Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Az: 12 L 658/14
Beschluss vom 10.07.2014
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die in der Stellenausschreibung Kennziffer … bezeichnete Planstelle … / … . … . … … / … Ortshygiene, Immissionsschutz mit einem Mitbewerber insbesondere dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts bestandskräftig entschieden ist.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
2. Der Streitwert wird auf 11.850,99 Euro festgesetzt
Gründe
Der Antrag hat Erfolg.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 und § 294 der Zivilprozessordnung – ZPO -, dass der Antragsteller einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung glaubhaft macht (Anordnungsanspruch) sowie, dass dieser Anspruch gefährdet und durch eine vorläufige Maßnahme zu sichern ist (Anordnungsgrund).
Vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG ist auszugehen, da die Antragsgegnerin beabsichtigt, die streitgegenständliche Stelle dem Beigeladenen zu übertragen. Dabei handelt es sich für den Antragsteller um einen Beförderungsdienstposten und für den Beigeladenen als Tarifbeschäftigten um eine Stelle, die mit einer Höhergruppierung einhergeht.
Der Antragsteller hat auch die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.
Bei der Entscheidung, welchem von mehreren in Betracht kommenden Bewerbern ein Beförderungsdienstposten übertragen wird, ist das Prinzip der Bestenauslese zu beachten. Der Dienstherr hat Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber zu bewerten und zu vergleichen, Art.33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG. Ist ein Bewerber besser qualifiziert, darf er nicht übergangen werden. Bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation der Konkurrenten liegt die Auswahl im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Der einzelne Bewerber hat insoweit ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Stellenbesetzung (Bewerbungsverfahrensanspruch). Dieses Recht ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig.
Der Erlass einer diesen Anspruch sichernden einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass die Verletzung des Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Begehren glaubhaft ist und die Möglichkeit besteht, dass die noch zu treffende rechtmäßige Auswahlentscheidung tatsächlich zur Gunsten des jeweiligen Antragstellers ausfällt. Mit dem letztgenannten Erfordernis wird zwei für den vorläufigen Rechtsschutz im Konkurrentenstreit wesentlichen Aspekten Rechnung getragen: Zum einen besteht für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kein Anlass, wenn feststeht, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung für das Entscheidungsergebnis bedeutungslos war, wenn also die Wiederholung des Stellenbesetzungsverfahrens unter Vermeidung der Rechtsverletzung zu keiner für den Antragsteller günstigeren Entscheidung führen kann. Zum anderen muss für den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung genügen. Dass die erneute Entscheidung des Dienstherrn zwangsläufig oder auch nur mutmaßlich zugunsten des Antragstellers ausfallen wird, kann dagegen nicht verlangt werden. Es genügt vielmehr für die Wiederholung der Auswahlentscheidung jeder Fehler im Auswahlverfahren einschließlich etwaiger Fehler der dabei zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen, der für das Auswahlergebnis kausal gewesen sein kann; vorausgesetzt werden dabei die Berücksichtigungsfähigkeit des Fehlers und dessen potentielle Kausalität für das Auswahlergebnis.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2001- 6 B 1776/00 – und vom 19. Dezember 2003 – 1 B 1972/03 -; Schnellenbach, Konkurrenzen um Beförde-rungsämter – geklärte und ungeklärte Fragen, ZBR 1997, 169 (170); ders., Anm. zu BVerwG, Urteil vom 13.September 2001, ZBR 2002, 180 (181).
Hingegen ist es im Hinblick auf den dem Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung zustehenden Ermessensspielraum nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.September 2002 – 2 BvR 857/02 -, ZBR 2002, 427 (428).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers festzustellen. Die Auswahlentscheidung genügt den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG nicht.
Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller zu Unrecht von vornherein wegen gesundheitlicher Nichteignung vom Auswahlverfahren ausgeschlossen.
Zwar wird von der im Rahmen der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderlichen Eignung für eine Beförderungsstelle auch die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers erfasst. Bestehen zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung Gründe, die Zweifel an der gesundheitlichen Eignung eines Bewerbers für den zu besetzenden Dienstposten rechtfertigen, so kann der Dienstherr dies im Rahmen seines pflichtgemäßen Auswahlermessens berücksichtigen und einen Bewerber ggf. aus dem Bewerberkreis ausschließen.
Die von der Antragsgegnerin angeführten Gründe für eine gesundheitliche Nichteignung des Antragstellers in Bezug auf den streitigen Dienstposten rechtfertigen dessen Ausschluss aus dem Bewerberkreis jedoch nicht. Insoweit ist darauf abgestellt worden, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit seinem Einsatz im JobCenter bis zum Jahr 2007 psychisch erkrankt sei und die damals amtsärztlich attestierten gesundheitlichen Einschränkungen in Bezug auf einen Einsatz im JobCenter bzw. im Amt für Soziales und Wohnen nach den nunmehr erneut eingeholten ärztlichen Gutachten fortbestehe. Daraus wird gefolgert, dass der Antragsteller auch für den hier in Rede stehenden Dienstposten gesundheitlich nicht geeignet sei. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller auch im Bereich der Ortshygiene zunehmend unter emotionalen Druck geraten würde, verbunden mit einer geringen Einflussmöglichkeit, beispielsweise bei schwierigen Nachbarstreitigkeiten von langer Dauer. Hinsichtlich der angestrebten Aufgabe im Ordnungsamt stufe das Gutachten eine Tätigkeit des Antragstellers als ungünstig ein. Der Bewerbung könne daher aus personalfürsorgerischen Gründen nicht entsprochen werden.
Die von der Antragsgegnerin herangezogenen ärztlichen Gutachten tragen die so begründete gesundheitliche Nichteignung des Antragstellers für den ausgeschriebenen Dienstposten und damit seine Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren jedoch nicht.
Ausweislich des Vermerks zur Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin vom03. April 2014 liegen ihrer Entscheidung für den Ausschluss des Antragstellers aus dem Bewerbungsverfahren zugrunde das amtsärztliche Gutachten der Amtsärztin Dr. H. vom 19. Juni 2007 unter Berücksichtigung der psychiatrischen Zusatz-begutachtung durch die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie T. vom 05. Juni 2013 sowie die Stellungnahmen der Amtsärztin Dr. H. vom 13. März 2014 unter Zugrundelegung des amtsärztlichen Untersuchungsberichts vom 26. September 2013 und der psychiatrischen Zusatzbegutachtung durch die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie T1. vom 30. Januar 2014. Danach ist im Ergebnis festgestellt, dass die bereits im Jahr 2007 diagnostizierte gesundheitliche Einschränkung (Anpassungsstörung im Rahmen eines beruflichen Konfliktes) des Antragstellers hinsichtlich eines Einsatzes im Bereich des Amtes für Soziales und Wohnen sowie für das JobCenter fortbesteht. Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Dr. H. vom 13. März 2014 ausgeführt, soziale Phobien könnten aus psychiatrischer Sicht nicht festgestellt werden. Es bestünden (Stellungnahme der Dr. H. vom 26. September 2013 ) keine inhalt-lichen Denk- oder Wahrnehmungsstörungen, kein Anhalt für Depression; unter neue Diagnosen ist u.a. ausgeführt rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden und Erkältungen ( deshalb viele Fehlzeiten ), Verdacht auf Herzrhythmusstörungen. In dem Gutachten der Ärztin T1. vom 30. Januar 2014 heißt es unter „psycho-pathologischer Befund bei der Untersuchung 10-2013″: Es waren keine wesentlichen psychischen Auffälligkeiten festzustellen. Der Betroffene war teilweise dysphorisch gereizt, angespannt. Hinweise für eine schwere affektive Erkrankung konnten zum Untersuchungszeitpunkt nicht festgestellt werden. Antrieb unauffällig. Anamnestisch kein sozialer Rückzug. Keine Antriebsschwäche.“ Unter der Überschrift Zusammen-fassung und Beurteilung heißt es in diesem Gutachten in Bezug auf die Fragestellung, ob der Antragsteller für den hier streitigen Dienstposten Ortshygiene, Immissionsschutz gesundheitlich geeignet ist: „Ob der Betroffene bei den o.g. Beschreibungen des Personalamts tatsächlich seine Tätigkeit im Bereich der Ortshygiene ausüben kann, wenn er zunehmend unter emotionalen Druck und Stress gerät, bei geringer Einflussmöglichkeit beispielsweise bei schwierigen Nachbarstreitigkeiten von lange Dauer, kann derzeit nicht sicher beantwortet werden, ist aber eher prognostisch ungünstig, wie auch aus dem Schreiben der psycho-logischen Praxis zu entnehmen ist. Der Auslöser der damaligen längeren Krankheitsphase im Jahr 2007 war dadurch bedingt, dass der Betroffene durch das Publikum belastet war, aber auch durch die Arbeitsbedingungen und Umstände an seiner Dienststelle, dies ist seine rationale Erklärung für die damalige Krankheits-phase. Es ist anzunehmen, dass der Betroffene wiederum entsprechend emotional reagiert und depressiv erkrankt, wenn andere Probleme auftreten oder auch Schwierigkeiten in Situationen, wo er wenig Einflussmöglichkeiten hat.“
Soweit die ärztlichen Gutachten sich dazu verhalten, dass beim Antragsteller weiterhin von einer gesundheitlichen Einschränkung in Bezug auf die Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich des Amtes für Soziales und Wohnen bzw. des JobCenters vorliegen, so ist dies vorliegend unerheblich. Die ausgeschriebene Stelle ist nicht in diesem Bereich angesiedelt. Die in der hier maßgeblichen Stellenausschreibung aufgeführten und auf dem zu besetzenden Dienstposten zu erledigenden Aufgaben lassen auch nicht den Schluss darauf zu, dass der Antragsteller mit einer seinem Einsatz im JobCenter bzw. Amt für Soziales und Wohnen vergleichbaren – psychischen – Belastung bezogen auf den insoweit als problematisch beschriebenen Personenkreis bzw. Arbeitsbedingungen ausgesetzt wäre.
Die seitens der Antragsgegnerin als Untersuchungsauftrag an das Gesundheitsamt herangetragene Fragestellung, ob der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen in der Lage sei, seine Aufgaben im Bereich der Ortshygiene wahrzunehmen, wird in dem Gutachten vom 30. Januar 2014 dahingehend beantwortet, dass diesbezüglich keine sichere Aussage getroffen werden könne. Die weiter angeführte „prognostisch eher ungünstige“ Einschätzung wird mit der Bezugnahme auf ein Schreiben der psychologischen Praxis begründet (Bericht zum Erstantrag vom 28. Januar 2007 erstellt durch die Psychologin Frau Z. I. ). Dieser Bericht wurde nach den Ausführungen auf Seite 5 des Gutachtens vom 30. Januar 2014 im Rahmen eines Antrags auf Bewilligung von Beihilfe für die Durchführung einer psychotherapeu-tischen Behandlung gestellt worden, die letztlich wohl bewilligt aber nicht durchgeführt wurde. In diesem Zusammenhang wurde im Jahr 2007 darauf verwiesen, dass der Antragsteller unter einer depressiven Symptomatik sowie Niedergeschlagenheit, Grübeln, Anhedonie, Antriebsschwäche, extremer Gereiztheit sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen leide, die auf die bestehende berufliche Situation im JobCenter zurückzuführen sei. Neue Erkenntnisse zum jetzt relevanten Gesundheitszustand des Antragstellers und einer Rückfallwahrscheinlichkeit in das damalige Krankheitsbild lassen sich aus diesen Angaben im Antrag aus dem Jahr 2007 schon aufgrund des Zeitablaufs jetzt nicht mehr entnehmen. Die Schlussfolge-rung im Gutachten vom 30. Januar 2014: „Es sei anzunehmen, dass der Antrag-steller wiederum entsprechend emotional reagiert und depressiv erkrankt, wenn andere Probleme auftreten oder auch Schwierigkeiten in Situationen, wo er wenig Einflussmöglichkeiten hat“ ist damit weder erläutert noch nachvollziehbar begründet. Auch die an anderer Stelle der ärztlichen Gutachten thematisierten auffälligen Fehlzeiten des Antragstellers in den letzten Jahren werden laut der ärztlichen Stellungnahme der Dr. H. vom 26. September 2013 nicht als Belastungsreaktion auf berufliche Anforderungen, sondern als durch Rückenprobleme und Erkältungs-krankheiten verursacht bezeichnet.
Anderes ist auch nicht der anlässlich der Bewerbung um die streitbefangene Stelle erstellten dienstlichen Beurteilung des Antragstellers vom Dezember 2012 ( für den Zeitraum von Juli 2011 bis Dezember 2012 ) zu entnehmen, die hinsichtlich der Leistung mit dem bestmöglichen Gesamtergebnis 5 Punkte ( die Anforderungen weit überragend ) abschließt und unter „Generelle Eignungseinschätzung“ zu dem Ergebnis kommt, dass die Leistung und Befähigung des Antragstellers erwarten lässt, dass er für die Übertragung einer höherwertigen Aufgabe geeignet ist. Im Zusammenhang mit dieser Beurteilung ist im Hinblick auf das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle auch eine Potentialeinschätzung erstellt worden. Diese attestiert dem Antragsteller bezüglich der in der Stellenausschreibung geforderten persönlichen Voraussetzungen ( u.a. Belastbarkeit, Flexibilität, Durchsetzungsfähigkeit, Kontaktfähigkeit, Konfliktfähigkeit ) die Einstufung A / stark ausgeprägt. Anhaltspunkte für psychisch bedingte gesundheitliche Einschränkung des Antragstellers können dieser Beurteilung somit gleichfalls nicht entnommen werden.
Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller bei einer Berücksichtigung seiner Bewerbung in einem ordnungsgemäßen Auswahlverfahren ausgewählt werden könnte. Die in der Stellenausschreibung genannten Anforderungskriterien fachlicher und persönlicher Art schließen ihn nicht von vornherein aus dem Bewerberkreis aus. Ob sich bei der Auswahlentscheidung die von der Antragsgegnerin angenommenen gesundheitlichen Defizite auswirken können, hat die Kammer nicht zu bewerten. Jedenfalls ist die Antragsgegnerin nicht legitimiert, den Antragsteller von vornherein aus dem Auswahlverfahren auszuschließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da er keinen Antrag gestellt und sich damit nicht selbst einem Risiko der Auferlegung von Kosten gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG.