AG Dortmund – Az.: 425 C 2940/16 – Urteil vom 04.07.2017
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.04.2016 Zug um Zug gegen Übergabe des mobilen Sauerstoffkonzentrators aeroplus m des Herstellers L. mit der Nummer SN4815 0205 nebst Ersatzakku und Netzadapter 12 V zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2016 an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die heute 85 Jahre alte Ehefrau des Klägers wurde vom 12.2.2016 bis 17.2.2016 im St. K.-Hospital Dortmund aufgenommen. Sie leidet an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung im Stadium IV mit der Erwähnung einer respiratorischen und ventilatorischen Insuffizienz. Außerdem leidet sie an einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom. Seit ihrer Entlassung wurde die Ehefrau vom Kläger gepflegt.
Am 3.3. oder 4.3.2016 stellte der Hausarzt der Ehefrau des Klägers, Herr Dr. xxx, ein Rezept über einen Sauerstoffkonzentrator aus. Als indikationsbegründende Diagnose ist dort ausgeführt eine respiratorische Globalinsuffizienz bei COPD und zusätzlicher Lungenembolie. Angaben, ob ein Demand – System zum Einsatz kommen darf fehlen. Zu diesem Zeitpunkt lag dem Hausarzt der Bericht der Gemeinschaftspraxis C. v. 2.2.2016 vor. Das Rezept wurde an die AOK geschickt. Die Lieferzeit sollte mindestens 5 Tage betragen.
Der Kläger wollte aber für seine Frau einen tragbaren Sauerstoffkonzentrator erwerben und begab sich deshalb in das von der Beklagten betriebene Fachgeschäft, wo er mit dem Geschäftsführer der Beklagten sprach. Er erklärte ihm, dass er einen tragbaren Sauerstoffkonzentrator benötige, der im Auto über den Zigarettenanzünder betrieben werden dürfte. Der weitere Inhalt der Gespräche ist zwischen den Parteien strittig. Das Gerät sollte 4123,35 € kosten. Nach der Betriebsanleitung soll das Gerät nicht benutzt werden, während das Fahrzeug bewegt wird, damit der Fahrzeugführer nicht durch optische / akustische Geräusche abgelenkt wird.
Am 8.3.2016 konnte die Beklagte liefern. Der Geschäftsführer der Beklagten begleitete den Kläger nach Hause und kassierte dort 4100,00 €. Das Gerät hatte zu diesem Zeitpunkt 26 Betriebsstunden gelaufen. In der folgenden Nacht kam das Gerät erstmals zum Einsatz. Das Gerät setze bei der Mundatmung der Ehefrau aus. Der Kläger begab sich am 9.3.2017 nochmals in das von der Beklagten betriebene Fachgeschäft. Der Geschäftsführer kam daraufhin noch einmal in die Wohnung des Klägers und meinte, es alles in Ordnung. Er telefonierte auch mit der AOK zumindest um sich zu erkundigen, wann das verschriebene Standgerät käme.
Am 12.3.2016 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Ehefrau des Klägers massiv. Auf Grund eines Notarzteinsatzes wurde sie am 12.3.2016 wieder ins St. K. Hospital aufgenommen. Sie wurde in diesem Krankenhaus zunächst intensivmedizinisch behandelt und am 18.3.2017 in das Knappschaftskrankenhaus verlegt. Von dort wurde sie am 4.4.2016 entlassen. Während der stationären Behandlung ergab sich die Indikation für eine Sauerstofflangzeittherapie mit 2 l pro Minute in Verbindung mit einer nicht invasiven Beatmung durch ein Beatmungsgerät. Im Februar 2016 bestand diese Indikation noch nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die bei den Gerichtsakten befindlichen Arztberichte Bezug genommen.
Am 14.3.2016 beschwerte sich der Kläger bei der Beklagten, dass das Gerät nicht funktioniere. Weitere Versuche einer vorgerichtlichen Einigung aber auch gerichtliche Vergleichsverhandlungen schlugen fehl. Das Gerät hatte am 10.3.2016 55 Betriebsstunden auf der Uhr.
Der Kläger ist am 29.3.2016 vom Vertrag zurückgetreten und hat den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten.
Der Kläger behauptet, er habe dem Geschäftsführer der Beklagten bei seinem ersten Besuch im Fachgeschäft gesagt, dass er ein Gerät benötige, das Tag und Nacht benutzt werden kann. Er habe den Geschäftsführer darauf hingewiesen, dass seine Frau nur durch den Mund atmen könne. Ferner habe er den Gesundheitszustand seiner Frau beschrieben. Der Geschäftsführer habe mehrere Telefonate geführt und dann ein Gerät empfohlen. Das Gerät sei genau das Richtige. In der Lungenklinik sei ihm gesagt worden, dass das Gerät völlig ungeeignet und überteuert sei.
Das Gerät werde vom Hersteller für 2900,- € angeboten. Im Internet würde das Gerät für 1500,00 bis 2794,- € angeboten. Der Hersteller würde für die Reinigung 60 € berechnen und solche Geräte auch von Händlern zurücknehmen.
Der Kläger beantragt, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Kläger habe dem Geschäftsführer den Gesundheitszustand der Ehefrau nicht beschrieben. Er habe nicht darauf hingewiesen, dass sie mit offenem Mund schlafe. Er habe auch nicht gefragt, ob das Gerät das Richtige sei. Das Gerät sei mit einer Sauerstoffbrille ausgestattet. Das Gerät sei mit einer Trigger-Funktion ausgestattet, die einen Warnton aktiviere, wenn die Atmung ausbleibe oder stocke. Darüber habe der Geschäftsführer den Kläger bei seinem zweiten Besuch in der Wohnung des Klägers auch aufgeklärt.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Geeignetheit des Geräts durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten von Dr. med. H vom 2.11.2016 sowie die ergänzende Stellungnahme vom 13.4.2017 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
I.
Der Kläger kann von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Geräts mit Zubehör gem. § 280 BGB auf Grund des abgeschlossenen Kaufvertrages verlangen. Dahingestellt bleiben kann, ob auch Ansprüche auf gewährleistungsrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrages oder Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung nach Anfechtung des Kaufvertrages oder wegen Nichtigkeit des Vertrages gem. § 138 wegen Sittenwidrigkeit/Wucher bestehen.
Dem Kläger stehen nämlich zumindest Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung gem. § 280 BGB zu.
II.
Es liegt hier eine objektive Pflichtwidrigkeit vor.
1. Der Kläger ist für die Beklagte erkennbar ohne jede Vorkenntnis und deshalb beratungsbedürftig in ihr Fachgeschäft gekommen. Er wollte nicht ein von ihm ausgewähltes Gerät kaufen, sondern von dem Geschäftsführer beraten werden, ob es überhaupt ein Gerät gab, dass seinen laienhaften Vorstellungen entsprach und seiner Ehefrau Hilfe versprach.
Die Beklagte betreibt ein Fachgeschäft. Sie hat deshalb nach außen hin den Anschein erweckt zu einer fachlichen Beratung in der Lage zu sein. Der Geschäftsführer der Beklagten hat nicht darauf hingewiesen, dass er zu einer solchen Beratung vorliegend nicht fähig ist.
2. Der Geschäftsführer der Beklagten hat den Kläger falsch beraten.
Das Gerät ist für die Ehefrau des Klägers und bei dem bei ihr vorliegenden Krankheitsbild völlig ungeeignet. Wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat, ist die Ehefrau des Klägers aufgrund der bei ihr vorliegenden Erkrankung nicht in der Lage ein Beatmungsgerät mit Demand Funktion zu benutzen. Patienten mit einer COPD sind überwiegend nicht in der Lage den notwendigen Atemfluss zur Auslösung des Triggers aufzubringen. Bei Patienten mit dem Krankheitsbild der Ehefrau des Klägers werden in der Regel tragbare Systeme ohne Demand Funktion verordnet.
Insofern hat das Gericht nicht die geringsten Zweifel, dass das Gerät objektiv ungeeignet war.
3. Die Beratung durch den Geschäftsführer war pflichtwidrig. Die Beklagte traf hier eine intensive Beratungspflicht, die weit über die eines reines Verkaufsgesprächs hinausging. Das entspricht ganz gefestigter Rechtsprechung. Der BGH hat schon 1958 (BGH Urt. v. 25. März 1958 – VIII ZR 48/57) entschieden, dass immer dann, wenn der Verkäufer während der Kaufverhandlungen als Fachmann und Vertrauensperson auftritt, entweder ein selbständiger Beratungsvertrag zustande komme oder bei einer Einheit des Geschäfts eine besondere Nebenleistung zum Kaufvertrag entsteht. In der Regel kommt eine nebenvertragliche Beratungspflicht in Betracht (BGH Urt. v. 23.7.1997 – VIII ZR 238/96). Entscheidend ist dabei die Sicht des Käufers (BGH Urt. v. 16.6.2004 – VIII ZR 303/03). Wie der VIII. Senat entschieden hat, kann dieser berechtigterweise in einem Fachgeschäft eine größere Sachkunde des Verkaufspersonals erwarten als in einem Warenhaus oder heute im Internethandel. Diese Erwartung ist für den Verkäufer auch unschwer erkennbar, zumal dann, wenn der nicht bzw. nicht hinreichend sachkundige Käufer oder Kaufinteressent – wie hier – sich ausdrücklich nach einem geeigneten medizinischen Hilfsmittel erkundigt. Das ist ja auch das Argument, mit dem der stationäre Einzelhandel gegen den zunehmenden beratungslosen Internethandel argumentiert und die notwendigerweise höheren Preise rechtfertigt. Mit dem höheren Preis wird u.a. die personal- und zeitintensive Beratungsleistung abgegolten, die sich ja nicht nur in dem Kundegespräch niederschlägt, sondern auch in einer entsprechenden Aus- und Fortbildungen.
Innerhalb eines solchen Beratungsverhältnisses ist der Verkäufer jedenfalls verpflichtet, den Käufer über alle für den vorgesehenen und ihm mitgeteilten Verwendungszweck wesentlichen – insbesondere auch ungünstige – Eigenschaften der in Betracht kommenden Ware zu informieren, die ihm bekannt sind. Fehlen dem Verkäufer die notwendigen Vorinformationen, so muss er versuchen, sich diese zu verschaffen oder auf die Risiken hinweisen. Das gilt ganz besonders bei so hochwertigen Medizinprodukten, wie das Beatmungsgerät, um das es hier geht. Bereits der BGH (BGH Urt. v. 16.6.2004 – VIII ZR 303/03) hat entschieden, dass immer dann, wenn der Verkäufer Bedenken gegen die uneingeschränkte Eignung der Ware hat oder liegen konkrete Anhaltspunkte in dieser Richtung vor, so müsse er dies dem Käufer offenbaren oder seine Zweifel durch Rückfrage beim Hersteller ausräumen.
Hier hat ein medizinischer Laie ein hochkomplexes technisches Hilfsmittel kaufen wollen. Es ist kaum zu erwarten, dass diesem Kunden die verschiedenen Abstufungen der Erkrankung, die Anforderungen an das Gerät und vor allem die Differenzierung zwischen den verschiedenen Geräten auch nur ansatzweise bekannt sind. Das bedeutet für den fachkundigen Verkäufer, dass er entweder eine spezifizierte Verordnung eines (Fach-)Arztes benötigt an der er sich orientieren kann – die hier unstreitig nicht vorlag – oder er muss die erforderlichen Informationen selbst besorgen, z.B. durch Telefonate mit dem Arzt oder die Lektüre von Arztbriefen oder muss den Kunden bitten, diese Informationen selbst einzuholen. All das hat der Geschäftsführer hier unterlassen. Er hat die laienhaften Auskünfte des immerhin damals auch schon 80-jährigen Klägers, der mit Sicherheit auch wegen der Erkrankung seiner Ehefrau überfordert war, weder hinterfragt noch irgendwie verifiziert. Er will nach eigenen Angaben nur ein einziges Telefon mit dem Hersteller geführt haben, wobei es in dem Gespräch auch nicht um die Eignung des Gerätes, sondern nur um den Liefertermin ging. Wie der medizinische Sachverständige ausgeführt hat, gibt es die unterschiedlichsten Diagnosen und Indikationen, die den Einsatz eines Sauerstoffkonzentrators rechtfertigen. Für die verschiedenen Indikationen gibt es dann wiederum unterschiedliche Geräte. Dass der Geschäftsführer der Beklagten durch Nachfrage auch nur ansatzweise versucht hat, sich hier die notwendigen Informationen zu verschaffen, ist nicht vorgetragen. Das Gericht hat zumindest den Eindruck, dass es dem Geschäftsführer weniger um ein qualifiziertes Beratungsgespräch als um einen schnellen Vertragsschluss ging.
III.
Der Geschäftsführer der Beklagten hat schuldhaft gehandelt.
Bezeichnend ist, das er bestreitet, dass der Kläger weder den Gesundheitszustand seiner Ehefrau geschildert habe noch gefragt habe, ob das Gerät „das Richtige sei“. Beides ist nach Ansicht des Gerichts nach der Lebenserfahrung eher unwahrscheinlich. Den Kläger hat die Erkrankung seiner Frau mit Sicherheit stark beschäftigt, so dass er davon erzählt haben wird und dass er nur das „richtige Gerät“ kaufen wollte, um seiner Frau zu helfen, ist so selbstverständlich, dass es kaum ausgesprochen werden muss. Nach eigener Darstellung der Beklagten müsste das Beratungsgespräch fast schweigend verlaufen sein, so dass der Geschäftsführer ins Blaue hinein ein über 4000,- € Gerät dem Kläger verkauft haben will, ohne genau zu wissen, ob er damit das richtige tut. Das wäre schon fast bedingt vorsätzlich. Zugunsten der Beklagten geht das Gericht davon aus, dass es so aber nicht war, der Kläger also schon etwas berichtet hat, der Geschäftsführer der Beklagten aber nicht nachgefragt hat oder weitere Informationen eingeholt hat. Das ist zumindest die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, also fahrlässig.
IV.
Dem Kläger ist durch diese schuldhafte Falsch- oder Nichtberatung ein Schaden entstanden. Der Kläger kann die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Gerätes verlangen. Ferner kann Zinsen gem. §§ 280, 286, 288 BGB sowie Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.