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Unterhaltszahlungen – unverhältnismäßige Belastungen nicht verfassungsgemäß?

Leitsatz:

Überschreiten die Unterhaltszahlungen die Grenze des Zumutbaren, so ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und verstößt gegen das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.


BVerfG

Az.: 1 BvR 1509/97

Beschluss vom 20.8.2001


In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch am 20. August 2001 einstimmig beschlossen:

Das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. Juli 1997 – 11 UF 187/96 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit über die Höhe der Unterhaltsansprüche für die Zeit nach dem 1. Juli 1996 entschieden worden ist. In diesem Umfang wird die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe von Unterhaltszahlungen, zu denen er verurteilt worden ist.

I.

1. Der Beschwerdeführer und die Klägerin zu 1 des Ausgangsverfahrens waren miteinander verheiratet. Aus der seit 1992 rechtskräftig geschiedenen Ehe sind zwei 1983 und 1989 geborene Kinder – die Kläger zu 2 und 3 des Ausgangsverfahrens – hervorgegangen, die bei ihrer Mutter leben. Seit November 1994 war der Beschwerdeführer einem weiteren nichtehelichen Kind zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet und bezahlte monatlich 239,- DM Kindesunterhalt.

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer unter anderem verurteilt, an seine geschiedene Ehefrau und die beiden ehelichen Kinder monatlichen Ehegatten- und Kindesunterhalt für die Zeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1996 in Höhe von insgesamt 1.649,10 DM, für Januar 1997 von insgesamt 1.639,60 DM und ab Februar 1997 von insgesamt 1.993,50 DM zu bezahlen. Das Oberlandesgericht hat der Unterhaltsberechnung ein Nettoeinkommen des Beschwerdeführers für 1996 in Höhe von 3.806,20 DM, für die Zeit bis April 1997 von 3.943,14 DM und ab Mai 1997 von 3.928,89 DM zu Grunde gelegt, wobei es diesem jeweils den Arbeitgeberanteil zur Kranken- und Pflegeversicherung des Beschwerdeführers hinzugerechnet hat. Ohne eine solche Hinzurechnung hat das Nettoeinkommen des Beschwerdeführers im Jahr 1996 3.365,40 DM, in der Zeit bis April 1997 3.501,60 DM und ab Mai 1997 3.473,10 DM betragen. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht den in den Einkommensbelegen des Beschwerdeführers ausgewiesenen Abzugsposten für die private Benutzung eines Kraftfahrzeugs in Höhe von monatlich 430,- DM ebenfalls dem Nettoeinkommen zugeordnet, da der Beschwerdeführer die bei seinem Einkommen üblichen und angemessenen Grundkosten für die private Haltung eines Kraftfahrzeugs einspare.

2. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer neben einer Verletzung von Art. 3, Art. 6 Abs. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG auch die Verletzung seines Rechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. Nach Abzug seiner im Ausgangsverfahren geltend gemachten Verbindlichkeiten einschließlich seiner Unterhaltsverpflichtungen verbleibe ihm ein Barbetrag, der sein Existenzminimum unterschreite.

3. Die Landesregierung von Niedersachsen, der Bundesgerichtshof sowie die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93 b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit gemäß § 93 c Abs. 1 BVerfGG stattzugeben, denn sie ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in dem bezeichneten Umfang in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Die Auferlegung von Unterhaltsleistungen schränkt den Verpflichteten in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit ein. Diese ist jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet, zu der auch das Unterhaltsrecht gehört, soweit dieses mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht (BVerfGE 57, 361 <378>). Dabei darf die Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher Normen nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen (vgl. BVerfGE 80, 286 <294>). Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (vgl. BVerfGE 57, 361 <388>; 80, 286 <293> unter Hinweis auf BVerfGE 35, 202 <221>). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (BVerfGE 57, 361 <381>).

Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht ist § 1603 Abs. 1 BGB, nach dem nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dieser Grundsatz ist insoweit eingeschränkt, als Eltern, die sich in dieser Lage befinden, gemäß § 1603 Abs. 2 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten bestimmt § 1581 BGB, dass der Verpflichtete, wenn er außerstande ist, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, nur insoweit Unterhalt zu leisten braucht, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht.

Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs ist damit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten (vgl. Staudinger/Engler/Kaiser, BGB, 2000, § 1603 Rn. 2; Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., 1998, § 1581 Rn. 1; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., 2000, Rn. 573). Das Unterhaltsrecht ermöglicht es insofern den Gerichten, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung zu tragen. Die Gerichte haben im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen oder ob dieser – unbeschadet der Zulässigkeit der Zurechnung fiktiven Einkommens – die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen übersteigt.

Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern. Zur Bestimmung dieser Grenze haben die Oberlandesgerichte in unterhaltsrechtlichen Leitlinien Selbstbehaltssätze aufgestellt. In der Düsseldorfer Tabelle ist der notwendige Eigenbedarf des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen seit dem 1. Januar 1996 bei 1.500,- DM angesetzt. Jedenfalls aber dienen die Regelsätze der Sozialhilfe dazu, den Eigenbedarf eines Unterhaltspflichtigen auszumachen. Die Rechtsprechung geht hier vom doppelten Eckregelsatz eines Haushaltsvorstands nach § 22 BSHG aus. Die Grenze der finanziellen Belastbarkeit hat unter Berücksichtigung dieser Annäherungswerte ab Juli 1996 zwischen 1.100,- und 1.500,- DM gelegen (vgl. BGH, FamRZ 1989, S. 272 f.; zu den Eckregelsätzen eines Haushaltsvorstands gemäß § 22 BSHG ab dem 1. Juli 1996, vgl. FamRZ 1996, S. 1264).

Dem hat das Oberlandesgericht bei der Anwendung des Unterhaltsrechts für den Zeitraum ab 1. Juli 1996 nicht hinreichend Rechnung getragen und damit das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Nach Abzug des ausgeurteilten Unterhalts, der Unterhaltszahlungen des Beschwerdeführers an sein 1994 geborenes Kind, der Kosten für die private Nutzung des Dienstwagens sowie der Beiträge des Beschwerdeführers zur Kranken- und Pflegeversicherung ist dem Beschwerdeführer ab 1. Juli 1996 von seinem Nettoeinkommen ein verfügbarer Betrag verblieben, der deutlich niedriger gewesen ist als der Selbstbehaltssatz eines Erwerbstätigen nach der vom Oberlandesgericht angewandten Düsseldorfer Tabelle. Dies hätte das Oberlandesgericht veranlassen müssen zu prüfen, ob damit das Existenzminimum des Beschwerdeführers unterschritten gewesen ist. Auch zeigt ein Blick auf die vom Beschwerdeführer dem Gericht vorgelegten Gehaltsabrechnungen, dass ihm zur damaligen Zeit monatlich durchschnittlich ca. 2.850,- DM ausgezahlt worden sind. Dies hätte beim Oberlandesgericht Bedenken aufkommen lassen müssen, ob angesichts der vom Gericht errechneten und dann ausgeurteilten Unterhaltsverpflichtung des Beschwerdeführers dessen finanzielle Leistungsfähigkeit ab Juli 1996 noch gewahrt gewesen ist. Das Oberlandesgericht hat bei der Anwendung des Unterhaltsrechts, insbesondere der §§ 1603 und 1581 BGB, das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG auf Schutz vor einer unverhältnismäßigen Belastung durch Unterhaltsleistungen verkannt. Die angegriffene Entscheidung beruht hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsbeträge für die Zeit nach dem 1. Juli 1996 auf diesem Grundrechtsverstoß und ist daher aufzuheben.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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