführen ist, wird das Gesuch wegen schuldhaften Zögerns abgewiesen.
Um eine Fristversäumnis lückenlos zu entkräften, erstellen Sie einen detaillierten, chronologischen Zeitstrahl, der belegt, wann Sie den Befangenheitsgrund objektiv zum ersten Mal erkennen konnten.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Ablehnungsgesuch
Ein Ablehnungsgesuch ist der formelle Antrag einer Prozesspartei, einen vom Gericht bestellten Sachverständigen wegen vermuteter Voreingenommenheit aus dem Verfahren zu entfernen. Dieses Rechtsmittel dient dem Schutz des fairen Verfahrens, da nur ein unabhängiger Gutachter eine neutrale Beweiserhebung gewährleisten kann. Das Gesetz stellt jedoch strenge Anforderungen an die Begründung, um eine Verfahrensverschleppung zu verhindern.
Beispiel: Der Zahnarzt reichte sein Ablehnungsgesuch erst fast ein Jahr nach der mündlichen Anhörung ein, weshalb das Oberlandesgericht Köln den Antrag als verfristet zurückwies.
Besorgnis der Befangenheit
Die Besorgnis der Befangenheit bezeichnet den objektiven Umstand, dass aus der Sicht einer vernünftigen Prozesspartei hinreichende Gründe vorliegen, um Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Diese juristische Hürde ist sehr hoch angesetzt, denn subjektive Unzufriedenheit mit einem Gutachten reicht nicht aus, das Gesetz verlangt konkrete Tatsachen, die eine persönliche Voreingenommenheit belegen.
Beispiel: Die Richter im Kölner Fall entschieden, dass die einzelne, umgangssprachliche Äußerung „Unsinn“ in der mündlichen Verhandlung keine ausreichende Besorgnis der Befangenheit begründete.
Privatgutachten
Ein Privatgutachten ist ein Sachverständigengutachten, das nicht vom Gericht, sondern von einer der Parteien außergerichtlich beauftragt und bezahlt wird, um die Argumentation der Gegenseite zu widerlegen oder inhaltliche Fehler aufzuzeigen. Obwohl ein solches Gegengutachten keine direkte Beweiskraft im Sinne der ZPO hat, dient es dazu, die fachlichen Mängel des Gerichtsgutachtens aufzudecken und gegebenenfalls ein Zweitgutachten zu erwirken.
Beispiel: Nachdem der beklagte Zahnarzt sein eigenes Privatgutachten eingeholt hatte, versuchte er, damit die mangelnde Sachkunde des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu belegen.
Selbständiges Beweisverfahren
Das Selbständige Beweisverfahren ist ein juristisches Instrument der Zivilprozessordnung, das es ermöglicht, wichtige Beweismittel bereits vor Beginn des eigentlichen Hauptprozesses durch ein Gerichtsgutachten zu sichern. Das Gesetz nutzt diese Möglichkeit, um Prozesse zu beschleunigen und eine schnelle Klärung komplexer Tatsachen zu erzielen, ohne auf die eigentliche Hauptverhandlung warten zu müssen.
Beispiel: Im Behandlungsfehlerprozess gegen den Zahnarzt wurde zunächst ein Selbständiges Beweisverfahren eingeleitet, um die medizinischen Fakten durch die Begutachtung des Sachverständigen Dr. L. festzustellen.
Unverzüglichkeit
Unverzüglichkeit bedeutet im juristischen Kontext, dass eine Handlung – hier die Geltendmachung eines Ablehnungsgrundes gemäß § 406 Abs. 2 ZPO – sofort ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss, sobald der Grund bekannt geworden ist. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Prozessparteien taktisch abwarten, wie sich das Gutachten entwickelt, bevor sie den Gutachter ablehnen, weshalb Juristen Unverzüglichkeit sehr eng auslegen.
Beispiel: Weil die prozessuale Pflicht zur Unverzüglichkeit verletzt wurde, sah das Gericht die Rüge der Auftragsüberschreitung durch den Zahnarzt als unzulässig verspätet an.
Das vorliegende Urteil
OLG Köln – Az.: I-5 W 28/25 – Beschluss vom 09.10.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





