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LAG Köln:
Az.: 4 Sa 930/97
Verkündet am : 30.01.1998
Vorinstanz: ArbG Siegburg – Az.: 6 Ca 3352/96
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 07.04.1997 abgeändert:
Die Klage wird – soweit in diesem Urteil über sie entschieden wurde – abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen-
Tatbestand
Die Parteien streiten – soweit mit dem angefochtenen Teilurteil über die Klageanträge entschieden ist – darum, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.11.1996 aufgelöst worden und ob der Kläger weiterzubeschäftigen ist.
Der 1940 geborene Kläger war seit dem 01.04.1996 bei der Beklagten, die in der Regel ca. 35 Arbeitnehmer beschäftigt, als Aushilfsfahrer tätig. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 3.500,00 DM. In den ersten sechs Monaten erhielt die Beklagte vom Arbeitsamt eine Eingliederungsbeihilfe von 80 %, anschließend in Höhe von 60 %.
Der Aushändigung des Kündigungsschreibens vom 29.11.1996 (Bl. 6 d. A.) am selben Tage war folgendes vorausgegangen: Der Kläger hatte am 29.11. den Auftrag, unter anderem Kunden im Ahrtal und im Hunsrück zu beliefern. Die Ware für den Kunden an der Ahr, die zu seiner eigentlichen Tour gehörte, hatte der Kläger gegen 9.30 Uhr noch nicht geladen, sondern sie an der Rampe stehen lassen, weil er noch nicht sicher war, welche Ware für den Kunden im Hunsrück zu laden sei. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten eingetroffen war und den Kläger angewiesen hatte, er könne jetzt fahren, lud dieser Waren für den Kunden im Ahrtal nicht in das Fahrzeug, sondern fuhr los.
Der Geschäftsführer der Beklagten fuhr dem Kläger nach und erreichte diesen nach kurzer Fahrstrecke. Der Kläger kehrte auf das Betriebsgelände zurück. In diesem Zusammenhang kam es zu Äußerungen, deren Inhalt im einzelnen streitig ist.
Unstreitig begab sich der Geschäftsführer der Beklagten daraufhin in das Büro. Der Kläger folgte ihm, weil er noch zu bezahlende Tankquittungen abrechnen wollte. Im Beisein von mehreren Mitarbeiterinnen der Beklagten, nach Behauptung der Beklagten vier, nach Behauptung des Klägers drei, erklärte dieser gegenüber dem Geschäftsführer im Büro: „Sie haben doch nur Bumsen im Kopf“.
Danach wurde das Schreiben mit der fristlosen Kündigung ausgehändigt.
Mit seiner am 10.12.1996 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangenen Klage greift der Kläger diese Kündigung an und begehrt Weiterbeschäftigung. Weiter macht er Zahlungsansprüche geltend. Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 07.04.1997 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.11.1996 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht, und die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger als Versandangestellten weiterzubeschäftigen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, die Beklagte habe bis zum Termin vom 07.04.1997 keinerlei Kündigungsgründe vorgetragen
Gegen dieses ihr am 16.07.1997 zugestellte Teilurteil hat die Beklagte am 29.07.1997 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 20.09.1997 am 18.09.1997 begründet,
Die Beklagte behauptet zum Hergang am 29.11.1996, ihr Geschäftsführer habe den Kläger, nachdem er ihn erreicht habe, aufgefordert, sofort zur Firma zurückzukehren, damit er die Kundenartikel für den Kunden im Ahrtal mit auf das Fahrzeug aufnehme, um diesen noch am selben Tage zu beliefern. Nachdem der Kläger auf das Firmengelände zurückgekommen sei, habe der Beklagtengeschäftsführer festgestellt, daß der Kläger dabeigewesen sei, alle privaten Sachen aus dem Fahrzeug zu räumen. Er habe gegenüber dem Geschäftsführer erklärt: „Sie können mich mal, machen Sie Ihren Scheiß allein. Für Sie müßte der Tag 36 Stunden haben“.
Im Büro, bevor der Kläger den unstreitigen Satz sagte, habe ihr Geschäftsführer den Kläger aufgefordert, noch für kurze Zeit im Betrieb zu verbleiben, da er ihn wegen des vorhergehenden Verhaltens abmahnen müsse.
Die Beklagte meint, in dem Satz „Sie können mich mal, machen Sie Ihren Scheiß allein“, sei zusammen mit dem Ausräumen der privaten Sachen eine Eigen-kündigung zu sehen.
Die Beklagte beantragt,
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 07.04.1997 – 6 Ca 3352/96 – abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen als im Teilurteil über sie entschieden worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Einen mit der Berufungserwiderung angekündigten Antrag, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch eine Eigenkündigung des Klägers vom 29.11.1996 aufgelöst worden sei, hat die Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung nach Erörterung nicht mehr gestellt.
Der Kläger trägt zum Vorfall vom 29.11.1996 vor, der Geschäftsführer der Beklagten habe, nachdem er ihn angehalten habe und er, der Kläger, ihm mitgeteilt habe, daß er wegen der umfangreichen Tour den Kunden im Ahrtal ohnehin nicht mehr anfahren könne – wobei der Kläger darauf hinweist, daß die Geschäfte um 18.30 Uhr schließen – entgenet: „Du hast sie wohl nicht mehr alle. Fahr, Du wirst schon sehen, was Du davon hast“. Er sei „entgegen der Aufforderung des Geschäftsführers“ jedoch nicht weitergefahren, sondern sei auf den Hof zurückgefahren, um die zurückgelassenen Pakete noch einzuladen. Er habe dieses getan, obwohl er mit Sicherheit gewußt habe, daß er diese nicht mehr würde ausliefern können. Zu keinem Zeitpunkt sei in diesem Zusammenhang der Satz gefallen, der Geschäftsführer der Beklagten möge seine Arbeit allein machen. Allerdings habe er, der Kläger- ob an diesem Tag oder zu einem früheren Zeitpunkt wisse er nicht mehr genau – darauf hingewiesen, für Herrn Seh – den Geschäftsführer der Beklagten – müsse der Tag wohl 36 Stunden haben. Am 29.11.1996 sei nämlich hinzugekommen, daß für diesen Tag Schneechaos in der Eifel angesagt gewesen sei – was die Beklagte als solches nicht bestreitet -. Während er, der Kläger, aus dem Wagen ausgestiegen sei, habe ihm der Geschäftsführer der Beklagten entgegnet: „Hau ab, Du kannst nach Hause gehen“. Der Kläger meint, bereits darin liege der Ausspruch einer mündlichen fristlosen Kündigung.
Der Vorfall im Büro habe den Hintergrund gehabt, daß der Geschäftsführer der Beklagten ihm, dem Kläger, während der Auszahlung der Benzinrechnungen erklärt habe: „Und dafür, was Du Dir gestern geleistet hast, kriegst Du jetzt die fristlose Kündigung“. Der Geschäftsführer habe die Sekretärin angewiesen, die fristlose Kündigung schriftlich zu fertigen. Er, der Kläger, habe versucht, sein Verhalten gegenüber dem Geschäftsführer zu erklären, worauf dieser mehrfach erklärt habe, dies interessiere ihn nicht. Er sei dadurch so in Wut geraten, daß er dem Geschäftsführer entgegnet habe, was ihn denn tatsächlich interessiere. Der Kläger meint, das später ausgehändigte Schreiben sei „eine Aushändigung der schriftlichen Bestätigung der außerordentlichen Kündigung“.
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger, er habe in zwei Telefonaten, die er während des Arbeitsverhältnisses mit dem Geschäftsführer der Beklagten geführt habe, ihn zu Hause angetroffen und der Geschäftsführer habe ihm gesagt, er habe ihn damit „beim Bumsen gestört“. Der Kläger erläuterte ferner, er habe, als er den Satz gesagt habe „Sie haben doch nur bumsen im Kopf“ bereits aus seine Sicht eine fristlose Kündigung erhalten gehabt, und bemerkte dazu: „Ich hatte doch nichts mehr zu verlieren“.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien, insbesondere wegen des im wesentlichen streitigen Vorbringens zu früheren Vorfällen im Arbeitsverhältnis, wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache Erfolg.
I. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beklagten war nicht als verspätet zurückzuweisen. Dieses schon deshalb nicht, weil es unstreitig ist und deshalb den Rechtsstreit nicht verzögern würde (§ 67 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 528 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 67 Abs. 1 S. 3 ArbGG). Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, daß die Beklagte selbst dann, wenn sie bis zur mündlichen Verhandlung erster Instanz entgegen ihrem Vorbringen der Kündigungsgründe nicht vorgetragen hätte, damit nicht gegen prozessuale Beschleunigungsvorschriften verstoßen hätte: Grundsätzlich nämlich gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren das Mündlichkeitsprinzip. Grund dafür ist, daß gerade in erster Instanz häufig prozeßunerfahrene Parteien auftreten. Für sie soll eine Erschwerung der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte durch Einführung eines schriftlichen Verfahrens verhindert werden (vgl. statt vieler Germelmann-Matthes-Prüttung ArbGG 2. Aufl. § 46 Rdn. 28). Nur dann, wenn aufgrund wirksamer richterlicher Anordnung eine schriftliche Vorbereitung angeordnet ist, muß diese erfolgen. § 61 a Abs. 3 ArbGG sieht vor, daß der Vorsitzende dem Beklagten aufgegeben kann, binnen einer angemessenen Frist im einzelnen und unter Beweisantritt schriftlich die Klage zu erwidern, wenn der Beklagte noch nicht oder nicht ausreichend auf die Klage erwidert hat. Eine solche Auflage aber setzt voraus, daß sie konkret gestaltet ist. Die bloße Auflage, zur Klage Stellung zu nehmen, reicht nicht aus, um den Beklagten wegen der Nichteinhaltung der gesetzten Frist mit seinem Vorbringen auszuschließen (BAG AP Nr. 1 zu § 56 ArbGG 1979, Germelmann-Matthes-Prütting a.a.O. § 61 a Rdn. 16). Lediglich eine solch pauschale Auflage aber hat das Arbeitsgericht im Gütetermin gemacht und diese auch später nicht konkretisiert. Es hätte daher gemäß § 139 ZPO in der mündlichen Verhandlung darauf hinwirken müssen, daß sich die Beklagte über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklärte.
II. Die außerordentliche Kündigung war aufgrund der vor ihrem Ausspruch erfolgten groben Beleidigung des Geschäftsführers der Beklagten durch den Kläger gerechtfertigt.
1. Der Kläger bestreitet nicht, daß er das schriftliche Kündigungsschreiben vom 29.11.1996 erst nach dieser Beleidigung ausgehändigt erhalten habe. Er meint lediglich, dieses habe nur eine schon zuvor mündlich ausgesprochene fristlose Kündigung „bestätigt“. Davon ist in dem Schreiben jedoch keine Rede. Vielmehr heißt es dort ausdrücklich: „Hiermit kündigen wir das bestehende Arbeitsverhältnis fristlos …“. Davon abgesehen aber kann die Kammer in der vom Kläger behaupteten Äußerung des Geschäftsführers der Beklagten „Hau ab, Du kannst nach Hause gehen.“ wegen der an einseitige Willenserklärungen zu stellenden Klarheitsanforderungen ebensowenig eine außerordentliche Kündigung erblicken wie in dem von der Beklagten behaupteten Satz „Sie können mich mal, machen Sie Ihren Scheiß allein.“. Beide Sätze – sofern sie überhaupt gefallen sind – sind erkennbar Unmutsäußerungen in einer konkreten Situation. Der Wille, das Arbeitsverhältnis unmittelbar zu beenden, wird in keine dieser Äußerungen eindeutig klar.
2. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seines Vertreters sind an sich als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung geeignet (vgl. z. B. BAG 21.12.1983 RzK l 6 e Nr. 3). In § 123 Abs. 1 Nr. 5 GewO a.F. war ein solches Verhalten noch als absoluter Grund für eine fristlose Kündigung geregelt. Allerdings gebietet § 626 BGB demgegenüber eine Interessenabwägung. Dabei sind z. B, die Betriebszugehörigkeit, die Anwesenheit Dritter bei der Beleidigung, betriebsübliche Umgangsformen zu berücksichtigen. Auch kommt es darauf an, ob sich die Handlungsweise des Arbeitnehmers in nachhaltiger Weise auf das Betriebsklima auswirkt, insbesondere ob die Vorgesetztenfunktion des Angesprochenen untergraben wird (LAG Berlin DB 1981, 1627;
Isenhardt, Kasseler Handbuch 1.3 Rdn. 337). Zu berücksichtigen sind auch die Umstände, die zur Beleidigung geführt haben (Isenhardt a.a.O. Rdn. 339).
a) Die Äußerung des Klägers „Sie haben doch nur Bumsen im Kopf“ stellt eine grobe Beleidigung dar. Sie wirft dem Geschäftsführer vor, sein Hauptinteresse liege im Geschlechtlichen. Er sei maßgebend durch triebhaftes Verhalten bestimmt. Die Äußerung wurde im Beisein mehrerer weiblicher Angestellter der Beklagten abgegeben und war damit in besonderer Weise geeignet, das Ansehen des Geschäftsführers als Vorgesetzten zu beeinträchtigen und nachhaltig zu stören, sofern der Beklagten zugemutet würde, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen. Im Rahmen der Interessenabwägung wesentlich ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, daß das Arbeitsverhältnis erst kaum mehr als ein halbes Jahr bestand, der Kläger also erst soeben überhaupt Kündigungsschutz erworben hatte. Keine der Parteien hat auch behauptet, daß ein solcher Umgangston im Betrieb üblich gewesen sei. Selbst wenn der Geschäftsführer der Beklagten – was dieser bestritt und was vom Kläger daraufhin nicht weiter, insbesondere nicht zeitlich substantiiert wurde – dem Kläger gegenüber, nachdem dieser ihn in seiner Privatssphäre gestört hatte, gesagt haben sollte, er habe ihn „beim Bumsen gestört“, so ist eine solche saloppe Äußerung unter zwei erwachsenen Männern auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt als die Situation im Büro der Beklagten in Anwesenheit mehrerer weiblicher Mitarbeiter. Wenn der Kläger vor diesen dem Geschäftsführer der Beklagten sagte: „Sie haben doch nur Bumsen im Kopf“, dann mußte das der Geschäftsführer erheblich desavouieren.
Die Kammer konnte letztlich auch nicht zugunsten des Klägers durchschlagend berücksichtigen, daß dieser – was unterstellt werden mag – sich in erheblicher Erregung befunden hat. Zum einen nämlich war der Kläger an dem mit der besagten Äußerung letztlich eskalierten Konflikt nicht unbeteiligt. Er hätte keineswegs die für den Kunden im Ahrtal bestimmten Waren ohne jede Rücksprache mit dem Geschäftsführer trotz Bereitstellens der Waren an der Rampe einfach stehenlassen und
abfahren dürfen. Aus dem Vorbringen des Klägers selbst ergibt sich, daß diese Handlung vorsätzlich war. Damit hat der Kläger den Konflikt selbst provoziert – gleich, wie sich die weitere Dynamik entwickelt hat. Schließlich ist davon auszugehen, daß der Kläger bei Äußerung des abschließenden Satzes sehr wohl wußte, was er tat, daß er sehenden Auges mit dieser Äußerung – selbst wenn er subjektiv davon ausging, bereits eine mündliche fristlose Kündigung erhalten zu haben – die letzten Brücken zur Beklagten abbrach. Dieses hat er in der mündlichen Verhandlung mit dem spontan geäußerten Satz „Ich hatte doch nichts mehr zu verlieren“ zu verstehen gegeben.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 1 ZPO. Es konnte nur über die Kosten der Berufungsinstanz entschieden werden, da die erstinstanzliche Kostenentscheidung im Schlußurteil einheitlich zu treffen ist. Die Kosten waren nicht gemäß § 97 Abs. 2 ZPO der Beklagten aufzuerlegen, weil das „Imstandesein“ im Sinne dieser Vorschrift vorwerfbare Säumigkeit, Nachlässigkeit und prozessuales Verschulden bedeutet. Daran fehlt es – wie oben dargelegt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision wurde nicht zugelassen, da der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.