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Aufbauseminar – bei Begleitetem Fahren ab 17 Jahre

VG Göttingen

Az.: 1 A 92/11

Urteil vom 03.04.2013


Tatbestand

Der Kläger begehrt mit der Klage die Feststellung, dass die Anordnung seiner Teilnahme an einem Aufbauseminar durch die Beklagte als Fahrerlaubnisbehörde rechtswidrig gewesen ist.

Dem am … geborenen Kläger wurde am 17.07.2009 nach bestandener Fahrprüfung eine Prüfungsbescheinigung zum „Begleiteten Fahren ab 17 Jahre“ ausgehändigt, wonach er berechtigt ist, Kraftfahrzeuge der Klassen B/M/L und S zu führen. Am 12.05.2010 missachtete der Kläger bei der Teilnahme am Straßenverkehr das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage und erhielt eine Geldbuße. Mit Bescheid vom 28.04.2011 forderte die Beklagte ihn auf, an einem Aufbauseminar über die zukünftige Bewährung im Straßenverkehr teilzunehmen und eine entsprechende Bestätigung bis spätestens zum 30.06.2011 vorzulegen. Außerdem wies sie ihn darauf hin, dass sich die Probezeit nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) um zwei Jahre verlängere. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe eine schwerwiegende Zuwiderhandlung im Straßenverkehr begangen, sodass seine Teilnahme an einem Aufbauseminar zwingend anzuordnen gewesen sei.

Am 30.05.2011 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Er trägt vor, er habe sich am 12.05.2010 nicht in der Probezeit für Fahrerlaubnisinhaber befunden, sondern lediglich über eine Prüfungsbescheinigung zum „Begleiteten Fahren ab 17 Jahre“ verfügt. Eine solche Prüfungsbescheinigung stelle keine Fahrerlaubnis auf Probe dar. Auf der Bescheinigung sei der Probezeitraum nicht vermerkt, sodass für ihn schon nicht erkennbar gewesen sei, dass es sich um eine Fahrerlaubnis auf Probe handeln könnte. Bei der Fahrerlaubnis auf Probe beginne die Probezeit zudem mit der Erteilung der Fahrerlaubnis und somit mit der Aushändigung des Führerscheins. Im Fall des begleiteten Fahrens werde kein Führerschein ausgestellt. Dieser könne erst bei Erreichen des Mindestalters von 18 Jahren ausgestellt werden. Weil § 6e Abs. 1 und 2 StVG keine Regelung über die Teilnahme an einem Aufbauseminar treffe, bestehe eine bewusste Regelungslücke und könne nicht einfach auf die allgemeinen Regelungen zur Fahrerlaubnis auf Probe zurückgegriffen werden. Eine andere Auslegung verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Bei der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar handele es sich um eine strafähnliche Sanktion.

Der Kläger nahm in der Zeit vom 26.05. bis zum 09.06.2011 an einem Aufbauseminar gemäß § 2a StVG teil und wies dies der Beklagten nach. Er führt seine Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage fort. Sein Feststellungsinteresse begründet er mit der Absicht, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2011 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, für Kraftfahrer mit Prüfungsbescheinigungen würden die allgemeinen Vorschriften über die Fahrerlaubnispflicht und insbesondere auch die Fahrerlaubnis auf Probe entsprechend gelten. Nach dem schwerwiegenden Verkehrsverstoß des Klägers sei seine Teilnahme an einem Aufbauseminar zwingend anzuordnen gewesen. Art. 103 Abs. 2 GG sei nicht anwendbar, weil die Anordnung des Aufbauseminars keinen Sanktionscharakter habe, sondern eine reine Maßnahme der Gefahrenabwehr sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Es kann dahinstehen, ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig und der Kläger insbesondere ein Feststellungsinteresse hinreichend begründet hat. Jedenfalls hat die Klage in der Sache keinen Erfolg, denn der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2011 erweist sich als rechtmäßig.

Gemäß § 2a Abs. 1 Satz 1 StVG wird eine Fahrerlaubnis bei ihrem erstmaligen Erwerb auf Probe erteilt, wobei die Probezeit zwei Jahre vom Zeitpunkt der Erteilung an dauert. Ist gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen ist, so hat die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn er eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. In diesem Fall verlängert sich die Probezeit gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG um zwei Jahre.

Der Kläger war entgegen seiner Auffassung im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes am 12.05.2010 im Besitz einer Fahrerlaubnis auf Probe. Daran ändert nichts, dass es sich um eine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in Begleitung gemäß § 6e Abs. 1 StVG i.V.m. § 48a der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) handelt. Nach der auf der Ermächtigungsgrundlage des § 6e Abs. 1 StVG erlassenen Regelung gemäß § 48a Abs. 1 Satz 1 FeV beträgt das Mindestalter für die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE 17 Jahre. Bereits diese Formulierung lässt erkennen, dass es sich auch bei der Ermächtigung zum „Begleiteten Fahren ab 17 Jahre“ um eine Fahrerlaubnis im Sinne der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften handelt. Dies ergibt sich zudem aus der Begründung des Gesetzgebers zu § 6e StVG (VkBl. 2005, 686, 691), die von der Herabsetzung des Mindestalters für die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE spricht.

Über diese Fahrerlaubnis wurde dem Kläger gemäß § 48a Abs. 3 Satz 1 FeV eine Prüfungsbescheinigung ausgestellt, die bis drei Monate nach Vollendung des 18. Lebensjahrs im Inland zum Nachweis der Fahrberechtigung dient. Mit der Aushändigung dieser befristeten Prüfungsbescheinigung wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis gemäß § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV bereits am 17.07.2009 unbefristet erteilt (vgl. die amtliche Begründung zu § 6e StVG, a.a.O., Seite 691).

Da dem Kläger erstmals eine Fahrerlaubnis erteilt wurde, handelt es sich gemäß § 2a Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 StVG um eine Fahrerlaubnis auf Probe, wobei die Probezeit nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift zwei Jahre vom Zeitpunkt der Erteilung an dauert. Der Kläger befand sich somit zur Zeit des Verkehrsverstoßes am 12.05.2010 noch in der Probezeit. Es kommt nicht darauf an, dass der Zeitraum der Probezeit in der Prüfungsbescheinigung nicht vermerkt wird, denn der Umstand, dass dem Kläger eine Fahrerlaubnis auf Probe erteilt wurde, und die Länge der Probezeit ergeben sich ohne Weiteres aus dem Gesetz. Es wäre auch lebensfremd anzunehmen, dass dem Kläger nicht bekannt war, dass er sich in einer Probezeit befand, zumal Kenntnisse über die Fahrerlaubnis zum Prüfungsstoff der Fahrprüfung gehören (Nr. 6.2 der Anlage 7 zu § 16 Abs. 2 und § 17 Abs. 2 und 3 FeV).

Der Kläger hat innerhalb der Probezeit eine Ordnungswidrigkeit begangen, indem er am 12.05.2010 das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage missachtet hat (§ 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO). Hierbei handelte es sich auch um eine nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG im Verkehrszentralregister zu speichernde schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne von § 2a Abs. 2 Nr. 1 StVG (Nr. 2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV, „Verhalten an Wechsellichtzeichen“). Die Beklagte hatte daher, ohne dass sie Ermessen auszuüben hatte, die Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar gemäß § 2b StVG, § 34 Abs. 2 FeV anzuordnen.

Der Vortrag des Klägers, § 6e Abs. 1 und 2 StVG treffe keine Regelungen über die Teilnahme an einem Aufbauseminar und enthalte deshalb eine bewusste Regelungslücke, verhilft seiner Klage nicht zum Erfolg. Wie bereits dargelegt, enthält § 6e Abs. 1 StVG eine Verordnungsermächtigung hinsichtlich des Führens von Kraftfahrzeugen in Begleitung. Einer besonderen Ermächtigung zur Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar bedurfte es bereits deshalb nicht, weil der Umstand, dass es sich auch bei der nach § 48a FeV erteilten Fahrerlaubnis um eine Fahrerlaubnis auf Probe handelt, sowie die Probezeit einschließlich der Folgen von Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften im Straßenverkehrsgesetz selbst geregelt sind. Von einer bewussten Lücke kann somit nicht die Rede sein. § 6e Abs. 2 StVG betrifft die Voraussetzungen für den Widerruf einer auf Grundlage der Rechtsverordnung nach Abs. 1 erteilten Fahrerlaubnis; warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Regelungslücke darin sieht, dass hier keine Regelung über den Besuch eines Aufbauseminars getroffen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Gegen eine solche Lücke spricht im Übrigen, dass § 6e Abs. 3 StVG ausdrücklich die Geltung der Regelungen die Fahrerlaubnis auf Probe auch im Fall des Führens von Kraftfahrzeugen in Begleitung anordnet.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG berufen, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Zum einen galten sämtliche entscheidungsrelevanten Bestimmungen bereits im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes des Klägers, zum anderen unterfällt die Aufforderung, ein Aufbauseminar zu besuchen, nicht dem Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG. Strafbarkeit nach dieser Norm bezieht sich auf staatliche Maßnahmen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient (BVerfG, Urteil vom 05.02.2004 – 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133, 167; Jarass/Pieroth, GG, 11. Auflage 2011, Art. 103 Rn. 44). Die Strafe, auch die bloße Ordnungsstrafe, ist daher im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, dass sie – wenn nicht ausschließlich, so doch auch – auf Repression und Vergeltung für rechtlich verbotenes Verhalten abzielt (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1966 – 2 BvR 506/63 -, BVerfGE 20, 323). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Anordnung, an einem Aufbauseminar gemäß § 2b StVG teilzunehmen, hat keinen Vergeltungscharakter, sondern verfolgt lediglich den Zweck, künftigen Verkehrsverstößen von Fahranfängern vorzubeugen. Es handelt sich somit um eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr, die nicht dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG unterfällt (siehe für den vergleichbaren Fall eines Aufbauseminars gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 8 StVG: BVerwG, Urteil vom 25.09.2008 – 3 C 3/07 -, BVerwGE 132, 48).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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