Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „Haftung bei Betrieb eines Fahrzeugs“ im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne Kollision?
- Unter welchen Umständen kann ich Schadensersatz fordern, auch wenn mein Fahrzeug nicht direkt mit einem anderen Fahrzeug kollidiert ist?
- Wie funktioniert die „Abwägung der Verursachungsbeiträge“ und was bedeutet das für meinen Schadensersatzanspruch?
- Welche Rolle spielt die Versicherung des Unfallverursachers bei einem Verkehrsunfall ohne direkte Kollision?
- Was kann ich tun, wenn die Versicherung des Unfallverursachers meinen Schadensersatzanspruch ablehnt?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: I-7 U 68/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Hamm
- Datum: 17.05.2022
- Aktenzeichen: I-7 U 68/21
- Verfahrensart: Berufung
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsgesetz (StVG), Versicherungsvertragsgesetz (VVG), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine Person (Klägerin), deren Fahrzeug bei einem Unfall beschädigt wurde und die Schadensersatz fordert. Sie hat Berufung gegen ein vorheriges Urteil eingelegt.
- Beklagte: Der Fahrer des unfallbeteiligten Fahrzeugs und die Halterin dieses Fahrzeugs.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Bei einem Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug der Klägerin auf der linken Seite beschädigt. Der Unfall wurde durch den Betrieb des Fahrzeugs verursacht, das von einem der Beklagten gefahren wurde und dessen Halterin die andere Beklagte ist.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob die Beklagten (Fahrer und Halterin) der Klägerin Schadensersatz für den Unfallschaden zahlen müssen.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht änderte das vorherige Urteil teilweise ab. Die Beklagten müssen als Gesamtschuldner (d.h., jeder haftet für die gesamte Summe, die Klägerin kann es aber nur einmal fordern) 14.509,07 Euro Schadensersatz sowie 1.029,35 Euro für vorgerichtliche Anwaltskosten an die Klägerin zahlen, jeweils zuzüglich Zinsen. Ein kleinerer Teil der Klage wurde abgewiesen.
- Begründung: Die Beklagten haften für die Unfallfolgen nach dem Straßenverkehrsgesetz (§§ 7, 18 StVG). Die Voraussetzungen dafür liegen vor: Das Fahrzeug der Klägerin wurde beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten beschädigt. Sowohl der Fahrer als auch die Halterin sind zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
- Folgen: Die Beklagten müssen den zugesprochenen Betrag zahlen. Sie müssen auch die Kosten des gesamten Gerichtsverfahrens tragen. Das Urteil kann sofort vollstreckt werden (vorläufige Vollstreckbarkeit).
Der Fall vor Gericht
Gerichtsurteil: Voller Schadensersatz für Autobesitzerin trotz fehlender Kollision

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat entschieden, dass der Fahrer, die Halterin und die Versicherung eines Fahrzeugs den vollen Schaden am Auto einer anderen Besitzerin ersetzen müssen, obwohl sich die beiden Fahrzeuge bei dem Unfall nicht direkt berührt hatten. Das Gericht änderte damit eine frühere Entscheidung des Landgerichts Arnsberg ab.
Worum ging es in dem Fall?
Eine Autobesitzerin hatte geklagt, weil ihr Fahrzeug bei einem Verkehrsvorfall auf der linken Seite beschädigt wurde. An dem Vorfall war ein anderes Fahrzeug beteiligt, das von einem Mann gefahren wurde und einer Frau gehörte. Auch die Haftpflichtversicherung dieses zweiten Fahrzeugs wurde verklagt.
Ein wesentlicher Punkt in diesem Fall war, dass die beiden beteiligten Fahrzeuge – das Auto der Besitzerin (gefahren von einem Zeugen) und das Fahrzeug des beklagten Fahrers – sich nach den Feststellungen eines Sachverständigen nicht physisch berührt hatten. Der Schaden am Auto der Besitzerin entstand also nicht durch eine direkte Kollision, sondern mutmaßlich durch eine Ausweichreaktion.
Die Kernfrage für das Gericht war, ob der Fahrer und die Halterin des anderen Fahrzeugs (und damit auch deren Versicherung) trotzdem für den entstandenen Schaden haften müssen und wenn ja, in welchem Umfang.
Die Entscheidung des Gerichts: Volle Haftung trotz fehlender Berührung
Das OLG Hamm entschied zugunsten der Autobesitzerin und verurteilte den Fahrer, die Halterin und die Versicherung des gegnerischen Fahrzeugs zur Zahlung von insgesamt 14.509,07 Euro Schadensersatz. Zusätzlich müssen sie die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Autobesitzerin in Höhe von 1.029,35 Euro übernehmen. Auf beide Beträge fallen Zinsen an.
Die Verurteilten haften als sogenannte Gesamtschuldner. Das bedeutet, die Autobesitzerin kann den gesamten Betrag von jedem Einzelnen der drei (Fahrer, Halterin, Versicherung) fordern. Wer zahlt, befreit die anderen im Verhältnis zur Autobesitzerin.
Die Kosten des gesamten Rechtsstreits müssen ebenfalls vom Fahrer, der Halterin und der Versicherung des gegnerischen Fahrzeugs getragen werden.
Die Begründung des Gerichts: Warum mussten sie zahlen?
Das Gericht stützte seine Entscheidung auf mehrere rechtliche Grundlagen, insbesondere das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und das Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
1. Grundsätzliche Haftung bei Betrieb eines Fahrzeugs (§§ 7, 18 StVG)
Nach dem Straßenverkehrsgesetz haftet der Halter eines Fahrzeugs (§ 7 StVG) für Schäden, die „Bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen. Auch der Fahrer haftet unter diesen Voraussetzungen (§ 18 StVG).
Das Gericht stellte fest, dass der Unfall sich „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs ereignet hat, das vom beklagten Fahrer gesteuert wurde und der beklagten Halterin gehört. Entscheidend war dabei nicht, ob es zu einer Berührung kam.
2. Haftung auch ohne direkte Kollision möglich
Das OLG Hamm betonte, dass eine Haftung auch dann bestehen kann, wenn sich die beteiligten Fahrzeuge nicht berühren. Es reicht aus, wenn ein Fahrzeug den Unfall mittelbar verursacht hat. Die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle genügt zwar nicht, aber wenn das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, kann eine Haftung ausgelöst werden.
Im konkreten Fall war dies nach Ansicht des Gerichts gegeben. Selbst wenn man der Darstellung des beklagten Fahrers und der Halterin folgt, war deren Fahrstreifenwechsel der Auslöser dafür, dass der Fahrer des Autos der Besitzerin zu einer Ausweichreaktion gezwungen wurde. Das Manöver des beklagten Fahrers hat also den Verkehr beeinflusst und zum Schaden beigetragen.
3. Haftung der Versicherung (§ 115 VVG)
Die Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs haftet laut Gesetz (§ 115 VVG) direkt gegenüber dem Geschädigten, genauso wie der Halter selbst. Daher wurde auch die Versicherung zur Zahlung verurteilt.
4. Abwägung der Verantwortlichkeiten: Volle Haftung für die Gegenseite (§ 17 StVG)
Da der Schaden durch (mindestens) zwei Kraftfahrzeuge verursacht wurde, musste das Gericht prüfen, wer in welchem Umfang für den Schaden verantwortlich ist. Dies geschieht durch eine sogenannte Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 StVG. Dabei werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, insbesondere, wer den Unfall überwiegend verursacht hat. Auch das Verschulden der Fahrer spielt eine Rolle.
Das Gericht kam nach dieser Abwägung zu dem Ergebnis, dass der Fahrer, die Halterin und die Versicherung des gegnerischen Fahrzeugs vollumfänglich für die Unfallfolgen haften müssen. Ihre Verursachungsbeiträge wogen so schwer, dass eine mögliche Mitverantwortung des Fahrers, der das Auto der Klägerin steuerte, vollständig zurücktritt.
Ob der Unfall für den Fahrer des Autos der Besitzerin ein sogenanntes „unabwendbares Ereignis“ war (was seine Haftung ausschließen würde), musste das Gericht daher gar nicht mehr entscheiden. Die Abwägung führte bereits zur vollen Haftung der Gegenseite.
Fazit
Das Urteil des OLG Hamm stellt klar, dass die Haftung für einen Verkehrsunfall nicht zwangsläufig eine direkte Berührung der beteiligten Fahrzeuge erfordert. Entscheidend ist, ob das Fahrverhalten eines Beteiligten zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Wenn dieser Beitrag überwiegt, kann dies zur vollen Haftung führen, auch wenn das eigene Fahrzeug unbeschädigt blieb oder gar keinen Kontakt hatte. Die Autobesitzerin erhält somit den ihr entstandenen Schaden sowie die Anwaltskosten ersetzt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass bei einem Verkehrsunfall Haftung auch ohne direkte Fahrzeugberührung entstehen kann, wenn durch eine Fahrweise andere Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern gezwungen werden. Ein Fahrstreifenwechsel erfordert höchste Sorgfalt und darf nur erfolgen, wenn eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist – wird dieser Grundsatz verletzt, kann dies zu vollständiger Haftung führen. Für Unfallopfer bedeutet dies, dass sie selbst bei fehlendem Kontakt zwischen den Fahrzeugen Schadensersatzansprüche haben können, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer durch sein Fahrverhalten den Unfall verursacht hat.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Haftung bei Betrieb eines Fahrzeugs“ im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ohne Kollision?
Die „Haftung bei Betrieb eines Fahrzeugs“ bedeutet, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich für Schäden verantwortlich ist, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs verursacht werden. Das Besondere daran ist: Diese Haftung gilt auch dann, wenn es zu keiner direkten Kollision, also keiner Berührung zwischen den beteiligten Fahrzeugen oder Personen, gekommen ist.
Was bedeutet „Betrieb“ eines Fahrzeugs?
Der Begriff „Betrieb“ wird rechtlich sehr weit gefasst. Er umfasst mehr als nur das Fahren. Zum „Betrieb“ zählt grundsätzlich jede Nutzung des Fahrzeugs im öffentlichen Verkehrsraum, die mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs zusammenhängt. Das kann zum Beispiel sein:
- Das Fahren selbst.
- Das Anlassen oder Abstellen des Motors.
- Das Ein- oder Aussteigen.
- Auch ein auf der Straße abgestelltes (möglicherweise unbeleuchtetes oder schlecht gesichertes) Fahrzeug ist „in Betrieb“, wenn von ihm eine Gefahr ausgeht.
Entscheidend ist, dass das Fahrzeug verkehrsbeeinflussend wirkt und eine potenzielle Gefahr darstellt.
Haftung auch ohne Berührung: Die Gefährdungshaftung
Das deutsche Recht kennt im Straßenverkehrsrecht die sogenannte Gefährdungshaftung, geregelt in § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Diese besagt: Allein die Tatsache, dass ein Kraftfahrzeug betrieben wird, stellt eine potenzielle Gefahr dar. Wird durch diese Gefahr ein Schaden verursacht, haftet der Halter des Fahrzeugs – unabhängig davon, ob ihn persönlich ein Verschulden trifft (wie z.B. Unachtsamkeit).
Für einen Unfall ohne Kollision bedeutet das: Wenn der Betrieb Ihres Fahrzeugs dazu führt, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer einen Schaden erleidet, können Sie haftbar sein, auch wenn es keine Berührung gab.
Beispiele für Haftung ohne Kollision:
- Ein Autofahrer überholt so knapp oder schneidet ein anderes Fahrzeug so stark, dass dessen Fahrer ausweichen muss und dabei von der Fahrbahn abkommt oder gegen ein Hindernis fährt.
- Ein Fahrer bremst grundlos oder extrem stark, sodass ein nachfolgender Fahrer eine Vollbremsung machen muss, um eine Kollision zu vermeiden, und dabei die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert oder ein weiterer nachfolgender Fahrer auffährt.
- Ein Fußgänger oder Radfahrer erschrickt durch ein sehr dicht oder schnell heranfahrendes Auto, stürzt und verletzt sich, ohne vom Auto berührt worden zu sein.
In all diesen Fällen hat der Betrieb des einen Fahrzeugs (das Überholmanöver, das Bremsen, das Heranfahren) ursächlich zum Schaden des anderen geführt, auch ohne direkten Kontakt.
Was bedeutet das für Sie?
Für Sie als Verkehrsteilnehmer ist es wichtig zu verstehen, dass eine Haftung im Straßenverkehr nicht zwingend eine Kollision voraussetzt. Entscheidend ist, ob der Betrieb eines Fahrzeugs nachweislich zum Schaden eines anderen beigetragen hat. Das kann bedeuten, dass Sie selbst Ansprüche geltend machen können, auch wenn Ihr Fahrzeug nicht berührt wurde, oder umgekehrt, dass Sie für einen Schaden aufkommen müssen, den Ihr Fahrzeug indirekt verursacht hat.
Unter welchen Umständen kann ich Schadensersatz fordern, auch wenn mein Fahrzeug nicht direkt mit einem anderen Fahrzeug kollidiert ist?
Ja, Sie können unter bestimmten Umständen auch dann Schadensersatz für Schäden an Ihrem Fahrzeug fordern, wenn es zu keiner direkten Berührung mit einem anderen Fahrzeug gekommen ist. Entscheidend ist nicht die Kollision selbst, sondern ob das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers den Unfall und Ihren Schaden verursacht hat.
Kernprinzip: Haftung ohne Berührung
Die Haftung im Straßenverkehr knüpft nicht zwangsläufig an eine Kollision an. Vielmehr geht es darum, ob jemand durch sein verkehrswidriges Verhalten eine Gefahrensituation geschaffen hat, die unmittelbar zu Ihrem Schaden geführt hat. Wenn Sie beispielsweise nur durch ein Ausweichmanöver einen Unfall verhindern konnten, dabei aber selbst einen Schaden erlitten haben (z.B. weil Sie gegen eine Leitplanke gefahren sind), kann der Verursacher der Gefahrensituation haftbar sein.
Wann ist das Verhalten ursächlich?
Der entscheidende Punkt ist der Nachweis des Kausalzusammenhangs: Das Verhalten des anderen Fahrers muss die direkte und unmittelbare Ursache für Ihr Ausweichmanöver und den daraus resultierenden Schaden sein. Es muss also eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung bestehen.
- Beispiel 1: Ein anderer Fahrer nimmt Ihnen die Vorfahrt. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, müssen Sie stark ausweichen und fahren dabei gegen einen Bordstein, wodurch Ihr Reifen und Ihre Felge beschädigt werden. Hier hat das Vorfahrtsmissachten des anderen Fahrers den Schaden verursacht, auch ohne Berührung.
- Beispiel 2: Ein Fahrzeug überholt Sie sehr knapp und schneidet Sie, sodass Sie gezwungen sind, stark zu bremsen und auszuweichen, um eine Kollision zu verhindern. Dabei geraten Sie von der Fahrbahn ab und Ihr Fahrzeug wird im Straßengraben beschädigt. Auch hier kann der Überholende haften.
Rechtliche Grundlagen (vereinfacht)
Die rechtliche Grundlage für solche Ansprüche findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Straßenverkehrsgesetz (StVG).
- Verschuldenshaftung (§ 823 BGB): Wenn der andere Fahrer fahrlässig oder vorsätzlich eine Verkehrsvorschrift verletzt hat (z.B. Vorfahrt missachtet, zu schnell gefahren, riskant überholt) und dadurch Ihr Schaden entstanden ist, haftet er für den Schaden.
- Gefährdungshaftung (§ 7 StVG): Grundsätzlich haftet der Halter eines Fahrzeugs auch ohne eigenes Verschulden für Schäden, die „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen (sogenannte Betriebsgefahr). Bei Unfällen ohne Berührung ist es aber oft notwendig nachzuweisen, dass der Schaden eine direkte Folge des Betriebs des anderen Fahrzeugs war, was durch das verkehrswidrige Verhalten ausgelöst wurde.
Was bedeutet das für Sie?
Wenn Sie aufgrund des Fehlverhaltens eines anderen Fahrers einen Unfall ohne Kollision erleiden, ist es besonders wichtig, den Hergang gut zu dokumentieren.
- Beweise sichern: Notieren Sie sich das Kennzeichen des verursachenden Fahrzeugs (falls möglich), suchen Sie nach Zeugen und bitten Sie diese um ihre Kontaktdaten. Machen Sie Fotos von der Unfallstelle, den entstandenen Schäden und der Endposition Ihres Fahrzeugs. Das Hinzuziehen der Polizei zur Unfallaufnahme kann ebenfalls sehr hilfreich sein, um den Hergang festzuhalten.
- Nachweispflicht: Beachten Sie, dass Sie als Anspruchsteller in der Regel beweisen müssen, dass das Verhalten des anderen Fahrers den Unfall und Ihren Schaden verursacht hat. Sie müssen darlegen, dass das Ausweichmanöver zur Vermeidung einer Kollision notwendig war und der Schaden direkt darauf zurückzuführen ist. Es wird auch geprüft, ob Sie möglicherweise überreagiert haben oder ob der Schaden auch bei korrektem Verhalten entstanden wäre.
Wie funktioniert die „Abwägung der Verursachungsbeiträge“ und was bedeutet das für meinen Schadensersatzanspruch?
Wenn nach einem Unfall geklärt werden muss, wer für den entstandenen Schaden aufkommt, führen Gerichte oder Versicherungen oft eine sogenannte „Abwägung der Verursachungsbeiträge“ durch. Das ist ein Prozess, bei dem genau geprüft wird, wer wie stark zum Unfall beigetragen hat. Ziel ist es, die Verantwortung gerecht zu verteilen und festzulegen, wer welchen Anteil am Schaden tragen muss.
Was genau wird abgewogen?
Bei dieser Abwägung werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, um ein faires Bild der Verantwortlichkeit zu erhalten:
- Das Verschulden: Hier geht es darum, wer einen Fehler gemacht hat, der zum Unfall führte. Hat jemand eine Verkehrsregel missachtet? Zum Beispiel:
- Die Vorfahrt nicht beachtet?
- Zu schnell gefahren?
- Den nötigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten?
- Unter Alkoholeinfluss gefahren? Je schwerwiegender der Fehler, desto höher wiegt dieser Beitrag bei der Abwägung.
- Die Betriebsgefahr: Jedes Fahrzeug stellt allein durch seine Anwesenheit und seinen Betrieb im Straßenverkehr eine gewisse Gefahr dar – das nennt man Betriebsgefahr. Diese Gefahr wird immer berücksichtigt, selbst wenn der Fahrer alles richtig gemacht hat. Die Höhe der Betriebsgefahr kann abhängen von:
- Der Art des Fahrzeugs (ein LKW hat meist eine höhere Betriebsgefahr als ein Kleinwagen).
- Der Geschwindigkeit.
- Anderen Umständen, die die Gefährlichkeit erhöhen.
- Alle Umstände des Einzelfalls: Neben Verschulden und Betriebsgefahr schauen Gerichte auch auf alle anderen relevanten Details des Unfalls. Dazu gehören zum Beispiel die Sichtverhältnisse, der Straßenzustand oder ob ein Beteiligter besonders unerwartet reagiert hat.
Wichtig im Zusammenhang mit der Frage nach „fehlender Kollision“: Die Abwägung findet auch dann statt, wenn es gar nicht zu einer direkten Berührung (Kollision) zwischen den Beteiligten gekommen ist. Stellen Sie sich vor, Sie müssen stark bremsen oder ausweichen, weil Ihnen jemand die Vorfahrt nimmt, und dabei entsteht ein Schaden an Ihrem Fahrzeug (z.B. durch Auffahren auf ein anderes Hindernis). Auch hier wird abgewogen, wer durch sein Verhalten – auch ohne Berührung – wie stark zur Entstehung dieses Schadens beigetragen hat.
Was bedeutet die Abwägung für Ihren Schadensersatzanspruch?
Das Ergebnis der Abwägung ist eine Haftungsquote. Diese Quote legt fest, zu welchem Prozentsatz jeder Beteiligte für den entstandenen Gesamtschaden verantwortlich ist.
- Beispiel: Kommt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass Sie zu 30% und der andere Beteiligte zu 70% für den Unfall verantwortlich sind, bedeutet das:
- Sie erhalten 70% Ihres eigenen Schadens vom anderen Beteiligten (bzw. dessen Versicherung) ersetzt.
- Sie müssen umgekehrt 30% des Schadens des anderen Beteiligten tragen (bzw. Ihre Versicherung muss dafür aufkommen).
- Voller Schadensersatz (100/0 Quote): Wenn die Abwägung ergibt, dass der andere Beteiligte den Unfall allein verschuldet hat und Sie selbst keinen Fehler gemacht haben, kann dessen Verantwortlichkeit so hoch sein, dass Ihre eigene Betriebsgefahr dahinter komplett zurücktritt. Das gilt auch, wenn es keine Kollision gab. In einem solchen Fall können Sie vollen Ersatz Ihres Schadens (100%) verlangen.
- Kein Schadensersatz (0/100 Quote): Wenn Sie den Unfall allein verschuldet haben, kann es sein, dass Sie keinen Ersatz für Ihren Schaden erhalten und den Schaden des anderen vollständig tragen müssen.
Die Abwägung der Verursachungsbeiträge ist also der entscheidende Schritt, um zu bestimmen, ob und in welcher Höhe Sie Schadensersatz für einen Unfall erhalten.
Welche Rolle spielt die Versicherung des Unfallverursachers bei einem Verkehrsunfall ohne direkte Kollision?
Auch bei einem Verkehrsunfall, bei dem es nicht zu einer direkten Berührung der beteiligten Fahrzeuge gekommen ist, spielt die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers eine zentrale Rolle. Wenn nachgewiesen ist, dass das Verhalten des Fahrers dieses Fahrzeugs den Unfall (mit-)verursacht hat, haftet dessen Versicherung für den entstandenen Schaden.
Direkter Anspruch gegen die Versicherung
Als Geschädigter haben Sie in Deutschland einen gesetzlichen Direktanspruch gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Das bedeutet, Sie können Ihre Schadensersatzansprüche direkt bei der gegnerischen Versicherung geltend machen und müssen sich nicht zuerst an den Fahrer oder Halter des verursachenden Fahrzeugs wenden. Diese Regelung findet sich in § 115 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
Warum haftet die Versicherung auch ohne Berührung?
Die Haftung im Straßenverkehr entsteht nicht nur durch eine Kollision. Entscheidend ist, ob das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers ursächlich für den Schaden war. Dies kann auch der Fall sein, wenn Sie beispielsweise wegen eines plötzlichen und fehlerhaften Fahrmanövers eines anderen ausweichen mussten und dabei selbst einen Unfall erlitten haben, ohne das andere Fahrzeug zu berühren. Die Versicherung haftet dann, weil ihr Versicherungsnehmer den Unfall durch sein Verhalten (z.B. Vorfahrtsverletzung, gefährdendes Überholen) verschuldet oder zumindest durch die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs mitverursacht hat.
Wie finden Sie die zuständige Versicherung heraus?
Wenn Sie das Kennzeichen des verursachenden Fahrzeugs kennen, können Sie die zuständige Haftpflichtversicherung über den Zentralruf der Autoversicherer erfragen. Diese zentrale Stelle gibt Auskunft über die Versicherung des Unfallgegners.
Welche Informationen benötigt die Versicherung?
Um Ihren Schaden bei der gegnerischen Versicherung zu melden, benötigt diese in der Regel bestimmte Informationen. Dazu gehören üblicherweise:
- Amtliches Kennzeichen des gegnerischen Fahrzeugs
- Name und Anschrift des Fahrers und Halters des gegnerischen Fahrzeugs (soweit bekannt)
- Datum, Uhrzeit und Ort des Unfalls
- Eine genaue Beschreibung des Unfallhergangs, insbesondere wie es zu dem Unfall ohne Kollision kam
- Namen und Adressen von Zeugen
- Informationen über den entstandenen Schaden an Ihrem Fahrzeug (ggf. Kostenvoranschlag, Gutachten) oder andere Schäden (z.B. Verletzungen)
- Falls die Polizei den Unfall aufgenommen hat: Das Aktenzeichen der Polizei.
Die Versicherung prüft anhand dieser Informationen den Unfallhergang und ihre Eintrittspflicht. Auch ohne direkte Kollision ist die Versicherung des Verursachers also Ihr erster Ansprechpartner für die Regulierung des Schadens.
Was kann ich tun, wenn die Versicherung des Unfallverursachers meinen Schadensersatzanspruch ablehnt?
Wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung Ihren Schadensersatzanspruch nach einem Unfall ablehnt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass Sie keinen Anspruch haben. Es gibt verschiedene Schritte, die Sie unternehmen können, um die Situation zu klären und Ihre Ansprüche möglicherweise doch noch durchzusetzen. Gerade bei Unfällen, bei denen es zu keiner direkten Kollision kam, kann die Beurteilung der Haftung komplexer sein, was manchmal zu einer Ablehnung führt.
Gründe für die Ablehnung verstehen
Zunächst ist es hilfreich zu verstehen, warum die Versicherung die Zahlung ablehnt. Versicherungen prüfen genau, ob ihr Versicherungsnehmer tatsächlich für den Unfall verantwortlich ist (die sogenannte Haftungsfrage) und ob der geltend gemachte Schaden tatsächlich durch den Unfall verursacht wurde und in der behaupteten Höhe besteht. Mögliche Gründe für eine Ablehnung können sein:
- Die Versicherung sieht die Schuld für den Unfall nicht oder nicht allein bei ihrem Versicherungsnehmer.
- Es bestehen Zweifel, ob der Schaden (z.B. an Ihrem Fahrzeug oder Ihre Verletzung) wirklich auf den Unfall zurückzuführen ist (Kausalität). Dies ist bei Unfällen ohne Berührung oft ein Streitpunkt.
- Die Höhe des geforderten Schadensersatzes wird als überhöht angesehen.
Fordern Sie bei einer Ablehnung immer eine schriftliche Begründung von der Versicherung an. So können Sie die Argumente der Gegenseite nachvollziehen.
Mögliche Schritte nach der Ablehnung
Eine Ablehnung ist eine Einschätzung der Versicherung, die nicht immer korrekt sein muss. Sie haben verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren:
- Eigene Beweise prüfen und sichern: Überprüfen Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Beweismittel. Dazu gehören der Polizeibericht (falls vorhanden), Fotos von der Unfallstelle und den Schäden, Zeugenaussagen oder auch ein eigenes Unfallprotokoll. Gerade bei Unfällen ohne Kollision sind Zeugen oft entscheidend, um den genauen Hergang und das Verhalten des Unfallverursachers nachzuweisen.
- Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens: Wenn die Versicherung den Schaden oder dessen Höhe bestreitet, kann ein eigenes, unabhängiges Sachverständigengutachten sinnvoll sein. Dieses Gutachten dokumentiert den Schaden an Ihrem Fahrzeug und beziffert die Reparaturkosten oder den Wiederbeschaffungswert. Bei komplexen Unfallhergängen, insbesondere ohne Kollision, kann ein Gutachter auch technische Fragen klären, die für die Haftungsfrage relevant sind. Die Kosten für ein solches Gutachten muss die gegnerische Versicherung in der Regel übernehmen, wenn sie zur Leistung verpflichtet ist. Wird die Haftung jedoch vollständig abgelehnt, besteht das Risiko, dass Sie die Gutachterkosten zunächst selbst tragen müssen.
- Gerichtliche Klärung: Sollte die Versicherung bei ihrer Ablehnung bleiben und Sie sind weiterhin davon überzeugt, im Recht zu sein, bleibt als letzte Möglichkeit die Einreichung einer Klage bei Gericht. Das Gericht prüft dann unabhängig den Sachverhalt, die Beweise und die Rechtslage und entscheidet über Ihren Anspruch. Ein Gerichtsverfahren ist jedoch mit Risiken und möglichen Kosten verbunden.
Besonderheiten bei Unfällen ohne Kollision
Bei Unfällen, bei denen Ihr Schaden durch das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers verursacht wurde, ohne dass es zu einer Berührung kam (z.B. Sie mussten ausweichen und sind deshalb von der Straße abgekommen), ist der Nachweis der Ursächlichkeit besonders wichtig. Sie müssen belegen können, dass gerade das Fahrmanöver des anderen Fahrers Sie zu Ihrer Reaktion gezwungen hat und dass dieser dafür die rechtliche Verantwortung trägt. Eine Ablehnung durch die Versicherung kann hier häufiger vorkommen, da der Beweis oft schwieriger ist als bei einem direkten Zusammenstoß.
Es ist wichtig, eine Ablehnung durch die Versicherung nicht einfach hinzunehmen, sondern die Begründung kritisch zu prüfen und die zur Verfügung stehenden Optionen zu erwägen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Halterhaftung (§ 7 StVG)
Der Halter eines Fahrzeugs (in der Regel die Person, auf die das Auto zugelassen ist und die es auf eigene Rechnung nutzt) haftet nach § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) für Schäden, die bei dem Betrieb des Fahrzeugs verursacht werden. Diese Haftung ist eine sogenannte Gefährdungshaftung, das bedeutet, sie tritt unabhängig von einem eigenen Verschulden des Halters ein. Allein die Tatsache, dass von einem Kraftfahrzeug generell eine Gefahr ausgeht (Betriebsgefahr) und diese sich im Unfall realisiert hat, begründet die Haftung. Im Text haftet die Halterin, weil ihr Fahrzeug den Unfall mitverursacht hat, auch wenn sie selbst nicht gefahren ist.
Beispiel: Anna leiht ihr Auto an Ben. Ben verursacht unverschuldet einen Unfall, weil die Bremsen ihres Autos plötzlich versagen. Obwohl Anna nichts falsch gemacht hat, haftet sie als Halterin nach § 7 StVG für den Schaden, weil der Unfall auf die Betriebsgefahr ihres Autos zurückzuführen ist.
Fahrerhaftung (§ 18 StVG)
Neben dem Halter haftet nach § 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) auch der Fahrer eines Fahrzeugs für Schäden, die bei dessen Betrieb entstehen. Im Gegensatz zur reinen Gefährdungshaftung des Halters basiert die Fahrerhaftung auf vermutetem Verschulden. Das heißt, der Fahrer haftet grundsätzlich, es sei denn, er kann nachweisen, dass ihn kein Verschulden an der Unfallverursachung trifft. Im vorliegenden Fall haftet der Fahrer, weil er durch sein Fahrmanöver (Fahrstreifenwechsel) den Unfall verursacht hat und sich offenbar nicht entlasten konnte.
Beispiel: Max fährt Auto und verursacht durch eine kurze Unachtsamkeit einen Unfall. Er haftet als Fahrer nach § 18 StVG, da er den Unfall verschuldet hat (bzw. nicht nachweisen kann, dass er ihn nicht verschuldet hat).
Bei dem Betrieb
Der Begriff „bei dem Betrieb“ ist eine zentrale Voraussetzung für die Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz (§§ 7, 18 StVG). Er beschreibt, dass der Schaden im Zusammenhang mit der Funktion des Kraftfahrzeugs als Verkehrs- oder Transportmittel entstanden sein muss. Wichtig ist, dass hierfür keine direkte Berührung (Kollision) zwischen den Fahrzeugen erforderlich ist. Es reicht aus, wenn ein Fahrzeug den Verkehrsvorgang beeinflusst und dadurch (mittelbar) einen Schaden verursacht, wie im entschiedenen Fall durch das Ausweichmanöver nach dem Fahrstreifenwechsel des Beklagtenfahrzeugs.
Beispiel: Ein LKW verliert auf der Autobahn schlecht gesicherte Ladung. Ein nachfolgendes Auto weicht aus, um nicht mit der Ladung zu kollidieren, und fährt dabei in die Leitplanke. Der Schaden am nachfolgenden Auto ist „bei dem Betrieb“ des LKW entstanden, obwohl es keine Berührung gab.
Abwägung der Verursachungsbeiträge (§ 17 StVG)
Sind an einem Unfall mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt und haften deren Halter und Fahrer grundsätzlich, regelt § 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wie der Schaden unter ihnen aufgeteilt wird. Das Gericht nimmt hierfür eine Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge vor. Dabei werden alle Umstände des Einzelfalls gewürdigt, insbesondere das Maß, in dem jeder Beteiligte zur Unfallentstehung beigetragen hat (z.B. durch Fahrfehler) und die von den Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr. Im konkreten Fall führte die Abwägung zur vollen Haftung der Beklagten, da ihr Beitrag zum Unfall so schwer wog, dass eine mögliche Mitverantwortung des klägerischen Fahrers unbeachtlich war.
Beispiel: Autofahrer A nimmt Autofahrer B die Vorfahrt, B war jedoch leicht zu schnell. Das Gericht könnte nach § 17 StVG entscheiden, dass A zu 80% und B zu 20% für den entstandenen Schaden haften, da A den schwerwiegenderen Verkehrsverstoß begangen hat.
Gesamtschuldner
Wenn mehrere Personen verpflichtet sind, denselben Schaden zu ersetzen (wie hier Fahrer, Halterin und deren Versicherung), haften sie in der Regel als Gesamtschuldner (geregelt u.a. in § 421 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Dies bedeutet für den Gläubiger (hier die geschädigte Autobesitzerin), dass er die gesamte Schadenssumme nach seiner Wahl von jedem einzelnen Schuldner verlangen kann, insgesamt aber natürlich nur einmal. Leistet ein Schuldner die Zahlung, wirkt dies auch für die anderen Schuldner gegenüber dem Gläubiger. Im Innenverhältnis können die Gesamtschuldner dann untereinander Ausgleich entsprechend ihrer jeweiligen Anteile verlangen (z.B. könnte die Versicherung den Fahrer oder Halter in Regress nehmen, falls diese den Schaden verschuldet haben).
Beispiel: Zwei Personen beschädigen gemeinsam fahrlässig eine Sache. Der Eigentümer kann von Person A den vollen Schadensersatz fordern oder von Person B den vollen Betrag. Zahlt Person A alles, kann sie von Person B die Hälfte (oder einen anderen Anteil, je nach Verantwortlichkeit) zurückfordern.
Direktanspruch (§ 115 VVG)
Nach § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) hat der Geschädigte bei einem Unfall, für den ein Kraftfahrzeug verantwortlich ist, einen Direktanspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers. Das bedeutet, der Geschädigte muss sich nicht nur an den Fahrer oder Halter halten, sondern kann seine Schadensersatzansprüche unmittelbar bei der gegnerischen Versicherung geltend machen und diese auch direkt verklagen. Die Versicherung haftet dabei im Rahmen ihrer Leistungspflicht zusammen mit dem Fahrer und Halter als Gesamtschuldner. Dies ist der Grund, warum im vorliegenden Fall auch die Haftpflichtversicherung des Beklagtenfahrzeugs mitverurteilt wurde.
Beispiel: Sie werden unverschuldet in einen Unfall verwickelt. Dank § 115 VVG können Sie Ihre Reparaturkosten und sonstigen Schäden direkt bei der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers einfordern, ohne den Fahrer oder Halter selbst in Anspruch nehmen zu müssen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG: Diese Norm begründet die Gefährdungshaftung des Halters eines Kraftfahrzeugs. Sie besagt, dass der Halter für Schäden aufkommen muss, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs entstehen, unabhängig von eigenem Verschulden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Beklagte zu 2) als Halterin des Fahrzeugs haftet für den Schaden am Fahrzeug der Klägerin, da dieser Schaden beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten entstanden ist, auch ohne direkte Berührung der Fahrzeuge.
- § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG: Diese Vorschrift erweitert die Haftung auf den Fahrzeugführer. Neben dem Halter haftet auch der Fahrer eines Kraftfahrzeugs für Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs verursacht werden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Beklagte zu 1) als Fahrer des Fahrzeugs, das den Unfall mittelbar verursachte, haftet neben der Halterin ebenfalls für den entstandenen Schaden der Klägerin.
- § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG: Diese Norm ermöglicht es Geschädigten, Schadenersatzansprüche direkt gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zu richten. Der Geschädigte muss sich nicht nur an den Schädiger selbst wenden, sondern kann sich direkt an dessen Versicherung halten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin kann ihren Schadenersatzanspruch direkt gegen die Beklagte zu 3) als Kfz-Haftpflichtversicherung des Beklagtenfahrzeugs geltend machen, was die Durchsetzung des Anspruchs vereinfacht.
- § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG: Diese Paragraphen regeln die Haftungsverteilung, wenn ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wurde. Die Haftung der Halter untereinander hängt davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Fahrzeug verursacht wurde. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Obwohl mehrere Fahrzeuge beteiligt waren, wird hier festgestellt, dass die Beklagten aufgrund der Umstände vollumfänglich für den Schaden einzustehen haben, ohne dass eine Aufteilung der Haftung mit anderen Beteiligten erfolgt.
- § 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB: Diese Vorschrift legt den Grundsatz und den Umfang des Schadensersatzes fest. Der Geschädigte ist so zu stellen, als wäre der Schaden nicht entstanden, wobei bei Sachbeschädigung der zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag zu ersetzen ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz des an ihrem Fahrzeug entstandenen Schadens in Geld, um ihr Fahrzeug reparieren zu lassen oder den Wertverlust auszugleichen, bis zur Höhe der festgestellten 14.509,07 EUR.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Autofahrer, die in einen Unfall ohne direkte Kollision verwickelt wurden bei/zum Thema Schadensersatzansprüche bei berührungslosem Unfall
Ihr Auto ist beschädigt, aber der Unfallgegner hat Sie gar nicht berührt? Das kommt häufiger vor, als man denkt, zum Beispiel durch ein riskantes Ausweichmanöver, das Sie zum Ausweichen zwang. Auch ohne direkten Crash können Sie unter Umständen vollen Schadensersatz erhalten.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Schadensersatz auch ohne Berührung möglich
Auch wenn es keine Kollision zwischen Ihrem Fahrzeug und dem des Unfallverursachers gab, können Sie Anspruch auf vollen Schadensersatz haben. Entscheidend ist, dass der Unfall durch das riskante Fahrmanöver eines anderen verursacht wurde (juristisch: durch den „Betrieb“ seines Fahrzeugs gemäß §§ 7, 18 StVG). Wenn Sie beispielsweise ausweichen mussten, um einen Zusammenstoß zu verhindern, und dabei gegen einen Baum oder ein anderes Hindernis gefahren sind, haftet der Verursacher des Ausweichmanövers.
Tipp 2: Beweise sofort sichern
Sichern Sie umgehend Beweise für das Fahrmanöver des Unfallverursachers und den Unfallhergang. Dazu gehören Fotos von der Unfallstelle (Endposition der Fahrzeuge, Bremsspuren, Schäden an Ihrem Fahrzeug und ggf. an Hindernissen), die genauen Daten von Zeugen (Name, Adresse, Telefonnummer) und, wenn möglich, ein polizeiliches Unfallprotokoll. Ohne Beweise ist es oft schwer, die Haftung des anderen Fahrers nachzuweisen, besonders wenn dieser den Vorfall bestreitet.
⚠️ ACHTUNG: Gerade bei Unfällen ohne Berührung ist die Beweislage oft schwierig. Bestehen Sie darauf, dass die Polizei den Unfall aufnimmt, auch wenn es keinen direkten Kontakt gab. Notieren Sie sich das Kennzeichen des verursachenden Fahrzeugs, falls der Fahrer weiterfährt.
Tipp 3: Anwaltliche Hilfe frühzeitig suchen
Die rechtliche Beurteilung, ob ein Fahrmanöver den Unfall ursächlich ausgelöst hat und ob die Voraussetzungen für Schadensersatz nach §§ 7, 18 StVG vorliegen, kann komplex sein. Ein spezialisierter Anwalt für Verkehrsrecht kann prüfen, ob die Haftung des Gegners gegeben ist und Ihnen helfen, Ihre Ansprüche (z.B. Reparaturkosten, Gutachterkosten, Mietwagenkosten oder Nutzungsausfall, Schmerzensgeld bei Verletzungen) vollständig durchzusetzen. Wie der Beispielsfall zeigt, können auch die Kosten für den Anwalt oft als Teil des Schadens vom Unfallgegner bzw. dessen Versicherung erstattet werden.
Tipp 4: Unfall der eigenen Versicherung melden
Melden Sie den Vorfall auch Ihrer eigenen Kfz-Versicherung (Haftpflicht und ggf. Kasko), selbst wenn Sie den Unfall nicht (allein) verschuldet haben. Dies ist oft eine vertragliche Obliegenheit und kann relevant werden, falls die Haftungsfrage strittig bleibt oder Sie Ansprüche über Ihre Kaskoversicherung abwickeln möchten.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Der schwierigste Punkt bei berührungslosen Unfällen ist oft der Nachweis, dass gerade das riskante Manöver des anderen Fahrers Ihren Unfall zwangsläufig verursacht hat und Sie keine andere Möglichkeit hatten, als auszuweichen oder zu bremsen. Ohne eindeutige Beweise (idealerweise neutrale Zeugen, Videoaufnahmen z.B. aus einer Dashcam, ein klares Spurenbild oder ein Unfallrekonstruktionsgutachten) kann es schwer sein, die volle Haftung des Gegners durchzusetzen. Versicherungen prüfen hier besonders kritisch, ob nicht doch ein Mitverschulden Ihrerseits vorliegt (z.B. durch zu hohe Geschwindigkeit, zu geringen Abstand oder eine verspätete Reaktion).
✅ Checkliste: Schadensersatz bei berührungslosem Unfall
- Sofort Beweise sichern (Fotos von Endstellungen, Spuren, Schäden)?
- Kontaktdaten unabhängiger Zeugen vollständig notiert?
- Polizei zur Unfallaufnahme gerufen (auch ohne Kollision)?
- Unfall der eigenen und der gegnerischen Versicherung gemeldet?
- Anwalt für Verkehrsrecht zur Prüfung der Ansprüche und Beweislage kontaktiert?
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: I-7 U 68/21 – Urteil vom 17.05.2022
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